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Fahrerlaubnisentziehung bei Diagnose einer Persönlichkeitsstörung – Bezug zum Straßenverkehr

Persönlichkeitsstörung: Wann darf die Fahrerlaubnis entzogen werden?

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat im Fall der Fahrerlaubnisentziehung bei einem Kläger mit diagnostizierter Persönlichkeitsstörung entschieden. Die Ordnungsverfügung des Beklagten, welche die Fahrerlaubnis entzog, wurde aufgehoben. Das Gericht begründete dies damit, dass weder aus gesundheitlichen noch aus charakterlichen Gründen eine Fahrungeeignetheit des Klägers festgestellt werden konnte. Das Urteil hebt hervor, dass eine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung nicht automatisch eine Fahrungeeignetheit nach sich zieht.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 16 A 1741/13  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Aufhebung der Ordnungsverfügung: Das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster wurde geändert und die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben.
  2. Diagnose einer Persönlichkeitsstörung: Der Kläger wurde mit einer paranoiden oder schizoiden Persönlichkeitsstörung diagnostiziert.
  3. Keine Fahrungeeignetheit: Trotz der Persönlichkeitsstörung wurde keine Fahrungeeignetheit des Klägers festgestellt.
  4. Bedeutung psychologischer Gutachten: Mehrere psychologische Gutachten wurden berücksichtigt, um die Fahreignung zu beurteilen.
  5. Berücksichtigung des individuellen Falles: Das Gericht betonte die Notwendigkeit, jeden Fall individuell zu betrachten.
  6. Kein Zusammenhang zwischen Straftaten und Fahrungeeignetheit: Straftaten des Klägers standen nicht in direktem Zusammenhang mit seiner Fahreignung.
  7. Keine Gefährdung im Straßenverkehr: Es gab keine Hinweise auf gefährliches oder unangepasstes Verhalten des Klägers im Straßenverkehr.
  8. Empfehlung zur ärztlichen Behandlung: Trotz der Entscheidung wurde dem Kläger empfohlen, ärztliche Hilfe für seine Persönlichkeitsstörung in Anspruch zu nehmen.

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Fahrerlaubnisentziehung bei Persönlichkeitsstörungen: Ein komplexes Thema im Straßenverkehr

Die Fahrerlaubnisentziehung bei einer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung ist ein viel diskutiertes Thema im Straßenverkehr. Dabei ist entscheidend, ob eine Gefahr für den Straßenverkehr besteht oder nicht. Eine Diagnose allein reicht nicht aus, um eine Fahrerlaubnisentziehung zu rechtfertigen. Im Folgenden wird ein konkretes Urteil vorgestellt und besprochen, das die Komplexität dieses Themas verdeutlicht.

Die Fahrerlaubnisentziehung bei Persönlichkeitsstörungen ist ein vielschichtiges Thema, das sowohl die Betroffenen als auch die Verkehrssicherheit betrifft. Im nächsten Abschnitt werden wir uns mit dem Urteil befassen, das die Fahrerlaubnisentziehung bei einer Persönlichkeitsstörung im Bezug auf den Straßenverkehr thematisiert.

Ein umstrittener Fall: Fahrerlaubnisentziehung bei Persönlichkeitsstörung

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat sich mit einem Fall beschäftigt, der für Aufsehen sorgt: Ein Mann, dem aufgrund einer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung die Fahrerlaubnis entzogen wurde, kämpfte um sein Recht, wieder am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. Dieser Fall wirft wichtige Fragen auf über die Kriterien, die zur Beurteilung der Fahreignung herangezogen werden, und darüber, wie psychische Erkrankungen in diesem Kontext bewertet werden sollten.

Hintergrund: Stalking und psychische Diagnosen

Der Kläger, Inhaber einer Fahrerlaubnis seit 1991, fiel zunächst durch Stalking-Vorfälle auf. Nachdem er Frau X. und später Frau I. über einen längeren Zeitraum verfolgte und bedrohte, diagnostizierten verschiedene Gutachter eine paranoide oder schizoide Persönlichkeitsstörung. Dabei wurde keine eindeutige Psychose festgestellt, sondern vielmehr eine Persönlichkeitsstörung, die angeblich keine deutliche Einschränkung in Bezug auf den Straßenverkehr darstellte. Diese Einschätzungen führten jedoch zu einer Ordnungsverfügung, in der dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen wurde.

Der Weg durch die Instanzen

Der Kläger legte gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis Berufung ein. Er brachte vor, dass die vorliegenden Gutachten keine hinreichende Grundlage für die Annahme seiner Fahrungeeignetheit böten. Insbesondere wurde argumentiert, dass die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung nicht in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung aufgeführt sei und daher nicht automatisch zur Annahme der Fahrungeeignetheit führen könne. Des Weiteren wies der Kläger darauf hin, dass seine Straftaten keinen direkten Bezug zum Straßenverkehr hatten und daher nicht als Indikator für seine Fahreignung dienen sollten.

Entscheidung des Gerichts: Aufhebung der Fahrerlaubnisentziehung

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschied schließlich, dass die Ordnungsverfügung rechtswidrig war und die Fahrerlaubnisentziehung aufgehoben werden musste. Das Gericht stellte fest, dass weder aus gesundheitlichen noch aus charakterlichen Gründen eine Fahrungeeignetheit des Klägers nachgewiesen werden konnte. Es betonte die Wichtigkeit einer individuellen Beurteilung und wies darauf hin, dass eine Persönlichkeitsstörung nicht automatisch eine Fahrungeeignetheit nach sich zieht, insbesondere wenn keine direkte Gefahr für den Straßenverkehr besteht.

Diese Entscheidung setzt ein wichtiges Zeichen dafür, wie psychische Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen im Kontext der Fahreignung zu bewerten sind. Sie zeigt, dass eine differenzierte und individuelle Betrachtung jedes einzelnen Falles unerlässlich ist und dass vorschnelle Schlüsse über die Fahreignung aufgrund von psychischen Diagnosen nicht gerechtfertigt sind. Dieses Urteil könnte somit weitreichende Implikationen für ähnliche Fälle in der Zukunft haben.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


In welcher Weise beeinflusst eine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung die Beurteilung der Fahreignung eines Individuums?

Eine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung kann die Beurteilung der Fahreignung eines Individuums beeinflussen, obwohl sie nicht explizit in der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung (FeV) aufgeführt ist. Persönlichkeitsstörungen, die häufig gemeinsam mit anderen psychischen Störungen auftreten, können im Hinblick auf die Fahreignung relevant sein.

Die Beurteilung der Fahreignung erfolgt individuell und interdisziplinär, wobei psychologische Testverfahren zur Bestimmung von Belastbarkeit, Orientierung, Konzentration, Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit eingesetzt werden. Bei der Beurteilung der Fahreignung können bestimmte Aspekte einer Persönlichkeitsstörung, wie beispielsweise eine Störung der Impulskontrolle, als verkehrsrelevant angesehen werden.

Es ist jedoch zu betonen, dass eine Persönlichkeitsstörung nicht automatisch zu einer Ungeeignetheit zum Führen eines Fahrzeugs führt. Die Beurteilung hängt stark von der individuellen Situation und den spezifischen Symptomen der betroffenen Person ab. In einigen Fällen kann eine Person trotz einer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung als fahrtüchtig eingestuft werden.

