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Fahrerlaubnisentziehung bei Untersuchungsanordnung aufgrund Psychose

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 19.1434 – Beschluss vom 16.10.2019

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,-EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt).

Im März 2017 wurde der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin bekannt, dass der Antragsteller am 12. Dezember 2016 bei der Polizei eine Anzeige gegen unbekannt erstattet hatte, weil sich eine unbekannte Person mittels Original- und Nachschlüssel Zugriff auf seinen Pkw verschafft und mit diesem am 3. Dezember 2016 in Bad Abbach einen Verkehrsunfall verursacht habe. Die unbekannte Person öffne in unregelmäßigen Abständen unberechtigt mit einem Nachschlüssel seinen Pkw, verstelle den Innenspiegel und die Klimaanlage und lege Taschentücher ab. Nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen sei aber davon auszugehen, dass der Antragsteller selbst zu einem nicht bekannten Zeitpunkt mit seinem Pkw einen Verkehrsunfall verursacht habe, indem er einen metallenen festen Gegenstand, vermutlich einen Begrenzungspoller einer Parkgarage, angefahren habe. Der Antragsteller stehe aufgrund einer Erkrankung bzw. Behinderung, einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, gemäß Beschluss des Amtsgerichts Regensburg unter Betreuung seines Sohns. Dies hätten die geschiedene Ehefrau und der Sohn des Antragstellers bestätigt. Der Sohn habe den Betreuungsausweis und den letzten gerichtlichen Betreuungsbeschluss übersandt. Aufgrund dessen habe man vorerst von einer Beschuldigtenvernehmung abgesehen.

Auf der Grundlage dieses Sachverhalts ordnete die Antragsgegnerin die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens über die Fahreignung des Antragstellers bis 3. Oktober 2017 an.

Der Antragsteller legte der Fahrerlaubnisbehörde eine Kopie des Betreuerausweises vor und erklärte sich mit einer Begutachtung einverstanden. Mit Schreiben vom 29. September 2017 baten seine Bevollmächtigten, die Frist zur Vorlage des Gutachtens zu verlängern, und legten eine Bescheinigung über eine ärztliche Untersuchung vor, wonach keine Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens des Antragstellers habe festgestellt werden können.

Im Rahmen einer Schadensersatzklage (RO 8 K 17.1605), die der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg gegen die Antragsgegnerin erhob, wurde der Antragsgegnerin u.a. ein Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 11. April 2016 bekannt, mit dem eine für den Antragsteller eingerichtete Betreuung durch seinen Sohn auf den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge beschränkt und gleichzeitig verlängert wurde. In den Gründen des Beschlusses ist unter anderem ausgeführt, dass der Antragsteller wegen einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis nicht in der Lage sei, diese Angelegenheiten ausreichend zu besorgen. Mit Schreiben vom 23. November 2017 teilte das staatliche Gesundheitsamt des Landratsamts Regensburg der Antragsgegnerin mit, dass Bedenken bezüglich der Fahrerlaubnis des Antragstellers bestünden. Beigefügt war ein Polizeibericht der Verkehrspolizeiinspektion Regensburg, wonach der Antragsteller am 2. November 2017 in völlig verwirrtem Zustand auf der Dienststelle vorgesprochen und angegeben habe, einer ständigen Bedrohung ausgesetzt zu sein und sich in Lebensgefahr zu befinden. Verantwortlich seien sein Bruder und ein Mitarbeiter des Landratsamts Regensburg. Er habe zwei originalverpackte Kontaktlinsenbehälter vorgelegt und behauptet, diese seien während seines Aufenthalts im Bezirkskrankenhaus vergiftet worden. Der Antragsteller sei bereits bei mehreren Dienststellen mit verschiedenen Anliegen vorstellig geworden und habe dabei insgesamt einen sehr verwirrten Eindruck gemacht.

Mit Schreiben vom 28. Dezember 2017 teilten die Bevollmächtigten des Antragstellers mit, das Gutachten liege inzwischen vor, werde jedoch nicht weitergeleitet, da die Gutachtensanordnung rechtswidrig sei. Sie basiere nicht auf Tatsachen, sondern rein spekulativen Mutmaßungen.

Nach Anhörung entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 10. Januar 2018 die Fahrerlaubnis. Hiergegen ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage erheben und gleichzeitig Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellen. Dem Antrag gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. April 2018 (RN 8 S 18.209) statt.

