Skip to content
Menü

Fahrerlaubnisentziehung bei Beeinträchtigung des Realitätssinns

Fahrerlaubnisbehörde entzieht Führerschein nach auffälliger Fahrweise und Verwirrtheit

Die Frage der Fahrerlaubnisentziehung bei Verdacht auf Beeinträchtigung des Realitätssinns oder psychischer Störungen ist ein wesentlicher Aspekt des Verkehrsrechts. Hierbei steht die Sicherheit im Straßenverkehr im Mittelpunkt, insbesondere wenn Anzeichen wie Verwirrtheit oder auffälliges Fahrverhalten auf eine mögliche Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs hinweisen. Entscheidend ist, wie die Fahrerlaubnisbehörde auf Grundlage des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) mit solchen Fällen umgeht. Ein zentraler Punkt ist die Beibringungsaufforderung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung der Fahreignung, insbesondere in Bezug auf Erkrankungen oder Mängel gemäß Anlage 4 zur FeV. Die rechtliche Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen der Notwendigkeit, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, und dem Schutz der persönlichen Rechte des Betroffenen zu finden.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 B 61/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs befasst sich mit der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Verdacht auf psychische Störungen, wobei die rechtlichen Anforderungen an die Beibringung eines Gutachtens zur Fahreignung zentral sind.

Liste der zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Auffällige Fahrweise und Verwirrtheit: Die Fahrerlaubnis kann entzogen werden, wenn der Fahrer durch sein Verhalten, wie auffälliges Fahren und Verwirrtheit, Bedenken an seiner Fahreignung aufkommen lässt.
  2. Verdacht auf Beeinträchtigung des Realitätssinns: Äußerungen des Fahrers über „Elektro Magnetische Wellen Terroristen“ und das Mitführen ungewöhnlicher Schutzausrüstung weisen auf eine mögliche Beeinträchtigung des Realitätssinns hin.
  3. Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung: Die Anordnung eines Gutachtens muss rechtmäßig, anlassbezogen und verhältnismäßig sein.
  4. Schutz des Persönlichkeitsrechts: Bei der Anordnung eines Fahreignungsgutachtens sind die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen zu beachten.
  5. Konkretisierung der Gutachtenanordnung: Die Beibringungsaufforderung muss klar darlegen, welche Problematik wie aufgeklärt werden soll.
  6. Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gießen: Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Fahrerlaubnisentziehung wurde zu Unrecht wiederhergestellt.
  7. Kosten des Verfahrens: Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
  8. Unanfechtbarkeit des Beschlusses: Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ist unanfechtbar.

Verdächtiges Verhalten führt zur Fahrerlaubnisentziehung

Im Zentrum dieses Falls steht die Entziehung der Fahrerlaubnis eines Fahrers, der offensichtlich unter einer Beeinträchtigung des Realitätssinns litt. Diese Entscheidung beruht auf einem Vorfall, der sich am 7. September 2021 ereignete. An diesem Tag wurde die Polizei zu einem weißen Transporter gerufen, der im Treysaer Weg in Stadtallendorf abgestellt war. Zeugen berichteten, dass sie den Fahrer, einen am … 1945 geborenen Mann, dabei beobachtet hatten, wie er mit einer Tragetasche durch die Gärten lief und sich vor vorbeifahrenden Autos versteckte. Die Polizei traf den Mann in seinem Fahrzeug sitzend an und stellte fest, dass er einen verwirrten Eindruck machte. Er gab an, in Neustadt zu sein und nach „Elektro Magnetischen Wellen Terroristen“ zu suchen. Bei der Durchsuchung des Fahrzeugs fanden die Beamten eine mit Aluminiumfolie umwickelte Bleischale und eine Bleiweste, die der Mann als Schutzausrüstung bezeichnete. Nach der Kontrolle fuhr der Mann auffällig langsam und geriet mehrfach auf die Gegenfahrbahn.

