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Fahrerlaubnisentziehung bei THC-Wert von 0,81 ng/ml

Fahrerlaubnis und THC: Ein Blick auf die Rechtslage

Die Frage der Fahreignung bei Cannabiskonsum ist ein kontrovers diskutiertes Thema im deutschen Verkehrsrecht. Ein aktueller Fall aus Bremen beleuchtet die Problematik, wenn ein Fahrer mit einem THC-Wert von 0,81 ng/ml im Blutserum am Steuer erwischt wird.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 V 162/20 >>>

Hintergrund des Falles

Der Antragsteller, im Besitz einer in Bulgarien ausgestellten Fahrerlaubnis, wurde nach einem Verkehrsunfall im September 2017 einer Blutprobe unterzogen. Dabei wurde ein THC-Wert von 0,81 ng/ml festgestellt. In den folgenden Jahren wurde er zweimal erneut kontrolliert, wobei ähnliche THC-Werte gemessen wurden. Nach diesen Vorfällen forderte das Bürgeramt ein medizinisch-psychologisches Gutachten, um zu klären, ob der Antragsteller trotz gelegentlichen Cannabiskonsums ein Kraftfahrzeug sicher führen kann.

Das medizinisch-psychologische Gutachten

Das Gutachten kam zu dem Schluss, dass der Antragsteller trotz seines gelegentlichen Cannabiskonsums grundsätzlich in der Lage sei, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Es wurde jedoch auch festgestellt, dass zu erwarten sei, dass er in Zukunft ein Fahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen werde.

Reaktion des Bürgeramtes

Auf Grundlage dieses Gutachtens entzog das Bürgeramt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung an. Dagegen legte der Antragsteller Klage ein und suchte um vorläufigen Rechtsschutz nach.

Gerichtliche Bewertung

Das Gericht musste abwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung spielten die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens eine zentrale Rolle. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass das Interesse des Antragstellers, vorläufig von der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung verschont zu bleiben, das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Die Fahrerlaubnisentziehung wurde als offensichtlich rechtswidrig eingestuft.

Schlussgedanken

Dieser Fall zeigt, wie komplex die rechtliche Bewertung von THC-Werten im Blut von Autofahrern sein kann. Während der gelegentliche Cannabiskonsum allein nicht ausreicht, um die Fahreignung in Frage zu stellen, können weitere Faktoren, wie die Nichteinhaltung des Trennungsgebots zwischen Konsum und Fahren, entscheidend sein. Es bleibt abzuwarten, wie zukünftige Urteile in ähnlichen Fällen ausfallen werden.


Das vorliegende Urteil

VG Bremen – Az.: 5 V 162/20 – Beschluss vom 25.03.2020

Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: 5 K 161/20) gegen den Bescheid des Bürgeramtes vom 09.01.2020 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird zum Zwecke der Kostenberechnung auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Antragsteller ist im Besitz einer in Bulgarien ausgestellten Fahrerlaubnis.

Fahrerlaubnisentziehung bei THC-Wert von 0,81 ng/ml
Fahrerlaubnis trotz Cannabiskonsum: Ein aktueller Fall wirft ein Schlaglicht auf die rechtlichen Herausforderungen bei der Bewertung von THC-Werten bei Autofahrern (Symbolfoto: Shidlovski /Shutterstock.com)

Aufgrund einer Verkehrsunfallanzeige wurde bei ihm am 17.09.2017 um 16.55 Uhr eine Blutprobe entnommen. Der Antragsteller hatte zuvor zwischen 13.35 Uhr und 14.23 Uhr mit einem von ihm geführten Fahrzeug beim Ausparken ein anderes Fahrzeug berührt. Ausweislich des toxikologischen Befundberichts des Klinikums Bremen-Mitte vom 21.09.2017 ergab sich bei ihm ein THC-Wert von 0,81 ng/ml im Blutserum. Am 29.05.2018 um 15.00 Uhr wurde der Antragsteller als Führer eines Kraftfahrzeugs erneut polizeilich kontrolliert. Laut Polizeibericht vom 01.06.2018 gab er an, am 22.05.2018 Cannabis konsumiert zu haben. In einer um 15.15 Uhr entnommenen Blutprobe wurde ein THC-Wert von 0,94 ng/ml nachgewiesen. Am 21.05.2019 um 15.50 Uhr wurde der Antragsteller wiederum als Führer eines Kraftfahrzeugs kontrolliert. Eine um 16.42 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen THC-Wert von 0,95 ng/ml.

