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Einstellung eines Bußgeldverfahrens wegen Verjährung – Kostenauferlegung

Staatskasse trägt Kosten nach Verjährung von Geschwindigkeitsverfahren

Das Amtsgericht Büdingen hat entschieden, dass die Staatskasse die notwendigen Auslagen der Betroffenen nach der Einstellung eines Bußgeldverfahrens wegen Verjährung zu tragen hat. Das Verfahren wurde ursprünglich aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung eingeleitet, doch aufgrund von Zustellungsproblemen und der darauffolgenden Verjährung wurde der Bußgeldbescheid zurückgenommen. Trotz eines dringenden Tatverdachts und ordnungsgemäßer Messung entschied das Gericht, dass die Kosten dem Staat und nicht der Betroffenen auferlegt werden, da ein Verfahrenshindernis vorlag.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 60 OWi 48/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Gericht hob einen Kostenbescheid auf und entschied, dass die Staatskasse die Auslagen der Betroffenen zu tragen hat.
  • Trotz Rücknahme des Bußgeldbescheides wegen Verjährung, müssen die Verfahrenskosten vom Staat übernommen werden.
  • Ursprünglich wurde ein Bußgeld wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verhängt, das Verfahren aber wegen Zustellungsproblemen und Verjährung eingestellt.
  • Das Gericht folgte nicht der Argumentation, dass die Kosten wegen eines Verfahrenshindernisses der Betroffenen aufzuerlegen seien.
  • Das Urteil betont, dass bei Einstellung wegen Verjährung die Staatskasse grundsätzlich die notwendigen Auslagen zu tragen hat.
  • Identifizierung der Fahrereigenschaft und Richtigkeit der Messung waren im Verfahren strittig.
  • Die Verwaltungsbehörde wurde für das rechtswidrige Vorenthalten von Beweismitteln kritisiert.
  • Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der frühzeitigen Mitteilung über Verfahrenseinstellungen an das Gericht.

Wenn Bußgeldverfahren verjähren

Die Einstellung eines Bußgeldverfahrens aufgrund von Verjährung wirft rechtliche Fragen zur Kostenübernahme auf. Gemäß geltender Rechtsprechung ist die Staatskasse in der Regel verpflichtet, die Verfahrenskosten zu tragen. Jedoch kann es Ausnahmen geben, beispielsweise wenn die Verjährung durch Verschulden des Betroffenen eingetreten ist. Die genauen rechtlichen Voraussetzungen und die damit verbundenen Herausforderungen werden in diesem Artikel näher beleuchtet. Im Folgenden wird ein konkretes Urteil analysiert, das sich mit der Kostenübernahme nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens wegen Verjährung befasst.

Im Zentrum des Falles stand die Einstellung eines Bußgeldverfahrens gegen eine Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgrund eingetretener Verjährung. Ursprünglich hatte das Regierungspräsidium Kassel mit einem Bußgeldbescheid vom 10. November 2022 ein Bußgeld wegen der Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit am 11. Mai 2022 gegen die Betroffene verhängt. Probleme bei der Zustellung dieses Bescheides führten letztlich dazu, dass die Zustellungsurkunde nicht an die Verwaltungsbehörde zurückging, was eine wesentliche Rolle im weiteren Verfahrensverlauf spielte.

Die Verwicklung von Zustellungsproblemen und Verjährung

Die Zustellung des Bußgeldbescheides an die Betroffene scheiterte, was zu einer signifikanten Verzögerung im Verfahren führte. In der Zwischenzeit legte der Verteidiger, dem eine Abschrift des Bußgeldbescheides formlos übermittelt wurde, trotz fehlender Vollmacht Einspruch ein. Dieser Schritt sowie die anschließende Anforderung von Beweismitteln, die der Verteidiger von der Verwaltungsbehörde nicht erhalten hatte, führten zu weiteren Verzögerungen. Erst im Laufe dieser Auseinandersetzungen wurde dem Amtsgericht Büdingen bewusst, dass das Verfahren gegen die Betroffene bereits eingestellt worden war.