Juristische Bewertung des Verdachts auf psychische Störungen

Diese Umstände führten zu erheblichen Bedenken hinsichtlich seiner Fahreignung. Insbesondere die Aussage über die Suche nach Elektro Magnetischen Wellen Terroristen und die mitgeführten Gegenstände deuteten auf eine gravierende Beeinträchtigung des Realitätssinns hin. Der Verdacht auf eine psychische Störung wurde weiter dadurch verstärkt, dass der Fahrer angab, sich in Neustadt statt in Stadtallendorf zu befinden, was aufgrund der räumlichen Nähe der Orte auf eine Verwirrung hindeutete. Zudem war seine Fahrweise auffällig und gefährlich.

Prozess der Fahrerlaubnisentziehung und rechtliche Grundlagen

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall bestand darin, festzustellen, ob der Fahrer tatsächlich ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs war. Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete aufgrund der vorliegenden Tatsachen die Vorlage eines ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Gutachtens an, um die Eignungszweifel aufzuklären. Als der Fahrer die Untersuchung verweigerte und das geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorlegte, schloss die Behörde auf seine Nichteignung und entzog ihm die Fahrerlaubnis. Dieser Schluss basierte auf § 11 Abs. 8 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV), der eine solche Maßnahme erlaubt, wenn die Gutachtenanordnung rechtmäßig und verhältnismäßig ist.

Endgültige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs

Das Verwaltungsgericht Gießen hatte in einem früheren Beschluss die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederhergestellt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof änderte jedoch diesen Beschluss und lehnte den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab. Die Entscheidung des Gerichts stützte sich auf die Überzeugung, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis aus dem im Bescheid dargelegten Sachverhalt rechtmäßig war und ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung bestand.

Das Gericht betonte, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen hat, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen. Im vorliegenden Fall war die Nichteignung des Fahrers positiv festgestellt worden, da er sich geweigert hatte, das geforderte Gutachten vorzulegen. Das Gericht wies darauf hin, dass die Behörde bei der Beibringungsaufforderung eines Gutachtens nicht verpflichtet ist, eine Eingrenzung auf bestimmte Nummern der Anlage 4 zur FeV vorzunehmen. Es genügt ein Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV bzw. ein Anfangsverdacht, der auf zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten basiert.

Schließlich stellte das Gericht fest, dass die Beibringungsaufforderung des Gutachtens den formellen Anforderungen genügte und der Fahrerlaubnisbehörde keine Eingrenzung auf die in Betracht kommenden psychischen Erkrankungen abverlangt werden konnte. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung waren somit rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller wurde verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen, und der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wurde auf 6.250,- € festgesetzt.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wird die Fahreignung eines Fahrers rechtlich bewertet und welche Rolle spielen dabei psychische Störungen?

Die Fahreignung eines Fahrers in Deutschland wird durch verschiedene Faktoren bewertet, darunter auch psychische Störungen. Die Fahreignung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und wird im Einzelfall beurteilt. Das Fahreignungs-Bewertungssystem des Kraftfahrt-Bundesamts gewährleistet mit einem bundeseinheitlichen Maßnahmen- bzw. Punktekatalog die Gleichbehandlung aller im Straßenverkehr.

Psychische Störungen können die Fahreignung beeinträchtigen, da sie die Wahrnehmung, das Urteilsvermögen und die Reaktionsfähigkeit des Fahrers beeinflussen können. Bei psychischen Störungen wie Depression, Schizophrenie, Angststörungen und Zuständen von Verwirrtheit oder Realitätsverlust können diese Fähigkeiten beeinträchtigt sein.

In der Akutphase einer Psychose darf kein Fahrzeug geführt werden, da die Realitätswahrnehmung des Betroffenen so stark beeinträchtigt ist, dass eine realistische Einschätzung der Verkehrssituation nicht möglich ist. Auch bei schweren Depressionen oder in manischen Phasen kann die Fahrtauglichkeit eingeschränkt oder ausgeschlossen sein.

Die Einnahme von Psychopharmaka kann ebenfalls die Fahreignung beeinflussen. Medikamente, die eine dämpfende Wirkung haben, können die Reaktionszeit verlängern und somit die Fahrtauglichkeit einschränken. Daher sollten Autofahrer, die Psychopharmaka einnehmen, mit ihrem Arzt besprechen, ob sie mit den verordneten Medikamenten fahrtauglich sind.