Wenn Zweifel an der Fahreignung einer Person bestehen, kann die Fahrerlaubnisbehörde ein verkehrsmedizinisches Gutachten anordnen. In diesem Gutachten werden die psychische Leistungsfähigkeit und die Fähigkeit, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden, beurteilt.

Es ist wichtig, dass Personen mit einer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung ihre Fahreignung mit einem Facharzt besprechen und gegebenenfalls ein verkehrsmedizinisches Gutachten einholen.

Wie wird im Verkehrsrecht zwischen gesundheitlichen und charakterlichen Gründen für die Fahrungeeignetheit unterschieden?

Im Verkehrsrecht wird zwischen gesundheitlichen und charakterlichen Gründen für die Fahrungeeignetheit unterschieden.

Gesundheitliche Gründe beziehen sich auf körperliche oder psychische Zustände, die die Fähigkeit einer Person, sicher ein Fahrzeug zu führen, beeinträchtigen können. Dies kann eine Vielzahl von Zuständen umfassen, von körperlichen Behinderungen bis hin zu psychischen Störungen. In solchen Fällen kann die Fahrerlaubnisbehörde ein medizinisch-psychologisches Gutachten anfordern, um die Fahreignung des Betroffenen zu beurteilen.

Charakterliche Gründe beziehen sich auf Verhaltensweisen oder Persönlichkeitsmerkmale, die die Fahreignung einer Person in Frage stellen können. Beispielsweise kann ein hohes Aggressionspotenzial als charakterlicher Mangel angesehen werden, der die Fahreignetheit beeinträchtigen kann.

Es ist zu betonen, dass die Unterscheidung zwischen gesundheitlichen und charakterlichen Gründen nicht immer klar ist und es Überschneidungen geben kann. Beispielsweise können bestimmte psychische Störungen sowohl gesundheitliche als auch charakterliche Aspekte haben, die die Fahreignung beeinflussen können.

Die Entscheidung über die Fahreignung wird immer individuell und auf der Grundlage einer umfassenden Beurteilung der spezifischen Situation des Betroffenen getroffen. Dabei werden sowohl gesundheitliche als auch charakterliche Aspekte berücksichtigt.

Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs hat dabei Vorrang vor den individuellen Interessen des Betroffenen. Daher kann die Fahrerlaubnis entzogen werden, wenn Zweifel an der Fahreignung bestehen, unabhängig davon, ob diese auf gesundheitlichen oder charakterlichen Gründen beruhen.


Das vorliegende Urteil

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 A 1741/13 – Urteil vom 30.03.2015

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 8. Juli 2013 geändert. Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 30. Oktober 2012 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1972 geborene Kläger ist seit 1991 Inhaber einer Fahrerlaubnis (unter anderem der Fahrerlaubnisklassen BE und CE). Im Jahr 1998 äußerte Frau S. X.       aus dem Heimatort des Klägers gegenüber der Polizei, der Kläger stelle ihr seit etwa zwei Jahren nach, indem er sie anrufe oder längere Zeit mit dem Auto verfolge. Nach einer Intensivierung dieser Nachstellungen und Äußerungen des Klägers, die als Todesdrohungen gegen Frau X.        gedeutet werden konnten und eine Selbsttötungsabsicht einschlossen, wurde der Kläger im Juli 1998 für etwa einen Monat nach dem PsychKG in die St.-W. -Klinik in S1. eingewiesen. Ähnliche Verhaltensweisen des Klägers wiederholten sich etwa ab Anfang des Jahres 2005 in Bezug auf die gleichfalls am Wohnort des Klägers lebende Frau I.      , wobei das Hinterherfahren mit dem Auto, beleidigende Gesten sowie Sachbeschädigungen am Auto von Frau I.       im Vordergrund standen. Mit Schreiben vom 25. Januar 2006 forderte der Beklagte den die Vorfälle abstreitenden Kläger auf, zum Nachweis seiner Kraftfahreignung ein verkehrsmedizinisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen. Nachdem der Kläger innerhalb der ihm gesetzten Frist ein solches Gutachten nicht vorlegte, entzog ihm der Beklagte mit Ordnungsverfügung vom 9. Mai 2006 die Fahrerlaubnis. Im Rahmen des sich anschließenden Widerspruchsverfahrens legte der Kläger dem Beklagten ein neurologisches Gutachten des Dr. H.       aus W1.     – Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie – vom 29. August 2006 vor, woraufhin der Beklagte seine Ordnungsverfügung vom 9. Mai 2006 wieder aufhob. Dr. H. diagnostizierte beim Kläger eine paranoide oder schizoide Persönlichkeitsstörung, wobei eine genauere Zuordnung nicht getroffen werden könne. Eine Psychose oder eine Neigung zu einer Psychose könnten nicht festgestellt werden. Die Persönlichkeitsstörung sei auch nicht so ausgeprägt, dass sein Denken, Handeln und Tun in Bezug auf den Straßenverkehr deutlich eingeschränkt seien. Sein Verhalten sei für die betroffenen Frauen sehr lästig, gefährde aber nicht die Sicherheit des Straßenverkehrs.

In einer Strafanzeige vom 12. Mai 2006 wurde dem Kläger zur Last gelegt, den zuvor von ihm konsultierten Rechtsanwalt U.       aus I1.      wegen eines Streits über die Rückerstattung einer Vorauszahlung tätlich angegriffen zu haben; deswegen wurde der Kläger nachfolgend vom Amtsgericht Borken zu einer Geldstrafe verurteilt. Weitere Strafanzeigen in den Jahren 2008 und 2010 betrafen beleidigende Äußerungen des Klägers gegenüber der Kreispolizeibehörde auf eine Vorladung hin, weiter Beleidigungen gegen seinen vormaligen Rechtsanwalt sowie weitere bzw. neuerliche Nachstellungen zum Schaden Frau I.           , wobei zuletzt auch aggressives Vorgehen bzw. eine von Zorn geprägte Einstellung des Klägers hervorgetreten seien. Im Zuge der nachfolgenden Ermittlungen wurden auch Belästigungen und Nachstellungen zum Nachteil der in der Nachbarschaft des Klägers wohnenden Frau T. , einer Freundin von Frau I.      , bekannt. Die wegen dieser Strafanzeigen mit der Erstellung eines Schuldfähigkeits- und Verhandlungsfähigkeitsgutachtens beauftragte Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Forensische Psychiatrie Dr. T1.       aus S2.      gelangte unter dem Datum vom 8. Mai 2010 zu der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren, schizoiden und paranoiden Zügen, die den Grad einer schweren Persönlichkeitsstörung mit einer Durchdringung des gesamten Persönlichkeitsgefüges mit einer nahezu ausschließlich durch das Störungsbild geprägten Realitätswahrnehmung ohne kritische Distanzierung erreiche; im Ergebnis sei daher von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB auszugehen.

