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Fahrerlaubnisentziehung – Medikamenteneinnahme wie Tilidin und Tramadol

VG Augsburg – Az.: Au 7 S 20.1496 – Beschluss vom 18.09.2020

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 2.500,– € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Der 1982 geborene Antragsteller war im Besitz einer am 11. April 2000 ausgestellten Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L.

Durch eine polizeiliche Mitteilung vom 7. Juli 2020 erhielt der Antragsgegner am 22. Juli 2020 Kenntnis von der beim Antragsteller am 11. Juni 2020 gegen 12:00 Uhr in … durchgeführten allgemeinen Verkehrskontrolle. Zu den bei ihm festgestellten stark geröteten Augen, gab der Antragsteller an, wenig geschlafen zu haben.

Ein beim Antragsteller durchgeführter Drogenvortest verlief positiv auf Amphetamin. Hierzu gab der Antragsteller an, dass er Tilidin und Tramadol einnehme.

Die am 11. Juni 2020 um 12.19 Uhr mit Einwilligung des Antragstellers entnommene Blutprobe ergab nach der chemisch-toxikologischen Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum … vom 26. Juni 2020 eine Aufnahme von Amphetamin.

Fahrerlaubnisentziehung - Medikamenteneinnahme wie Tilidin und Tramadol
(Symbolfoto: Von Evgeniy Medvedev/Shutterstock.com)

Quantitativ wurde folgende Substanz erfasst:

Amphetamin 232,8 ng/ml.

Mit Schreiben vom 3. August 2020 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Die Einnahme von Amphetamin schließe die Kraftfahreignung unabhängig davon aus, ob unter Wirkung dieser sog. harten Droge ein Kraftfahrzeug geführt worden sei oder nicht. Schon der einmalige Konsum sog. harter Drogen sei ausreichend, die Kraftfahreignung zu verneinen. Dem Antragsteller wurde Gelegenheit zur Äußerung bis spätestens 17. August 2020 gegeben.

Mit Schreiben vom 12. August 2020 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten vortragen, dass der Antragsteller bei der allgemeinen Verkehrskontrolle keinerlei Ausfallerscheinungen gezeigt habe und sich mit den kontrollierenden Polizeibeamten ohne jegliche Auffälligkeiten unterhalten habe.

Der Antragsteller habe am Vorabend vor dem Zu-Bett-Gehen und am Tag der Polizeikontrolle ca. 30 bis 60 Minuten vorher jeweils eine Tablette Tilidin genommen. Als ehemaliger Handball-Leistungssportler habe er im März 2018 eine Knieprothese eingesetzt erhalten. Damals seien ihm noch im Krankenhaus die Medikamente Tramadol und Tilidin verordnet worden. Bei starker Belastung des Knies habe der Antragsteller im Krankenhaus und kurz nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wenige Male im Zeitraum März 2018 bis zum 11. Juni 2020 und wenige Tage vor dem 11. Juni 2020 diese Tabletten genommen.

Der Antragsteller baue derzeit ein Haus und führe sämtliche Arbeiten selbst aus. Da er aufgrund der Covid-19-Pandemie im Rahmen seiner Umschulung zum Qualitätsingenieur (körperliche Arbeit als Lagerist habe er nicht mehr ausüben können) vermehrt zu Hause gewesen sei, habe er in der Woche vor dem 11. Juni 2020 vermehrt am Bau arbeiten können. Da er dann unter starken Schmerzen gelitten habe, habe er auf das aus dem Jahr 2018 vorhandene Medikament zurückgegriffen.

Der Antragsteller wehre sich gegen den pauschalen Vorwurf, Amphetamine konsumiert zu haben. Er sei Sportler (Bodybuilding), trinke ca. dreimal im Jahr Alkohol und nehme keine Drogen oder irgendwelche leistungssteigernde Substanzen.

