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Fahrerlaubnisentziehung bei krankheitsbedingten Fahreignungszweifeln

Diabetes und Bluthochdruck

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 19.2189 – Beschluss vom 28.04.2020

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.250,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der im Jahr 1938 geborene Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung der ihm am 20. Oktober 2009 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen A, BE und T (Gruppe 1).

Am 7. November 2018 verursachte er einen Verkehrsunfall, weil er beim Einbiegen nach links ein Leichtkraftrad übersah. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde gemäß § 153a Abs. 1 StPO eingestellt.

Unter Bezugnahme auf diesen Unfall forderte die Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Eichstätt den Antragsteller mit Schreiben vom 1. April 2019 auf, eine ärztliche Bestätigung des behandelnden Arztes zur Aufklärung entstandener Fahreignungszweifel beizubringen. Aus der Bestätigung müsse u.a. hervorgehen, ob Erkrankungen vorlägen, die die Fahreignung infrage stellen könnten, und ob ein ausreichendes Sehvermögen gegeben sei.

Daraufhin legte der Antragsteller ein augenärztliches Zeugnis vom 10. April 2019 vor, wonach er wegen reduzierten Dämmerungssehens keine Nachtfahrten machen sollte, sowie ein hausärztliches Attest des Internisten und Allgemeinmediziners Dr. K. vom 16. April 2019, mit dem stichwortartig eine arterielle Hypertonie (grenzwertig; 24-Stunden-Blutdruckmessung vom 5.4.2019, Mittelwert 135/65 HF 62/min., maximaler Wert 181/87 HF 79/min., Nachtabsenkung vorhanden, insgesamt normale Untersuchung) und Diabetes mellitus 2b (HbA1c 6,7 % [20.1.2014], keine Folgeschäden bekannt), jeweils keine Medikation, festgestellt wurden.

Am 26. April 2019 verzichtete der Antragsteller auf seine Fahrerlaubnis, soweit sie zum Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 berechtigte.

Mit Schreiben vom 30. April 2019 forderte ihn das Landratsamt unter Bezugnahme auf das Attest vom 16. April 2019 und den Verkehrsunfall vom 7. November 2018 auf, bis 9. Juli 2019 ein ärztliches Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu den Fragen beizubringen, ob bei ihm Erkrankungen nach Nr. 4.2, 5 der Anlage 4 zur FeV, die die Fahreignung infrage stellten, und eine ausreichende Adhärenz vorlägen, ob Beschränkungen und/oder Auflagen und eine Nachbegutachtung erforderlich seien.

Nach mehreren telefonischen Gesprächen erklärte sich der Antragsteller bereit, sich am 18. Juli 2019 ärztlich begutachten zu lassen. In der Folge legte er eine hausärztliche Bescheinigung der Praxis Dres. S. vom 11. Juli 2019 vor, wonach sein HbA1c-Wert und der Nüchternzucker im Normbereich lägen. Aus medizinischer Sicht bestehe bei dem Patienten kein Diabetes mellitus. Nach den ärztlichen Aufzeichnungen wurden bei ihm am 4. Juni 2019 ein Blutzucker von 96 mg% gemessen und am 24. Mai 2019 ein Haemoglobin-A1c-Wert von 6,07 %, ein HbA1c-Wert von 42,8 mmol/mol und eine mittlere Blutglukosekonzentration von 139 mg/dl. Nach einer weiteren hausärztlichen Bescheinigung vom 12. Juli 2019 liegt kein Hinweis auf Hypertonie vor. Bei einer Blutdruckkontrolle sei ein RR von 130/80 mmHg gemessen worden. Am 13. Juli 2019 erklärte der Kläger, er sehe im Hinblick auf diese beiden Bescheinigungen von einer kostenintensiven ärztlichen Begutachtung ab und betrachte die Angelegenheit als erledigt. Mit Schreiben vom 2. August 2019 teilte das Landratsamt dem Antragsteller mit, dass die ärztlichen Atteste vom 11. und 12. Juli 2019 nicht geeignet seien, die entstandenen Fahreignungszweifel vollumfänglich auszuräumen.

Nach Anhörung entzog das Landratsamt dem Antragsteller gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV mit Bescheid vom 7. August 2019 die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids, beim Landratsamt abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Am 14. August 2019 gab der Antragsteller seinen Führerschein ab.

