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Fahrerlaubnisentziehung – Punkteabzug nach § 4 Abs. 6 S. 3 Nr. 2 StVG

VG Gelsenkirchen – Az.: 7 L 961/18 – Beschluss vom 31.07.2018

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1. Die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 114 ff. ZPO. Der Antrag hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt.

2. Der sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 2875/18 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 3. Mai 2018 anzuordnen, hat keinen Erfolg.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung u.a. in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3, in denen die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage kraft Bundesrechts entfällt, ganz oder teilweise anordnen. Im vorliegenden Fall entfaltet die Klage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis kraft Bundesrechts keine aufschiebende Wirkung, § 4 Abs. 9 StVG. Ferner kann das Gericht der Hauptsache nach § 112 Satz 2 JustG NRW i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Falle des § 112 Satz 1 JustG NRW ganz oder teilweise anordnen. Nach § 112 Satz 1 JustG NRW haben Rechtsbehelfe, die sich gegen Maßnahmen einer Vollzugsbehörde in der Verwaltungsvollstreckung richten, keine aufschiebende Wirkung. Die Zwangsgeldandrohung in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 3. Mai 2018 ist eine Maßnahme einer Vollzugsbehörde in der Verwaltungsvollstreckung.

Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus. Die Klage gegen die Ordnungsverfügung vom 3. Mai 2018 hat bei der im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Die Entziehungsverfügung findet ihre Grundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV.

Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG liegen vor. Nach dieser Vorschrift gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ergeben. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ergeben sich Punkte mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Ermittlung des Punktestandes ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG der Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Da die letzte in der Ordnungsverfügung berücksichtigte Tat am 14. November 2017 begangen wurde, ist dieser Tag maßgeblich.

Der Antragsgegner hat den Punktestand des Antragstellers im Fahreignungs-Bewertungssystem zum maßgeblichen Zeitpunkt am 14. November 2017 zu Recht mit acht Punkten beziffert. Welche Verkehrsverstöße der Antragsgegner seiner Berechnung im Einzelnen zugrunde gelegt hat, ist der Aufstellung auf Bl. 129 der Verwaltungsvorgänge zu entnehmen. Die Kammer hat die Berechnung nachvollzogen und hierbei keinen Fehler festgestellt. Im Einzelnen entwickelte sich der Punktestand wie folgt:

Wegen des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit am 11. August 2014 (rechtskräftig seit dem 12. November 2014) wurde ein Punkt in das Fahreignungsregister eingetragen. Wegen Nichteinhaltens des Mindestabstands am 31. August 2015 (rechtskräftig seit dem 29. Dezember 2015), am 8. September 2015 (rechtskräftig seit dem 29. Dezember 2015), am 19. Februar 2016 (rechtskräftig seit dem 18. Mai 2016) und am 1. März 2016 (rechtskräftig seit dem 19. Mai 2016) wurde jeweils ein Punkt eingetragen, so dass ein Punktestand von fünf Punkten zu verzeichnen war. Aufgrund eines Rotlichtverstoßes am 23. Dezember 2016 (rechtskräftig seit dem 19. April 2017) erhöhte sich der Punktestand um einen Punkt auf sechs Punkte. Am 12. Mai 2017 war der eingetragene Punkt wegen der Tat vom 11. August 2014 zu tilgen, so dass sich ein Punktestand von fünf Punkten ergab und die Tat vom 11. August 2014 in der Aufstellung des Antragsgegners auf Blatt 129 der Verwaltungsvorgänge zu Recht keine Berücksichtigung mehr gefunden hat. Wegen des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften am 26. Juli 2017 (rechtskräftig seit dem 5. Oktober 2017), am 30. August 2017 (rechtskräftig seit dem 5. Februar 2018) und am 14. November 2017 (rechtskräftig seit dem 23. Januar 2018) wurde für den Antragsteller jeweils ein Punkt eingetragen, so dass sich ein Punktestand von insgesamt acht Punkten ergab.

Alle Verkehrsverstöße seit dem 31. August 2015 durften bei der Berechnung des Punktestandes berücksichtigt werden, da sie noch verwertbar waren. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 StVG werden Zuwiderhandlungen nur berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfristen zu dem in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG genannten Zeitpunkt, hier also am 14. November 2017, noch nicht abgelaufen waren. Die Tilgungsfrist für sämtliche vom Antragsteller begangenen Verstöße beträgt gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 lit. a StVG zwei Jahre und sechs Monate, weil diese Verstöße (das Nichteinhalten von Mindestabständen, der Rotlichtverstoß sowie die Geschwindigkeitsverstöße) in Nr. 3.2 der Anlage 13 zur Fahrerlaubnisverordnung aufgeführt und mit einem Punkt bewertet sind. Vor diesem Hintergrund trat die Tilgungsreife der ältesten zu berücksichtigenden Eintragung (Tattag 31. August 2015, rechtskräftig seit dem 29. Dezember 2015) erst am 29. Juni 2018 und damit nach dem maßgeblichen Zeitpunkt ein. Für die weiteren (jüngeren) Verstöße gilt dies erst recht.