Nach dem Abklingen der akuten Symptome kann die Fähigkeit zum Führen eines Fahrzeugs unter Umständen wieder gegeben sein. Medikamentös behandelte und gut eingestellte Patienten können prinzipiell am Straßenverkehr teilnehmen, sofern sie nicht an einer Erkrankung leiden, die das Fahrzeugführen grundsätzlich ausschließt.

Die endgültige Entscheidung über die Fahreignung trifft in der Regel ein medizinischer Gutachter, der die individuelle Situation des Fahrers berücksichtigt.


Das vorliegende Urteil

Hessischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 2 B 61/23 – Beschluss vom 28.04.2023

Leitsatz

1. Eine auffällige Fahrweise und Verwirrtheit des Fahrers können Bedenken an der Fahreignung begründen. Auf eine Verwirrtheit kann im Einzelfall geschlossen werden, wenn der Fahrer gegenüber der Polizei oder Zeugen äußert, er suche nach Elektro Magnetische Wellen Terroristen“ und dabei eine mit Aluminiumfolie umwickelte Bleischale und Bleiweste als Schutzausrüstung mitführt.

2. Aus der Beibringungsanordnung muss sich im konkreten Einzelfall zweifelsfrei entnehmen lassen, welche Problematik auf welche Weise aufgeklärt werden soll. Eine Eingrenzung auf bestimmte Nummern der Anlage 4 zur FeV ist hierfür nicht erforderlich.


Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 30. Dezember 2022 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert.

Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.250,- € festgesetzt.

Gründe

Die gemäß §§ 146, 147 Verwaltungsgerichtsordnung − VwGO − form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 30. Dezember 2022 ist zulässig und begründet.

Die vom Antragsgegner zur Begründung vorgetragenen Gründe, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen eine Änderung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und Führerscheinabgabe (Ziffern 1 und 2 des Bescheides vom 12. Mai 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2022) wiederhergestellt und hinsichtlich der Androhung der Ersatzvornahme und der Kostenfestsetzung (Ziffern 4 und 5 des Bescheides vom 12. Mai 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2022) angeordnet. Es sprechen ganz überwiegende Gründe dafür, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis aus dem im Bescheid herangezogenen Sachverhalt rechtmäßig ist und daher ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung besteht (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes − StVG − i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung − FeV − hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Voraussetzung der Entziehung ist, dass die Nichteignung positiv festgestellt wird. Wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeuges begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen durch die Anordnung der Vorlage eines ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Gutachtens die Eignungszweifel aufzuklären (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV).

Verweigert der Betroffene die Untersuchung oder bringt er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Dieser Schluss ist allerdings nur zulässig, wenn die Gutachtenanordnung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, Urteile vom 4. Dezember 2020 – 3 C 5.20 –, juris Rn. 18 und grundlegend vom 5. Juli 2001 – 3 C 13/01 –, juris Rn. 20 m.w.N.). Denn ein Fahreignungsgutachten erfordert die Erhebung höchstpersönlicher Befunde, die unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fallen. Die mit der Nichtvorlage des Gutachtens verbundene Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 11 Abs. 8 FeV) ist ebenfalls gravierend und greift in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ein. Diese Eingriffe sind nur angemessen, wenn die Behörde hinreichend konkrete Verdachtsmomente feststellt, die einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen (BVerfG, Beschlüsse vom 24. Juni 1993 − 1 BvR 689/92 −, BVerfGE 89, 69, juris Rn. 52 und vom 20. Juni 2002 − 1 BvR 2062/96 −, juris Rn. 54). Die Beibringungsanordnung setzt nicht voraus, dass eine Erkrankung oder ein Mangel im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV bereits feststeht. Es genügt der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV) bzw. ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13.01 –, juris Rn. 22), also das Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte. Allerdings darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden. Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 5. Januar 2022 – 11 CS 21.2692 –, juris Rn. 20).

In Anwendung dieser Grundsätze ist der in der Gutachtenanordnung vom 21. Januar 2022 dargestellte Sachverhalt geeignet, Bedenken an der Fahreignung des Antragstellers wegen etwaig bestehender psychischer (geistiger) Störungen i. S. d. Abschnitts 7 der Anlage 4 zur FeV zu begründen.

