Fahrerlaubnisentziehung nach Trunkenheitsfahrt mit Fahrrad: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof kippt Entscheidung
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss Az.: 11 AS 23.2111 entschieden, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,35 ‰ rechtswidrig war. Die Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens war unverhältnismäßig, da sie auch die Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge betraf. Das Gericht hob daher sowohl die Entziehung der Fahrerlaubnis als auch die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins auf.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Entziehung der Fahrerlaubnis und Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins wurden aufgehoben.
- Die Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens war wegen überschießender Fragestellung rechtswidrig.
- Die Blutalkoholkonzentration von 2,35 ‰ führte nicht automatisch zur Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen.
- Das Verfahren konzentrierte sich auf den Sofortvollzug der Entziehung der Fahrerlaubnis.
- Die rechtliche Basis für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge war unzureichend.
- Das Gericht betonte die Notwendigkeit einer klaren und verhältnismäßigen Fragestellung bei der Anordnung von Gutachten.
- Der Freistaat Bayern legte Berufung gegen die Entscheidung ein, betreffend die Aufhebung der Fahrerlaubnisentziehung.
- Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der präzisen Abgrenzung der Anforderungen an die Fahrtauglichkeit.
Übersicht
Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad: Die Herausforderungen der Fahrerlaubnisentziehung
Die Fahrerlaubnisentziehung bei Trunkenheitsfahrten mit dem Fahrrad ist ein brisantes Thema, das sowohl juristische als auch gesellschaftliche Debatten auslöst. Insbesondere bei einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,35 ‰ oder höher kann die Fahrerlaubnis entzogen werden, was für Betroffene oft schwerwiegende Folgen hat. Dabei stellt sich die Frage, wie präzise die Anforderungen an die Fahrtauglichkeit abgegrenzt werden müssen und welche rechtlichen Herausforderungen sich daraus ergeben.
Ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichtshof Bayern zeigt, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad und einer BAK von 2,35 ‰ rechtmäßig sein kann, jedoch die Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgrund einer überschießenden Fragestellung unverhältnismäßig sein kann. Es ist daher ratsam, sich im Einzelfall von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen, um mögliche Verteidigungsstrategien zu prüfen und die rechtlichen Herausforderungen besser zu verstehen.
Im Zentrum eines bemerkenswerten Rechtsfalles stand ein Mann, der nach einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad und einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,35 ‰ mit dem Verlust seiner Fahrerlaubnis konfrontiert wurde. Dieser Fall, der bis zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gelangte, wirft ein Schlaglicht auf die Grenzen behördlicher Eingriffe und die Bedeutung eines angemessenen rechtlichen Verfahrens.
Der Vorfall: Eine nächtliche Fahrt mit Folgen
Der Ausgangspunkt der rechtlichen Auseinandersetzung war eine Fahrt zur Tankstelle, die weitreichende Konsequenzen für den betroffenen Fahrradfahrer hatte. Nachdem der Mann in alkoholisiertem Zustand gegen die Tür der geschlossenen Tankstelle geschlagen hatte, wurde die Polizei gerufen. Eine Blutprobe bestätigte später eine BAK von 2,35 ‰. Obwohl das daraufhin eingeleitete strafrechtliche Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt wurde, führte der Vorfall zu weiteren behördlichen Maßnahmen.
Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
Das Landratsamt Weißenburg-Gunzenhausen reagierte auf den Vorfall mit der Forderung nach einem medizinisch-psychologischen Gutachten. Die Behörde wollte klären, ob der Mann aufgrund seines Alkoholkonsums geeignet sei, Fahrzeuge – sowohl fahrerlaubnisfreie als auch fahrerlaubnispflichtige – zu führen. Als der Antragsteller das geforderte Gutachten nicht vorlegte, wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Diese Maßnahme wurde mit sofortiger Wirkung vollzogen, womit dem Mann nicht nur das Führen von Kraftfahrzeugen, sondern auch von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr untersagt wurde.