Am 26. August 2019 ließ er beim Verwaltungsgericht München Klage erheben, über die noch nicht entschieden ist, und gleichzeitig beantragen, die sofortige Vollziehung der Nummern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids aufzuheben.

Den Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Oktober 2019 unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bescheids ab und führte dazu noch ergänzend aus, die Gutachtensanordnung sei nicht „ins Blaue hinein“ erfolgt. Sie habe sich auf den vom Antragsteller verursachten Unfall und das von ihm vorgelegte Attest vom 16. April 2019 gestützt. Hiermit würden zwar die behördlichen Fragen zum Gesundheitszustand des Antragstellers nicht zufriedenstellend beantwortet, aber jedenfalls eine arterielle Hypertonie mit einem maximalen Wert von 181/87 bescheinigt. Der Ausdruck „grenzwertig“ hinter der Diagnose solle angesichts des Mittelwerts der Langzeitmessung von 135/65 wohl bedeuten, dass es sich um einen erhöhten Blutdruck an der Grenze zum Normalbereich handle. Angesichts der Vorgaben in Nr. 4.2 der Anlage 4 zur FeV, wonach bei erhöhtem Blutdruck mit zerebraler Symptomatik und/oder Sehstörungen keine Eignung oder bedingte Eignung für die Klassen der Gruppe 1 vorliege, bei Blutdruckwerten von mehr als 180 mmHg systolisch und/oder mehr als 110 mmHg diastolisch (nur) „in der Regel“ eine Eignung zu bejahen sei, ergäben sich ausreichende Anhaltspunkte für eine ärztliche Eignungsbegutachtung des Antragstellers, der bei einer aktuellen 24-Stunden-Blutdruckmessung einen Maximalwert von 181 mmHg systolisch erreicht habe. Auch biete das ärztliche Attest vom 16. April 2019 tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Diabeteserkrankung. Dem Antragsteller werde Diabetes mellitus Typ 2b mit einer HbA1c 6,7 % bescheinigt. Das Datum „20. Januar 2014“ hinter der Diagnose solle wohl bedeuten, dass der Diabetes erstmals zu diesem Zeitpunkt festgestellt worden sei. Der Blutzuckergehalt von 6,7 % weise den Antragsteller jedenfalls als Diabetiker aus. Die Aussagen des genannten Attests widersprächen zwar denen des älteren Attests vom 20. September 2018. Dies zeige aber lediglich, wie unzuverlässig Aussagen des behandelnden Hausarztes in Bezug auf fahreignungsrelevante Erkrankungen sein könnten und mache die Notwendigkeit einer Begutachtung umso deutlicher. Die unvollständigen und begründungslosen Unterlagen der Arztpraxis S., die mehr Fragen offen ließen, als sie beantworteten, seien nicht geeignet, die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers unter dem Aspekt einer Diabeteserkrankung und einer Hypertonie auszuräumen. Die Fahrerlaubnisbehörde sei auch im Sinne der Vorgaben der Rechtsprechung verhältnismäßig vorgegangen, indem sie vor Ergehen der Gutachtensaufforderung vom Antragsteller zunächst die Vorlage einer Bestätigung des behandelnden Arztes gefordert habe. Nachdem das vorgelegte Attest tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an den beiden fahreignungsrelevanten Erkrankungen enthalten habe, habe die Fahrerlaubnisbehörde im Anschluss daran ohne Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein ärztliches Fahreignungsgutachten verlangen können. Zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen sei sie, auch angesichts der grundsätzlich gebotenen Verfahrensbeschleunigung im Interesse der zu schützenden Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer, nicht verpflichtet gewesen. Die Verfahrensdauer begegne vorliegend keinen rechtlichen Bedenken. Ein Gutteil der verstrichenen Zeit bis zum Entzug der Fahrerlaubnis beruhe auf dem Verhalten des Antragstellers.

Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde macht der Antragsteller geltend, bereits in der Klageschrift darauf hingewiesen zu haben, dass der Bescheid und der Verkehrsunfall vom 7. November 2018 keine rechtliche Handhabe böten, um Zweifel an seiner Fahrtüchtigkeit zu begründen. Es habe sich um einen alltäglichen, oft vorkommenden Verkehrsunfall gehandelt, der weder mit seinem Alter noch mit seinem Gesundheitszustand etwas zu tun habe. Die näheren Umstände des Unfallgeschehens – die Sichtverhältnisse vor Ort und, ob der Kraftradfahrer mit Licht und mit welcher Geschwindigkeit er gefahren sei – habe die Behörde nicht geprüft. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass das Strafverfahren gemäß § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden sei, dass also nur von einem geringfügigen Verschulden auszugehen sei. Es fehlten belastbare Aussagen dazu, inwiefern sich aus dem Verkehrsunfall die fehlende Fahreignung ableiten lasse. Der Beklagte habe den Unfallhergang „ins Blaue hinein“ dazu benutzt, um Zweifel an der Fahrtüchtigkeit des Antragstellers zu begründen. Da das Verwaltungsgericht auf die Gründe des Bescheids Bezug genommen habe, sei der Eilbeschluss schon deshalb nicht haltbar. Die beim Antragsteller gemessenen Blutdruckwerte seien vollkommen normal. Auch der Maximalwert von 181/87 weise nicht auf eine Hypertonie hin, sondern sei bei entsprechender Belastung, z.B. Treppensteigen, wie sie im Rahmen einer 24-Stunden-Messung erfasst werde, nicht ungewöhnlich. Es dürfte allgemein bekannt sein, dass ein Maximalwert von 181 mmHg bei Belastung einen vollkommen normalen Wert darstelle. Deshalb habe Herr Dr. K. auch unter Berücksichtigung der vorhandenen Nachtabsenkung auf eine normale Untersuchung hingewiesen, die zu keinerlei Medikation Anlass gegeben habe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts decke sich dies auch mit dem Bericht des Herrn Dr. K vom 20. September 2018, in dem ebenfalls keine Erkrankungen angegeben seien, die eine regelmäßige Medikamenteneinnahme notwendig machten und die Fahreignung infrage stellten. Ein abweichendes Ergebnis ergebe sich auch nicht hinsichtlich der angeblichen Diabeteserkrankung. Herr Dr. K verweise in seinem Bericht vom 16. April 2019 zwar auf einen Diabetes-Typ 2 mit einer Messung von HbA1c von 6,7 %, wobei dieser Wert aber auf dem 20. Januar 2014 beruhe. Die Diskussion der Grenzwerte sei durchaus nicht einheitlich. In der medizinischen Literatur würden Grenzwerte von 6,4 % und 7,0 % diskutiert. Selbst wenn man den geringeren Wert von 6,4 % heranziehe, sei auf den Zeitpunkt der Messung vom Januar 2014 abzustellen, was schlichtweg nichts mit dem Zeitpunkt 2018 bzw. 2019 zu tun habe. Herr Dr. K. halte keine Medikation für erforderlich, was bestätige, dass beim Antragsteller aktuell keine entsprechende Erkrankung vorliege. Dies werde durch den Bericht der Praxis S. vom 11. Juli 2019 bestätigt, in dem bei einer Blutabnahme am 24. Mai 2019 ein Wert von 6,07 % im Langzeitwert und ein Nüchternblutzucker von 96 mg angegeben worden seien. Zu Recht verweise die Praxis S. darauf, dass aus medizinischer Sicht kein Diabetes mellitus vorliege. Die Werte lägen auch tatsächlich im Normbereich, weit vom Grenzwert entfernt. Die behördliche und gerichtliche Wertung, der Antragsteller sei bei Erlass des Bescheids Diabetiker gewesen, sei schlichtweg falsch. Auch die Kritik des Gerichts an den Berichten der Praxis S. sei unberechtigt. Aus beiden Berichten ergebe sich zweifelsfrei, dass der Antragsteller weder an Hypertonie noch an Diabetes leide. Deswegen sei auch die in dem gerichtlichen Beschluss aufgegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einschlägig. Ferner legte der Antragsteller ein fachärztliches Attest vom 3. Dezember 2019 vor, wonach sich keine Hinweise auf eine arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus oder eine fahreignungsrelevante kardiovaskuläre Erkrankung ergeben hätten.

