LG Karlsruhe, Az.: 2 (7) SsBs 499/15 – AK 151/15, Beschluss vom 15.10.2015
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Freiburg wird das Urteil des Amtsgerichts Waldkirch vom 16. Juni 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Waldkirch zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Bußgeldbescheid der Stadt W. vom 11.3.2015 wurde gegen den Betroffenen wegen Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr eine Geldbuße von 525,00 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat – unter Anwendung der Vier-Monats-Regelung des § 25 Abs. 2a StVG – festgesetzt. Ihm wurde vorgeworfen, am 7.3.2015 in der … Straße in W. ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,27 mg/l geführt zu haben.
Auf den Einspruch des Betroffenen sprach ihn das Amtsgericht Waldkirch mit dem angefochtenen Urteil von dem ihm zur Last gelegten Vorwurf aus Rechtsgründen frei. Das Amtsgericht Waldkirch hat zusammengefasst folgende Feststellungen getroffen:
Der Betroffene fuhr am 7.3.2015 mit seinem PKW zum Polizeirevier in W., das er um 13:35 Uhr betrat, um eine Anzeige zu erstatten. Gegen 13:50 Uhr verließ er das Polizeirevier und rauchte eine Zigarette. Der die Anzeige aufnehmende Polizeibeamte, der anlässlich der Anzeigeerstattung Alkoholgeruch wahrgenommen hatte, bemerkte, dass der Betroffene sich zu seinem Kraftfahrzeug begab, um damit wegzufahren. Er rief den Betroffenen zurück, um eine Atemalkoholmessung durchzuführen. Der Betroffene begab sich dann – unbeaufsichtigt – auf die Toilette und trank dort Wasser. Anschließend wurden mit dem Messgerät Dräger Evidential 7110 um 13:57 Uhr und 13:59 Uhr Atemalkoholmessungen durchgeführt, die eine Atemalkoholkonzentration von 0,27 mg/l im Mittel erbrachten.
Das Amtsgericht Waldkirch hält die Messung unter Berufung auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg (Beschluss vom 27.11.2007, 2 Ss OWi 1489/07, BA 45, 197) vorliegend nicht für verwertbar, da die zehnminütige Kontrollzeit nicht eingehalten worden sei. Deren Einhaltung sei unabdingbar. Nur bei Einhaltung der Kontrollzeit könne ein verwertbares Messergebnis vorliegen. Daran änderten auch die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen, dass das Rauchen der Zigarette und das Trinken des Wassers das Ergebnis der Messung nicht verfälscht haben können, nichts. Die Zuziehung des Sachverständigen könne nicht geeignet sein, das unter Verstoß gegen die zwingende Gebrauchsanweisung erlangte Messergebnis verwertbar zu machen.
Gegen diese Entscheidung legte die – in der Hauptverhandlung nicht anwesende – Staatsanwaltschaft Freiburg am 14.7.2015 form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde ein und begründete diese am 27.7.2015 mit der Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe trägt mit Schrift vom 28.8.2015 ebenfalls auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an. Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Beschluss vom 14.10.2015 wurde die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen, § 80a Abs. 3 OWiG.
II.
Das gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat – jedenfalls vorläufig – Erfolg. Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Die festgestellte Nichteinhaltung der zehn Minuten dauernden Kontrollzeit, die dazu dient die Gefahr der Verfälschung der Messwerte durch eine kurz vor der Messung erfolgte Einnahme von möglicherweise die Messung beeinflussenden Substanzen auszuschließen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.4.2004, 1 Ss 30/04, NZV 2004, 426; Schoknecht, Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse, Gutachten des Bundesgesundheitsamtes, Unfall- und Sicherheitsforschung Straßenverkehr, Heft 86, S. 12), führt entgegen der Ansicht des Amtsgerichts nicht generell zu einer Unverwertbarkeit des Messergebnisses (so auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2010, 4 Ss 369/10, BA 47, 360; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4.2.2011, 3 (4) SsBs 803/10).