Mit Schreiben vom 19.08.2019 forderte das Bürgeramt der Antragsgegnerin den Antragsteller auf, bis zum 08.11.2019 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu folgenden Fragen beizubringen:

„Kann … trotz gelegentlichem Cannabiskonsum sowie zusätzlicher Zweifel an der Eignung ein Kraftfahrzeug der Klasse(n) B sicher führen?

Ist insbesondere zu erwarten, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug nicht unter dem Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen wird?“

Der Antragsteller unterzog sich am 28.10.2019 bei der … GmbH der geforderten Untersuchung. Die Gutachter beantworteten in ihrem bei der Antragsgegnerin am 29.11.2019 eingegangenen Gutachten die aufgeworfenen Fragen wie folgt:

kann trotz gelegentlichem Cannabiskonsum sowie zusätzlicher Zweifel an der Eignung ein Kraftfahrzeug der Klasse(n) B sicher führen.

Es ist jedoch zu erwarten, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen wird.“

Nach Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (1.), gab ihm auf, seinen Führerschein spätestens am 3. Tag nach Zustellung der Verfügung beim Bürgeramt vorzulegen zur Anbringung eines Vermerks über die Aberkennung des Rechts, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, und drohte für den Fall der Nichterfüllung dieser Pflicht ein Zwangsgeld an (2.). Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (3.).

Dagegen hat der Antragsteller am 27.01.2020 Klage (5 K 161/20) erhoben und zugleich um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.

II. Der Antrag ist nach § 88 VwGO bei verständiger Würdigung dahin auszulegen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 09.01.2020 begehrt. Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen, wobei es eine eigene Ermessensentscheidung trifft. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt grundsätzlich das private Aussetzungsinteresse das gegenläufige öffentliche Vollziehungsinteresse. Stellt sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig dar, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück; es bedarf in den Fällen der behördlichen Vollzugsanordnung grundsätzlich aber eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung.

Das Interesse des Antragstellers vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse. Die Fahrerlaubnisentziehung erweist sich nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig.

1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 kann bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis die Fahreignung bejaht werden, wenn Konsum und Fahren getrennt werden kann, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stattfindet und wenn keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Die Bewertungen der Anlage 4 gelten nach Nummer 3 ihrer Vorbemerkung für den Regelfall. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Fahreignung begründen.

a. Die Fahrerlaubnisbehörde war entgegen der Auffassung des Antragstellers berechtigt, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, da die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV vorlagen. Sie durfte davon ausgehen, dass der Antragsteller gelegentlicher Cannabiskonsument ist. Gelegentlicher Konsum von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 liegt vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (BVerwG, Urt. v. 11.04.2019 – 3 C 13/17 –, juris Rn. 14 m.w.N.). Die bei dem Antragsteller am 17.09.2017, 29.05.2018 und 21.05.2019 entnommenen Blutproben ergaben THC-Werte von 0,81 ng/ml, 0,94 ng/ml und 0,95 ng/ml. Der Antragsteller hat zudem einen gelegentlichen Cannabiskonsum eingeräumt. Die Konsumvorgänge weisen auch den erforderlichen zeitlichen Zusammenhang auf.

Die gelegentliche Einnahme von Cannabis genügt für sich genommen allerdings nicht, um Zweifel an der Fahreignung zu begründen, hinzutreten müssen weitere Tatsachen. Eine solche Tatsache kann ein Verstoß gegen das Trennungsgebot sein (BVerwG, Urt. v. 11.04.2019 – 3 C 13/17 –, juris Rn. 16). Eine Verletzung des Trennungsgebots ist erst dann anzunehmen, wenn der gemessene THC-Gehalt im Blutserum den Risikogrenzwert von 1,0 ng/ml erreicht oder überschreitet (BVerwG, Urt. v. 11.04.2019 – 3 C 14/17 –, juris Rn. 23 ff.; OVG Bremen, Beschl. v. 25.02.2016 – 1 B 9/16 –, juris Rn. 6 = Blutalk 53, 275 f.).