Rechtliche Wende vor dem Verwaltungsgericht
Die rechtliche Kontroverse erreichte eine neue Dimension, als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof involviert wurde. In einem Urteil vom 11. Juli 2023 stellte das Gericht fest, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis und die damit verbundenen Anforderungen an den Antragsteller rechtswidrig waren. Besonders kritisiert wurde die überschießende Fragestellung des Gutachtens, das auch die Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge betraf. Dies, so das Gericht, sei unverhältnismäßig und stelle eine unzulässige Ausweitung der behördlichen Prüfung dar.
Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies darauf hin, dass keine ausreichende rechtliche Grundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge bestehe. Darüber hinaus wurde bemängelt, dass die Nichtvorlage des Gutachtens nicht automatisch auf eine Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen lassen dürfe. Folglich wurden die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Aufforderung zur Ablieferung des Führerscheins für rechtswidrig erklärt und aufgehoben.
Fazit: Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verdeutlicht die Notwendigkeit einer klaren und rechtlich fundierten Basis für behördliche Eingriffe in die persönlichen Rechte von Bürgern. Es zeigt auf, dass die Anforderungen an die Eignungsprüfung präzise definiert und verhältnismäßig sein müssen, insbesondere wenn es um die Entziehung der Fahrerlaubnis geht.
Das vorliegende Urteil
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 AS 23.2111 – Beschluss vom 22.01.2024
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragssteller wendet sich gegen Sofortvollzug der Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch den Antragsgegner.
Der am … 1956 geborene Antragsteller war Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, M und L. Einem Bericht der Polizeiinspektion Gunzenhausen zufolge fuhr er am 18. Juni 2019 kurz nach 22 Uhr mit seinem Fahrrad zu einer Tankstelle, um dort einzukaufen. Da er gegen die Tür der bereits nicht mehr geöffneten Tankstelle schlug, verständigte die noch anwesende Mitarbeiterin die Polizei. Die mit Einverständnis des Antragstellers um 22:31 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,35 ‰. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde nach Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a Abs. 1 StPO eingestellt und die von der Tankstelle überlassene Videoaufzeichnung über den Vorfall nach Auskunft der Staatsanwaltschaft anschließend gelöscht.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2019 forderte das Landratsamt Weißenburg-Gunzenhausen den Antragsteller auf, bis spätestens 3. Januar 2020 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen zu den Fragen, (1.) ob körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vorliegen, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können, (2.) ob insbesondere nicht zu erwarten ist, dass das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann, und (3.) ob auch nicht zu erwarten ist, dass das Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Der Antragsteller gab hierzu eine am 8. Dezember 2019 unterzeichnete Einverständniserklärung ab und teilte dem Landratsamt mit, die Begutachtung solle durch die TÜV-Süd Life Service GmbH in Nürnberg durchgeführt werden. Mit Schreiben vom 11. Dezember 2019 verlängerte das Landratsamt die Frist zur Vorlage des Gutachtens bis 3. Februar 2020.
Nach Anhörung, in deren Rahmen der Antragsteller behauptet hat, das Fahrrad nur geschoben zu haben, entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid vom 16. März 2020 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis, verpflichtete ihn, den Führerschein unverzüglich abzugeben und untersagte ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr. Er habe das Gutachten nicht vorgelegt. Daraus sei auf seine Nichteignung zu schließen.
Am 23. März 2020 versicherte der Antragsteller gegenüber dem Landratsamt an Eides Statt, er habe seinen Führerschein verloren.
Mit persönlich verfasstem Schreiben sowie mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16. April 2020 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid ein und bat um erneute Begutachtung, legte jedoch innerhalb der hierzu mehrfach verlängerten Frist kein Gutachten vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2021 wies die Regierung von Mittelfranken den Widerspruch zurück.
Mit Schreiben vom 30. August 2021 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage erheben und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 31. Januar 2022 abgelehnt.
Mit Urteil vom 11. Juli 2023 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 16. März 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. August 2021 in vollem Umfang aufgehoben. Für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge bestehe nach neuer Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich die Kammer anschließe, keine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei ebenfalls rechtswidrig. Die Kammer sei zwar nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass der Antragsteller das Fahrrad nicht geschoben habe, sondern dass er damit gefahren sei. Allerdings sei die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wegen überschießender Fragestellung (auch) nach der Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge unverhältnismäßig und damit insgesamt rechtswidrig. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens habe das Landratsamt daher nicht auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfen. Daher seien die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins aufzuheben.