Das Medikament Tilidin sei gemäß Anlage III zum BtMG ein zugelassenes Medikament, da es sich um ein Kombinationspräparat handle; das darin mit einem Anteil von 8 % enthaltene Naloxon hebe dessen Wirkung auf. Durch das gewählte Mischungsverhältnis werde die schmerzstillende Wirkung von Tilidin bei normalen Dosierungen und oraler Verabreichung nicht durch Naloxon beeinträchtigt. Erst bei höheren Dosierungen werde das Naloxon wirksam und neutralisiere die Wirkung des Tilidin. Dadurch werde Missbrauch und Abhängigkeit vorgebeugt.

Bei früheren Einnahmen von Tilidin habe der Antragsteller ebenso wenig irgendwelche Ausfallerscheinungen gehabt wie am 11. Juni 2020.

Die bei ihm am 11. Juni 2020 aufgetretenen geröteten Augen könnten im Zusammenhang mit der von ihm am Vortag verwendeten Glaswolle und der am Vortag bereits getragenen Kleidung stehen. Die Glaswolle und deren Verarbeitung auf der Baustelle habe der Antragsteller den bei der Kontrolle anwesenden Polizeibeamten, die sein Fahrzeug zu dem Neubau überführt hätten, gezeigt.

Die bekanntermaßen bei dem Konsum von Amphetamin auch auftretenden physiologische Prozesse im Körper, nämlich eine Pupillenerweiterung sei im Zeitpunkt der Polizeikontrolle nicht festgestellt worden.

Der Amphetaminspiegel im Blut des Antragstellers sei demnach auf Medikamenteneinnahme zurückzuführen. Ein Missbrauch liege nicht vor. Der Antragsteller würde sich freiwillig unangekündigten Urin- und Blutproben zur Verfügung stellen. Er habe gegenüber der Polizei aus Anlass der Kontrolle vom 11. Juni 2020 spontane Angaben gemacht, die sich mit den Ausführungen decken würden, wie sie gegenüber der Führerscheinbehörde vorgetragen worden seien. Der pauschal geäußerte Vorwurf, der Antragsteller konsumiere Amphetamin, dürfte ausgeräumt sein.

Der Antragsgegner kontaktierte am 17. August 2020 den das Gutachten vom 26. Juni 2020 mitunterzeichnenden Laborleiter des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum …. Dieser führte am Telefon aus, dass sowohl Tilidin als auch Tramadol zur Wirkstoffgruppe der Opioidanalgetika gehören und bei starken Schmerzen zur Behandlung eingesetzt würden. Amphetamin sei eine synthetische chemische Verbindung aus der Stoffgruppe der Phenylethylamine und zähle zu den Weckaminen. Da Tilidin bzw. Tramadol und Amphetamin nicht zur gleichen Wirkstoffgruppe gehören würden, lasse sich die positiv auf Amphetamin entnommene Blutprobe nicht mit der bloßen Einnahme des genannten Schmerzmittels erklären.

Mit Bescheid vom 18. August 2020, zugestellt dem Bevollmächtigten laut Empfangsbekenntnis am 21. August 2020 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller in Deutschland erworbenen Klassen (B, M, L und S) entzogen (Ziffer 1). Der Antragsteller sollte seinen Führerschein unverzüglich, spätestens aber am 1. September 2020 beim Antragsgegner abgeben (Ziffer 2). Für den Fall, dass der Führerschein nicht fristgerecht abgeliefert wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € angedroht (Ziffer 3).

Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 und Nr. 2 wurde angeordnet (Ziffer 4).

Auf die Gründe des Bescheids wird verwiesen.