Aus dem in der Behördenakte vorhandenen polizeilichen Aktenvermerk ergibt sich, dass am 7. September 2021 gegen 22.20 Uhr eine Polizeistreife in den Treysaer Weg in Stadtallendorf gerufen wurde. Anwohner hatten demnach dort einen abgestellten weißen Transporter gesehen und den am … 1945 geborenen Antragsteller beobachtet, wie dieser mit einer Tragetasche durch die Gärten gelaufen sei und sich bei vorbeifahrenden Autos versteckt habe. Die Polizeibeamten haben vor Ort den Antragsteller in dem Fahrzeug sitzend angetroffen. Dieser habe gegenüber der Polizeistreife einen verwirrten Eindruck gemacht. Auf Nachfrage habe er angegeben, dass er in Neustadt sei und „Elektro Magnetische Wellen Terroristen“ gesucht habe. Weiterhin haben die Beamten bei einer Durchsuchung des Fahrzeugs eine mit Alufolie umwickelte Bleischale und eine mit Blei gefüllte Weste gefunden. Der Antragsteller habe hierzu angegeben, dass er die Schale bei Kopfschmerzen auf den Kopf setze. Auch die Weste diene ihm zum Schutz. Weiter ist der Antragsteller nach dem polizeilichen Aktenvermerk nach der Kontrolle auf dem Weg zu seiner Wohnanschrift (X…straße … in Neustadt, …) maximal 50 km/h gefahren und mehrfach mit der halben Fahrzeughälfte auf die Gegenfahrbahn geraten. ln Erksdorf sei er 20 km/h gefahren und auf der Landstraße dann etwa 60 km/h.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich die Fahreignungsbedenken des Antragsgegners nachvollziehbar daraus, dass der Antragsteller gegenüber den Polizeibeamten angegeben hat, dass er auf der Suche nach „Elektro Magnetische Wellen Terroristen“ gewesen sei. Die angenommene Existenz solcher Wesen deutet auf eine erhebliche Beeinträchtigung des Realitätssinns oder gar Wahn hin. Der Verdacht auf bestehende Wahnvorstellungen wird ferner dadurch bestärkt, dass der Antragsteller eine mit Aluminiumfolie umwickelte Bleischale und eine Bleiweste als Schutzausrüstung mitgeführt, sich also insoweit bereits vorbereitet hatte. Vor dem Hintergrund seiner Einlassung zur Suche nach Terroristen kann das Mitführen der Gegenstände nicht mit der bloßen Sorge vor Elektrosmog abgetan werden.

Für den verwirrten Zustand des Antragstellers spricht ferner, dass er im Rahmen der Kontrolle nicht korrekt angeben konnte, dass er sich in Stadtallendorf befand. Vielmehr sagte er, dass er sich in Neustadt befinde. Es überzeugt nicht, soweit das Verwaltungsgericht dies damit zu erklären versucht, dass sich sein Wohnort in Neustadt, Stadtteil …, nur fünf Kilometer und lediglich zwei Orte von dem Ort der Kontrolle in Stadtallendorf entfernt befinde. Vielmehr spricht gerade die aufgrund der Wohnortnähe anzunehmende Ortskundigkeit des Antragstellers für dessen Verwirrtheitszustand. Darüber hinaus sind Stadtallendorf und Neustadt-… sowie der dazwischenliegende Ort … räumlich klar voneinander getrennt und gehen nicht etwa baulich ineinander über. Auch liegen die Orte Stadtallendorf und Neustadt von … aus gesehen in unterschiedlichen Himmelsrichtungen. Die Stadt Neustadt befindet sich in südöstlicher und Stadtallendorf in südwestlicher Richtung.

Für eine mögliche geistige Beeinträchtigung spricht zudem die anschließende Fahrweise des Antragstellers. Hier wiegt besonders schwer, dass der Antragsteller trotz ungewöhnlich langsamer Fahrweise mehrfach mit dem Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn geraten ist. Die kurvenreiche Straße und die Sorge vor einem Wildschaden erklären dies nicht.