Der Antragsgegner erwidert, aus dem ärztlichen Attest vom 16. April 2019 gehe hervor, dass der Antragsteller an arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus leide. Auch wenn der gemessene Blutzuckerwert bereits fünf Jahre zurückliege, weise er nichtsdestotrotz auf das Vorliegen einer Diabetes hin. Nachdem die Begutachtungsanordnung auf die attestierten Erkrankungen in Kombination mit den durch den Verkehrsunfall entstandenen weiteren Bedenken gestützt sei, sei sie nicht ins Blaue hinein erfolgt. Ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Erkrankungen sei nicht auszuschließen. Der in der Langzeitblutdruckmessung vom 5. April 2019 festgestellte maximale systolische Wert von 181 mmHg könne die Fahreignung infrage stellen. Da Atteste von unterschiedlichen Ärzten mit unterschiedlichen Angaben zu den im Raum stehenden Erkrankungen vorgelegen hätten und eine weitere Aufklärung durch die widersprüchlichen Atteste nicht möglich gewesen sei, sei eine unabhängige Begutachtung zur weiteren Untersuchung und Würdigung der Befunde im Hinblick auf die Fahreignung bis zuletzt geboten gewesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung in der Fassung des Gesetzes vom 8. April 2019 (BGBl I S. 430), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Juli 2019 (BGBl I S. 1056), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19).

Bedenken gegen die körperliche und geistige Fahreignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen. Nicht erforderlich ist also, dass eine solche Erkrankung oder ein solcher Mangel bereits feststeht, ebenso wenig, dass eine hierdurch bedingte konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs oder eine bestimmte Wahrscheinlichkeit eines absehbaren Schadenseintritts festgestellt wird. Allerdings darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 26; Siegmund in Freymann/Wellner jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 11 FeV Rn. 36). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Gleiches gilt für den genauen Grad der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss (BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – BayVBl 2015, 421 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 3.9.2015 – 11 CS 15.1505 – juris Rn. 13).

Das Verwaltungsgericht und der Antragsgegner sind zutreffend davon ausgegangen, dass die in dem ärztlichen Attest vom 16. April 2019 diagnostizierten Erkrankungen einer arteriellen Hypertonie und eines Diabetes mellitus in Verbindung mit dem Verkehrsunfall am 7. November 2018 im maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 36; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 55) einen hinreichenden Anlass für die Anordnung boten, ein ärztliches Gutachten gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV beizubringen. Die Tatsache, dass der Antragsteller einen vorfahrtsberechtigten Kraftradfahrer übersehen hat, wies auf eine eingeschränkte Sehfähigkeit, z.B. mangelhaftes Dämmerungssehen, oder einen ungeklärten Leistungsmangel, insbesondere in Form einer gestörten Wahrnehmung oder mangelnden Konzentration, hin. Nach dem in der Einstellungsverfügung vom 20. Dezember 2018 festgestellten Sachverhalt hat der Antragsteller einen Kraftfahrer passieren lassen, dem der verunfallte Kraftradfahrer sowie ein weiteres Fahrzeug unmittelbar nachgefolgt sind. Anhaltspunkte für eine Mitverursachung des Unfalls durch den verunfallten Kraftradfahrer ergeben sich aus beigezogenen Ermittlungsakten nicht. Der Grund dafür, dass der Antragsteller den nachfolgenden Kraftradfahrer übersehen hat, war und ist ungeklärt. Er selbst hat nach Aktenlage keine Angaben zum Unfallhergang gemacht. Darauf, ob den Antragsteller an dem Verkehrsunfall nur ein geringfügiges Verschulden trifft, kommt es entgegen seiner Auffassung nicht an. Die Schwere der strafrechtlichen Schuld bzw. Vorwerfbarkeit bemisst sich nach den Kriterien des § 46 Abs. 2 StGB, welche nichts über die gesundheitlich bedingte Fahreignung und Leistungsfähigkeit des Kraftfahrers besagen. Abgesehen davon, ist eine geringe Schuld schon lange kein Tatbestandsmerkmal des § 153a Abs. 1 StPO mehr (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1996 – 1 C 12.95 – BVerwGE 101, 24 = juris Rn. 25). Insoweit ist nur erforderlich, dass die Schwere der Schuld einer Einstellung nicht entgegensteht mit der Folge, dass sie auch bei einem mittleren Schuldausmaß verfügt werden darf (vgl. Diemer in KK-StPO, 8. Aufl. 2019 § 153a Rn. 10). Für das Versagen beim Einbiegen in die Staatsstraße kamen mehrere Ursachen in Betracht, auch ein Zusammenhang mit den diagnostizierten Erkrankungen. Unbehandelter Bluthochdruck und Diabetes mellitus können die Fahreignung einschränken, insbesondere in ihrer Kombination und bei älteren Kraftfahrern wie dem Antragsteller (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 136 f. Nr. 2.5, S. 152 ff. Nr. 5.3 und 7). Nach Nr. 4.2.2 der Anlage 4 zur FeV lassen Blutdruckwerte ab 180 mmHg systolisch und/oder ab 110 mmHg diastolisch eine fachärztliche Untersuchung angezeigt erscheinen, auch wenn sie die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 regelmäßig nicht ausschließen. Diabetes mellitus lässt die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 bei schweren Stoffwechselentgleisungen, instabiler Stoffwechsellage und gestörter Hypoglykämiewahrnehmung entfallen. Aufgrund des Attests vom 16. April 2019, das keine näheren Angaben zum Krankheitsbild enthielt, ließen sich derartige die Fahreignung beeinträchtigende Störungen nicht ausschließen. Der Umstand, dass keine Medikation erfolgte, musste auch nicht zwangsläufig der Tatsache geschuldet sein, dass die Erkrankungen aus ärztlicher Sicht unbedeutend erschienen und eine Medikation deshalb nicht notwendig war.