Gegen den Bescheid legte die Antragstellerseite mit Schreiben vom 27. August 2020 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde auf die Stellungnahme vom 12. August 2020 verwiesen. Im Übrigen sei eine telefonische Anfrage durch die Sachbearbeiterin beim Landratsamt bei der Rechtsmedizin keine solide Grundlage für eine Beurteilung in diesem sicherlich nicht gewöhnlichen Fall. Der im Bescheid angeführte Begriff Weckamine sei eine veraltete Auffassung und absolut unscharf dargelegt. Als Weckamine würden Amine mit stimulierender Wirkung bezeichnet. Einer der Vertreter der Gruppe sei das Amphetamin. Das Landratsamt hätte sich nicht auf eine Auskunft verlassen dürfen, die zudem noch unrichtig sei.

Auf nochmalige Anfrage bei dem Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum … gab dieses unter dem 31. August 2020 eine Stellungnahme dahingehend ab, dass nach Einnahme von Tilidin im Verlauf der Verstoffwechselung (Metabolismus) im Organismus kein Amphetamin gebildet werde. Die pharmazeutische Zubereitung (Tabletten/Tropfen) selbst enthalte ebenfalls kein Amphetamin. Der vorliegende Amphetaminbefund sei mit einer Aufnahme von Tilidin nicht zu erklären.

Per Telefax ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 27. August 2020 einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen und beantragte,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. August 2020 wiederherzustellen.

Die Begründung entspricht weitestgehend dem Vortrag des Antragstellers in den Schreiben vom 12. August 2020 und 27. August 2020.

Zusätzlich wird ausgeführt, dass der Antragsgegner die Anordnung des Sofortvollzugs mit den üblichen Standardformulierungen begründet habe.

Es sei vorliegend umfangreich und schlüssig dargelegt worden, dass der Antragsteller kein Betäubungsmittelkonsument sei, sondern Schmerzmittel genommen habe, die nach dem Betäubungsmittelgesetzes zugelassen seien und die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht nehmen würden.

Vor allem spreche für eine Fehleinschätzung durch den Antragsgegner, dass er im ursprünglichen Anschreiben von drogentypischen Auffälligkeiten schreibe, obwohl tatsächlich eine einzige Auffälligkeit festgestellt worden sei, für die es für den Antragsteller eine plausible Erklärung gebe. Es handle sich vorliegend gerade nicht um einen Standardfall, bei dem ein Drogenkonsument eine Erklärung für seinen angeblichen einmaligen Konsum suche. Die üblichen Anzeichen von Drogenkonsum, nämlich Pupillenerweiterung, unsicherer Gang, Aufgekratztsein etc. seien nicht gegeben gewesen.

Der pauschal geäußerte Vorwurf, der Antragsteller konsumiere Amphetamin und nehme keine zugelassenen Medikamente zu sich, könne ohne genaue Prüfung nicht rechtfertigen, dass der Bescheid für sofort vollziehbar erklärt werde. Der Antragsteller sei bereit, sich freiwilligen unangekündigten Urin- und Blutproben zu unterziehen. Die durch den Antragsgegner nicht durchgeführte Interessenabwägung ergebe bei summarischer Prüfung, dass der Antragsteller durch den Konsum der Medikamente nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei und deshalb auch keine Gefahr im öffentlichen Straßenverkehr darstelle. Die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids in deren Ziffern 1 und 2 sei aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragte demgegenüber mit Schreiben vom 4. September 2020, den Antrag abzulehnen.

Laut telefonischer Rücksprache beim Bevollmächtigten des Antragstellers am heutigen Tag soll sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend seiner Begründung nur auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids vom 18. August 2020 beziehen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO ist zulässig, führt aber in der Sache nicht zum Erfolg.

Mit dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird – nach Angaben des Bevollmächtigten des Antragstellers – (lediglich) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen Nummern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO begehrt, da die Fahrerlaubnisbehörde die sofortige Vollziehung der in Ziffer 1 und 2 getroffenen Verfügungen in Ziffer 4 angeordnet hat. Soweit die sofortige Vollziehbarkeit der Pflicht, den Führerschein abzugeben, durch die Behörde anzuordnen war (zu § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr /Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – BGBl I S. 1980; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 43) und auch in Ziffer 4 des Bescheids angeordnet wurde (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO) wird die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO) beantragt.