Daraufhin nahm die Antragsgegnerin den Entziehungsbescheid mit Bescheid vom 2. Juli 2018 zurück. Das Klageverfahren wurde nach Abgabe von Erledigungserklärungen eingestellt.

Mit Schreiben vom 25. Juli 2018 teilte das Amtsgericht Regensburg der Antragsgegnerin mit, dass das dem Betreuungsbeschluss zugrunde liegende ärztliche Gutachten nicht herausgegeben werden könne, weil der Betreuer dem nicht zugestimmt habe.

Mit Schreiben vom 30. Juli 2018 ordnete die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf den bisher bekannt gewordenen Sachverhalt erneut die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens an.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 1. Oktober 2018 machte der Antragsteller geltend, nicht an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zu leiden. Es gebe kein Gutachten eines Herrn Dr. V… vom 7. März 2016, sondern lediglich einen Hinweis auf ein „ärztliches Zeugnis des Sachverständigen Dr. V… vom 07.03.2016“. Hierbei handele es sich um ein einfaches Formblatt, das fehlerhaft angekreuzt worden sei. Der Fehler ziehe sich durch das gesamte Führerscheinverfahren. Derzeit seien die Bevollmächtigten bemüht, von Herrn Dr. V… eine Bestätigung zu erhalten, dass die diesbezügliche Attestierung falsch gewesen sei. Allein die Tatsache, dass der Antragsteller unter Betreuung seines Sohnes stehe, könne die Begutachtungsanordnung nicht begründen, ebenso wenig die Meinungsäußerungen der Polizeibeamten über den „völlig verwirrten Zustand“ des Antragstellers. Es werde um Fristverlängerung bis 31. Oktober 2018 gebeten.

Nach Anhörung entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 9. Januar 2019 gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds zur Ablieferung seines Führerscheins innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung dieses Bescheids auf. Weiter ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.

Mit Schreiben vom 10. Januar 2019 teilten die Bevollmächtigten des Antragstellers der Antragsgegnerin mit, dass die Betreuung mit Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 18. Dezember 2018 aufgehoben worden sei, ohne diesen vorzulegen.

Am 28. Januar 2019 gab der Antragsteller seinen Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde ab. Am 21. Februar 2019 ließ er Anfechtungsklage erheben (RN 8 K 19.309), über die noch nicht entschieden ist, und weiter beantragen, die sofortige Vollziehung auszusetzen sowie die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen.