Sofern das Verwaltungsgericht das Verhalten und die Äußerungen des Antragstellers damit zu erklären versucht, dass er von der Polizeikontrolle beeindruckt gewesen sei, vermag dies nicht zu überzeugen. Die Vielzahl von Ausfallerscheinungen, insbesondere aber die Aussage, dass er auf der Suche nach „Elektro Magnetische Wellen Terroristen“ gewesen sei, geht über ein nachvollziehbares Augenblicksversagen hinaus.

Sofern das Verwaltungsgericht der Gesamteinschätzung des Antragsgegners entgegenhält, es handele sich nur um eine Momentaufnahme, die keine Rückschlüsse auf die Fahreignung zulasse, verkennt dies die Reichweite des § 46 Abs. 3 FeV. Es kommt nicht auf die zeitliche Länge der Beobachtung an, sondern darauf, ob die festgestellten Äußerungen und Handlungen geeignet sind, Zweifel an der Fahreignung zu begründen.

Auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Gutachterfrage sei nicht präzise genug gestellt, weil diese nur auf die Anlage 4 der FeV Bezug nehme und diese nicht konkret auf die psychischen (geistige) Störungen der Nummer 7 der Anlage 4 eingrenze, greift nicht durch.

Die formellen Anforderungen, denen eine Beibringensaufforderung genügen muss, sind unter anderem in § 11 Abs. 6 FeV geregelt. Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 FeV teilt die Behörde dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat. Diese formellen Anforderungen an den Inhalt einer Beibringensaufforderung sollen es dem Betroffenen ermöglichen, eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob er sich der geforderten Begutachtung unterziehen will oder nicht. Das ist für ihn wegen der sich aus § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ergebenden Rechtsfolgen von besonderer Bedeutung. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein muss. Der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das dort Mitgeteilte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung rechtfertigen kann (BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20.15 –, juris Rn. 20 f.). Denn nur bei genauer Kenntnis der Fragestellung kann sich der Betroffene darüber schlüssig werden, ob er sich – unbeschadet der Rechtmäßigkeit der Anordnung – der mit einer Exploration voraussichtlich verbundenen Offenlegung von Details aus seiner Privatsphäre aussetzen will (BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16.14 –, juris Rn. 8).

Hinsichtlich des genauen Grades der Konkretisierung der Fragestellung kommt es ausgehend von diesen abstrakten Anforderungen auf die besonderen Umstände jedes Einzelfalls an. Maßgeblich ist, ob sich der Beibringungsanordnung zweifelsfrei entnehmen lässt, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll. Das verbietet eine generalisierende Aussage darüber, ob die Fahrerlaubnisbehörde stets bereits im Rahmen der Beibringungsanordnung genau die entsprechende(n) Nummer(n) der Anlage 4 zur FeV angeben muss. Ebenso wenig lässt sich von vornherein ausschließen, dass sich die vom Gutachter zu klärende Frage, selbst wenn sie nicht konkret ausformuliert ist, dennoch mit hinreichender Deutlichkeit aus der Begründung der Eignungsbedenken entnehmen lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16.14 –, juris Rn. 9; Bay. VGH, Beschluss vom 23. Februar 2023 – 11 CS 22.2649 –, juris Rn. 21).

Dem gegenüber darf die Fragestellung aber auch nicht derartig weit sein, dass damit die mit der Begutachtung betraute Person oder Stelle ermächtigt wird, die Gesamtheit der in der Anlage 4 zur FeV erwähnten Krankheitsbilder zum Gegenstand der Untersuchung zu machen (Bay. VGH, Beschluss vom 24. November 2014 – 11 ZB 13.2240 –, juris Rn. 14).