Daraus, dass eine Verletzung des Trennungsgebots erst bei Erreichen oder Überschreiten des Risikogrenzwerts von 1,0 ng/ml THC anzunehmen ist, lässt sich jedoch nicht im Umkehrschluss folgern, dass das Trennungsvermögen nachgewiesen ist, wenn im Zusammenhang mit dem Führen eines Kfz ein THC-Blutwert festgestellt wird, der unter 1,0 ng/ml liegt. In diesem Fall können weitere tatsächliche Umstände die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen. Solche Umstände lagen vor. Der Antragsteller hat innerhalb eines Zeitraums von weniger als zwei Jahren in drei Fällen ein Kraftfahrzeug nach der Einnahme von Cannabis geführt. Die gemessenen THC-Werte lagen bei den letzten beiden Fahrten nur knapp unterhalb des Risikogrenzwerts. Die Antragsgegnerin durfte berechtigte Zweifel daran haben, dass der Antragsteller den Wirkungsverlauf von Cannabis so zuverlässig einschätzen kann, dass er eine Fahrt unter einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit in jedem Fall ausschließen kann. Sie durfte bis zu einer gutachterlichen Klärung (s. dazu unten) zunächst annehmen, dass er das Risiko einer Verletzung des Trennungsgebots bewusst eingegangen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die gemessenen THC-Werte nicht mit den Angaben des Antragstellers zu seinem Konsum in Einklang zu bringen sind. So hat er bei der Kontrolle am 17.09.2017 angegeben, am 15.09.2017 einen Joint konsumiert zu haben, und bei der Kontrolle am 29.05.2018, am 22.05.2018 Cannabis konsumiert zu haben. THC wird jedoch im Blut sehr schnell abgebaut und ist nach ca. vier bis sechs Stunden nicht mehr nachweisbar (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 2. Aufl., S. 178). Es war also von einem Konsum in größerer zeitlicher Nähe als angegeben zu den jeweiligen Fahrten auszugehen. Zudem zeigte der Antragsteller nach den Feststellungen in den Polizeiberichten bei den ersten beiden Kontrollen körperliche Auffälligkeiten wie zitternde Muskulatur, Augenlidtremor und Blässe, die für eine Beeinflussung durch Cannabis sprechen.

b. Unabhängig davon hängt die Verwertbarkeit eines beigebrachten Gutachtens nicht davon ab, ob die behördliche Anordnung zu Recht erfolgt ist. Das Ergebnis des Gutachtens schafft eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat. Ein Verbot, diese Tatsache für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung zu verwerten, lässt sich weder aus Regelungen der Fahrerlaubnisverordnung noch aus anderen Vorschriften ableiten. Einem Verwertungsverbot steht das Interesse der Allgemeinheit entgegen, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich aufgrund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben (BVerwG, Urt. v. 28.04.2010 – 3 C 2/10 –, BVerwGE 137, 10-20, juris Rn. 19 m.w.N.).

c. Allerdings kann auf der Grundlage des vom Antragsteller beigebrachten medizinisch- psychologischen Gutachtens der … vom 20.11.2019 nicht von einer feststehenden Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ausgegangen werden. Nach der Anlage 4a („Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten“) zu § 11 Abs. 5 FeV sind Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen die Begutachtungs-Leitlinien für Kraftfahreignung. Nach Ziffer 1 Buchst. a) Anlage 4a ist die Untersuchung anlassbezogen und unter Verwendung der von der Fahrerlaubnisbehörde zugesandten Unterlagen über den Betroffenen vorzunehmen. Der Gutachter hat sich an die durch die Fahrerlaubnisbehörde vorgegebene Fragestellung zu halten. Dagegen verstößt das Gutachten.

Nach Nr. 3.14.1. der Begutachtungsleitlinien ist derjenige, der gelegentlich Cannabis konsumiert, in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden, wenn er Konsum und Fahren trennen kann, wenn kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen und wenn keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Dementsprechend erstreckte sich der Gutachtensauftrag, der ausweislich der Fragestellung von einem gelegentlichen Cannabiskonsum ausging, darauf, durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu klären, ob der Antragsteller über die nötigen Kenntnisse zur Wirkung und Abbau von Cannabis sowie über die persönliche Fähigkeit zur Umsetzung dieses Wissens im Sinne einer Trennung zwischen Konsum und Fahren verfügt und nicht nur zufällig bei seinen Fahrten THC-Werte knapp unterhalb der Grenze, bei der von einem fehlenden Trennungsvermögen auszugehen ist, aufwies (vgl. VG München, Beschl. v. 07.10.2009 – M 1 S 09.3869 –, juris Rn. 31 ff.; Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, a.a.O., S. 193; vgl. zum Gegenstand der medizinisch-psychologischen Untersuchung: BVerwG, Urt. v. 11.04.2019 – 3 C 13.17 –, juris Rn. 32).