Gegen dieses Urteil hat der Freistaat Bayern die vom Verwaltungsgericht zugelassene und noch anhängige Berufung eingelegt, soweit das Verwaltungsgericht die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben hat.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 26. Oktober 2023 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht unter Hinweis auf das Urteil vom 11. Juli 2023 die Änderung des Beschlusses vom 31. Januar 2022 und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 7 VwGO beantragen. Mit Beschluss vom 20. November 2023 erklärte sich das Verwaltungsgericht für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als Gericht der Hauptsache. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2023 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers klar, der Antrag beschränke sich auf die Entziehung der Fahrerlaubnis.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag ist statthaft und zulässig.
Der Verwaltungsgerichtshof ist das für die Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO zuständige Gericht der Hauptsache, weil bei ihm die erstinstanzlich zugelassene und vom Freistaat Bayern eingelegte Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11. Juli 2023 bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis anhängig ist. Das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist mit dem rechtskräftigen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 31. Januar 2022 abgeschlossen.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
a) Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Das Änderungsverfahren ist damit kein Rechtsmittelverfahren zur Kontrolle der Richtigkeit der vorangegangenen Entscheidung, sondern ein eigenständiges Verfahren, in dem geprüft wird, ob die Entscheidung aufrechterhalten werden kann oder eine Änderung aufgrund neuer Umstände nunmehr geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 14.3.2019 – 6 VR 1.19 – juris Rn. 5). Dabei entspricht der Entscheidungsmaßstab im Änderungsverfahren demjenigen im ursprünglichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Änderungsantrag ist somit nur begründet, wenn veränderte oder unverschuldet zunächst nicht geltend gemachte Umstände bei summarischer Prüfung vorliegen und eine Änderung des ursprünglichen Beschlusses rechtfertigen. Dabei kommt den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens – hier des Berufungsverfahrens – maßgebliche Bedeutung zu. Dabei ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung – hier also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids vom 9. August 2021 – ankommt (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 11; U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – BVerwGE 171, 1 Rn. 12 m.w.N.).
b) Davon ausgehend liegen hier keine Umstände im Sinne von § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vor, die dem Änderungsantrag zum Erfolg verhelfen würden. Zwar hat das Verwaltungsgericht der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Urteil vom 11. Juli 2023 stattgegeben. Das rechtfertigt allerdings keine vom ablehnenden Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts abweichende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers, weil die Berufung des erstinstanzlich unterlegenen Freistaats Bayern gegen das Urteil nach summarischer Prüfung voraussichtlich Erfolg haben wird.
aa) Das Landratsamt hat dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen, weil er am 18. Juni 2019 mit seinem Fahrrad bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,35 ‰ gefahren ist und das aus diesem Grund geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht hat (§ 11 Abs. 8 Satz 1, § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], vor Erlass des Widerspruchsbescheids der Regierung von Mittelfranken zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.4.2021 [BGBl I S. 822]).
Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn der Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt hat. Die Beibringungsanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV setzt keine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug voraus. Vielmehr genügt die Fahrt mit jedem Fahrzeug, mithin auch mit einem Fahrrad (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 a.a.O. Rn. 19; B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 Rn. 7; U.v. 21.5.2008 – 3 C 32.07 – BVerwGE 131, 163 = juris Rn. 10, 15 ff., BayVGH, B.v. 7.9.2023 – 11 CS 23.1298 – juris Rn. 13; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 13 FeV Rn. 23a). Die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand stellt mit jedem Fahrzeug und somit auch mit einem Fahrrad eine gravierende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Daher ist in diesen Fällen regelmäßig die Untersuchung mittels medizinisch-psychologischer Fachkunde veranlasst, ob sich das mit dem Fahrrad gezeigte Verhalten auch auf das Führen von Kraftfahrzeugen auswirken kann.