Die Rolle der Staatskasse bei der Kostenübernahme

Das Amtsgericht Büdingen fällte schließlich den Beschluss, dass die Staatskasse die notwendigen Auslagen der Betroffenen zu tragen habe. Dieser Entschluss basierte auf der rechtlichen Einschätzung, dass nach Rücknahme des Bußgeldbescheides und der Einstellung des Verfahrens die entstandenen Kosten nicht der Betroffenen auferlegt werden dürfen. Die Entscheidung griff auf § 105 Abs. 1 OWiG sowie §§ 467a Abs. 1 S. 2 und 467 Abs. 3 S. 1 StPO zurück, die besagen, dass die notwendigen Kosten eines Betroffenen der Staatskasse auferlegt werden können, wenn das Verfahren aufgrund eines Verfahrenshindernisses eingestellt wird.

Juristische Feinheiten und die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht musste in seinem Urteil mehrere juristische Feinheiten berücksichtigen. Zunächst wurde die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung als solches Verfahrenshindernis angesehen. Weiterhin spielte die korrekte Anwendung von § 105 Abs. 1 OWiG eine zentrale Rolle, insbesondere die Frage, inwiefern die Staatskasse für die Auslagen aufkommen muss, wenn ein Bußgeldverfahren eingestellt wird. Das Gericht entschied, dass die Staatskasse die Kosten zu tragen hat, da die Verjährung eindeutig als Verfahrenshindernis zu werten ist und die Betroffene nicht aufgrund des Inhalts der Sache freigesprochen wurde.

Die Bedeutung der rechtzeitigen Kommunikation

Ein weiterer kritischer Punkt in diesem Fall war die fehlende Kommunikation zwischen der Verwaltungsbehörde und dem Gericht bezüglich der Einstellung des Verfahrens. Diese Lücke in der Informationsweitergabe führte zu unnötigen juristischen Auseinandersetzungen und verzögerte die endgültige Klärung des Falls. Das Gericht betonte die Notwendigkeit einer verbesserten Kommunikation, um ähnliche Verzögerungen in der Zukunft zu vermeiden.

Das Urteil des Amtsgerichts Büdingen unterstreicht die Wichtigkeit einer präzisen Handhabung von Bußgeldverfahren, insbesondere im Hinblick auf Zustellungsprobleme und die daraus resultierende Verjährung. Es verdeutlicht auch die Rolle der Staatskasse bei der Übernahme der Auslagen, die durch die Einstellung eines Verfahrens entstehen, und hebt die Bedeutung der Kommunikation zwischen den beteiligten Behörden hervor.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Welche Rolle spielt die Verjährung im Rahmen eines Bußgeldverfahrens?

Die Verjährung im Rahmen eines Bußgeldverfahrens bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs, hier der Anspruch einer Behörde, ein Bußgeld zu verlangen, erlischt. Dies bedeutet, dass nach Ablauf einer bestimmten Frist, der sogenannten Verjährungsfrist, keine Sanktionen mehr für eine begangene Ordnungswidrigkeit verhängt werden können. Die Verjährungsfrist beginnt mit der Beendigung der ordnungswidrigen Handlung und beträgt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten in der Regel drei Monate, solange kein Bußgeldbescheid ergangen oder öffentliche Klage erhoben wurde. Nach Ablauf dieser Frist verlängert sich die Verjährungsfrist auf sechs Monate.

Eine Unterbrechung der Verjährung kann durch verschiedene Ereignisse eintreten, wie beispielsweise die Versendung eines Anhörungsbogens, die Ermittlung der Adresse des Betroffenen bei einem Umzug, die vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen, die richterliche Vernehmung des Beschuldigten oder eines Zeugen, die Abgabe der Angelegenheit an die Staatsanwaltschaft, den Eingang der Akten beim Amtsgericht, die Erhebung der öffentlichen Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens. Diese Unterbrechungen führen dazu, dass die Verjährungsfrist von Neuem beginnt.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Verjährung nicht dazu führt, dass die Ansprüche auf das zu zahlende Bußgeld erlöschen. Das bedeutet, dass bereits gezahlte Bußgelder nicht zurückgefordert werden können, selbst wenn später festgestellt wird, dass die Ordnungswidrigkeit bereits verjährt war.

