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Fahrerlaubnisentziehung ab 8 Punkten im Fahreignungs-Bewertungssystem

Verwaltungsgericht Saarland – Az.: 5 L 447/20 – Beschluss vom 07.05.2020

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert wird auf 5.000,– € festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Verfügung des Antragsgegners, mit der ihr die Fahrerlaubnis entzogen wurde.

I.

Der Antragstellerin wurde am 30.08.1993 die Fahrerlaubnis der Klasse 3 erteilt. Diese Fahrerlaubnis wurde nachfolgend auf die Klassen B, BE, C1, C1 E, L, M, S und T umgestellt. Nachdem die Antragstellerin mit Schreiben vom 05.04.2018 wegen des Erreichens von 4 Punkten ermahnt und mit Schreiben vom 13.08.2018 wegen des Erreichens von 7 Punkten verwarnt worden war, teilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 04.03.2020 der Antragstellerin mit, dass beabsichtigt sei, ihr die Fahrerlaubnis zu entziehen, weil sie mehrere Verkehrsverstöße begangen habe, die mit 8 Punkten oder mehr ins Fahreignungsregister eingetragen worden seien. Der Antragstellerin wurde Gelegenheit gegeben, sich bis zum 20.03.2020 hierzu äußern. Nachdem bis dahin keine Äußerung der Antragstellerin erfolgt war, entzog der Antragsgegner mit der streitgegenständliche Anordnung vom 25.03.2020 der Antragstellerin gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG wegen des Erreichens von 8 Punkten die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr. Weiter wurde die Antragstellerin zur unverzüglichen Ablieferung ihres Führerscheins aufgefordert.

Der Entziehung lagen folgende Verkehrsverstöße zugrunde:

Datum

Tat: 04.11.2016

Rechtskraft: 02.03.2016

Tilgung: 02.03.2022

Behörde/Gericht

ZBB St. Ingbert

Tatbestandsnummer/Tatbestandstext

103765: Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 47 km/h.

Punkte 2

 

Tat: 31.12.2017

Rechtskraft: 08.03.2018

Tilgung: 08.09.2020

ZBB St. Ingbert

141712: Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h. –

Punkt 1

 

Tat: 26.04.2018

Rechtskraft: 27.06.2018

Tilgung: 08.09.2020

ZBB St. Ingbert

141713: Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h. –

Punkt 1

 

Tat: 30.04.2018

Rechtskraft: 18.07.2018

Tilgung: 18.07.2023

ZBB St. Ingbert

141713: Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 34 km/h. –

Punkt 2

 

Tat: 05.10.2019

Rechtskraft: 13.12.2019

Tilgung: 13.06.2022

Polizeipräsidium Rheinpfalz in Speyer

329610: Sie unterließen es, das Fahrzeug, für das nach Nr. 2.1 der Anlage VIII *) keine Sicherheitsprüfung vorgeschrieben ist, zur fälligen Hauptuntersuchung vorzuführen. Der Termin **) war um mehr als 8 Monate überschritten.

Punkt 1

 