Soweit der Antragsteller behauptet, das Fahrrad nur geschoben zu haben, kann er damit aus den im erstinstanzlichen Urteil dargelegten Gründen (UA S. 10-13) voraussichtlich nicht durchdringen. Der Begriff des „Führens“ eines Fahrzeugs im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV deckt sich mit dem des § 316 StGB und § 24a StVG (Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 13 FeV Rn. 23d). Wer auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt es (BayVGH, B.v. 17.11.2014 – 11 ZB 14.1755 – NJW 2015, 1626 Ls. und Rn. 16 ff.). Die Länge der gefahrenen Strecke ist unerheblich (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2021 – 11 CS 20.2867 – DAR 2021, 647 Rn. 15; B.v. 5.2.2021 – 11 ZB 20.2611 – juris Rn. 27). Das Schieben eines Fahrrads erfüllt hingegen nicht den Begriff des „Führens“. Es muss mit hinreichender Gewissheit feststehen, dass der Betroffene das Fahrzeug geführt hat (vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 3 C 9.21 – BVerwGE 175, 206 Rn. 38; BayVGH, B.v. 7.9.2023 a.a.O. Rn. 16). Allerdings ist hierfür eine Ahndung als Straftat nach § 316 StGB nicht zwingend. Vielmehr ist die Fahrerlaubnisbehörde – soweit sie keinen Beschränkungen nach dem Abweichungsverbot des § 3 Abs. 4 StVG unterliegt – befugt, die Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV eigenständig und unabhängig davon zu beurteilen, ob die Tat geahndet wurde oder nicht. Das bedeutet jedoch mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip und die mit einer medizinisch-psychologischen Begutachtung für den Betroffenen verbundenen Belastungen nicht, dass bereits ein vager Verdacht die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigt. Vielmehr müssen die von der Fahrerlaubnisbehörde herangezogenen Umstände in den Verfahrensakten hinreichend dokumentiert sein (vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2022 a.a.O. Rn. 30-39).
Das Verwaltungsgericht hat nach eingehender Befragung der damaligen Mitarbeiterin der Tankstelle als Zeugin in der mündlichen Verhandlung ausführlich und überzeugend begründet, dass diese glaubhaft angegeben hat, beobachtet zu haben, wie der Antragsteller mit dem Fahrrad zur Tankstelle gefahren sei. Dass sie sich trotz der seit dem Vorfall vergangenen Zeit daran erinnern konnte, erscheint nachvollziehbar, nachdem sie wegen des Verhaltens des Antragsstellers die Polizei verständigt hat und diese den Vorfall aufgenommen hat. Ein solches, nicht alltägliches Vorkommnis bleibt gewöhnlich auch nach längerer Zeit in Erinnerung, worauf auch die Zeugin bei ihrer Befragung hingewiesen hat. Außerdem wurde es auch vom diensthabenden Polizeibeamten, der die von der Tankstelle überlassene CD mit der Videoaufzeichnung eingesehen hat, in seinem Schlussvermerk vom 28. September 2019 so protokolliert. Schließlich wurde das gegen den Antragsteller eingeleitete Ermittlungsverfahren auch nicht wegen erwiesener Unschuld oder nicht nachweisbarer Tat gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, sondern gemäß § 153a Abs. 1 StPO nach Erfüllung der Auflage, was das Einverständnis des Antragstellers als Beschuldigter voraussetzt und nur in Betracht kommt, wenn mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einer Verurteilung ausgegangen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2016 – 11 ZB 16.1359 – juris Rn. 19). Wäre der Antragsteller der Auffassung gewesen, der Tatnachweis könne nicht geführt werden, hätte er seine Zustimmung verweigern können, um im Strafverfahren einen Freispruch zu erreichen. Aus dem im Widerspruchsverfahren vorgelegten Hinweisbeschluss des Landgerichts Ansbach vom 3. Mai 2021, mit dem das Landgericht ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für ein Unterlassungsbegehren gegen die Mitarbeiterin der Tankstelle verneint hat, kann er nichts zu seinen Gunsten herleiten. Die ihn entlastende Zeugin Andrea S. ist verstorben und kann nicht mehr befragt werden. Aus den vom Verwaltungsgericht überzeugend dargelegten Gründen sind deren schriftliche Bekundungen allerdings in sich widersprüchlich und haben daher keinen hohen Beweiswert. Im Antrags- und Berufungsverfahren hat der Antragsteller keine neuen Umstände zu seiner Entlastung vorgebracht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich seine Darstellung über die schriftliche Einlassung der von ihm benannten, mittlerweile verstorbenen Zeugin hinaus in irgendeiner Weise belegen ließe.
