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Einmalige Alkoholfahrt mit BAK 1,3 Promille

MPU-Anordnung vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis

Hessischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 2 A 641/19 – Urteil vom 22.10.2019

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 12. November 2018 wird abgeändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Mai 2018 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger ohne vorherige Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtachtens die Fahrerlaubnis für die Fahrzeugklassen A (mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), A1 (mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), B, BE (mit der Schlüsselzahl 79.06), AM und L zu erteilen, soweit die sonstigen Voraussetzungen nach § 20 Abs. 1 und Abs. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung erfüllt sind.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis nach strafgerichtlicher Entziehung wegen einer Alkoholfahrt ohne vorherige Durchführung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung.

Am 12. November 2016 um 2.40 Uhr wurde der Kläger als Führer eines PKW einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen. Die wegen des Verdachts auf Alkoholkonsum um 3.15 Uhr durchgeführte Blutentnahme ergab eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,3 Promille.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 11. Januar 2017 wurde gegen den Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1, 2 des Strafgesetzbuchs − StGB −) eine Geldstrafe verhängt und die Entziehung der Fahrerlaubnis nach §§ 69, 69a StGB mit einer Sperrfrist von 9 Monaten angeordnet.

Am 18. Mai 2017 stellte der Kläger bei der Fahrerlaubnisbehörde der beklagten Stadt einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis.

Die Fahrerlaubnisbehörde forderte den Kläger daraufhin mit Anordnung vom 12. Juli 2017 gestützt auf die Vorschrift des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Fahrerlaubnisverordnung − FeV − zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu der Frage auf, ob er trotz der Hinweise auf Alkoholmissbrauch ein Fahrzeug sicher führen könne und nicht zu erwarten sei, dass er ein Kraftfahrzeug unter einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss führen werde. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger nach seinen Angaben im Strafverfahren über den hohen Promillewert selbst erschrocken gewesen sei und sich nicht betrunken gefühlt habe. Bei der Polizeikontrolle und der anschließenden ärztlichen Untersuchung habe er keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen gezeigt. Aufgrund dieses Sachverhalts lägen zusätzliche Tatsachen vor, die die Annahme von künftigem Alkoholmissbrauch begründeten, denn es sei nicht auszuschließen, dass sich der Kläger auch zukünftig fahrtauglich fühlen werde, obwohl er wegen erhöhten Alkoholeinflusses nicht in der Lage sei, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Die Eignungszweifel könnten nur durch die Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens ausgeräumt werden.

Nachdem der Kläger das Gutachten nicht innerhalb der gesetzten Frist beigebracht hatte, wies die Fahrerlaubnisbehörde den Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 19. Dezember 2017 zurück.

Mit Widerspruch vom 5. Januar 2018 machte der Kläger unter Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2017 − 3 C 24.15 − geltend, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten nach vorangegangener strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer einmaligen Alkoholfahrt gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV erst bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr gefordert werden dürfe.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2018 (zugestellt am 18. Mai 2018) zurückgewiesen, da das Fehlen von Ausfallerscheinungen bei einer hohen Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille eine gewisse Gewöhnung an Alkohol in der Vergangenheit belege. Die Gutachtenanordnung sei nach der Regelung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV gerechtfertigt.

Am 18. Juni 2018 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Angabe vor dem Strafgericht, dass er keine Alkoholauswirkung gespürt habe, sei eine Schutzbehauptung im Kontext des Strafverfahrens gewesen. Fehlende Ausfallerscheinungen seien kein zusätzliches Indiz für die Frage der Klärung eines zukünftigen Alkoholmissbrauchs.

Der Kläger hat beantragt, den ablehnenden Bescheid der Beklagten in Form des Widerspruchsbescheids vom 16. Mai 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die mit Antrag vom 18. Mai 2017 beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 12. November 2018 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die bei dem Kläger festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille belege ein über dem gesellschaftlich üblichen Konsum liegendes Trinkverhalten. Bei einer Blutalkoholkonzentration im Bereich von 1,3 bis 1,6 Promille handele es sich um eine Grauzone, deren Erreichen auf eine hohe Giftfestigkeit schließen lasse. Das Fehlen von Ausfallerscheinungen belege ein abnormes Trinkverhalten. Es handele sich um zusätzliche Tatsachen im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV, die die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründeten und die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis erforderten.

Gegen das am 10. Dezember 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. Januar 2019 die Zulassung der Berufung beantragt, die der Senat mit Beschluss vom 13. März 2019 − 2 A 83/19.Z − wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zugelassen hat.