Tat: 10.12.2019

Rechtskraft: 14.02.2020

Tilgung: 14.08.2022

ZBB St. Ingbert

141712: Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 21km/h. –

Punkt 1

Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, laut einer elektronischen Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes habe die Antragstellerin mehrere Verkehrszuwiderhandlungen begangen. Diese Verstöße seien nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem (§ 4 StVG) zu bewerten. Es ergebe sich somit ein Gesamtpunktestand von 8 Punkten. Nach den Bestimmungen des § 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 3 StVG sei die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis 8 Punkte oder mehr erreicht und die Maßnahmen nach Nr. 1 und Nr. 2 zuvor ergriffen wurden. Die Maßnahmen der Stufen 1 und 2 des Fahreignungsbewertungssystems seien zuvor ergriffen worden. Die Antragstellerin sei am 05.04.2018 (zugestellt am 07.04.2018) bei einem Punktestand von 4 Punkten ermahnt (Stufe 1 gemäß § 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) und am 13.08.2018 (zugestellt am 16.08.2018) bei einem Punktestand von 7 Punkten verwarnt worden (Stufe 2 gemäß § 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 2 StVG). Durch eine weitere Verkehrsordnungswidrigkeit vom 10.12.2019, rechtskräftig seit dem 14.02.2020, sei ihr Punktestand auf 8 Punkte angestiegen. Durch das Erreichen dieser Punktzahl innerhalb des Tilgungszeitraums gelte sie gemäß § 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG habe den Hinweis enthalten, dass ein Fahreignungsseminar nach § 4a StVG freiwillig besucht werden könne, um das Verkehrsverhalten zu verbessern, es sei zusätzlich der Hinweis erfolgt, dass hierfür kein Punktabzug gewährt werde. In der Verwarnung sei sie darüber unterrichtet worden, dass bei Erreichen von 8 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werde. Für das Ergreifen der Maßnahme sei auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben habe. Vorliegend sei dies der 10.12.2019. Bei der Berechnung des Punktestandes würden Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden seien bzw. nur dann berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfrist zu dem in Satz 5 oben genannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die Fahrerlaubnisbehörde habe bei ihrer Entscheidung kein Ermessen. Sie sei an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden (§ 4 Abs. 5 Satz 4 StVG). Einwendungen, die einzelne der in der Anlage aufgeführten Taten beträfen, könnten nur im Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren geltend gemacht werden. Bei der Entscheidung über den Entzug bei 8 oder mehr Punkten könnten sie daher nicht mehr berücksichtigt werden. Mit Schreiben vom 04.03.2020 sei die Antragstellerin über die beabsichtigte Entziehung der Fahrerlaubnis angehört worden. Sie habe sich hierzu jedoch nicht innerhalb der hierfür gesetzten Frist zum 20.03.2020 geäußert. Ihr sei somit die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Ferner werde ihr gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 3 in Verbindung mit § 46 Abs. 6 FeV auch das Führen eines Kraftfahrzeuges innerhalb der Bundesrepublik Deutschland mit einer ausländischen Fahrerlaubnis verboten. Gemäß § 47 Abs. 2 FeV seien ausländische und im Ausland ausgestellte Internationale Führerscheine der entscheidenden Behörde zur Anbringung eines entsprechenden Vermerkes vorzulegen.

Gegen den am 31.03.2020 zugestellten Bescheid hat die Antragstellerin am 22.04.2020 Widerspruch erhoben, über den bisher nicht entschieden worden ist. Zur Begründung machte sie geltend, das Anhörungsschreiben vom 04.03.2020 sei ihr nicht bekannt. Ein solches Schreiben habe sie nicht erhalten. Außerdem beantragte sie mit Schreiben ihres damaligen Bevollmächtigten vom 27.04.2020 beim Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO, weil sie auf ihre Fahrerlaubnis angewiesen sei. Sie müsse ihren Mann, der einen Schlaganfall erlitten habe, zu Arztbesuchen fahren und beim Lebensmitteleinkauf im Notfall schnellstmöglich nach Hause kommen.

Mit Bescheid vom 28.04.2020 wurde die Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgefordert, ihren Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche, abzuliefern. Außerdem lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 28.04.2020 ab.

Am 22.04.2020 hat die Antragstellerin bei Gericht einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt, den sie nicht begründet hat.

Der Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 25.03.2020 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Er führt aus, die Antragstellerin sei am 05.04.2018 (zugestellt am 07.04.2018) aufgrund der Eintragungen Nrn. 1 bis 3 bei einem Punktestand von 4 Punkten ermahnt (Stufe 1 gemäß § 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) und am 13.08.2018 (zugestellt am 16.08.2018) aufgrund der Eintragungen Nrn. 1 bis 5 bei einem Punktestand von 7 Punkten verwarnt worden (Stufe 2 gemäß § 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 2 StVG). Durch Tilgung der Tat 1 habe sich am 13.04.2019 der Punktestand auf 6 Punkte verringert. Mit Bescheid vom 25.03.2020 (zugestellt am 31.03.2020) sei die Fahrerlaubnis aufgrund der Eintragungen Nrn. 2 bis 7 bei einem Punktestand von 8 Punkten entzogen worden (§ 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 3 StVG). Mit Schreiben vom 20.04.2020 und Anwaltsschreiben vom 27.04.2020 habe die Antragstellerin fristgerecht Widerspruch gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis eingelegt. Gemäß § 4 Abs. 9 StVG habe der Widerspruch gegen die Entziehung nach Absatz 5 Satz 1 Nummer 3 keine aufschiebende Wirkung. Mit Bescheid vom 28.04.2020 sei die sofortige Vollziehbarkeit der Aufforderung zur Ablieferung des Führerscheins angeordnet worden.

Der Bescheid sei formell rechtmäßig. Die Antragstellerin gebe an, sie sei vor Erlass des Bescheids nicht angehört worden. Das Anhörungsschreiben sei nach Auskunft der Deutschen Post AG allerdings am 09.03.2020 ausgeliefert worden. Der Bescheid wäre allerdings auch rechtmäßig, wenn man unterstelle, dass die Antragstellerin das Anhörungsschreiben vom 04.03.2020 nicht bekommen habe. Ein Verstoß gegen die Anhörungspflicht gemäß § 28 SVwVfG führe nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts gemäß § 44 SVwVfG. Gemäß § 45 SVwVfG sei eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig mache, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt werde. Die Antragstellerin habe im Widerspruchsverfahren und in diesem Verfahren die Gelegenheit, sich zu äußern.

Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG) gelte der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnisbehörde habe ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich im Fahreignungsregister acht oder mehr Punkte ergäben und zuvor die Maßnahmen der vorherigen Stufen des Fahreignungsbewertungssystems ergriffen worden seien. Die Antragstellerin habe Ordnungswidrigkeiten begangen, die mit 8 Punkten zu bewerten und im Fahreignungsregister eingetragen seien. Die Maßnahmen der vorherigen Stufen des Fahreignungssystems seien am 05.04.2018 (Ermahnung) bzw. 13.08.2018 (Verwarnung) ergriffen worden. Die Tilgungsfrist für die Taten Nr. 2 bis 7, die insgesamt mit 8 Punkten zu bewerten seien, sei noch nicht abgelaufen. Die Tilgungsfrist betrage bei Taten, die mit einem Punkt zu bewerten seien, zwei Jahre und sechs Monate und bei Taten, die mit zwei Punkten zu bewerten seien, 5 Jahre (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG). Die Frist beginne bei Bußgeldentscheidungen mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der beschwerenden Entscheidung (§ 29 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StVG). Durch Tilgung der Tat 1 am 13.04.2019 habe sich der Punktestand von 7 auf 6 Punkte verringert. Die Maßnahmenstufe (Verwarnung) sei damit nicht verlassen worden; die Maßnahme sei daher auch nicht zu wiederholen gewesen, als sich der Punktestand wieder auf 7 Punkte erhöht habe. Die Fahrerlaubnisbehörde sei bei ihrer Entscheidung an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden (§ 4 Abs. 5 Satz 4 StVG). Der Bevollmächtigte der Antragstellerin habe in seinem Widerspruchsschriftsatz vom 27.04.2020 vorgetragen, seine Mandantin habe gegen den Bescheid vom 10.12.2019 rechtzeitig Widerspruch eingelegt. Die Tat vom 10.12.2019 sei allerdings laut Eintragung im Fahreignungsregister mit Bescheid vom 28.01.2020, der seit dem 14.02.2020 rechtskräftig sei, geahndet worden.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis liege nicht im Ermessen der Behörde. Daher könne nicht zugunsten der Antragstellerin berücksichtigt werden, dass sie nach den Angaben im Anwaltsschreiben vom 27.04.2020 auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei, um ihren Ehemann, der einen Schlaganfall erlitten habe, zu Arztbesuchen fahren oder beim Einkaufen im Notfall schnell nach Hause zurückkehren zu können. Der Gesetzgeber gehe bei einer bestimmten Häufung von Verkehrsverstößen unwiderleglich von Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen aus (§ 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 3 StVG). Es liege hier ein vergleichbarer Fall vor. Die Ungeeignetheit der Antragstellerin stehe fest. Das Interesse der Antragstellerin am Erhalt ihrer Fahrerlaubnis müsse daher gegenüber dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen zurückstehen.

II.

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid vom 25.03.2020 anzuordnen, ist im Hinblick auf die nach § 4 Abs. 9 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alternative VwGO statthaft, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Dabei sind vorliegend im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs der Antragstellerin maßgebend. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach dem derzeitigen Erkenntnisstand offensichtlich aussichtslos ist; umgekehrt überwiegt bei einer offensichtlichen Erfolgsaussicht des Widerspruchs das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.

Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 80 Rdnr. 158.

Der angefochtene Bescheid des Antragsgegners vom 25.03.2020 erweist sich nach der im Eilrechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage im Ergebnis als offensichtlich rechtmäßig, so dass das private Interesse der Antragstellerin daran, während des laufenden Widerspruchs- bzw. eines sich gegebenenfalls anschließenden Rechtsmittelverfahrens vom Vollzug der angefochtenen Verfügung verschont zu bleiben, zurücktritt.

Die Verfügung der Antragsgegnerin ist zunächst auch dann nicht fehlerhaft, wenn vor deren Erlass das Anhörungsschreiben vom 04.03.2020 der Antragstellerin nicht zugegangen ist. Denn eine unterbliebene (ordnungsgemäße) Anhörung kann auch durch Austausch von Sachäußerungen in einem gerichtlichen Eilverfahren geheilt werden, sofern die Behörde solche Äußerungen des Betroffenen zum Anlass einer Prüfung nimmt, ob die ergangene Verfügung aufrechterhalten werden kann.

Vgl. OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 20.02.2018 – 2 B 719/17 – und vom 01.04.2020 – 2 B 356/19 -, jew. juris.