Die absolute Verjährungsfrist für Ordnungswidrigkeiten tritt nach zwei Jahren ein. Dies bedeutet, dass nach diesem Zeitraum keine Maßnahmen mehr gegen den Beschuldigten ergriffen werden können, selbst wenn die Verjährung zuvor unterbrochen wurde.

Zusammenfassend spielt die Verjährung eine entscheidende Rolle im Bußgeldverfahren, da sie die Zeitspanne definiert, innerhalb derer die Behörden einen Bußgeldbescheid rechtswirksam erlassen können. Nach Ablauf der Verjährungsfrist ist es nicht mehr möglich, Sanktionen für die begangene Ordnungswidrigkeit zu verhängen.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 46 OWiG i.V.m. § 170 StPO: Diese Vorschriften regeln die Einstellung des Verfahrens bei Ordnungswidrigkeiten in Verbindung mit der Strafprozessordnung. Im vorliegenden Fall wurde das Bußgeldverfahren wegen Verjährung eingestellt, was bedeutet, dass die Verfolgung der Tat nicht mehr zulässig ist.
  • § 105 Abs. 1 OWiG: Er besagt, dass bei der Einstellung eines Bußgeldverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen die notwendigen Auslagen des Betroffenen von der Staatskasse übernommen werden können. Im Kontext des Urteils wurde entschieden, dass die Staatskasse die Kosten zu tragen hat, da das Verfahren eingestellt wurde.
  • §§ 467a Abs. 1 S. 2, 467 Abs. 3 S. 1 StPO: Diese Paragraphen regeln, unter welchen Bedingungen von der Auferlegung der notwendigen Kosten auf den Betroffenen abgesehen werden kann. Speziell geht es darum, dass die Kosten dem Betroffenen nicht auferlegt werden, wenn das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses, wie der Verjährung, eingestellt wird.
  • § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG: Er behandelt die Unterbrechung der Verjährung durch bestimmte Handlungen der Behörden. Im vorliegenden Fall spielte die fehlende Unterbrechung der Verjährung eine entscheidende Rolle, da die Zustellung des Bußgeldbescheids fehlgeschlagen ist.
  • § 467 Abs. 2 bis 5 StPO: Diese Paragraphen ergänzen die Regelungen zur Kostenübernahme bei Einstellung des Verfahrens und spezifizieren die Bedingungen, unter denen die Staatskasse die Auslagen des Beschuldigten oder Betroffenen zu tragen hat. Sie waren relevant für die Entscheidung, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.
  • Analoge Anwendung §§ 48, 49 VwVfG: Diese Gesetze betreffen die Möglichkeit der Rücknahme oder Änderung von Verwaltungsakten. Obwohl sie direkt im Urteil nicht erwähnt wurden, spielen sie im Kontext der Entscheidung, ob ein selbstständiger Kostenbescheid geändert oder zurückgenommen werden kann, eine Rolle. Im Urteil wurde darauf hingewiesen, dass die Frage der Abänderung des Kostenbescheids unter Berücksichtigung dieser Vorschriften zu prüfen ist.


Das vorliegende Urteil

AG Büdingen – Az.: 60 OWi 48/23 – Beschluss vom 30.05.2023

Der selbstständige Kostenbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 06.04.2023 (Aktenzeichen 308.211977.8) wird aufgehoben.

Nach Rücknahme des Bußgeldbescheides vom 10.11.2022 und nach Einstellung des Verfahrens hat die Staatskasse die der Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Betroffenen hat die Staatskasse ebenfalls zu tragen.

Gründe

Mit Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Kassel (im Folgenden: Verwaltungsbehörde) vom 10.11.2022 wurde gegen die Betroffene ein Bußgeld wegen vorgeworfener Höchstgeschwindigkeitsüberschreitung am 11.05.2022 erlassen. Es wurde versucht, diesen der Betroffenen zuzustellen, wobei die Zustellungsurkunde allerdings nicht zur Verwaltungsbehörde zurück gelangte. Gleichzeitig wurde eine Abschrift des Bußgeldbescheides formlos an den Verteidiger übermittelt, der jedoch keine Vollmacht vorgelegt hatte. Dieser legte Einspruch ein.