Das vorgelegte Gutachten geht an dieser Fragestellung vorbei. Zunächst wird auf Seite 3 f. unter Bezugnahme auf die Begutachtungsleitlinien ausgeführt, dass derjenige den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gerecht werde, der dem Betäubungsmittelgesetz unterliegende oder in ihren Wirkungen vergleichbare Substanzen nehme oder von ihnen abhängig sei und die Voraussetzungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs erst dann wieder als gegeben angesehen werden könnten, wenn der Nachweis geführt werde, dass kein Konsum mehr bestehe. Eine Ausnahme stelle der alleinige und gelegentliche Konsum von Cannabis dar. Entgegen diesen (zutreffenden) Maßgaben geht das Gutachten sodann aber davon aus, dass die Frage der Verkehrsbehörde entsprechend den Vorgaben der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung und der Beurteilungskriterien nur dann in einem für den Antragsteller günstigen Sinn beantwortet werden kann, wenn zukünftig von einer stabilen Drogenabstinenz auszugehen ist. Es geht damit von einem unzutreffenden Ausgangspunkt aus, denn es übersieht, dass der gelegentliche Cannabis-Konsument weiter Cannabis konsumieren darf, wenn er zwischen Konsum und Fahren sicher trennen kann. Eine stabile Drogenabstinenz wird hingegen nur dann gefordert, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Fahreignung verloren hatte. In diesen Fällen ist entsprechend Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV von dem Nachweis einer einjährigen Abstinenz und einer dauerhaften Verhaltensänderung auszugehen.

Dieser unzutreffende Ausgangspunkt lag auch dem psychologischen Untersuchungsgespräch zugrunde. Auf Seite 14 des Gutachtens wird festgehalten, dass der Antragsteller „zu Gesprächsbeginn <…> über die Zielsetzung und die wesentlichen inhaltlichen Aspekte des Untersuchungsgesprächs (Einstellungs- und Verhaltensänderungen sowie deren Stabilität) informiert“ worden ist. Nach Wiedergabe der an den Antragsteller gerichteten Fragen und seinen Antworten (Seite 15 bis 17) wird unter „Bewertung der Befunde“ festgestellt, dass die „Voraussetzungen für eine positive Prognose noch nicht hinreichend erfüllt“ sind. Im Hinblick auf die medizinischen Untersuchungsbefunde wird ausgeführt:

„Körperlich fanden sich keine Hinweise auf fortdauernden Drogenkonsum.

Aufgrund der widersprüchlichen Angaben zum Drogenkonsum zwischen medizinischem – und psychologischen Gespräch kann keine weitergehende Einschätzung zur Problemtiefe erfolgen.

Aus medizinischer Sicht kann die Fahreignung erst dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn durch Tatsachen belegt wird, dass Drogenabstinenz besteht und diese durch objektive Befunde nachgewiesen wird. Die Dauer der Abstinenz sollte je nach Befundlage 6 – 12 Monate nicht unterschreiten.

Die Bedenken der Fahrerlaubnisbehörde bezüglich der Drogenfragestellung können im Bereich der medizinischen Untersuchung von … aufgrund der Widersprüchlichkeit der Aussagen sowie aufgrund fehlender Abstinenznachweise gegenwärtig noch nicht ausgeräumt werden.“

Zur Bewertung der psychologischen Untersuchungsbefunde wird erläutert:

„Zwischen seiner Darstellung im psychologischen und medizinischen Untersuchungsgespräch zum Ausmaß des Drogenkonsums bestehen Widersprüche, die auf eine Verdeckung der tatsächlichen Konsumgewohnheiten und/oder auf eine bisher unzureichende Auseinandersetzung mit dieser Thematik verweisen. <…>

Die Abklärung der Bedingungen für die Entstehung einer Drogenproblematik ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Verhaltensänderung, da hierin die Basis für eine ausreichende Kontrolle oder die Behebung solcher Bedingungen zu sehen ist. Aus seinen Angaben zur Entwicklung des Drogenkonsums kann jedoch nicht nachvollzogen werden, durch welche persönlichen Gründe eine Drogenproblematik entstehen konnte.

Eine selbstkritische Identifikation und Bewertung persönlicher Ursachen für den Konsum von Drogen kann daher aus den Angaben ebenfalls nicht abgeleitet werden. Somit ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Verhaltensänderung nicht erfüllt.