1. Der zulässige Antrag ist jedoch unbegründet.

a) Die Begründung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2012 – 11 CS 12.201 – juris Rn. 22). Dabei sind allerdings an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019 § 80 Rn. 54, 56). Insbesondere bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (Hoppe, a.a.O. § 80 Rn. 46). Ein solcher Fall lag hier aus Sicht des Antragsgegners vor. Er hat vor diesem Hintergrund das besondere Interesse am sofortigen Vollzug unter Bezug auf den Einzelfall hinreichend begründet. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es wird eine eigenständige Interessenabwägung durchgeführt (st. Rspr., vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2015 – 11 CS 15.2377 – juris Rn. 10; B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 29; B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16).

Bei der Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, hat das Gericht – wie bereits oben ausgeführt – eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser Entscheidung ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird, abzuwägen. Ausschlaggebend im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, hier also des Widerspruchs vom 27. August 2020. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, so dass der Widerspruch mit Sicherheit Erfolg haben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog), kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zugunsten des Antragstellers ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten des Rechtsmittels bestehen. Erscheint der Ausgang des Widerspruchsverfahrens offen, hat eine reine Interessenabwägung stattzufinden (vgl. zum Ganzen: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, Rn. 152 ff. zu § 80).

Nach diesen Grundsätzen kommt die Kammer im Rahmen ihrer eigenen originären Ermessensentscheidung zu dem Ergebnis, dass weder im Widerspruchsverfahren Erfolgsaussichten bestehen noch die Interessenabwägung im engeren Sinn im Übrigen ein überwiegendes Aussetzungsinteresse des Antragstellers ergibt.

Die Interessenabwägung führt hier zum Überwiegen des öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug des streitgegenständlichen Bescheids. Unter Zugrundelegung der derzeitigen Sach- und Rechtslage wird der Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. August 2020 nach summarischer Prüfung nicht erfolgreich sein, weil der Bescheid rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten, abschließenden Verwaltungsentscheidung (st.Rspr, vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – DAR 2014, 711 – juris). Da ein Widerspruchsbescheid noch nicht ergangen ist, ist hier auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids vom 18. August 2020 – dies war der 21. August 2020 – abzustellen.

aa) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis), hier Amphetamin (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III), die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 27.6.2019 – 11 CS 19.961 – juris Rn. 12 m.w.N.). Diese Rechtsprechung trägt dem erhöhten Suchtpotenzial und der Gefährlichkeit der illegalen Droge Amphetamin Rechnung. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 11 CS 18.2333 – juris Rn. 11 m.w.N.).

Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 36; BayVGH, B.v. 5.12.2018 – 11 CS 18.2351 – juris Rn. 9).

Dass der Antragsteller Amphetamin konsumiert und – ohne dass es fahrerlaubnisrechtlich darauf ankäme – unter der Wirkung dieser Substanz am 11. Juni 2020 ein Kraftfahrzeug geführt hat, steht aufgrund der polizeilichen Ermittlungen inklusive des freiwilligen positiven Drogenschnelltests vor Ort (vgl. Mitteilung wegen Drogenauffälligkeit, Bl. 9 der Behördenakte), des eingeholten toxikologischen Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum … vom 26. Juni 2020 (nachfolgend: Gutachten, Bl. 7f. der Behördenakte), sowie der Stellungnahme von Herrn Dipl.-Chem. Dr. … vom 31. August 2020 fest. Dass er keine Fahrauffälligkeiten gezeigt hat, sondern im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle angehalten worden ist, ist irrelevant, da eine Drogenfahrt bei sog. harten Drogen für den Entfall der Fahreignung zum einen schon gar nicht maßgeblich ist und zum anderen allenfalls aufzeigen mag, dass der Antragsteller selbst unter Einfluss von harten Drogen vom Gebrauch eines Kraftfahrzeugs nicht zurückschreckt. Ohne dass es für die Entscheidung des vorliegenden Falls darauf ankommt, zeigt der Antragsteller – entgegen der Darlegung von Antragstellerseite – am 11. Juni 2020 sehr wohl drogentypische Auffälligkeiten; so waren z.B. seine Pupillen vergrößert, die Augen gerötet, glasig und gelblich, die Körperreaktion war zitternd, die Stimmung u.a. nervös und unruhig (Polizeilicher Bericht – Drogen im Straßenverkehr, Bl. 1,2 der Behördenakte).