Im Laufe des Verfahrens beantragte der Verteidiger gerichtliche Entscheidung bezüglich verschiedener, ihm seitens der Verwaltungsbehörde nicht zur Verfügung gestellter, Beweismittel. Mit Beschluss des Amtsgerichts Büdingen vom 12.04.2023 wurde dem Antrag teilweise stattgegeben. Zu diesem Zeitpunkt war dem Gericht nicht bekannt, dass das Regierungspräsidium Kassel bereits mit Entscheidung vom 16.02.2023 das Verfahren gegen die Betroffene gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 170 StPO eingestellt und den Bußgeldbescheid vom 10.11.2022 zurückgenommen hatte.

Der Verteidiger hat der Verwaltungsbehörde mit Schriftsatz vom 23.02.2023 eine Kostenrechnung übermittelt.

Mit selbständigen Kostenbescheid vom 07.03.2023 hat die Verwaltungsbehörde entschieden, dass „nach Rücknahme des Bußgeldbescheides vom 10.11.2022 und nach Einstellung des Verfahrens auf Antrag des Betroffenen die ihm entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt“ werden.

Die Begründung dieses Bescheides hat folgenden Wortlaut:

„Gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S. 2, 467 Abs. 3 S. 1 StPO kann davon abgesehen werden, die notwendigen Kosten dem Betroffenen aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Es wird nicht darauf abgestellt wer dieses Verfahrenshindernis zu verantworten hat. Das Verfahren ist eingestellt worden, weil nach Erlass des Bußgeldbescheides Verfolgungsverjährung eingetreten ist und gleichzeitig der Bußgeldbescheid zurückgenommen wurde. Nach Aktenlage besteht, wenn man die Verjährung außer Betracht lässt, ein dringender Tatverdacht dahingehend, dass der Betroffene die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen hat. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte ordnungsgemäß, das Gerät war geeicht, die mit der Messung beauftragten Personen waren entsprechend geschult und in staatlicher Anstellung. Die Messunterlagen waren vollständig. Das Fahrerfoto entspricht dem Lichtbild des Betroffenen bei der Personalausweisbehörde.

Da der Betroffene folglich nur nicht belangt wurde, weil ein Verfahrenshindernis bestand, konnte die Verwaltungsbehörde gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen/vgl. AG FFM, 981 OWi 75/21, AG Lampertheim 53 AR 70/22).“

Hierauf hat der Verteidiger sich für die Auslagenerstattung bedankt und den Bescheid vom 07.03.2023 „insoweit angenommen“. Weiterhin hat er endgültige Festsetzung und Ausgleichung der Kosten gemäß seinem Antrag vom 23.02.2023 beantragt.

Mit erneuten selbständigen Kostenbescheid vom 06.04.2023 hat die Verwaltungsbehörde den Antrag, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, zurückgewiesen und den selbstständigen Kostenbescheid vom 07.03.2023 für nichtig erklärt. Dieser Bescheid enthält folgende Begründung:

„Gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S. 2, 467 Abs. 3 S. 1 StPO kann davon abgesehen werden, die notwendigen Kosten des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Es wird nicht darauf abgestellt wer dieses Verfahrenshindernis zu verantworten hat. Das Verfahren wurde im vorliegenden Fall wegen Verjährung eingestellt und der Bußgeldbescheid gleichzeitig zurückgenommen. Nach Aktenlage besteht, wenn man die Verjährung außer Betracht lässt, ein dringender Tatverdacht dahingehend, dass der Betroffene die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen hat. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte ordnungsgemäß, das Gerät war geeicht, die mit der Messung beauftragten Personen waren entsprechend geschult und in staatlicher Anstellung. Die Messunterlagen waren vollständig. Das Fahrerfoto entspricht dem bei der Personalausweisbehörde hinterlegten Lichtbild des Betroffenen.