Nach der Einstellung der seinerzeit gegen den Kläger geführten Strafverfahren wegen der bei ihm festgestellten Schuldunfähigkeit forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 19. April 2012 auf, zum Nachweis seiner Kraftfahreignung das Gutachten eines Amtsarztes vorzulegen. Im Gutachten des Dr. U1.      – Untere Gesundheitsbehörde des Kreises D.         – vom 18. Juni 2012 heißt es, aus den umfangreichen Akten werde eine Neigung zu entgrenzten und entsteuerten Verhaltensweisen erkennbar. Aktuell habe der Kläger sehr vage, ausweichend und zensierend vorgetragen. Es sei dabei nicht gelungen, die Motive und inneren Einstellungen des Klägers zu den problematischen Verhaltensweisen nachzuvollziehen und einen tieferen Zugang zu seiner Erlebniswelt zu erlangen. Das beobachtete Verhalten lasse sich mit der vorbeschriebenen Persönlichkeitsstörung vereinbaren, wohingegen zu möglicherweise realitätsverzerrten Wahrnehmungen keine Aussage getroffen werden könne. Aufgrund der nur spärlichen Angaben des Klägers zu den anlassgebenden Geschehnissen und inneren Einstellungen könne nicht mit dem nötigen Maß an Sicherheit zu dessen aktueller Fahrtauglichkeit Stellung genommen werden. Ebenso wenig habe geklärt werden können, ob er in der Lage sei, Defizite in der Impulssteuerung auszugleichen. Zusammenfassend hätten die Zweifel der Fahrerlaubnisbehörde an der Fahreignung des Klägers nicht ausgeräumt werden können. Mit Schreiben vom 18. Juli 2012 forderte der Beklagte den Kläger nunmehr zur Vorlage eines Gutachtens eines Arztes in einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf, woraufhin der Kläger ein am 2. Oktober 2012 an ihn übersandtes Gutachten der ABV – Gesellschaft für Angewandte Betriebspsychologie und Verkehrssicherheit – in F.     beibrachte. Darin ist dargestellt, dass es so gut wie gar nicht möglich gewesen sei, einen näheren Zugang zum Kläger aufzubauen, weshalb die Frage nach inhaltlichen Denkstörungen und Halluzinationen nicht beantwortet werden könne; derartige Störungen könnten mithin nicht ausgeschlossen werden, so dass der Kläger derzeit fahruntauglich sei.

Mit Ordnungsverfügung vom 30. Oktober 2012 entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis und bezog sich dabei im Wesentlichen auf die für ihn negative Begutachtung durch die ABV-GmbH. Das Gutachten sei ausführlich, widerspruchsfrei und nachvollziehbar, so dass keine Bedenken bestünden, es zur Entscheidungsfindung heranzuziehen.

Am 21. November 2012 hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen: Das Gutachten der ABV-GmbH sei nicht von einem Facharzt für Psychiatrie erstellt worden und orientiere sich nicht an den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung. Auch den vorangegangenen Begutachtungen durch Dr. H. , Frau Dr. T1.        und Dr. U1.       könne zusammenfassend nicht entnommen werden, dass er fahrungeeignet sei. Die Diagnose einer paranoiden oder schizoiden Persönlichkeitsstörung sei in den Begutachtungsleitlinien nicht aufgeführt und könne daher nicht zur Annahme der Fahrungeeignetheit führen. Die Leitlinien erfassten darüber hinaus Straftaten nur dann als möglicherweise eignungsausschließend, sofern diese in direktem Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges stünden; solche Taten würden ihm nicht zur Last gelegt. Im Übrigen sei er entsprechend der Empfehlung in dem Gutachten bereit, sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen, finde aber keinen dazu bereiten Therapeuten. Er wünsche eine erneute psychiatrische Begutachtung, und zwar durch Dr. H.        aus W1.     , was der Beklagte indessen ablehne. Darüber hinaus legte der Kläger ein Gutachten des TÜV Nord GmbH – amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung, C. – vom 5. Dezember 2012 vor, nach dem bei den dort angewandten psycho-physischen Testverfahren trotz erkennbar gewordener deutlicher Beeinträchtigungen insgesamt noch die besonderen Anforderungen für Inhaber oder Bewerber unter anderem der Fahrerlaubnisklasse D erfüllt worden seien.

Der Kläger hat beantragt, die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 30. Oktober 2012 aufzuheben.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage entsprechend dem Antrag des Beklagten abgewiesen.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers die Berufung zugelassen, in deren Rahmen der Kläger noch vorträgt: Das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass die von ihm herangezogenen Begutachtungsleitlinien als Voraussetzung für mangelnde Fahreignung das Krankheitsbild einer schizophrenen Psychose aufführten, die indessen bei ihm nie diagnostiziert worden sei. Die unter anderem von der ABV-GmbH angenommene „paranoide oder schizoide Persönlichkeitsstörung“ sei hiervon klar zu unterscheiden. Auch aus dem Gutachten von Frau Dr. T1.        gehe keine Aussage über seine Fahreignung hervor. Sofern seine Neigung zum sog. Stalking gutachterlich als ein „wahnhaftes Verhalten“ bezeichnet worden sei, sei hiermit noch nicht die Diagnose einer – akuten – Psychose gestellt. Vor allem sei missachtet worden, dass die anlassgebenden Taten tragfähige Rückschlüsse darauf zulassen müssten, dass der Betroffene die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Interessen unterordne; an derartigen Feststellungen fehle es in seinem Fall jedoch. Auch sei nicht jede zutage getretene Aggressionsbereitschaft ein tragfähiger Hinweis auf einen Fahreignungsmangel; diese müsse vielmehr in einem solchen Maße vorliegen, dass mit impulsivem und daher risikoerhöhendem Verhalten in zugespitzten Verkehrssituationen gerechnet werden müsse, was von den Feststellungen des Beklagten bzw. des Verwaltungsgerichts nicht gedeckt sei. Es stoße auf Bedenken, wenn gutachterliche Äußerungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit unbesehen auf die Fahreignung übertragen würden. Dem Verwaltungsgericht fehle die Sachkunde, um über die eindeutigen Feststellungen des speziell zur Frage der Fahreignung Stellung nehmenden Dr. H.

hinweggehen zu können; die Vermengung der Diagnosen einer schizophrenen Psychose und einer schizoiden Persönlichkeitsstörung lasse vielmehr an jeglicher Sachkunde zweifeln. Auch wenn er, der Kläger, bei den neueren Begutachtungen durch den Amtsarzt Dr. U1.       und durch die ABV-GmbH nicht hinreichend mitgewirkt haben sollte, gehe aus diesen Gutachten keine Psychose hervor. Daher sei es Aufgabe des Verwaltungsgerichts gewesen, im Rahmen der Amtsermittlung eine Begutachtung vornehmen zu lassen, statt sich selbst zu Unrecht eine Sachkunde zuzuschreiben. Diese Begutachtung werde ergeben, dass sich seine, des Klägers, seelische Erkrankung nicht auf seine Fähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen auswirke.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen,