Die vorliegende Gutachtenanordnung vom 21. Januar 2022 (Blatt 29 ff. des Verwaltungsvorgangs) genügt diesen Anforderungen. Zwar stellt die Gutachtenfrage nur darauf ab, ob bei dem Betroffenen eine Krankheit oder ein Mangel vorliegt, „der die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stellt“. Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass – wie das Verwaltungsgericht meint – „sämtliche in der Anlage 4 zur FeV aufgeführten Krankheiten und Mängel, die von mangelndem Sehvermögen über Bewegungsbehinderungen bis hin zu Nierenerkrankungen reichen“, zu begutachten gewesen wären. Wie oben ausgeführt ist die Gutachtenfrage nur ein Aspekt der Gutachtenanordnung. Vorliegend lässt sich aus der Begründung der Gutachtenanordnung entnehmen, dass die Gutachtenfrage auf psychische Krankheiten oder Mängel bezogen und damit hinreichend konkret ist. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Gutachtenanordnung den oben dargestellten Sachverhalt korrekt wiedergibt, der auf geistige Ausfallerscheinungen hindeutet. Die Anordnung nimmt zudem ausdrücklich Bezug auf psychische Erkrankungen und formuliert: „Unter Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV hat der Gesetzgeber verschiedene psychische Erkrankungen aufgeführt, die die Kraftfahreignung einschränken oder gar ausschließen können.“ Weiter heißt es: „An Ihrer Eignung bestehen nach Würdigung der hier vorliegenden Erkenntnisse ernsthafte Zweifel. Insbesondere besteht der Verdacht, dass bei Ihnen eine psychische Erkrankung vorliegt. […] Aus diesem Grund fordere ich Sie gemäß § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 2 Nr. 1 FeV auf, sich einer Begutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation zu unterziehen […].“ Für die Konkretisierung der Gutachtenanordnung spricht schließlich, dass die Begutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation erstellt werden soll. Die sodann kursiv formulierte Gutachtenfrage nimmt zwar ohne weitere Einschränkung Bezug auf die gesamte Anlage 4 zur FeV. Aus der Gesamtbetrachtung der Gutachtenanordnung geht aber eindeutig hervor, dass die Fahreignung nur hinsichtlich der psychischen Auffälligkeiten nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV überprüft werden sollte. Die Überprüfung auf andere als psychische Krankheiten ist hier nicht verlangt. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts, kann von der Fahrerlaubnisbehörde keine Eingrenzung auf die in Betracht kommenden psychischen Erkrankungen verlangt werden. Denn gerade weil der Fahrerlaubnisbehörde das medizinisch-psychologische Fachwissen fehlt, ordnet sie bei Zweifeln an der Fahreignung eine Begutachtung an. Es ist von ihr daher nicht zu erwarten, dass sie mit ihrer Fragestellung die in Frage kommenden Diagnosen benennt.

Ausgehend davon erweist sich die angegriffene Entziehung der Fahrerlaubnis im Hinblick auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV als rechtmäßig, da der Antragsteller das von ihm – zu Recht – geforderte Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hat. Nicht durchdringen kann der Antragsteller mit seinem Vortrag, dass er auf den Führerschein angewiesen ist und dies in das Ermessen der Behörde hätte eingestellt werden müssen. Denn der Schluss von der Nichtbeibringung des Gutachtens auf die Nichteignung liegt – trotz der Formulierung „darf“ in § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV – nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde (vgl. etwa: Bay VGH, Beschluss vom 28. Oktober 2021 – 11 CS 21.2148 –, Rn. 15, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 2 B 1641/18 – juris Rn. 3). Ist danach eine Nichteignung anzunehmen, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis nach § 46 Abs. 1 FeV ebenfalls ohne Ermessen zu entziehen (Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Auflage 2021, FeV § 46 Rn. 23). Auch ansonsten sind rechtliche Bedenken gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht ersichtlich.

Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie genügt den formellen Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Das überwiegende Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit im Straßenverkehr geht dem privaten Interesse des Antragstellers vor, trotz hier zu unterstellender mangelnder Kraftfahreignung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens weiterhin als Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen.

Die Fahrerlaubnisbehörde hat den Antragsteller auch zu Recht nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 FeV aufgefordert, seinen Führerschein innerhalb der gesetzten Frist nach Bekanntgabe des Bescheides vorzulegen. Die Androhung der Ersatzvornahme beruht auf § 47, § 48 Abs. 1 Nr. 1, § 49 und § 53 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Der Antragsteller hat nach § 154 Abs. 1 VwGO als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung folgt der erstinstanzlichen Festsetzung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 66 Abs. 3 Satz 3 und § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!