Des Weiteren ist auch das Stufenverfahren nach § 4 Abs. 5 StVG ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Antragsteller wurde – entgegen seinen Angaben in der Antragsschrift – mit Schreiben vom 30. Juni 2016 bei einem Punktestand von fünf Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ermahnt und auf die Möglichkeit eines freiwilligen Fahreignungsseminars hingewiesen. Ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Zustellungsurkunde ist diese Ermahnung am 1. Juli 2016 in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden. Die bloße Behauptung des Antragstellers, die Ermahnung nicht erhalten zu haben, ist nicht geeignet, die Beweiskraft der Zustellungsurkunde als öffentliche Urkunde (vgl. § 418 ZPO) zu entkräften. Die Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG erfolgte ordnungsgemäß mit Schreiben vom 13. November 2017 (zugestellt am 15. November 2017) bei einem dem Antragsgegner bekannten Punktestand von sechs Punkten; hinsichtlich der Verstöße vom 30. August 2017 und 14. November 2017 war die Rechtskraft noch nicht eingetreten.

Dem Antragsteller kommt nicht zugute, dass er im Zeitpunkt der Zustellung der Verwarnung am 15. November 2017 die beiden Verstöße, die zu einer Erhöhung auf acht Punkte im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG führten (Geschwindigkeitsverstöße am 30. August 2017 und am 14. November 2017), bereits begangen hatte. Ein Punktabzug gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG ist nicht vorzunehmen, da die Voraussetzungen der Vorschrift nicht vorliegen. Entscheidend ist, ob im Zeitpunkt des Bekanntwerdens der letzten berücksichtigten Ordnungswidrigkeiten beim Antragsgegner die Maßnahme der vorangegangenen Stufe (Verwarnung) bereits ergriffen worden war. Dies war vorliegend der Fall, weil das Kraftfahrbundesamt den Antragsgegner erst mit Schreiben vom 9. Februar 2018 auf die am 23. Januar 2018 bzw. am 5. Februar 2018 eingetretene Rechtskraft hinsichtlich der letzten beiden Geschwindigkeitsverstöße hingewiesen hat und zu diesem Zeitpunkt die Maßnahme der Verwarnung bereits ergriffen worden war.

Vgl. zum Wegfall der Warnfunktion des Stufenverfahrens: OVG NRW, Beschluss vom 7. Oktober 2015 – 16 B 554/15 -, juris, Rn. 11 ff.; VG Augsburg, Beschluss vom 23. Februar 2016 – Au 7 S 16.136, juris, Rn. 33 ff.; vgl. auch (ausführlich): Beschluss der Kammer vom 24. April 2018 – 7 L 8/18 -, juris, Rn. 17.

Die vom Antragsgegner verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis war bei einem Punktestand von acht Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend. Ein Ermessen steht dem Antragsgegner nicht zu.

Die in der Ordnungsverfügung enthaltene deklaratorische Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Die Zwangsgeldandrohung entspricht den Anforderungen von §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 VwVG NRW und ist rechtmäßig.

Dass das Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nutzen zu können, aus anderen Gründen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Entziehungsverfügung genießt, ist nicht festzustellen. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen und im Einzelfall – insbesondere bei Berufskraftfahrern – bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten für den Antragsteller muss er als Betroffener jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

So auch: OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2015 – 16 B 74/15 -, juris, m. w. N.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1, 2 GKG. Der Streitwert eines Klageverfahrens, das die Entziehung einer beruflich genutzten Fahrerlaubnis betrifft, beträgt 10.000,- EUR, wenn die berufliche Nutzung – wie bei einem Berufskraftfahrer der Fall – gerade im Führen eines Kraftfahrzeugs besteht und ist im Eilverfahren zu halbieren.

St. Rspr., vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Mai 2009 – 16 E 550/09 -, juris, Rn. 2 f., vom 8. April 2014 – 16 B 207/14 -, juris, Rn. 8 und vom 22. Oktober 2015 – 16 E 415/15.

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