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Fahrerlaubnisentziehung bei Cannabisabhängigkeit

OVG Lüneburg – Az.: 12 ME 79/21 – Beschluss vom 20.07.2021

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover – 15. Kammer (Einzelrichterin) – vom 17. Mai 2021 geändert.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1983 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis u. a. der Klasse B durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2021.

Er beantragte im Jahr 2014 die Wiederteilung der ihm zuvor im Jahr 2004 entzogenen Fahrerlaubnis u. a. der Klasse B. Im Rahmen des Wiedererteilungsverfahrens legte er ein medizinisch-psychologisches Gutachten des TÜV Nord vom September 2015 vor (vgl. Bl. 88 der Beiakte = BA B). Beruhend auf einem täglichen Konsum von Cannabis vom März 1998 bis zum Jahr 2013 (vgl. Bl. 94 BA B) gingen die Gutachter von einer „psychischen und Verhaltensstörung durch Cannabinoide/Abhängigkeitssyndrom“ bei dem Antragsteller aus (Bl. 96, 97, 104, 106 BA B), verneinten die erfolgreiche Durchführung einer danach grundsätzlich erforderlichen Entwöhnungsbehandlung, bejahten aber gleichwohl die Kraftfahreignung des Antragstellers (vgl. Bl. 106 ff. GA). Er erhielt daraufhin im Oktober 2015 die streitige Fahrerlaubnis.

Infolge einer Polizeikontrolle am 8. März 2019 wurden im Blut des Antragstellers ein THC-Gehalt von unter 1,0 ng/ml und ein THC-COOH-Gehalt von 8,8 ng/ml festgestellt. Den polizeilichen Berichten sind unterschiedliche Angaben dazu zu entnehmen, ob der Antragsteller nach seinen damaligen Angaben Marihuana zuletzt Silvester (Bl. 119 R BA B) oder „zwei Tage“ vor der Kontrolle (Bl. 121 R BA B) konsumiert habe.

Nachdem die Antragsgegnerin von dem Vorfall Kenntnis erlangt hatte, forderte sie den Antragsteller im November 2019 gemäß §§ 46, 11, 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf (vgl. Bl. 143 ff. BA B). Zwar sei durch seinen nachgewiesenen erneuten Konsum an sich wieder von seiner Cannabisabhängigkeit auszugehen, welche unmittelbar zu seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen führe. Da jedoch seit dem März 2019 mittlerweile erhebliche Zeit verstrichen sei, sei sie dazu bereit, ihm die Gelegenheit zu geben, die bestehenden Bedenken an seiner Fahreignung durch Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auszuräumen. Zu klären sei, ob der Antragsteller zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel (Cannabis) führen werde bzw. ob als Folge unkontrollierten Konsums derartiger Stoffe Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen in Frage stellten. Da der Antragsteller kein Gutachten vorlegte, entzog ihm die Antragsgegnerin am 28. April 2020 die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung an. Das Verwaltungsgericht beanstandete die o. a. Fragestellung mit Beschluss vom 17. Juli 2020 (vgl. BA A). Die Antragsgegnerin hob deshalb nachfolgend ihren Bescheid vom 28. April 2020 auf (vgl. Bl. 237 BA B) und formulierte unter dem 11. August 2020 die Fragestellung für das vom Antragsteller vorzulegende Gutachten wie folgt neu (vgl. Bl. 222 f. BA B):

Liegt beim Antragsteller weiterhin eine Cannabisabhängigkeit im Sinne der Ziffer 9.3 der Anlage 4 zur FeV vor?

Hat bereits eine Entgiftung und Entwöhnung im Sinne der Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV stattgefunden?