Mit Beschluss vom 2. Juli 2019 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg den Antrag mit der Begründung ab, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend begründet. Die Antragsgegnerin habe zu Recht die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet und nach dessen Nichtbeibringung gemäß § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis entzogen. Gemäß Nr. 7.6 der Anlage 4 zur FeV könne insbesondere eine bestehende schizophrene Psychose zum Ausschluss der Fahreignung führen. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung wie auch bei Erlass des Entziehungsbescheids sei ungeklärt gewesen, ob der Antragsteller an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leide und welche Auswirkungen diese ggf. seine Fahreignung habe. Die nachträgliche Aufhebung der Betreuung lasse ausschließlich den Schluss zu, dass der Antragsteller einer Betreuung nicht mehr bedürfe, nicht aber, dass er nicht mehr an einer derartigen Psychose leide. Die tatsächlichen Umstände würden weiterhin Bedenken gegen die Fahreignung begründen und gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigen. Es sei unerheblich, dass das ärztliche Zeugnis des Sachverständigen Dr. V… der Antragsgegnerin bei der Gutachtensanforderung nicht vorgelegen habe, da insofern wegen der verweigerten Zustimmung des Betreuers eine weitere Sachaufklärung nicht möglich gewesen sei. Im Hinblick auf eine korrekte Fragestellung und weitere Hinweispflichten seien Bedenken weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Werde ein rechtmäßig angeordnetes Gutachten nicht vorgelegt, sei die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen. Wirtschaftliche oder sonstige persönliche Nachteile hätten in diesem Fall keine Bedeutung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Entziehung. Selbst wenn von offenen Erfolgsaussichten der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis auszugehen wäre, fiele die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung zulasten des Antragstellers aus.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Vorgelegt wurde der Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 18. Dezember 2018, wonach die Voraussetzungen für eine Betreuung weggefallen seien, da sie nicht mehr erforderlich sei, und der Betreute die Fortführung der Betreuung ablehne. Zur Begründung wurde ausgeführt, das besondere Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs sei nicht hinreichend begründet. Die Antragsgegnerin habe nicht ausreichend dargelegt, dass noch Eignungszweifel an der Fahreignung des Antragstellers bestünden. Es sei insbesondere der Ausgang des ersten Entziehungsverfahrens zu berücksichtigen sowie der Umstand, dass der Antragsteller bis zur erneuten Entziehung und vor Erlass des ersten Entziehungsbescheids beanstandungslos am Straßenverkehr teilgenommen habe. Darauf sei das Verwaltungsgericht nicht eingegangen. Insoweit sei die Interessenabwägung nicht korrekt. Der Antragsteller gefährde die Sicherheit des Straßenverkehrs ganz offenkundig nicht. Zudem sei die weitere Gutachtensaufforderung vom 30. Juli 2018 rechtswidrig, da in Bezug auf die (vermutete) psychische Erkrankung des Antragstellers keine hinreichend konkreten Tatsachen vorlägen. Nach Aktenlage handele es sich um reine Mutmaßungen und Spekulationen. Der Antragsteller leide insbesondere nicht an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Es gebe auch keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass jemand, der zeitlich befristet unter Betreuung gestanden habe, nicht zum Führen von Fahrzeugen geeignet sei. Völlig dahinstehen könne die Meinung von Polizeibeamten, ob jemand einen „sehr verwirrten Eindruck“ mache. Hierbei handele es sich um eine subjektive Empfindung, aber nicht um eine Tatsache, allenfalls um eine Tatsachenbehauptung. Diese dürfe fahrerlaubnisrechtlich keine Relevanz haben, um nicht der Willkür Tür und Tor zu öffnen. Auch der Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 11. April 2016 könne vorliegend keine Tatsache darstellen, da es sich bei dem zugrunde liegenden ärztlichen Zeugnis um ein bloßes Formular handle, in dem verschiedene Diagnosen vorgegeben seien und gerade keine begründete Diagnose vorliege. Ein Gutachten eines Dr. V… gebe es nicht. Außerdem sei der Gerichtsbeschluss im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Bescheids annähernd drei Jahre alt gewesen und habe sich durch Zeitablauf überlebt. Die Betreuung sei mit Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 18. Dezember 2018 wegen Wegfalls ihrer Voraussetzungen aufgehoben worden. Dies lasse allein den Schluss zu, dass die für das Betreuungsgericht relevante Diagnose auf dem internen Formularblatt der Betreuungsgerichtsbarkeit entweder weggefallen oder zu keinem Zeitpunkt zutreffend gewesen sei. Hierauf gingen die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht nicht ein. Aus den Gesamtumständen ergebe sich nicht, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig gewesen sei, sondern vielmehr, dass zumindest ab Dezember 2018 keine Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Antragstellers bestanden hätten. Es lägen gerade keine Tatsachen im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV (mehr) vor. Die Antragsgegnerin habe die zeitliche Komponente zu Unrecht außer Acht gelassen. Es könne nicht sein, dass die Fahrerlaubnisbehörde z.B. einem fünfzigjährigen Mann, der seither beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen habe, die Fahrerlaubnis entziehen könne, wenn sie erfahre, dass dieser in seiner Jugend die nicht weiter begründete Diagnose „Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis“ erhalten habe. Mit Schreiben vom 24. September 2019 legte der Antragsteller eine nervenärztliche Bescheinigung vom 11. September 2019 vor, wonach der neurologische Befund unauffällig sei und sich im psychiatrischen Befund keine greifbaren Hinweise für psychotische Symptome fänden. Anamnestisch gebe es keine sicheren Hinweise für Halluzinationen oder paranoide Symptome. Die Ausdrucksweise sei sehr auffällig, ansonsten gebe es keine Hinweise für formale Denkstörungen. Mehrere Sprichwörter würden zutreffend erklärt, teilweise etwas konkretistisch, was aus der Biografie erklärlich sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ausreichend begründet ist. An den Inhalt der schriftlichen Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO sind keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Die Antragsgegnerin ist der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung gefolgt, wonach bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch ist (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2019 – 11 CS 19.1041 – juris Rn. 16; B.v. 14.9.2016 – 11 CS 16.1467 – juris Rn. 13 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 10.12.2014 – 3 B 148/14 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 14.11.2014 – 16 B 1195/14 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 20.9.2011 – 10 S 625/11 – juris Rn. 4; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 55, 46). Bei dieser häufig wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltung, der eine typische Interessenlage zugrunde liegt, reicht es aus, diese Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie nach Auffassung der Fahrerlaubnisbehörde auch im konkreten Fall vorliegt (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2013 – 11 CS 13.785 – juris Rn. 7; B.v. 5.9.2008 – 11 CS 08.1890 – juris Rn. 18). Dem hat die Antragsgegnerin genügt, indem sie – ausgehend von einer nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV anzunehmenden fehlenden Fahreignung – den sofortigen Ausschluss des Antragstellers vom Straßenverkehr im Interesse der Verkehrssicherheit und des Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer für erforderlich erklärt hat. Ob nach der gerichtlichen Aufhebung der Betreuung des Antragstellers tatsächlich noch eine ausreichende Grundlage für die Entziehung der Fahreignung bestand, ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakts, nicht der ausreichenden Begründung. Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es nicht an, da § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung normiert (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Februar 2019, § 80 Rn. 246; Hoppe, a.a.O. Rn. 54 f.; Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 80 Rn. 81). Die behördliche Annahme, dass einem nicht fahrgeeigneten Kraftfahrer im Hinblick auf die damit für die Allgemeinheit verbundenen erheblichen Gefahren die Fahrerlaubnis ungeachtet des Gewichts seines persönlichen Interesses an der Teilnahme am individuellen Straßenverkehr (vgl. OVG NW, B.v. 22.1.2001 – 19 B 1757/00 u.a. – juris Rn. 17) nicht bis zum Eintritt der Bestandskraft des Entziehungsbescheids belassen werden kann, begegnet keinen Bedenken (stRspr des Senats, vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2019 a.a.O. m.w.N.). Dabei spielt es, worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist, keine Rolle, ob der Antragsteller bis zum Erlass des Entziehungsbescheids unbeanstandet am Straßenverkehr teilgenommen hat. Maßgeblich ist, dass die Gefahren für die Allgemeinheit unvermindert bestehen, solange die Fahreignung fehlt.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses in der Fassung des Gesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl I S. 2251), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S. 566), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Nicht erforderlich ist also, dass eine solche Erkrankung oder ein solcher Mangel bereits feststeht (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2014 – 11 CS 13.2598 – juris Rn. 12). Es genügt der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV) bzw. ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 22; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 = juris Rn. 17), also – wie es in § 152 Abs. 2 StPO umschrieben wird – das Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte. Allerdings darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001, a.a.O. Rn. 26; Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 20.8.2019, § 11 FeV Rn. 36). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Gleiches gilt für den genauen Grad der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss (BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – BayVBl 2015, 421 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 3.9.2015 – 11 CS 15.1505 – juris Rn. 13). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19). Dies ist hier der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die im Betreuungsbeschluss vom 11. April 2016 angeführte fachärztliche Feststellung einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zu Recht als ausreichenden Hinweis und Tatsache im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV gewertet, um Bedenken gegen die Fahreignung zu begründen, auch wenn sie durch das Ankreuzen auf einem Formular aktenkundig gemacht worden sein sollte. Im Übrigen sprechen die Gründe des Betreuungsbeschlusses, wonach das Gericht die Ausführungen des Sachverständigen bei der Festsetzung der Überprüfungsfrist berücksichtigt habe, dafür, dass die Betreuungsakten mehr als ein nicht begründetes ärztliches Formularzeugnis enthalten. Außerdem folgt aus der Behauptung des Antragstellers, es gebe kein Gutachten eines Herrn Dr. V…, sondern lediglich die in einem Formular angekreuzte Diagnose, nicht, dass das der Betreuungsanordnung zugrunde liegende ärztliche Zeugnis (§ 281 FamFG) fehlerhaft war bzw. auf einer unzureichenden ärztlichen Untersuchung (§ 281 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 2 FamFG) beruhte oder dass das Betreuungsgericht einen unzutreffenden persönlichen Eindruck (§ 278 Abs. 1 FamFG) vom Antragsteller gewonnen oder die Betreuung zu Unrecht angeordnet hat. Derartiges lässt sich weder dem gerichtlichen Aufhebungsbeschluss vom 18. Dezember 2018 entnehmen noch liegen sonstige tatsächliche Anhaltspunkte für die behauptete Fehlerhaftigkeit der fachärztlichen Feststellung vor. Nachdem der Antragsteller der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht die Einsicht in die Betreuungsakten verwehrt und seine Behauptung auch sonst nicht nachvollziehbar untermauert hat, kann von der Richtigkeit der der Betreuung zugrunde liegenden fachärztlichen Feststellung grundsätzlich ausgegangen werden; zumal bereits eine andere Ärztin im November 2010 – wie sich aus dem ebenfalls in den Akten befindlichen gerichtlichen Betreuungsbeschluss vom 9. Mai 2011 ergibt – zu dem Ergebnis gelangt war, dass der Antragsteller an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt sei. Da es sich bei der diagnostizierten Erkrankung regelmäßig um eine Dauererkrankung handelt, ist die in dem Gerichtsbeschluss aus dem Jahr 2016 dokumentierte Diagnose auch nicht obsolet. Im Übrigen ist für die Frage, ob Bedenken gegen die geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers bestehen, rechtlich nicht ausschlaggebend, ob für diesen eine Betreuung eingerichtet ist. Eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, die nach Nr. 7.6. der Anlage 4 zur FeV zwar nur unter bestimmten Voraussetzungen die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 entfallen lässt, diese allerdings grundsätzlich infrage stellt, führt nicht zwangsläufig dazu, dass der Betroffene seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen kann (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder ein Betreuungsbedarf besteht (§ 1896 Abs. 2 BGB), und damit nicht ohne Weiteres zur Anordnung einer Betreuung. Ferner kann gegen den freien Willen eines volljährigen Betroffenen kein Betreuer bestellt werden (§ 1896 Abs. 1a BGB), so dass auch die Ablehnung einer Betreuung durch den Betroffenen der Anordnung oder Verlängerung einer Betreuung entgegenstehen bzw. Grund für deren Aufhebung sein kann. Die Aufhebung der Betreuung, die im Übrigen erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 22) erfolgt ist, hätte demzufolge nur in Verbindung mit weiteren entscheidungserheblichen Umständen die fachärztliche Diagnose entkräften können. Die sowohl nach Anordnung des Gutachtens als auch nach Entziehung der Fahrerlaubnis vorgelegte nervenärztliche Bescheinigung vom 11. September 2019 ist ebenso wenig dazu geeignet, Bedenken hinsichtlich der Fahreignung des Antragstellers zu zerstreuen. Denn aus ihr geht nicht nachvollziehbar hervor, wie der Arzt zu seinen Feststellungen gelangt ist und ob er die Angaben des Antragstellers kritisch hinterfragt hat. Zudem sind die Formulierungen, es gebe anamnestisch keine „sicheren“ Hinweise für Halluzinationen oder paranoide Symptome und „ansonsten“ keine Hinweise für formale Denkstörungen, unklar und interpretationsbedürftig.