und trägt ergänzend zum Bisherigen vor: Die in dem Gutachten der ABV-GmbH aus F.      gezogene Schlussfolgerung, auf die sich das Verwaltungsgericht in seinem klageabweisenden Urteil im Wesentlichen gestützt habe, sei eindeutig und nicht zu beanstanden. Bei dem Kläger liege jedenfalls eine schwere paranoide bzw. schizoide Persönlichkeitsstörung vor, die gemäß Nr. 7.6 der Anlage 4 zur FeV und gemäß Nr. 3.10.5 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung zur Verneinung der Fahreignung führe. Gleiches folge aus der Feststellung einer schweren seelischen Abartigkeit, ohne dass weitere konkrete Gefahrenmomente vorliegen müssten. Mit Blick auf das vom Senat eingeholte Sachverständigengutachten von Frau Dr. L.        L1.     , Fachpsychologin für Rechtspsychologie, Psychologische Psychotherapeutin und Diplom-Psychologin, vom 18. Juli 2014 führt der Beklagte noch aus, das Gutachten von Dr. L1. komme zu dem Ergebnis einer schweren Persönlichkeitsstörung, die den Kläger stark in seiner Lebensführung beeinträchtige. Trotz der Schwere dieser Erkrankung halte sie den Kläger aber für geeignet, ein Kraftfahrzeug zu führen; dies könne vor dem Hintergrund der bisher beigezogenen Gutachten amtlich anerkannter Begutachtungsstellen nicht nachvollzogen werden. Es würden zu wenige Ausführungen dazu gemacht, inwieweit die Erkrankung des Klägers Auswirkungen auf seine Teilnahme am Straßenverkehr haben könne. Den Fragen einer medikamentösen Einstellung oder regelmäßigen ärztlichen Kontrollen des Klägers sei nicht nachgegangen worden. Es fehle auch die Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger nach entsprechender Begutachtung für strafrechtlich schuldunfähig erklärt worden sei, sowie die Rückbindung an die Beurteilungskriterien – Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung -. Daher werde weiterhin von der Richtigkeit der für den Kläger negativen Fahreignungsbeurteilung der ABV-GmbH ausgegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakte dieses Verfahrens sowie des vorlaufenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens, auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie das Gutachten von Dr. L1. vom 18. Juli 2014, das die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung näher erläutert hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Seine Klage gegen die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 30. Oktober 2012 hat Erfolg. Die Ordnungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 und 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Daneben kann sich ein Eignungsmangel nach dieser Bestimmung auch daraus ergeben, dass der Betroffene erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Vorliegend ergibt sich weder aus gesundheitlichen (dazu unter I.) noch aus charakterlichen Gründen (II.) eine Fahrungeeignetheit des Klägers.

I. Der Kläger ist nicht aus gesundheitlichen Gründen fahrungeeignet. Das wäre zum einen dann der Fall, wenn bei ihm einer der in der Anlage 4 zur FeV genannten Fälle vorläge und nach Maßgabe gutachterlicher Beurteilung kein Ausnahmefall nach Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV anzuerkennen wäre (im Folgenden zu 1.), zum anderen dann, wenn eine nicht von der Anlage 4 zur FeV erfasste Abweichung vom gesundheitlichen Normalfall gegeben wäre, die sich im Einzelfall wegen ihrer Art und wegen ihrer Auswirkungen auf die Bewältigung der Anforderungen, die der motorisierte Straßenverkehr mit sich bringt, in einem Maße auswirken kann, dass gleichfalls nicht mehr von einer (unbedingten) Fahreignung auszugehen wäre (2.). So verhält es sich beim Kläger indessen nicht.

1. Eines der in der Anlage 4 zur FeV enthaltenen Krankheits- oder Beschwerdebilder ist beim Kläger nicht anzutreffen. Insbesondere kann nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. L1.      in dem fachpsychologischen Gutachten sowie dieses noch näher erläuternd in der mündlichen Verhandlung nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger an einer psychischen (geistigen) Störung i. S. v. Nr. 7 der Anlage 4 leidet. Eine organische Psychose (Nr. 7.1 der Anlage 4 zur FeV) wäre dann gegeben, wenn der Kläger psychotische Symptome aufwiese, die auf eine organische Ursache zurückzuführen sind, wie etwa ein Hirntrauma, eine Demenz oder Substanzmissbrauch.

Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 263. Aufl. 2012, unter „Psychose“ (S. 1723 f.).

Für das Vorliegen eines solchen organischen Grundleidens ergibt sich aus den Akten nichts. Insbesondere hat der Kläger wiederholt anamnestisch angegeben, Alkohol nur zurückhaltend und sonstige Drogen gar nicht zu konsumieren. Hinweise darauf, dass es sich anders verhalten könnte, sind nicht zutage getreten. Bei keiner der dem Kläger zur Last gelegten Taten, etwa den diversen Nachstellungen zu Lasten junger Frauen, hat sich ein Zusammenhang mit Trunkenheit oder Drogeneinfluss ergeben; auch im Übrigen enthalten die Verwaltungsvorgänge keinen Anhaltspunkt für eine Missbrauchsproblematik.

Hinsichtlich der ansonsten unter Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV beschriebenen Formen von Psychosen, nämlich der affektiven (Nr. 7.5) und der schizophrenen (Nr. 7.6), müssten ungeachtet der genauen Unterscheidung in jedem Falle psychotische Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen – kurz: ein fehlender bzw. erheblich eingeschränkter Realitätsbezug – vorliegen. Das ergibt sich mit hinlänglicher Klarheit insbesondere aus den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115), auf denen ihrerseits die Regelungen der Anlage 4 zur FeV beruhen. Dort ist zu Nr. 3.12.5 (schizophrene Psychosen) ausgeführt, dass unter Schizophrenien eine Gruppe von Psychosen mit unterschiedlichem Schweregrad, verschiedenartigen Syndromen und uneinheitlichen Verläufen zusammengefasst werde. Gemeinsam sei den Schizophrenien, dass alle psychischen Funktionen beeinträchtigt sein könnten (nicht nur das Denken), dass die Ich-Funktion (die psychische Einheit) in besonderer Weise gestört (Desintegration) und die Realitätsbeziehungen beeinträchtigt sein können.

So in der Fassung vom 1. Mai 2014, veröff. auch in www.bast.de unter „häufig gesucht“.

Diesen Leitlinien liegt ein entsprechendes verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde, das den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf diesem Gebiet wiedergibt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 – 3 C 32.12-, BVerwGE 148, 230 = NJW 2014, 1318 = NZV 2014, 379 = Blutalkohol 51 (2014), 30 = juris, Rn. 19; s. auch Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Aufl. 2005, Kommentar, zu Kapitel 2.4, S. 35.