Sofern die oben genannten Beeinträchtigungen noch immer vorliegen (auch wenn diese ggf. nicht Nr. 9.3 oder 9.5 der Anlage 4 zur FeV erfüllten):

Wird die Fähigkeit des Antragstellers, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen, durch die oben genannten Beeinträchtigungen gleichwohl ausgeschlossen oder zumindest soweit herabgesetzt, dass er ein Kraftfahrzeug nur unter bestimmten Einschränkungen oder Beschränkungen sicher führen kann?

Ist ggf. eine weitergehende fachärztliche oder eine ergänzende medizinisch-psychologische Untersuchung oder eine verkehrspsychologische Fahrverhaltensbeobachtung erforderlich?

Nachdem der Antragsteller auch zu dieser Fragestellung kein Gutachten vorgelegt hatte, erließ die Antragsgegnerin den hier angegriffenen Entziehungsbescheid vom 1. Februar 2021.

Fahrerlaubnisentziehung bei Cannabisabhängigkeit
(Symbolfoto: Von Canna Obscura/Shutterstock.com)

Der hiergegen gerichtete Antrag des Antragstellers ist vom Verwaltungsgericht so verstanden worden, dass er (allein) auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der parallel erhobenen Anfechtungsklage des Antragstellers gerichtet sei. Dem so verstandenen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit seinem aus dem Tenor ersichtlichen Beschluss entsprochen. Der Entziehungsbescheid sei voraussichtlich rechtswidrig, weil die Anordnung vom 11. August 2020 rechtsfehlerhaft gewesen sei; die Antragsgegnerin habe deshalb aus der unterlassenen Vorlage des Gutachtens nicht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen dürfen. Die Fehlerhaftigkeit der Gutachtenanforderung ergebe sich daraus, dass die Antragsgegnerin die Anordnung des medizinisch-psychologischen Gutachtens bereits nicht auf den angeführten § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV habe stützen dürfen; darüber hinaus seien jedenfalls die o. a. Fragen 3 und 4 „offensichtlich“ nicht durch die angegebene Rechtsgrundlage des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV gedeckt.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch begründet; der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist aus den folgenden Gründen abzulehnen.

Das Prüfprogramm in einem – wie hier – § 146 Abs. 4 VwGO unterfallenden Beschwerdeverfahren ist ggf. zweistufig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl., § 146, Rn. 43; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. § 146, Rn. 107 f., 115, jeweils m. w. N): In einem ersten Schritt ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Gründe, die die erstinstanzliche Entscheidung tragen, hinreichend in Zweifel gezogen hat. Ist dies der Fall, so ist in einem zweiten Schritt von Amts wegen zu prüfen, ob die Entscheidung aus anderen Gründen zutreffend ist und insoweit eine vollumfängliche Prüfung des Antrags auf vorläufigen/einstweiligen Rechtsschutz vorzunehmen.

Hier hat die Antragsgegnerin als Beschwerdeführerin die beiden tragenden Begründungsstränge des Verwaltungsgerichts hinreichend in Zweifel gezogen (1.) und erweist sich der Beschluss auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend (2.).