Auch der gegen die Verwertung der polizeilichen Mitteilungen gerichtete Einwand greift nicht durch. Die Antragsgegnerin hat die Gutachtensanordnung vom 30. Juli 2018 entgegen der Darstellung des Antragstellers nicht auf der Grundlage subjektiver polizeilicher Eindrücke oder „Empfindungen“ getroffen, sondern aufgrund konkreter Sachverhalte bzw. Tatsachen. Zum einen hat sie angeführt, dass der Antragsteller im Dezember 2016 unter Schilderung realitätsferner Begleitumstände bei der Polizei eine Anzeige gegen unbekannt erstattet hat, wobei die daraufhin eingeleiteten polizeilichen Ermittlungen Hinweise darauf geliefert haben, dass er die Schäden an seinem Fahrzeug selbst verursacht hat. Zum andern ist herangezogen worden, dass er im November 2017 bei der Polizei ohne nachvollziehbare Gründe und unter Äußerung ebenfalls realitätsferner Beschuldigungen behauptet hat, einer ständigen Bedrohung ausgesetzt zu sein und sich in Lebensgefahr zu befinden. Dass die handelnden Polizeibeamten diesen Sachverhalt und offenbar weitere ähnliche Vorfälle zusammenfassend dahin bewertet haben, dass der Antragsteller einen „sehr verwirrten Eindruck“ mache, ist nachvollziehbar, mit dem Begriffsverständnis „verwirrt“ vereinbar und folglich keine bloße Mutmaßung. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin ihrer Tatsachenschilderung die polizeiliche Wertung als ergänzenden Hinweis hinzugefügt hat.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – juris Rn. 21 f.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

 

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