bb) Die Argumentation, mit der der Kläger den durch das Gutachten nachgewiesenen Konsum in seiner Klagebegründung bestreitet, und behauptet kein Amphetamin, sondern am Vorabend des 11. Juni 2020 und ca. 30 bis 60 Minuten vor der Verkehrskontrolle am 11. Juni 2020, 12:00 Uhr das Schmerzmittel Tilidin genommen zu haben, überzeugt die Kammer nicht, sondern wird als Schutzbehauptung gewertet.

Die beim Antragsteller entnommene Blutprobe ergab laut dem toxikologischen Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum … vom 26. Juni 2020 eine Amphetaminkonzentration im Blut des Antragstellers von 232,9 ng/ml.

Zweifel an der Verwertbarkeit des toxikologischen Gutachtens vom 26. Juni 2020 und der dort festgestellten Amphetaminkonzentration bestehen nicht. Dabei ist zunächst eine immunochemische Untersuchung auf das Vorhandensein von Betäubungsmittel erfolgt. Ein Teil der Blutprobe wurde nach Extraktion im alkalischen Milieu und Derivatisierung kapillargaschromatographisch-massenspektrometrisch untersucht. Die immunochemische Untersuchung der Blutprobe war positiv auf Amphetamine. Der positive immunochemische Blutbefund auf Amphetamine wurde kapillargaschromatgraphisch-massenspektrometrisch überprüft und wies eine Konzentration von 232,9 ng/ml Amphetamin nach.

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass vorliegend von einer Aufnahme von Amphetamin auszugehen ist.

Der Behauptung des Antragstellers, das Schmerzmittel Tilidin genommen zu haben, das den Nachweis von einer Amphetaminkonzentration gebracht habe, kann bereits aufgrund der telefonischen Ausführungen des Toxikologen Herrn Dr. … gegenüber der Sachbearbeiterin bei der Fahrerlaubnisbehörde und insbesondere aufgrund der schriftlichen Stellungnahme des Toxikologen vom 30. August 2020 kein Glauben geschenkt werden.

Toxikologe hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, dass der vorliegende Amphetaminbefund mit einer Aufnahme von Tilidin (Tabletten) nicht zu erklären sei. Bei Tilidin handle es sich um einen Wirkstoff aus der Gruppe der Opioidanalgetika (Schmerzmittel) der zur Behandlung bei starken bis sehr starken Schmerzzuständen eingenommen würde. Nach Einnahme von Tilidin werde im Verlauf der Verstoffwechselung (Metabolismus) im Organismus kein Amphetamin gebildet. Die pharmazeutische Zubereitung (Tabletten/Tropfen) selbst enthalte ebenfalls kein Amphetamin.

Die Aussage des Toxikologen deckt sich im Übrigen auch mit den im Internet verfügbaren Informationen zur Nachweisbarkeit (vgl. https://www.labor-lademannbogen.de/analysen/analysen-spektrum/analysenverzeichnis/analysis/ show/opiate-(drogenanalytik)/: „Die synthetischen Opiate (Opioide) wie z.B. Oxycodon, Oxymorphon, Tramadol, Tilidin, Methadon sowie Buprenorphin werden mit dem Opiate-Screening nicht erfasst und müssen daher separat bestimmt werden“). Der Vortrag der Antragstellerseite zu der Wirkung von Tilidin ist nicht geeignet, einen abweichenden Kausalverlauf darzustellen, der die Möglichkeit der Verstoffwechselung von Tilidin zu Amphetamin betreffen könnte.