Die für den Kläger negative Begutachtung durch die ABV-GmbH F. vom 11. September/2. Oktober 2012 beruhte maßgeblich darauf, dass aufgrund der dort von ihm gezeigten Verschlossenheit die Frage inhaltlicher Denkstörungen und Halluzinationen nicht habe geklärt werden können. In dieselbe Richtung weist auch der Vorbefund des Amtsarztes Dr. U1.       vom 18. Juni 2012, wo es unter anderem heißt, es sei nicht gelungen, die Motive und inneren Einstellungen des Klägers zu den problematischen Verhaltensweisen nachzuvollziehen und einen tieferen Zugang zu seiner Erlebniswelt zu erlangen, so dass zu möglicherweise realitätsverzerrten Wahrnehmungen keine Aussage getroffen werden könne. Demgegenüber zeichnet sich das vom Senat eingeholte Gutachten von Dr. L1. dadurch aus, dass es der Gutachterin im Verlauf zweier Befragungstermine zunehmend besser gelungen ist, eine nähere Beziehung mit wachsendem Vertrauen aufzubauen. Das Gesprächsverhalten des Klägers sei zwar insbesondere anfänglich passiv gewesen, das heißt er habe fast nichts von sich aus geäußert, aber es sei ihm vor allem am zweiten Explorationstag etwas leichter gefallen, von sich aus etwas zu erzählen. Die Gutachterin kommt zu der Einschätzung einer Persönlichkeitsstörung des Klägers, die aber nicht mit einer Psychose gleichzusetzen sei. Der Kläger habe weder irgendwann in seinem Leben noch zum Untersuchungszeitpunkt unter eindeutigen psychotischen Symptomen „wie Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug, Gedankenausbreitung oder Halluzinationen“ gelitten. Auffällig in dieser Hinsicht sei allenfalls die – allerdings isoliert dastehende – Missdeutung eines Facebook- Links einer der vom Kläger belästigten Frauen gewesen, den der Kläger auf sich bezogen habe. Im Übrigen sei der Gedankengang des Klägers unauffällig gewesen. Es hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er jemals in seinem Leben unter formalen Denkstörungen wie Gedankenabreißen, Zerfahrenheit, Danebenreden, Neologismen oder anderem gelitten habe, die bei einer Schizophrenie auftreten könnten. Sein reduziertes Mitteilungsbedürfnis bestehe seit seiner Kindheit und sei nicht Ausdruck einer Sprachverarmung oder einer Apathie, wie sie im Rahmen einer schizophrenen Negativsymptomatik vorkommen könne. Auch seine affektiven Auffälligkeiten seien Ausdruck seiner Persönlichkeitsproblematik und nicht einer gestörten Affektivität im Sinne einer Hebephrenie (im jugendlichen Alter auftretende Schizophrenie). Zudem finde sich beim Kläger kein Hinweis auf eine wahnhafte Störung, zum Beispiel im Sinne eines Liebes-, Verfolgungs- oder Größenwahns. Auch gewisse Schwankungen im Verhalten des Klägers und aufgetretene psychische Dekompensationen wie etwa die Morddrohungen gegen Frau X.        im Jahr 1998 seien durchaus mit dem Verlauf von Persönlichkeitsstörungen in Einklang zu bringen; es finde sich insbesondere kein eindeutiger Leistungsknick in seiner Lebensgeschichte, wie dies bei einer schizophrenen Psychose häufig festzustellen sei. Auch seien Wahnvorstellungen klar von den realitätsfernen Ansichten des Klägers etwa über das Unrecht und den Schuldgehalt seiner Taten, wie dem von ihm praktizierten Stalking, abzugrenzen. Dem Kläger fehle es zwar erkennbar an dem Vermögen, sich in seine Opfer hineinzuversetzen oder das Unrecht seines Tuns einzusehen; vielmehr verdrehe er im Nachhinein die Dinge in einer Art und Weise, die dazu führe, dass er sich für unschuldig halte. Damit sei aber die Grenze zum Wahn noch nicht überschritten. Dies wäre erst dann der Fall, wenn er – etwa – objektiv belanglose Verhaltensweisen der betreffenden Frauen wie das Tragen eines bestimmten Kleidungsstückes als Aufforderung zu seinem Stalkingverhalten auffassen würde, so dass nach seiner Vorstellung im Ergebnis diese selbst daran die Schuld trügen; für ein solches Erleben des Klägers hätten sich aber keine Anhaltspunkte ergeben.

Diese Darlegungen der Gutachterin sind überzeugend, wobei insbesondere hervorzuheben ist, dass der Kläger im Zuge dieser Begutachtung erstmals dazu gebracht werden konnte, näher über seine Verhaltensweisen und die dahinterstehenden Einstellungen zu berichten. Wenngleich bei der Lektüre der sinngemäß wiedergegebenen Äußerungen dessen Neigung zu abschwächenden und gleichsam beschwichtigenden Formulierungen („ging eigentlich“, „[ja,] aber weniger“, „das ist bei uns zuhause nicht so“, „ich bin ein bisschen durcheinander gewesen“ oder „nee, eigentlich nicht“) auffällt, konnten doch über mehrere Textseiten hinweg Aussagen des Klägers über Kindheit und Jugend, über das Verhältnis zu Eltern, Geschwistern und Schulkameraden, über seine Freizeitgestaltung und sogar über seine Einstellung zu seinen Taten und den Opfern sowie zur Sexualität wiedergegeben werden. Im Ganzen kann daher die gutachterliche Schlussfolgerung, trotz der Neigung des Klägers zur Schuldverdrängung und zum angepassten Verdrehen von Tatsachen könne ein wahnhaftes Erleben im Sinne einer psychotischen Erkrankung ausgeschlossen werden, nachvollzogen werden. Hinzu kommt, dass die Vorbegutachtung nicht explizit zu gegenteiligen Feststellungen gelangt waren. Vielmehr war insbesondere der ABV-GmbH eine Aussage über eines Psychose des Klägers gar nicht möglich, weil sich schon kein hinlänglicher Gesprächskontakt zu ihm aufbauen ließ. Schließlich erzeugen auch die Ausführungen der Gutachterin Dr. T1.       , zuletzt in deren ergänzender Stellungnahme an das Amtsgericht Borken vom 28. Mai 2011, kein grundlegend abweichendes Bild. Trotz einer von ihr festgestellten „verzerrten Realitätswahrnehmung ohne jede Möglichkeit einer kritischen Hinterfragung“, einer „bizarren Realitätswahrnehmung bis zu Realitätsverlust“ bzw. einer „von Herrn  selbst erlebten paranoid- anmutenden Beeinträchtigung“ u. s. w. bleibt auch Dr. T1. abschließend bei der Diagnose einer schweren Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren, schizoiden und paranoiden Zügen und geht – wie Dr. L1.      – nicht von einer – im Zusammenhang mit Nr. 7 der Anlage 4 allein maßgeblichen – Psychose des Klägers aus.

Dass die Verneinung psychotischen Erlebens in dem Gutachten von Dr. L1. wesentlich auf entsprechenden Einlassungen des Klägers bei der Exploration beruht, steht der Überzeugungskraft dieser Einschätzung nicht entgegen. Denn wenngleich es – so die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – nicht grundsätzlich ausgeschlossen sei, dass ein – etwa – an Schizophrenie leidender Mensch seine Umwelt über das Vorhandensein von Wahnideen täuschen könne, spreche im Fall des Klägers doch zweierlei für die Glaubhaftigkeit seiner Bekundung, irgendwelche Wahnvorstellungen seien bei ihm nicht gegeben. Zum einen habe der Kläger während der insgesamt rund vierstündigen Untersuchung durchaus auch kritische Punkte zu seiner Person angesprochen. Zum anderen falle es an Wahnvorstellungen leidenden Patienten erfahrungsgemäß schwer, auf Nachfrage diese Wahnvorstellungen auszublenden; denn solche Patienten seien unkorrigierbar von der Richtigkeit ihrer Wahrnehmung überzeugt, so dass sich die Wahnvorstellungen immer wieder Bahn brächen.