Um eine angemessene und stabile Verhaltensänderung zu erreichen, ist eine realistische Selbsteinschätzung des Ausmaßes und Stellenwerts des Drogenproblems notwendig. <…>

ist sich der bestehenden Rückfallgefährdung in frühere Verhaltensgewohnheiten nicht bewusst und überschätzt seine diesbezüglichen Kontrollmöglichkeiten, was angesichts der Delikt- und Konsumgeschichte wenig nachvollziehbar erscheint. <…> Daher kann nicht begründet werden, dass die angegebene Verhaltensänderung stabil ist.“

Auch aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass dem Gutachten nicht die Beurteilungsmaßstäbe und -kriterien zugrunde lagen, die für die Beantwortung der vorgegebenen Fragestellung entscheidend sind. Erforderliche Aussagen dazu, ob der Antragsteller über die notwendigen Kenntnisse, ein ausreichendes Gefährdungsbewusstsein und ein ausreichend hohes Maß an Situationskontrolle verfügt, um Konsum und Fahren trennen zu können, enthält das Gutachten nicht. Es bietet daher keine tragfähige Grundlage für die (negative) Beantwortung der Gutachtenfrage.

Dies folgt auch nicht aus der im Gutachten getätigten Aussage „Der von vorgetragenen Selbsteinschätzung als gelegentlicher Konsum kann aus fachlicher Sicht nicht gefolgt werden.“ Der Gutachter hat sich an die durch die Fahrerlaubnisbehörde vorgegebene Fragestellung zu halten (s.o.) und darf nicht von sich aus den Untersuchungsgegenstand erweitern, denn es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen festzulegen. Die Gutachtensfrage war aber nicht darauf gerichtet, zu untersuchen, ob es sich bei dem Antragsteller um einen gelegentlichen oder um einen (fahrungeeigneten) regelmäßigen Cannabiskonsumenten handelt.

Das Gutachten ist auch nicht als im Ergebnis verwertbar anzusehen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, aus den dargestellten Fragen an den Antragsteller und seinen Antworten Schlussfolgerungen im Hinblick auf ein überzeugendes Trennungsvermögen anzustellen.

Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, dass nach der Hypothese D 4 der Begutachtungsrichtlinien zur Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung auch die Gefahr der Rückfälligkeit zu begutachten sei, ergibt sich dies aus der genannten Hypothese gerade nicht. Diese lautet „Es liegt ausschließlich gelegentlicher Cannabiskonsum vor. Eine Verkehrsteilnahme kann auch unter fortgesetzten Drogenkonsum vermieden werden.“ Sie stellt damit allein auf die Fähigkeit zum sicheren Trennen von Konsum und Fahren ab. Auch der Einwand, es komme sehr wohl auch entscheidend auf die Plausibilität und Stabilität einer behaupteten Verhaltensänderung an, weil nach den Begutachtungskriterien die Behauptung des Betroffenen, in Zukunft kein Cannabis mehr konsumieren zu wollen, anhand der Begutachtungskriterien unter D 3.3 und D 3.5 zu bewerten sei, greift nicht durch. Wird der Verzicht vom Gutachter als hinreichend stabil eingeschätzt, kann die Überprüfung der auf die Einschätzung des Trennungsvermögens gerichteten Kriterien D 4.2 und D 4.3 entfallen (siehe Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, 3. Aufl. 2013, S. 192). Daraus ergibt sich, dass in dem Fall, in dem der vom Fahrerlaubnisinhaber behauptete vollständige Verzicht als nicht hinreichend stabil eingeschätzt wird, zusätzlich unter Anlegung der Kriterien D 4.2 und D 4.3 die Fähigkeit zur Trennung von Konsum und Fahren zu begutachten ist (VG Würzburg, Beschl. v. 25.02.2020 – W 6 S 20.277 –, juris Rn. 40 ff.; VG Ansbach, Beschl. v. 24.01.2012 – AN 10 S 11.02111 –, juris Rn. 36). Nichts anderes ergibt sich aus der Hypothese D 4.3. Soweit es dort heißt „Der Klient hat plausible Vorsätze zu einer Verkehrsteilnahme ohne THC-Einfluss gefasst und verfügt über eine so gute Selbstkontrolle und Selbstbehauptung, dass er sie auch umsetzen kann.“ bezieht sich die Verhaltensplanung auf die Einhaltung des Trennungsgebots und nicht auf einen Konsumverzicht.

2. Erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis (Ziffer 1 des Bescheids vom 09.01.2020) als rechtswidrig, fehlen auch der Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins (§ 3 Abs. 2 StVG, § 47 Abs. 2 FeV) sowie der Zwangsgeldandrohung die Grundlagen. Auch insoweit war die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage anzuordnen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, 52 Abs. 2 GKG.

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