bb) Nicht zu folgen ist dem erstinstanzlichen Urteil jedoch, soweit es die Beibringungsanordnung wegen nicht zulässiger Fragestellung in Bezug auf die Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtswidrig und diese Folgemaßnahme damit ebenfalls als rechtswidrig ansieht.
Richtig ist zwar, dass der Schluss von der Nichtbeibringung des Gutachtens auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nur zulässig ist, wenn die Anordnung der Begutachtung den Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV entspricht, insbesondere nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihres Ergehens anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19) bzw. kein ausreichender Grund für die Weigerung vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1985 – 7 C 26.83 – BVerwGE 71, 93 = juris Rn. 16; OVG NW, B.v. 17.3.2021 – 16 B 22.21 – DAR 2021, 409 Rn. 5; Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 11 FeV Rn. 51). Grundsätzlich zutreffend ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein muss (BVerwG, U.v. 17.11.2016 a.a.O. Rn. 21) und die Fahrerlaubnisbehörde dem Betroffenen die zu untersuchende Fragestellung in der Beibringungsanordnung so mitzuteilen hat, dass er zweifelsfrei erkennen kann, welche Problematik in welcher Weise geklärt werden soll (BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – NJW 2016, 179 Rn. 8 f.). Besteht die Fragestellung – wie hier – aus mehreren Teilen, infiziert die Fehlerhaftigkeit eines Teils regelmäßig auch den anderen Teil. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Betroffenen, insoweit zu differenzieren und den Gutachter zu einer entsprechend abschichtenden Untersuchung zu veranlassen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 11 FeV Rn. 42c; VGH BW, B.v. 30.6.2011 – 10 S 2785/10 – NJW 2011, 3257 = juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 8.6.2022 – 16 B 1237/21 – NJW 2022, 2633 Rn. 12; OVG LSA, B.v. 14.9.2022 – 3 M 83/22 – juris Rn. 14).
Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Betroffene sich klar unterscheidbaren getrennten Fragestellungen gegenübersieht. In einer solchen Konstellation kann von diesem eine differenzierte Entschließung erwartet werden, ob und ggf. welchen Untersuchungen bzw. Fragestellungen er sich stellen oder im Verweigerungsfall die Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV riskieren will (vgl. VGH BW, B.v. 30.6.2011 a.a.O.; OVG LSA, B.v. 14.9.2022 a.a.O. juris Rn. 14; siehe auch BayVGH, B.v. 4.2.2013 – 11 CS 13.22 – juris Rn. 19; OVG SH, B.v. 4.8.2021 – 5 MB 18/21 – Blutalkohol 58, 345 = juris Rn. 32). Eine solche Fallgestaltung liegt – worauf auch der Antragsgegner zutreffend hinweist – hier vor (vgl. auch BayVGH, B.v. 25.7.2023 – 11 CS 23.125 – juris Rn. 25). Die Fragen nach der Eignung zum Führen zum Kraftfahrzeugen und der Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sind thematisch klar voneinander abgegrenzt, überschneiden sich nicht und bauen nicht aufeinander auf. Das Landratsamt hat sie in seiner Beibringungsanordnung separat gestellt und die betroffenen Fahrzeugarten (fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge und fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge) jeweils durch Unterstreichungen hervorgehoben. Die Frage nach der Kraftfahreignung ist zulässig, insoweit konnte sich die Beibringungsanordnung auf gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung stützen.
Der Antragsteller war daher aufgrund seiner Mitwirkungsobliegenheit gehalten, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen. Landratsamt und Widerspruchsbehörde haben aus der Nichtvorlage des Gutachtens zu Recht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen und ihm die Fahrerlaubnis entzogen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).