Daher ist ein eventueller Mangel einer fehlenden Anhörung auf jeden Fall geheilt. Denn die Ausführungen des Antragsgegners in der Antragserwiderung gehen im Einzelnen auf die im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Behauptungen und Rechtsansichten der Antragstellerin ein. Im Übrigen kann die Antragstellerin auch gemäß § 46 SVwVfG wegen eines eventuellen Anhörungsmangels nicht die Aufhebung der angefochtenen Verfügung des Antragsgegners verlangen, da die Entziehung der Fahrerlaubnis, bei der es sich um eine gebundene Entscheidung handelt, in der Sache keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Antragstellerin erkennen lässt, so dass sich dieser Verfahrensfehler offensichtlich nicht auf die Sachentscheidung ausgewirkt hat. Schließlich könnte die nicht ordnungsgemäße Durchführung des Verwaltungsverfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SVwVfG auch durch die Nachholung der Anhörung der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren geheilt werden.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Behörde dem Betroffenen die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich dieser als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungs-Bewertungssystem ergeben. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG ist für das Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (Tattagprinzip). Punkte ergeben sich gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 StVG werden Zuwiderhandlungen jedoch nur dann berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfrist zu dem in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG genannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Spätere – nach dem in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG benannten Zeitpunkt erfolgte – Verringerungen des Punktestands auf Grund von Tilgungen bleiben nach § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG unberücksichtigt. Mit der Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es ausreicht, wenn die jeweilige Maßnahmenstufe einmal erreicht wurde. Falls sich der Punktestand danach aufgrund von Tilgungen reduziert, muss dennoch die Maßnahme der mit dem Tattag erreichten Stufe ergriffen werden; es kommt nicht darauf an, welcher Punktestand dann am Tag des Bescheiderlasses besteht. Geht der Behörde eine neue Mitteilung des Kraftfahrtbundesamtes über den Punktestand zu und ist bis dahin eine Punktereduktion durch Tilgung eingetreten oder tritt sie bis zum Tätigwerden der Behörde ein, ist die gesetzlich angeordnete Maßnahme dennoch zu ergreifen. Hiervon ausgehend erlangt ein Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung nicht etwa dadurch wieder zurück, dass sich sein Punktestand im Zeitraum zwischen Tattag und den Erlass der Fahrerlaubnisentziehung unter acht Punkte verringert. Ein solches Verständnis steht weder dem Willen des Gesetzgebers noch der Regelung des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG entgegen.

Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.06.2017 – 11 CS 17.909 -, juris; Sächsisches OVG, Beschlüsse vom 29.11.2017 – 3 B 274/17 -, VRS 132 Nr. 48 = NJW 2018, 1337, und vom 09.07.2018 – 3 B 131/18 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.09.2018 -, juris.

Dies zugrunde legend hat der Antragsgegner im vorliegenden Fall zu Recht der Antragstellerin die Fahrerlaubnis entzogen. Denn zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis hatte sich für die Antragstellerin nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ein Stand von acht Punkten ergeben.

Die Antragstellerin wurde auch vor Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen eines Punktestandes von vier Punkten entsprechend § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG schriftlich ermahnt und bei Erreichen von sieben Punkten entsprechend § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG schriftlich verwarnt.

Die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG sieht die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend vor. Raum für Ermessens- bzw. Billigkeitserwägungen, in deren Rahmen Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte berücksichtigt werden könnten, besteht nicht. Keine Berücksichtigung im Rahmen dieses Verfahren kann daher der Umstand finden, dass die Antragstellerin aus persönlichen Gründen auf ihren Führerschein angewiesen ist. Derartige Gefahren sind ebenso wie wirtschaftliche oder andere Schwierigkeiten im Rahmen einer Fahrerlaubnisentziehung grundsätzlich ohne rechtliche Bedeutung, da die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs den wirtschaftlichen, beruflichen oder privaten Interessen des Einzelnen vorgeht. Im Interesse der Gefahrenabwehr hat der Betroffene auch die absehbaren Nachteile in Kauf zu nehmen, die insoweit entstehen.

Vgl. dazu VG Saarlouis, Beschluss vom 10.11.2014 – 6 L 1093/14 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 20.02.2002 – 1 BvR 2062/96 -, NJW 2002, 2378; ferner OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2006 – 1 M 22/06 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 07.12.2010 – 10 S 2053/10 – und vom 19.10.2015 – 10 S 1689/15 -, jew. juris; Bayerischer VGH, Beschluss vom 02.12.2015 -11 CS 15.2138 -, juris.

Nach allem ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.

Wegen der Höhe des Streitwerts folgt die Kammer den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2/2013). Hiernach ist gemäß Nr. 46.3 und 46.5 für die Fahrerlaubnis der Klassen B und C1 jeweils der Auffangwert anzusetzen. Dabei ist gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes der Streitwert auf die Hälfte des Hauptsachewertes festzusetzen.

 

 

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