Da der Betroffene folglich nur nicht belangt wurde, weil ein Verfahrenshindernis bestand, konnte die Verwaltungsbehörde gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen/vgl. AG FFM, 981 OWi 75/21, AG Lampertheim 53 AR 70/22).“

Hiergegen hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 18.04.2023 Rechtsmittel eingelegt und die antragsgemäße Festsetzung der Auslagen beantragt. Die Betroffene sei weder als Fahrerin überführt, noch sei die Richtigkeit der Messung bewiesen, da die Behörde vorsätzlich Beweismittel zum wesentlichen Teil gelöscht habe. Zudem habe das Amtsgericht Büdingen attestiert, dass der Zugang zu wesentlichen Beweismittel rechtswidrig verweigert worden sei. Daher habe die Behörde auch rechtswidrig verhindert, dass vorhandene Messfehler zum Nachteil der Betroffenen nachgewiesenen und vorgetragen werden konnten die Behörde sei deshalb zur Auslagenerstattung verpflichtet.

Mit Verfügung vom 26.4.2023 hat die Verwaltungsbehörde eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen. Diese enthält folgende Begründung:

„In analoger Anwendung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätze ist mein Bescheid vom 07.03.2023 als nichtig anzusehen. Nichtigkeit eines Bescheides liegt bei besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehlern vor. Mein o.g. Bescheid enthält keine inhaltlich konsistente Kostenentscheidung, hier in der Form einer Auslagenentscheidung. Zwar erlegt der Tenor des Bescheids der Staatskasse die Auslagen auf, die Gründe tragen jedoch diese Entscheidung nicht, da sie in sich widersprüchlich sind. So wird an einer Stelle zur Auferlegung an die Staatskasse verwiesen, an anderer Stelle wiederum an die Betroffene. Der Verweis auf § 467 Abs. 3 S. 1 StPO schon nicht zum Sachverhalt des vorliegenden Ordnungswidrigkeitsverfahrens. Die damit vorliegenden Fehler sind schwerwiegend und offensichtlich und ohne weiteres erkennbar.

Es entspricht zudem der ständigen Veraltungspraxis, in vergleichbaren Verfahrenskonstellationen von der Auferlegung der Kosten/Auslagen zum Nachteilt der Staatskasse abzusehen, wenn lediglich die Zustellurkunde zum Bußgeldbescheid nicht in Rücklauf kommt und damit ein Fall des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO vorliegt.“

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.

Zunächst bedarf es keiner ausdrücklichen Entscheidung, ob die Rechtsauffassung des Regierungspräsidiums zutreffend ist, wonach der Kostenbescheid vom 07.03.2023 nichtig ist. Dagegen würde jedenfalls sprechen, dass der Tenor der Entscheidung eindeutig formuliert ist, auch wenn die Gründe hierzu und auch in sich zum Teil widersprüchlich sind. Darüber hinaus korrespondiert der Tenor im selbständigen Kostenbescheid mit der grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers, wonach regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbescheides und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat (vgl. § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a StPO und § 467 Abs. 2 bis 5 StPO). Deshalb dürfte auch eine Berichtigung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit ausscheiden.

Ebenfalls offenbleiben kann, ob die Verwaltungsbehörde, unabhängig davon, zur Abänderung dieser, die Betroffene begünstigten, Entscheidung (analog §§ 48, 49 VwVfG) befugt war.

Denn auch wenn man von der Befugnis der Behörde, erneut über die Frage der Auslagenerstattung zu entscheiden, ausgeht, erweist sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als begründet. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen sind zu erstatten.

Zutreffend ist die Verwaltungsbehörde davon ausgegangen, dass sie, nachdem sie das Verfahren eingestellt hat, über die Auslagen der Betroffenen zu entscheiden hat. Denn eine Auslagenentscheidung der Verwaltungsbehörde ist nach § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a StPO erforderlich, wenn das Verfahren nach Rücknahme eines Bußgeldbescheids eingestellt wird. § 467a Abs. 1 StPO regelt sinngemäß, dass die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen sind, wobei § 467 Abs. 2 bis 5 StPO ebenfalls sinngemäß gilt (Grommes, in: BeckOK OWiG, Graf, 38. Edition, Stand: 01.04.2023 Rn. 8 ff.).