1.a) Der Annahme des Verwaltungsgerichts, im Zeitpunkt der erneuten Gutachtenanforderung im August 2020 hätten nicht einmal ausreichende Anhaltspunkte für eine Cannabisabhängigkeit des Antragstellers vorgelegen, hält die Antragsgegnerin zutreffend ein fehlerhaftes Verständnis des Begriffs „Abhängigkeit“ i. S. d. § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV entgegen. Er knüpft an die in Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV angeführte „Abhängigkeit von Betäubungsmitteln“ sowie den entsprechenden Begriff in Nr. 8.3 bezogen auf Alkohol an. Nach der Anlage 4a zur FeV ist über das Vorliegen u. a. einer solchen Abhängigkeit auf der Grundlage der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung zu befinden. Die Antragsgegnerin weist zu Recht darauf hin, dass danach eine einmal festgestellte Abhängigkeit nicht durch Zeitablauf oder eine erfolgreiche Entwöhnung erlischt, sondern generell eine hohe Rückfallgefahr beinhaltet, zu deren Abwehr eine dauerhafte, d. h. grundsätzlich lebenslange Abstinenz erforderlich ist. Dies ist in Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien für Alkohol ausdrücklich geregelt und gilt wegen des höheren Gefahrenpotenzial erst recht für die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln; auch insoweit muss es deshalb nach der Begründung zu Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien für eine positive Prognose wahrscheinlich sein, „dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält“. Hiervon wird im Übrigen bereits in der Anlage 4a zur FeV ausgegangen. Denn nach deren Nr. 1 f) Satz 2 gilt: „Hat Abhängigkeit von Alkohol oder Betäubungsmitteln vorgelegen, muss sich die Untersuchung darauf erstrecken, dass eine stabile Abstinenz besteht“. Eine in diesem Sinne – wie hier beim Antragsteller – einmal gutachterlich festgestellte Abhängigkeit wirkt damit aus medizinischer Sicht zeitlich unbegrenzt fort; rechtliche Grenzen ergeben sich insoweit (bezogen auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV) nur aus § 2 Abs. 9 StVG, der hier aber der Verwertung der Angaben aus dem Gutachten des TÜV Nord vom September 2015 nicht entgegensteht. Die zwischenzeitliche Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stellt hingegen weder medizinisch noch rechtlich eine insoweit maßgebende Zäsur im Sinne einer Unverwertbarkeit dar, wie sie in § 4 Abs. 3 StVG etwa für die Punktebewertung vorgeschrieben ist. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 9.6.2005 – 3 C 25:04 -, juris, Rn. 22) ergibt sich nichts Anderes. Sie bezieht sich hinsichtlich der dortigen Forderung nach einzelfallbezogener Bestimmung der Fristen nicht auf die hier maßgebliche Fallgestaltung der Klärung eines Rückfalls in eine bereits zuvor festgestellte Abhängigkeit; dem zeitlichen Abstand zwischen dem eingeräumten erneuten Konsumakt im März 2019 und der Anordnung der Begutachtung erst im August 2020 ist bereits dadurch Rechnung getragen worden, dass nur von Anhaltspunkten für ein „Wiederaufleben“ der Abhängigkeit und nicht von einer ansonsten ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen zu bejahenden Cannabisabhängigkeit ausgegangen worden ist. Von dem vorbezeichneten Verständnis einer „Abhängigkeit“ ist der Senat bereits in der Vergangenheit ausgegangen (vgl. bezogen auf Betäubungsmittel: Beschl. v. 31.5.2021 – 12 PA 68/21 -, sowie bezogen auf Alkohol: Beschl. v. 8.1.21 – 12 ME 189/20 -, v. 16.1.2019 – 12 ME 221/18 – und v. 3.2.2016 – 12 ME 181/15 -). Damit stellte sich nicht die – vom Verwaltungsgericht im Anschluss an die Argumentation des Antragstellers zu Unrecht aufgeworfene, als solche aber nachvollziehbar verneinte – Frage, ob allein aus den im März 2019 im Blut des Antragstellers festgestellten Werten erstmals auf eine bei ihm vorliegende Cannabisabhängigkeit geschlossen werden kann, sondern die davon abweichende, ob sich daraus – für eine erneute Begutachtung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV – zumindest Anhaltspunkte für einen Rückfall in die bereits gutachterlich festgestellte Abhängigkeit von Cannabis ergeben. Diese Frage ist jedoch zu bejahen, zumal bei dem Antragsteller bereits im Jahr 2015 über die Abhängigkeit hinaus eine „psychische und Verhaltensstörung durch Cannabinoide“ festgestellt worden war und er vor der Bejahung seiner Kraftfahreignung nicht die grundsätzlich erforderliche Entwöhnungsbehandlung erfolgreich abgeschlossen hatte. Ob der Antragsteller im Jahr 2019 nur einmal oder mehrfach Cannabis konsumiert hat, ist dafür unerheblich. Damit hat die Antragsgegnerin für die erneute Gutachtenanforderung im August 2020 aller Voraussicht nach zu Recht einen grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der Abhängigkeit (i. S. d. § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV) des Antragstellers von Cannabis bejaht.

b) Berechtigt sind ferner die Einwände der Antragsgegnerin gegen die den Beschluss eigenständig tragende weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, jedenfalls die o. a. Fragen 3 und 4 seien „offensichtlich“ nicht durch die angegebene Rechtsgrundlage des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV gedeckt.

Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Verwaltungsgericht dabei unter Bezugnahme auch auf die Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass in einer rechtmäßigen Gutachtenanforderung die richtige Rechtsgrundlage für die Begutachtung zu bezeichnen ist. Denn ein Fahrerlaubnisinhaber ist nicht gehalten, nach Vorschriften zu suchen, die fehlerhaft begründetes behördliches Handeln zu seinen Lasten doch noch rechtfertigen könnten, sodass es nicht ausreicht, wenn die in einer Gutachtenanordnung genannte Ermächtigungsgrundlage nicht einschlägig ist und lediglich eine weitere, nicht genannte Rechtsgrundlage das Vorgehen decken könnte.

Dass beide letzten o. a. Fragen offensichtlich nicht von der genannten Rechtsgrundlage, d. h. § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV, gedeckt sind, trifft jedoch nicht zu.

Das Verwaltungsgericht hat seine diesbezügliche Feststellung nicht näher begründet, ihr aber offenbar zugrunde gelegt, dass sich aus § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV abschließend die maßgebliche Fragestellung ergebe. Es bestehen jedoch schon Zweifel, ob darin überhaupt eine Regelung zu der maßgeblichen Fragestellung für den Gutachter enthalten ist oder nicht stattdessen lediglich, wie in den Fällen der Nrn. 1 und 3 des § 14 Abs. 2 FeV, der Anlass für die Begutachtung umschrieben wird. Selbst wenn man jedoch mit dem in diese Richtung deutenden Wortlaut der Nr. 2 Alt. 1 des § 14 Abs. 2 FeV von einer Regelung zur gutachterlichen Fragestellung ausgeht, so ist diese jedenfalls nicht abschließend in dem Sinne zu verstehen, dass ausschließlich die Frage nach einer noch bestehenden Abhängigkeit – hier von Cannabis – Gegenstand des Gutachtens sein dürfte. Hiervon ist (zu Recht) offenbar das Verwaltungsgericht auch selbst nicht ausgegangen, weil es dann auch die übrigen, nicht so lautenden Fragen für den Gutachter hätte beanstanden müssen. § 14 Abs. 2 FeV ist jedoch nicht nur in den Fällen der Wiedererteilung, sondern gemäß § 46 Abs. 3 FeV auch bei einer möglichen Entziehung anzuwenden (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2005, a. a. O., juris, Rn. 20; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 46, Rn. 24; Pause-Münch in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 14 FeV, Stand: 25.6.2019, Rn. 94, m. w. N.); dann kann aber in der ersten Alternative nicht – wie im Falle der Wiedererteilung – der Fortbestand/zwischenzeitliche Wegfall einer die Fahreignung vormals ausschließenden Abhängigkeit, sondern nur dessen erstmaliges Vorliegen oder – wie hier – dessen „Wiederaufleben“ durch Rückfall zu klären sein. Eine auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV gestützte, an einen Fahrerlaubnisinhaber gerichtete Gutachtenanordnung muss demnach die Klärung einer (die Kraftfahreignung ausschließenden oder zumindest beschränkenden) Abhängigkeit einschließlich ihrer Folgen zum Gegenstand haben und insoweit regelmäßig auch das in Rede stehende Mittel/den Stoff bezeichnen, lässt in diesem Rahmen aber Raum für eine nähere, einzelfallbezogene Konkretisierung der Fragestellung nach den allgemeinen Grundsätzen des § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV.