Danach bestehen für das Gericht vorliegend keine Zweifel daran, dass der Antragsteller Amphetamin konsumiert hat.

Da der Verlust der Fahreignung – wie oben bereits ausgeführt – unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen eintritt (stRspr des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – juris Rn. 10 m.w.N.), ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn – wie hier – einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden ist (BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – ZfSch 2015, 717 = juris Rn. 16 m.w.N.).

cc) Der Antragsteller hat seine Fahreignung zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – dies war der 21. August 2020 (Tag der Zustellung des Bescheids vom 18. 8.2020) auch ganz offensichtlich nicht wiedererlangt.

Nach einer zum Ausschluss der Fahreignung führenden Einnahme von Betäubungsmitteln kommt eine Wiedererlangung der Kraftfahreignung regelmäßig erst nach dem Nachweis einer einjährigen Abstinenz (vgl. Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV sowie Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Begutachtungsleitlinien – Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 115, Stand: 24.5.2018, S. 78 ff.) und dem Nachweis eines stabilen Einstellungswandels (medizinisch-psychologische Untersuchung, § 14 Abs. 2 FeV) in Betracht. Eine einjährige Abstinenz ist vorliegend auch nicht nachgewiesen, da der Vorfall noch kein Jahr zurückliegt; zwischen der Verkehrskontrolle am 11. Juni 2020, bei der ein Konsum einer harten Droge nachgewiesen wurde und dem Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung des Entziehungsbescheids (18.8.2020 /21.8.2020) liegen nur etwas mehr als zwei Monate.

Daher geht auch das Angebot des Antragstellers, sich freiwillig unangekündigten Urin- und Blutproben zu stellen, ins Leere.

dd) Der Antragsteller kann für sich zudem keinen Ausnahmefall im Sinne der Vor-bemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV reklamieren. Der Wortlaut dieser Bestimmung zeigt, dass sie an besondere Umstände anknüpft, die ihren Ursprung in der Person des Betroffenen selbst haben und bewirken, dass er aufgrund seiner besonderen Steuerungs- oder Kompensationsfähigkeit, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen, trotz Drogenkonsums ausnahmsweise fahrgeeignet ist. Es obliegt insoweit dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (BayVGH, B.v. 27.5.2013 – 11 CS 13.718 – juris). Solche Umstände wurden nicht dargelegt und sind auch nicht ersichtlich. Die Folgen der Fahrerlaubnisentziehung, die den Fahrerlaubnisinhaber nach seiner Darstellung unverhältnismäßig treffen, begründen in der Regel keinen Ausnahmefall im Sinne der Vorbemerkung Nr 3 der Anlage 4 zur FeV.

Bei erwiesener Kraftfahrungeeignetheit – wie im vorliegenden Fall – muss die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entziehen. Ein Ermessensspielraum ist ihr nicht eröffnet. Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, in einem späteren Wiedererteilungsverfahren seine wiedergewonnene Kraftfahreignung durch den erforderlichen Abstinenznachweis sowie eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu führen, die zwingend vorgeschrieben ist (vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV).

Die Verpflichtung zur Ablieferung des Führescheins ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG i.Vm. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.

b) Die von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen führt hier zu dem Ergebnis, dass dem öffentlichen Interesse daran, die Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr weiterhin zu unterbinden, ein größeres Gewicht einzuräumen ist, als dem Interesse des Antragstellers, einstweilen weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. In aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit eines auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Entziehungsbescheids die Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

Der Antrag war daher abzulehnen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG sowie den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, Anhang zu § 164 Rn. 14). Der sich aufgrund der Fahrerlaubnisklasse B ergebende Streitwert von 5.000,00 EUR ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.

 

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