Etwas anderes folgt auch nicht aus einzelnen Vorkommnissen, die jedenfalls bei laienhafter Betrachtung wahnhaften Charakter haben könnten. Soweit der Kläger in einem Schreiben an die Fahrerlaubnisbehörde des Beklagten vom 9. November 2012 in schwer nachvollziehbarer Weise Ausführungen über Gott und die Engel machte, stellt sich dies offenkundig lediglich als ein ungeschickt formulierter bildhafter Vergleich bzw. als missglückte Verwendung des Stilmittels der Ironie dar, gibt aber keinen tragfähigen Hinweis auf einen Realitätsverlust des Klägers. Wie sich aus den Erläuterungen des Klägers bei der Begutachtung durch Dr. L1.      nachvollziehbar ergibt, ging es ihm bei der Erwähnung von Engeln darum darzutun, dass er in der Vergangenheit in einer zugespitzten Verkehrssituation durch eine gute Reaktion – und gerade nicht durch das Eingreifen von Engeln – einen schweren Unfall habe vermeiden können. Schließlich ergibt sich auch nichts Abweichendes aus einer möglichen Überinterpretation eines Facebook-Links; abgesehen davon, dass der genaue Inhalt dieses Links – und damit auch die Realitätsferne des Beziehens des Links auf die eigene Person des Klägers – nicht bekannt sind, hält sich dieses Geschehen allem Anschein nach im Rahmen einer allenfalls überzogenen Interpretation durch den Kläger, ohne eindeutig auf wahnhaftes Erleben hinzudeuten. Soweit der Kläger schließlich sowohl in dem Schreiben vom 9. November 2012 als auch mündlich gegenüber der Gutachterin Dr. L1. vom Einschlagen eines Blitzes neben ihm berichtete, als er auf der Autobahn unterwegs gewesen sei, kann schließlich nicht ausgeschlossen werden, dass dies wirklich geschehen ist, wobei der Kläger bei der Begutachtung hinzufügte, auch andere Verkehrsteilnehmer hätten dies wahrgenommen und er habe diesen Blitzeinschlag nicht als Botschaft oder ähnliches gedeutet.

Auch die sonstigen in Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV genannten Krankheitsbilder liegen beim Kläger nicht vor. Ein „chronisches organisches Hirnsyndrom“ i. S. v. Nr. 7.2 setzt – ähnlich wie die „organische Psychose“ nach Nr. 7.1 – eine organische Ursache, also etwa eine vorangegangene Hirnverletzung, voraus, für die es beim Kläger keinen Anhaltspunkt gibt. Desgleichen können beim Kläger eine schwere Altersdemenz bzw. schwere Persönlichkeitsveränderungen durch pathologische Alterungsprozesse (Nr. 7.3) und schwere Intelligenzstörungen bzw. eine geistige Behinderung (Nr. 7.4) ausgeschlossen werden.

2. Die Aufstellung in der Anlage 4 zur FeV betrifft Erkrankungen und Mängel, die typischerweise die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können; demgegenüber sind nicht aufgenommen solche Erkrankungen, die seltener vorkommen oder nur kurzzeitig andauern (Vorbemerkung 1 zur Anlage 4). Ist mithin nicht von einem abschließenden Kanon fahreignungsrelevanter Erkrankungen und Mängel auszugehen, verbietet sich auch die Annahme, andere als die aufgelisteten Krankheitsbilder seien von vornherein nicht für die Feststellung der individuellen Fahreignung bedeutsam. Während aber die Erkrankungen und Mängel nach der Anlage 4 gleichsam die Vermutung der Fahreignungsrelevanz in sich tragen, ist bei sonstigen Erkrankungen neben der Frage des Vorliegens bzw. des Ausprägungsgrades auch zu fragen, ob ein hinreichend enger Zusammenhang mit den spezifischen Anforderungen der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr gegeben ist. Das bedeutet mit Blick auf die beim Kläger übereinstimmend diagnostizierte (schwere) Persönlichkeitsstörung, die weder in der Anlage 4 zur FeV noch in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung genannt wird, dass die Diagnose als solche nicht zum Ausschluss oder zur Einschränkung der Fahreignung führt; das ist vielmehr nur dann der Fall, wenn sich im Einzelfall feststellen lässt, dass das Krankheitsbild geeignet ist, sich im Straßenverkehr gefahrerhöhend auszuwirken, und dass das Ausmaß der Erkrankung im konkreten Einzelfall mit einer solchen Annahme vereinbar ist. Hieran fehlt es im Fall des Klägers.

Die Begutachtung des Klägers durch die ABV-GmbH in F.     , auf deren Ergebnis sich die angefochtene Ordnungsverfügung des Beklagten sowie das angefochtene Urteil maßgeblich stützen, stellt den erforderlichen Zusammenhang zwischen der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung des Klägers und seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gerade nicht her. Das genannte Gutachten führt in seiner abschließenden Bewertung zwar das Krankheitsbild der Persönlichkeitsstörung auf und schlussfolgert daraus die Fahrungeeignetheit des Klägers. Es versäumt aber darzulegen, inwieweit diese weder in der Anlage 4 zur FeV noch in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung genannte Erkrankung auf die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen durchschlägt. Es fehlt an jeglicher Darlegung, inwieweit nicht nur das Krankheitsbild der (gegebenenfalls schweren) Persönlichkeitsstörung, sondern insbesondere die Art und Schwere der Persönlichkeitsstörung des Klägers sein Verhalten im Straßenverkehr beeinflussen kann. Hierzu hätte insbesondere vor dem Hintergrund Anlass bestanden, dass der Kläger bislang nicht nachteilig im Straßenverkehr aufgefallen ist.