Die o. a. Fragen bewegen sich innerhalb des so bezeichneten Rahmens des § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV.

Für die erste Frage nach dem „weiterhin“ Vorliegen einer Cannabisabhängigkeit hat dies auch das Verwaltungsgericht nicht beanstandet. Schon diese Frage ist zwar nicht eindeutig, weil der Fortbestand der Abhängigkeit als medizinischer Befund von der Antragsgegnerin dabei gerade vorausgesetzt wird; die erste Frage ist aber so zu verstehen und von den Beteiligten auch verstanden worden, dass – zu Recht – der Rückfall in die bzw. das Wiederaufleben der Cannabisabhängigkeit bei dem Antragsteller zu klären ist.

Darin eingeschlossen ist die zweite Frage, ob es zumindest jetzt zu der grundsätzlich nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV für die Annahme der Kraftfahreignung erforderlichen Entgiftung und Entwöhnung gekommen ist.

Ebenfalls nicht eindeutig, aber noch hinreichend auslegungsfähig ist die dritte Frage. Sie knüpft im ersten Halbsatz an widersprüchliche Voraussetzungen an, indem einerseits das Vorliegen der zuvor genannten Beeinträchtigungen, also eine Cannabisabhängigkeit als Eignungsmangel vorausgesetzt wird, andererseits in der ersten Alternative der Frage aber „gleichwohl“ nach einem cannabisbedingten Ausschluss der Eignung gefragt wird. Sie geht damit entweder (folgenlos) ins Leere oder bezieht sich auf andere durch die jahrelange Cannabisabhängigkeit die Fahreignung ausschließende „Folgeschäden“, wie etwa dadurch bedingte relevante Persönlichkeitsveränderungen, und dient bei diesem Verständnis noch der Klärung der durch die Cannabisabhängigkeit bedingten Folgen für die Kraftfahreignung des Antragstellers. Die zweite Alternative der dritten Frage bezieht sich auf eine durch die Cannabisabhängigkeit zwar nicht entfallende, aber ggf. nur noch bedingte Kraftfahreignung i. S. d. § 2 Abs. 4 Satz 2 StVG, § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV und erweist sich damit – als Maßnahme zur Klärung eines milderen Mittels als des Entzugs der Fahrerlaubnis – ebenfalls noch von § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV umfasst. Dass eine bedingte Kraftfahreignung bei „Cannabisabhängigkeit“ nach einer Entwöhnung in Betracht kommt, ergibt sich schon aus Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV auch für die in Rede stehende Fahrerlaubnisklasse B; danach können insoweit „regelmäßige Kontrollen“ vorgeschrieben werden.

Der vierten Frage nach der Erforderlichkeit weitergehender Maßnahmen zur Klärung der Fahreignung kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Denn sie erweitert nicht den Untersuchungsauftrag an den Gutachter etwa dahingehend, er möge weitere mögliche Eignungsmängel bei dem Antragsteller suchen, sondern verdeutlicht nur die Selbstverständlichkeit, dass der Gutachter darauf hinzuweisen hat, wenn er zur abschließenden Beantwortung der vorhergehenden Fragen nicht in der Lage ist, sondern dazu seiner Ansicht nach weitere Maßnahmen zu veranlassen sind; so verstanden wirkt die vierte „Frage“ gerade eingriffsbegrenzend, indem klargestellt wird, dass der Gutachter nicht von sich aus solche Maßnahmen eigenständig veranlassen oder gar selbst vornehmen und zur Grundlage seines Gutachtens machen kann.

2. Der Beschluss erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig.

Die Antragsgegnerin hat auf den Seiten 4 und 5 ihres Bescheides die sofortige Vollziehung u. a. der Entziehung der Fahrerlaubnis den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügend begründet, indem sie darauf verwiesen hat, dass die weitere Teilnahme des Antragstellers als Kraftfahrer am Straßenverkehr trotz Konsums von Cannabis auch vorübergehend nicht hinnehmbar sei.