Die Fahrerlaubnisbehörde durfte auch nach Vorlage der hausärztlichen Bescheinigungen vom 11. und 12. Juli 2019 an der Gutachtensanordnung festhalten, weil die Eignungszweifel durch diese dem Attest vom 16. April 2019 widersprechenden, nicht weiter erläuterten Bescheinigungen nicht nachvollziehbar ausgeräumt waren. Somit konnte nicht die Rede davon sein, dass keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verblieben und die ursprünglichen Bedenken auch für einen medizinischen Laien eindeutig widerlegt waren (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2020 – 11 ZB 20.145 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 24.3.2016 – 11 CS 16.260 – BayVBl 2017, 97 = juris Rn. 13). Mangels medizinischer Kenntnisse ist eine Fahrerlaubnisbehörde regelmäßig nicht dazu imstande, eine fachärztliche Diagnose auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen oder nach Vorliegen einer ihr widersprechenden zweiten ärztlichen Diagnose als falsch oder unbeachtlich zu verwerfen, zumal, wenn – wie hier – sämtliche Atteste keine weiterführenden und nachvollziehbaren Ausführungen enthalten und sich das nachfolgende Attest auch nicht mit dem vorhergehenden auseinandersetzt. Es war nicht die Aufgabe des Landratsamts zu bestimmen, ob die Werte aus der Langzeitblutdruckmessung bzw. welche konkreten Werte die Diagnose arterielle Hypertonie gerechtfertigt haben bzw. hätten. Nachdem es sich bei arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus um Dauererkrankungen handelt und der Antragsteller bei Herrn Dr. K. seit August 2011 in medizinischer Behandlung war, konnte in Anbetracht einer zeitlichen Differenz von lediglich einem knappen Vierteljahr die frühere ärztliche Einschätzung auch nicht wegen mangelnder Aktualität außer Betracht bleiben. Der Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, dass vor diesem Hintergrund die Begutachtung durch einen unabhängigen Arzt mit verkehrsmedizinischen Kenntnissen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV geboten war. Da der Antragsteller das zu Recht geforderte Gutachten nicht beigebracht hat, war das Landratsamt gemäß § 11 Abs. 8 FeV berechtigt, daraus auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen und ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Das nach dem für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (stRspr; vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 = juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 19.7.2019 – 11 ZB 19.977 – juris Rn. 10) vorgelegte fachärztliche Attest vom 3. Dezember 2019, wonach sich keine Hinweise auf eine arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus oder eine fahreignungsrelevante kardiovaskuläre Erkrankung ergeben hätten, kann lediglich im Wiedererteilungsverfahren berücksichtigt werden. Erlangt der Betroffene seine Fahreignung nach Erlass des Entziehungsbescheides wieder, sieht das Gesetz eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis vor (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 11 CS 19.1336 – juris Rn. 20 m.w.N.).

Damit war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.1, 46.3 und 46.9 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

 

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