Die Nichteinhaltung der zehnminütigen Kontrollzeit stellt nur in den Fällen, in denen der Grenzwert gerade erreicht (OLG Bamberg, Beschluss vom 27.11.2007, 2 Ss OWi 1489/07, BA 45, 197) oder nur geringfügig – um 0,01 mg/l – überschritten wurde (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.4.2004, 1 Ss 30/04, NZV 2004, 426), einer Verwertbarkeit grundsätzlich entgegen, weil der gewonnene Messwert nur dann ohne Sicherheitsabschlag verwertbar ist, wenn die Bedingungen für ein gültiges Messverfahren gewahrt sind (vgl. BGH, Beschluss vom 3.4.2001, 4 StR 507/00, BGHSt 46, 358; OLG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2010, 4 Ss 369/10, BA 47, 360).
Angesichts dessen, dass vorliegend der Grenzwert – worauf die Revisionsführerin zutreffend hinweist – nicht geringfügig, sondern um 8% bzw. 0,02 mg/l überschritten wurde und die in der Kontrollzeit eingenommenen Substanzen festgestellt werden konnten, kommt eine Verwertbarkeit der Messung auch unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlags in Betracht. Ob und ggfs. in welcher Art und Weise das festgestellte Rauchen einer Zigarette und das Trinken von Wasser während der Kontrollzeit die Messung beeinträchtigt haben könnte und in welcher Höhe ggfs. ein Sicherheitsabschlag vorzunehmen ist, lässt sich mit sachverständiger Hilfe aufklären (OLG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2010, 4 Ss 369/10, BA 47, 360; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4.2.2011, 3 (4) SsBs 803/10). Ein allgemeiner Grundsatz, dass Bedienungsfehler bei standardisierten Messverfahren – hierzu gehört auch die Verwendung eines Atemalkoholgeräts, das die Bauartzulassung für die amtliche Überwachung des Straßenverkehrs erhalten hat (BGH, Beschluss vom 3.4.2001, 4 StR 507/00, BGHSt 46, 358) – generell zu deren Unverwertbarkeit führen (so OLG Hamm Beschluss vom 24.1.2008, 2 Ss OWi 37/08, NZV 2008, 260), existiert nicht. Vielmehr hat der Tatrichter bei konkreten Anhaltspunkten für Messfehler, die Zuverlässigkeit der Messung – ggfs. mit sachverständiger Hilfe – zu prüfen (vgl. für standardisierte Messverfahren der Geschwindigkeitsmessung, BGH, Beschluss vom 19.8.1993, 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291 und Beschluss vom 30.10.1997, 4 StR 24/97, BGHSt 43, 277).
Hierzu wird vorliegend neben einem rechtsmedizinischen Sachverständigen auch ein technischer Sachverständiger zu hören sein, um Art und Ausmaß möglicher Beeinträchtigungen des Messergebnisses durch den Konsum von Wasser und Zigaretten feststellen zu können, da ein rechtsmedizinischer Sachverständiger regelmäßig nicht in der Lage ist, die technische Zuverlässigkeit der Messung zu beurteilen (OLG Bamberg, Beschluss vom 27.11.2007, 2 Ss OWi 1489/07, BA 45, 197). Messfehler können sich neben dem Auftreten von Mund- oder Mundrestalkohol auch durch eine Beeinflussung der Messsensoren des Messgeräts ergeben, beispielsweise aufgrund einer Querempfindlichkeit des Messgeräts gegenüber Fremdgasen, etwa dem beim Rauchen entstehenden Kohlenmonoxid (vgl. Schoknecht, a.a.O., S. 12f).
Einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 GVG bedarf es nicht, da die Ausführungen in der Entscheidung des OLG Hamm (Beschluss vom 24.1.2008, 2 Ss OWi 37/08, NZV 2008, 260), nicht tragend sind. Die vom Amtsgericht zitierte Entscheidung des OLG Bamberg (Beschluss vom 27.11.2007, 2 Ss OWi 1489/08, BA 45, 197) betrifft ausdrücklich nur den Fall, bei welchem der Grenzwert gerade erreicht wurde (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 2.7.2010, 4 Ss 369/10, BA 47, 360).