Die vom Senat bestellte Gutachterin Dr. L1.      hat demgegenüber ausgeführt, die beim Kläger zu diagnostizierende Persönlichkeitsstörung bzw. die damit einhergehende fehlende adäquate Realitätswahrnehmung habe keine Auswirkung auf den Straßenverkehr. Denn es lasse sich trotz dieser mit einer Realitätsverzerrung einhergehenden Persönlichkeitsstörung des Klägers nicht feststellen, dass dieser gleichsam in einer anderen Realität lebe. Eine solche umfassende Störung müsste sich jedenfalls in den akuten Phasen bzw. bei fehlender Behandlung auch in anderen Bereichen auswirken und deshalb beispielsweise eine Berufstätigkeit ausschließen. Nach Einschätzung von Dr. L1.      ist auch – trotz einer nicht zu vermeidenden Unsicherheit derartiger Prognosen – kein verkehrsgefährdendes Verhalten des Klägers mit einer hinlänglichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten, wenn es im Straßenverkehr zu einer Begegnung mit einem aktuellen Stalkingopfer käme. Außerdem weist die Gutachterin darauf hin, dass es insgesamt über die beträchtliche Zeitspanne des auffälligen Verhaltens des Klägers gegenüber Frauen keine Verschlimmerungstendenz gebe. Es müsse zwar – dies hat er bei der Untersuchung durch Dr. L1.      sogar ausdrücklich eingeräumt – auch weiterhin mit inadäquaten Versuchen der Kontaktaufnahme des Klägers zu Frauen gerechnet werden; es sei aber immerhin seit Juni 2010 nicht mehr vorgekommen, dass der Kläger Frauen mit dem Auto hinterhergefahren sei, wenn er diese als Fußgängerinnen im Ortsbereich angetroffen habe. Entsprechend gelangt das Gutachten von Dr. L1.      zu dem Ergebnis, dass die diagnostisch festgestellte kombinierte Persönlichkeitsstörung mit schizoiden, selbstunsicheren und paranoiden Persönlichkeitszügen (ICD-10: F61.0) nicht mit realitätsverzerrenden Wahrnehmungen einhergeht, die die Fahrtauglichkeit des Klägers beeinträchtigen könnten. Gleiches geht im Übrigen schon aus der Begutachtung von Dr. H.        aus dem Jahr 2006 hervor. Dieser war zu der Einschätzung gelangt, die Persönlichkeitsstörung des Klägers sei nicht so ausgeprägt, dass sein Denken und Handeln in Bezug auf den Straßenverkehr deutlich eingeschränkt seien; es könne keine Gefährdung für den Straßenverkehr erkannt werden. Menschen wie der Kläger seien häufig schwierig im Umgang mit anderen Menschen, stellten jedoch für den Straßenverkehr keinerlei Gefährdung dar. Sein Verhalten sei für die betroffenen Frauen sicherlich sehr lästig, aber nicht mit Gefahren für den Straßenverkehr verbunden.

Gegen die Berücksichtigung der durch Dr. L1.      vermittelten Erkenntnisse kann entgegen der Meinung des Beklagten nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass die Gutachterin nicht die besondere Qualifikation für Verkehrsmedizin besitzt. Für den Senat war bei der Gutachterauswahl ausschlaggebend, eine genaue Abgrenzung zwischen einer im Regelfall zur Fahrungeeignetheit führenden Psychose und einer im Vergleich dazu weniger schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung treffen zu können, wobei nach dem Scheitern mehrerer vorangegangener Versuche, eine zweifelsfreie Diagnose zu stellen, auch spezielle forensische Erfahrungen von Bedeutung waren. Abgesehen davon steht im vorliegenden Verfahren nicht im Vordergrund, ob der Kläger technisch- motorisch die Anforderungen an Kraftfahrer erfüllt, sondern inwieweit seine – erst noch im Einzelnen zu klassifizierende – psychische Erkrankung über den bislang betroffenen Bezugsrahmen hinaus auch auf andere Lebensbereiche – wie eben die Teilnahme am Straßenverkehr – ausstrahlen kann. Insoweit vermag der Senat nicht zu erkennen, inwieweit spezielle verkehrsmedizinische Erkenntnisse zu weitergehenden oder anderen Feststellungen hätten führen können.

Auch in der Sache hält der Senat das Gutachten von Dr. L1.      für zutreffend. Gegen einen Bezug der Persönlichkeitsstörung des Klägers zu seinem Verhalten im Straßenverkehr spricht insbesondere, dass ein solcher bislang nie in der Weise erkennbar geworden ist, dass es zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr gekommen ist. In dieselbe Richtung weist, dass dem Kläger trotz der fast 20 Jahre währenden Stalkingproblematik bisher im Straßenverkehr kein impulsdurchbrechendes Verhalten am Steuer vorgeworfen worden ist. Allem Anschein nach manifestiert sich das normabweichende Verhalten des Klägers bzw. die Diskrepanz zwischen gesellschaftlich adäquaten Verhaltensmaßstäben und den Antrieben, denen der Kläger unterliegt, auf bestimmte Bereiche seines öffentlichen Auftretens, insbesondere auf sein Verhalten gegenüber Frauen, die – in positiver oder auch negativer Weise – Interesse bei ihm hervorgerufen haben. Demgegenüber gelingt es ihm offenkundig, in hiervon nicht berührten Lebensbereichen, etwa bei seiner Berufstätigkeit, bei der Pflege seiner Hobbies oder im unmittelbaren familiären Umfeld, ein unauffälliges Verhalten an den Tag zu legen. Der Senat weist in diesem Zusammenhang aber ausdrücklich darauf hin, dass sich diese Einschätzung der Fahreignung des Klägers unter gesundheitlichem Blickwinkel trotz der zeitlichen Ausdehnung des in den Blick genommenen klägerischen Verhaltens als eine Momentaufnahme darstellt, die im Falle weiterer auf zunehmenden Realitätsverlust oder nachlassender Selbstkontrolle des Klägers hindeutender Geschehnisse künftig anders ausfallen kann. Dem Kläger ist daher trotz der im Ergebnis derzeit (noch) zu bejahenden Fahreignung zu raten, wegen der eindeutig diagnostizierten Persönlichkeitsstörung ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich dabei ähnlich konstruktiv zu verhalten, wie es ihm offensichtlich gegenüber der vom Senat beauftragten Gutachterin gelungen ist.

II. Auch aus charakterlichen, also die aktenkundigen Straftaten bzw. Strafverfahren des Klägers einbeziehenden Gründen ergibt sich eine Fahrungeeignetheit des Klägers nicht. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 und Nr. 7 FeV ist bei einer erheblichen Straftat bzw. bei (mehreren, aber nicht notwendig erheblichen) Straftaten, die jeweils im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen, die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) anzuordnen. Aus § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG geht überdies hervor, dass geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen (nur derjenige) ist, der die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Die letztgenannte Bestimmung verdeutlicht, dass Straftaten mit Bezug zum Straßenverkehr nicht nur Anlass zu näherer Klärung der Fahreignung geben, sondern dass ein festgestellter Charaktermangel, der sich in der Vergangenheit in der Begehung hinreichend aussagefähiger Straftaten manifestiert hat, nach Maßgabe gutachterlicher Feststellungen auch zum Ausschluss der Fahreignung führen kann. Unter Ziffer 3.16 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung wird schließlich ausgeführt, dass, wer Straftaten begangen hat, nach § 2 Abs. 4 StVG ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wenn die Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen oder wenn sie auf ein hohes Aggressionspotenzial schließen lassen, sei es auf einer Neigung zu planvoller, bedenkenloser Durchsetzung eigener Anliegen ohne Rücksicht auf berechtigte Interessen anderer oder einer Bereitschaft zu ausgeprägt impulsivem Verhalten (z. B. bei Raub, schwerer oder gefährlichen Körperverletzung, Vergewaltigung) und dabei Verhaltensmuster deutlich werden, die sich so negativ auf das Führen von Kraftfahrzeugen auswirken können, dass die Verkehrssicherheit gefährdet wird. Nach diesen Vorgaben ist hier von einem die Fahreignung ausschließenden Charaktermangel des Klägers (noch) nicht auszugehen.