Nach dem vom Verwaltungsgericht auf Seite 7 des Beschlussabdrucks zutreffend bezeichneten Maßstab ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO ganz oder teilweise wiederherzustellen; denn der Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2021 erweist sich voraussichtlich als rechtmäßig.

a) Dies gilt zunächst für die Entziehung der Fahrerlaubnis. Wie das Verwaltungsgericht auf Seite 8 Abs. 2 des Beschlussabdrucks zutreffend ausgeführt hat, durfte die Antragsgegnerin grundsätzlich aus der Nichtvorlage eines rechtmäßig angeforderten Gutachtens auf die fehlende Kraftfahreignung des Betroffenen schließen und ihm deshalb die Fahrerlaubnis entziehen.

Wie sich aus den vorherigen Ausführungen unter II. 1 ergibt, waren die in dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 11. August 2020 enthaltenen Fragen rechtmäßig und zu Recht auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV gestützt. Sind – wie hier – die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV gegeben, ist die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zwingend. Dem Normgeber kommt es im Hinblick auf die notwendige Prognose zukünftigen Verhaltens nämlich gerade auch auf eine psychologische Begutachtung des Betroffenen an, so dass eine – vom Antragsteller angebotene – nur medizinische Untersuchung bzw. Kontrolle, etwa durch eine Haaranalyse, auf einen aktuellen Drogenkonsum keine geeignete rechtmäßige Alternative darstellt (vgl. nochmals BVerwG, Urt. v. 9.6.2005, a. a. O., juris, Rn. 24). Das Schreiben der Antragsgegnerin enthielt zudem die nach § 11 Abs. 6 und 8 FeV notwendigen Hinweise und räumte dem Antragsteller mit drei Monaten eine ausreichende Frist zur Vorlage des Gutachtens ein. Da er das Gutachten nicht vorgelegt hat, durfte die Antragsgegnerin gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine fehlende Kraftfahreignung wegen Cannabisabhängigkeit schließen. Ausgehend hiervon war ihm nach §§ 46 Abs. 1 und 3, 11 Abs. 8 FeV, § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Zum höherrangigen Schutz der Verkehrssicherheit erweist es sich dann ungeachtet der damit für den Fahrerlaubnisinhaber verbundenen beruflichen und familiären Nachteile als rechtmäßig (wenn nicht gar vorliegend als zwingend), eine so legitimierte Entziehung der Fahrerlaubnis für sofort vollziehbar zu erklären.

b) Gestützt auf § 3 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 StVG ist der Antragsteller nach dem sofort vollziehbaren Entzug seiner Fahrerlaubnis weiterhin rechtmäßig zur Vorlage seines Führerscheins aufgefordert worden. Dass die dazu gesetzte Frist von fünf Tagen ab Zustellung zu eng bemessen gewesen wäre, macht der Antragsteller nicht geltend und ist auch für den Senat nicht ersichtlich.

c) Dass sich sein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO „auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage“ auch gegen die Androhung des unmittelbaren Zwanges sowie gegen die Kostenforderung unter den Nummern 4 und 6 des Bescheides vom 1. Februar 2021 richten soll, ist – auch im Hinblick auf die insoweit gesonderte Zugangsvoraussetzung gemäß § 80 Abs. 6 VwGO – nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat selbst nicht geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe seinen Antrag falsch verstanden, er habe insoweit neben der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage (bezogen auf die o. a. Regelungen unter den Nummern 1 und 2 des Bescheides) auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die übrigen Regelungen (unter den Nummern 4 und 6) in diesem Bescheid beantragt, über die vom Verwaltungsgericht zu Unrecht nicht entschieden worden sei.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an den Vorschlägen unter den Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

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