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Fahren unter Drogeneinfluss – Berechnung und Rückrechnung der Cannabis-Konzentration

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 478/12 – 162 Ss 104/12 – Beschluss vom 30.10.2012

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 13. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen § 24 a Abs. 2 und 3 StVG zu einer Geldbuße von 525,00 Euro verurteilt, gemäß § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und nach § 25 Abs. 2 a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und das Verfahren beanstandet wird, hat (vorläufigen) Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel unter anderem wie folgt Stellung genommen:

Fahren unter Drogeneinfluss - Berechnung und Rückrechnung der Cannabis-Konzentration
Symbolfoto: Von Ferencik /Shutterstock.com

„Zwar hat das Amtsgericht Tiergarten rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Betroffene am 11.4.2011 um 18.10 Uhr mit seinem PKW Opel, amtliches Kennzeichen, die Hasenheide in Richtung Südstern befuhr, obwohl er unter der Wirkung von Cannabis stand (9,7 ng/ml Tetrahydrocannabinol zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 19.30 Uhr). Die der Annahme fahrlässigen Handelns zugrunde liegende Beweiswürdigung hält aber rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn sie ist lückenhaft und ermöglicht deshalb dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Überprüfung nicht.

Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters; die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht unter anderem der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist und somit nicht erkennen lässt, dass sie auf einer tragfähigen, verstandesgemäß einsichtigen  Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen –wenn auch schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. KG DAR 2005, 634; KG, Beschlüsse vom 12. August 2010 – 3 Ws (B) 395/10 – und vom 27. August 2010 – 3 Ws (B) 434/10 -). Hat das Tatgericht – wie hier – ein Sachverständigengutachten eingeholt und seine Überzeugungsbildung hierauf gestützt, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. KG, Beschluss vom 11. April 2012 – 3 Ws (B) 113/12 – m.w.N.). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (vgl. BGH NStZ 200, 106, 107). Eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung kann nur in Ausnahmefällen ausreichen, wenn sich das Gutachten auf eine allgemein anerkannte und standardisierte Untersuchungsmethode gründet und von keiner Seite Einwände gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung erhoben werden (vgl. KG, Beschluss vom 11. April 2012 – 3 Ws (B) 112/12 m.w.N.). In anderen Fällen sind neben den wesentlichen tatsächlichen Grundlagen und den daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen auch die das Gutachten tragenden fachlichen Begründungen auszuführen (vgl. KG a.a.O. m.w.N.). Dies gilt umso mehr, wenn die zur Ermittlung der Befundtatsachen (Schlussfolgerungen) zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden wissenschaftlich in Zweifel gezogen oder als wenig zuverlässig betrachtet werden. Will das Tatgericht – wie hier – seine Überzeugung vom Zeitpunkt des Cannabiskonsums auf ein Sachverständigengutachten stützen, so hat es zu berücksichtigen, dass beachtliche Zweifel angebracht sind, ob nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft überhaupt eine zuverlässige Methode der Rückrechnung existiert, die es erlaubt, den Konsumzeitpunkt oder eine bestimmte THC-Konzentration im Blutserum für einen bestimmten in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zu bestimmen (vgl. KG a.a.O. m.w.N.). Den Urteilsgründen muss in diesen Fällen zu entnehmen sein, welche Methode der Sachverständige zur Bestimmung des Konsumzeitpunkts angewandt hat und inwieweit gegen diese Methode erhobene wissenschaftliche Einwände durch den Sachverständigen entkräftet wurden.

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Denn es wird lediglich mitgeteilt, dass es sich bei den festgestellten Werten um hohe Werte handele (UA S. 2). Darüber hinaus habe der Betroffene, bei dem es sich um einen Gelegenheitkonsumenten handele, in einer Zeit bis zu zwei Stunden vor der Fahrt Cannabis genossen (UA S. 2). Soweit das Amtsgericht seine Überzeugung, dass der Betroffene Gelegenheitskonsument sei, allein auf die Ausführungen der Sachverständigen zu dem festgestellten THC-Carbonsäurewert stützt, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, welche wissenschaftlich erhobenen Vergleichswerte dem zugrunde liegen. Ebenso wenig enthalten die Urteilsgründe Ausführungen zu Angaben der Sachverständigen, inwieweit sie wissenschaftliche Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit der Rückrechnung bei Cannabiskonsum einbezogen hat und wie er wissenschaftliche Bedenken zu zerstreuen vermochte.

Auf diesem Darstellungsmangel beruht das Urteil. Denn das Amtsgericht hat seine Überzeugung von einem fahrlässigen Handeln des Betroffenen allein auf die zeitliche Nähe des Rauschmittelkonsums auf die zeitliche Nähe zum Fahrtantritt gestützt (UA S. 2).

Ein Freispruch des Betroffenen kommt dennoch nicht in Betracht, weil nicht auszuschließen ist, dass aufgrund eines neuen Sachverständigengutachtens in einer erneuten Hauptverhandlung eine Verurteilung möglich ist.“

Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen an, hebt das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück.

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass bei der Verhängung einer Geldbuße über der nunmehr bei 250,00 Euro festzusetzenden Geringfügigkeitsgrenze des § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG genauere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen als Bemessungskriterium für die Höhe der Geldbuße zu treffen sind (vgl. Senat, Beschlüsse vom 27. April 2010 – 3 Ws (B) 144/10 – und 17. Februar 2012 – 3 Ws (B) 52/12), und auch in solchen Fällen von einer näheren Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse nur dann abgesehen werden kann, wenn sie erkennbar nicht vom Durchschnitt abweichen und der Tatrichter eine Geldbuße festsetzt, die dem Bußgeldkatalog entspricht. Auch können die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen in Fällen, in denen sie bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen sind, vom Gericht geschätzt werden, wenn der Betroffene keine glaubhaften Angaben zu ihnen gemacht hat und der Aufwand für ihre Ermittlung in keinem Verhältnis zu der Bedeutung des Tatvorwurfs gestanden hätte. Auch insoweit sind jedoch die für die Schätzung maßgeblichen Tatsachen und die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung so umfassend im Urteil mitzuteilen, dass dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Überprüfung ermöglicht wird (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. Mai 2009 – 3 Ws (B) 234/09 – und 15. Juni 2011 -3 Ws (B) 226/11).

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