Eine Begutachtungsaufforderung, die auch den Bereich der charakterlichen Fahreignung umfasst, ist nicht ergangen. Die Beibringungsanordnung des Beklagten vom 18. Juli 2012 beschränkt sich vielmehr auf die gesundheitliche Eignung des Klägers. Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG i. V. m. § 11 Abs. 7 FeV ohne dahingehende Begutachtung von einem Eignungsmangel ausgegangen werden kann, liegen nicht vor. Es fehlt schon an einem hinreichenden Bezug der Straftaten, deren der Kläger in der Vergangenheit bezichtigt worden ist, zum Straßenverkehr. Keine der genannten Taten – im Wesentlichen die zum Teil als Körperverletzung gewerteten Nachstellungen sowie Beleidigungen und falsche Verdächtigungen – ist im Straßenverkehr bzw. bei der Nutzung eines Kraftfahrzeuges begangen worden. Soweit dem Kläger – wohl im Jahr 2005 – Sachbeschädigungen am Fahrzeug einer der von ihm belästigten Frauen vorgeworfen worden sind, ist es offensichtlich nicht zu einer eindeutigen Schuldfeststellung gekommen; außerdem spricht nichts dafür, dass der Kläger insoweit eine Gefährdung der Geschädigten bei der nachfolgenden Fahrzeugbenutzung in seinen Vorsatz aufgenommen haben könnte. Es fehlt auch an aktenkundigen Handlungsweisen des Klägers, die eindeutig – ohne eine dahingehende Begutachtung – eine gesteigerte Aggressivität aufzeigen, die sich ebenso gut auch beim Führen eines Kraftfahrzeuges zeigen könnte. Insoweit kann allenfalls an die Morddrohungen gegen Frau X.        im Jahr 1998, an die Körperverletzung in Form von Schlägen gegen einen zuvor von ihm kontaktierten Rechtsanwalt im Mai 2006 sowie an das Zulaufen auf das Fahrzeug der von seinen Nachstellungen betroffenen Frau I. mit einem Stein in der Hand und mit einem als hochgradig wutverzerrt wahrgenommenen Gesichtsausdruck im Juni 2010 gedacht werden. Diese Vorfälle belegen, dass der Kläger sich weder auf lästiges, aber im Ganzen ungefährliches Stalkingverhalten noch auf Beleidigungen oder das Erheben substanzloser Strafanzeigen beschränkt, sondern in Einzelfällen auch aggressives Verhalten an den Tag gelegt hat. Gleichwohl wird ein hinreichend enger Bezug zu seinem Verhalten als Kraftfahrzeugführer nicht erkennbar; dies anders zu sehen müsste dazu führen, dass schon relativ substanzlose Bedrohungen und einfache Körperverletzungen ohne Verkehrsbezug die Annahme eines fahreignungsausschließenden Charaktermangels trügen. Die Drohungen im Jahr 1998 sind abgesehen von der seither verstrichenen Zeit als bloße Verbalaggression zu betrachten, die seinerzeit zu Recht als Alarmsignal bewertet worden sind, im Nachhinein aber nicht zu offen feindseligem Verhalten des Klägers geführt haben. Körperliche Übergriffe gegen Frauen sind nachfolgend nicht beobachtet oder angezeigt worden. Die Körperverletzung zum Schaden des Rechtsanwalts U.        resultierte aus einem Streit um die Kosten für dessen Tätigkeit und belegt einerseits, dass der Kläger über bloßes Androhen hinaus auch zu körperlichen Angriffen fähig ist. Andererseits handelte es sich um einen kurzfristig eskalierenden Konflikt, dessen dem Kläger anzulastende Zuspitzung noch nicht geeignet erscheint, von einer grundsätzlichen Gewaltneigung des Klägers oder einer Bereitschaft auszugehen, seine – hier: finanziellen – Interessen rücksichtslos durchzusetzen. Vielmehr stellt sich die Gewaltanwendung gegen Rechtsanwalt U.        als ein (vereinzelt gebliebenes) reaktives Verhalten aus Wut und Frustration wegen einer vermeintlichen Übervorteilung dar. Das in einer Anzeige vom Juni 2010 beschriebene Verhalten des Klägers, der mit einem Stein in der Hand auf das langsam fahrende Auto der Frau I.       zugelaufen und gegen die Fahrertür gesprungen sei, vermittelt zwar den Eindruck sinnloser Gewaltanwendung und irrationalen Zorns, hat aber zu keiner realen Gefährdung geführt, wobei insbesondere zu beachten ist, dass der Kläger den zuvor am Straßenrand aufgehobenen Stein offensichtlich in der Hand behalten und ihn nicht etwa gegen das Fahrzeug von Frau I. geworfen hat. Zusammenfassend lässt sich diesen über einen längeren Zeitraum verteilten Übergriffen eine gewisse Unbeherrschtheit und mangelnde Achtung vor der körperlichen Integrität anderer Personen entnehmen, ohne aber in ihrer Vereinzelung auf ein umfassend das klägerische Verhalten prägendes Gewaltpotenzial hinzuweisen, das ohne Weiteres auch auf die Neigung zu aggressionsbetontem Verhalten im Straßenverkehr schließen lässt. Dem steht insbesondere die Erkenntnis entgegen, dass dem Kläger bisher als Kraftfahrer kein Fehlverhalten anzulasten ist. Er hat, soweit ersichtlich, weder Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen, noch gibt es Hinweise auf ein unangepasstes Verhalten im Straßenverkehr, das sich etwa in einer größeren Anzahl einschlägiger Ordnungswidrigkeiten gezeigt hätte. Auch fehlt es an einem Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Kläger dem Mobilitätsinteresse eine überwertige Bedeutung beimisst und daher zu einer gefahrengeneigten und aggressiven Fahrweise neigt.

Schließlich führt auch der Umstand, dass dem Kläger auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. T1.        aus S2.       seinerzeit die strafrechtliche Schuldfähigkeit fehlte, nicht zwingend zu der Annahme eines Fahreignungsmangels. Wenngleich Erkrankungen oder Fehlhaltungen, die zur Anwendung des § 20 StGB führen, in aller Regel Zweifel begründen, ob der Betroffene in sonstigen Belangen wie beim Führen von Kraftfahrzeugen die gebotene Verlässlichkeit aufweist, lässt sich insoweit weder ein normativer noch ein rechtstatsächlicher Grund erkennen, der zwingend und schon aus sich heraus eine Gleichsetzung strafrechtlicher Schuldunfähigkeit mit Fahrungeeignetheit fordert. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ergeben sich nach nach Maßgabe jeweils eigenständiger Kriterien, die sich nicht notwendigerweise vollständig decken müssen. Insbesondere ist – wie vorliegend im Fall des Klägers – denkbar, dass im Hinblick auf bestimmte Sachverhalte ein Einsichts- oder Steuerungsdefizit vorliegt, diese Sachverhalte indessen keinen engen Bezug zu den Anforderungen beim Führen von Kraftfahrzeugen aufweisen. Die beim Kläger feststellbare krankheitswertige Unfähigkeit, etwa von seinem Stalkingverhalten oder auch von Schreiben beleidigenden Inhalts an diverse Einrichtungen und Stellen abzusehen, korrespondiert offenkundig nicht mit einer Unfähigkeit, die Normen und Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, die das Führen von Kraftfahrzeugen regeln.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

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