Daraus ergibt sich die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers, dass regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbescheides und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat. Die im vorliegenden Fall einzig in Betracht kommende Ausnahme hiervon regelt § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO, wonach von der Auslagenerstattung abgesehen werden kann, wenn es nur deshalb nicht zu einer Verurteilung kommt, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

Diese Ausnahmevoraussetzung liegt im Ergebnis nicht vor, so dass die entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen zu erstatten sind.

Zum Zeitpunkt der Rücknahme des Bußgeldbescheides lag zwar Verfolgungsverjährung vor (§ 31 OWiG). Gemäß § 26 Abs. 3 S. 1 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen ist noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach sechs Monate. Zunächst wurde die Verfolgungsverjährung durch die am 17.08.2022 seitens der Verwaltungsbehörde verfügte Anhörung der Betroffenen unterbrochen. Zwar wurde vor Ablauf der Dreimonatsfrist am 10.11.2022 der Bußgeldbescheid erlassen. Allerdings gelangte die Zustellungsurkunde nicht in Rücklauf, so dass die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG nicht unterbrochen wurde.

Allerdings fehlt es an der weiteren Voraussetzung, dass es nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht zu einer Verurteilung gekommen ist. Hierbei ist nämlich stets dem Ausnahmecharakter der Bestimmung Rechnung zu tragen. Bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses muss deshalb mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sein. Ist diese zweifelhaft, sind auch die notwendigen Auslagen des Beschuldigten bzw. Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 467 Rn. 10 f. m.w.N.).

Von einer sicheren Verurteilung kann bereits deshalb nicht ausgegangen werden, da eine Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin durch den Tatrichter nicht stattgefunden hat. Zwar legt ein Abgleich der Messbilder mit den in der Akte befindlichen Lichtbildern der Betroffenen nahe, dass diese das Fahrzeug zur Tatzeit geführt hat. Die Fahrereigenschaft wurde allerdings nicht eingeräumt und es kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass nicht ein ähnlich aussehender Familienangehöriger das Fahrzeug gesteuert hat. Jedenfalls wäre das Gericht im Rahmen einer Hauptverhandlung gehalten gewesen, einem solchen – möglichen – Einwand nachzugehen.

Darüber hinaus kann auch nicht mit hinreichender Sicherheit von dem vorgeworfenen Höchstgeschwindigkeitsverstoß ausgegangen werden. Mit Beschluss des Amtsgerichts Büdingen vom 12.04.2023 wurde die Verwaltungsbehörde dazu verpflichtet, dem Verteidiger verschiedene Beweismittel zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus wurde in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass weitere Fragen des Verteidigers im Rahmen einer Hauptverhandlung durch Zeugenvernehmung geklärt werden können. Auch wenn bislang nach Aktenlage von einer ordnungsgemäßen Messung auszugehen ist, ist es, wie sich gelegentlich zeigt, gerade nicht auszuschließen, dass sich dies u.a. durch Vernehmung des Messbeamten in der Hauptverhandlung ausnahmsweise anders darstellt.

Im Übrigen wäre es inkonsequent, wenn nun von einer zu erwartenden sicheren Verurteilung ausgegangen würde, wenngleich mit Beschluss vom 12.04.2023 dem Antrag des Verteidigers auf Überlassung von Beweismitteln teilweise stattgegeben und darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass weitere, vom Verteidiger aufgeworfene Fragen, in der Hauptverhandlung zu klären seien. Zu diesem Beschluss mit dieser Begründung wäre es allerdings nicht gekommen, wenn die Verwaltungsbehörde dem Gericht mitgeteilt hätte, dass der Bußgeldbescheid aufgehoben und das Verfahren eingestellt worden ist. Deshalb wird dringend angeraten, dem Gericht zukünftig zeitnah eine erfolgte Verfahrenseinstellung mitzuteilen, wenn dort (lediglich) ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung in derselben Sache anhängig ist.

Auf die Frage, ob die Verwaltungsbehörde ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, kommt es mangels Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO.

Gemäß § 62 Abs. 2 S. 3 ist die Entscheidung nicht anfechtbar.

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