Mit der fristgerecht begründeten Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen und macht ergänzend geltend, dass nach der Wertung des Verordnungsgebers eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach einer einmaligen Fahrt unter Alkoholeinfluss erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille gefordert werden dürfe. Das Fehlen von Ausfallerscheinungen bei der polizeilichen Kontrolle und der ärztlichen Untersuchung im Zusammenhang mit der Blutentnahme könne mit der Stresssituation und der Fähigkeit zur kurzfristigen Konzentration auf die durchgeführten Tests erklärt werden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 12. November 2018 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. Dezember 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Mai 2018 zu verpflichten, ihm ohne vorherige Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtachtens die Fahrerlaubnis für die Fahrzeugklassen A (mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), A1 (mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), B, BE (mit der Schlüsselzahl 79.06), AM und L zu erteilen, soweit die sonstigen Voraussetzungen nach § 20 Abs. 1 und Abs. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung erfüllt sind.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang (1 Hefter) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Fahrerlaubnis der beantragten Klassen ohne vorherige Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu erteilen, soweit die sonstigen Voraussetzungen nach § 20 Abs. 1 und Abs. 2 der FeV erfüllt sind (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung − VwGO −). Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Mai 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts ist abzuändern (§ 129 VwGO).

Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gelten gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV die Vorschriften über die Ersterteilung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes − StVG − müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Die Eignung besitzt nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG sowie § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 FeV, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Die Anforderungen sind insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegt, wodurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FeV). Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV ist die Eignung bei Alkoholmissbrauch ausgeschlossen; er liegt vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Gemäß Nr. 8.2 dieser Anlage kann von einer Eignung erst dann wieder ausgegangen werden, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist.

In § 13 FeV finden sich spezielle Regelungen zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ist zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a). Gleiches gilt, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e).

Allein das Fehlen von Ausfallerscheinungen bei der dem Kläger vorzuhaltenden einmaligen Alkoholfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille genügt nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht, um als sonstige Tatsache i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV die Anordnung der Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu rechtfertigen.

Bei der medizinisch-psychologischen Begutachtung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV geht es nach der Begründung des Verordnungsgebers im Wesentlichen um eine Beurteilung des Alkoholtrinkverhaltens des Betroffenen und den Umgang mit Alkohol (Frage des kontrollierten Alkoholkonsums, Trennen von Trinken und Fahren) und eine Verhaltensprognose (vgl. BR-Drs. 443/98, S. 260 f, auch abgedr. in der Bekanntgabe des Bundesministers für Verkehr der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 18. August 1998 mit Begründung, VkBl. 1998, 982, 1070).

In systematischer Hinsicht ist die Regelung in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV eine Auffangregelung für Fallkonstellationen, die nicht unter § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b bis Buchst. e fallen (vgl. Dauer in: Hentschel/ König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 13 FeV Rn. 20 m.w.N. aus der Rspr.). Inhalt und Grenzen dieser Bestimmung ergeben sich aus einem Vergleich mit den anderen Fallgruppen des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV, die die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung bei Fragestellungen in Zusammenhang mit Alkohol vorsehen. Denn der Verordnungsgeber hat mit den Tatbeständen des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV einen Rahmen geschaffen, bei dessen Ausfüllung auch die jeweils anderen Tatbestände und die ihnen zugrundeliegenden Wertungen zu berücksichtigen sind. Dies gilt insbesondere für die speziellen Tatbestände des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und Buchst. c FeV (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. April 2017 − 3 C 13.16 −, BVerwGE 158, 335, Rn. 14 und − 3 C 24.15 −, juris Rn. 16). Anhaltspunkte für Bedenken, dass der Betroffene nach einer Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr auch künftig nicht hinreichend sicher zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und Fahren trennen werde, die einer Klärung durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung bedürfen, sieht der Verordnungsgeber dann, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b). Bei einer einmalig gebliebenen Alkoholauffälligkeit ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens dann anzuordnen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c). Diese Grundentscheidung des Verordnungsgebers ist nicht anders als im Rahmen eines Regelbeispielskatalogs bei der Auslegung des Tatbestands des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu beachten (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. April 2017, a.a.O.). Eine einmalig gebliebene Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille genügt ohne zusätzliche aussagekräftige Umstände nicht, um als sonstige Tatsache im Sinne dieses Tatbestands die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen (BVerwG, a.a.O.).

Bei der Festsetzung des Grenzwertes von 1,6 Promille in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist der Verordnungsgeber im Jahre 1998 einer Empfehlung des Bundesrates gefolgt (vgl. BR-Drs. 443/98 (Beschluss), S. 6, auch abgedr. in VkBl. 1998, S. 982, 1070 f.). Dieser führte zur Begründung aus, nach einhelliger Auffassung in Wissenschaft und Literatur entspreche die bisher in Verwaltungsvorschriften enthaltene Differenzierung, eine medizinisch-psychologische Untersuchung bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,0 Promille oder mehr bzw. bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 bis 1,99 Promille und zusätzlichen Anhaltspunkten anzuordnen (vgl. Änderung der Richtlinien für die Prüfung der körperlichen und geistigen Eignung von Fahrerlaubnisbewerbern (Eignungsrichtlinien) vom 30. Oktober 1989, VkBl. S. 786), nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand. Vielmehr sei davon auszugehen, dass alkoholauffällige Kraftfahrer bereits mit einer Blutalkoholkonzentration ab 1,6 Promille über deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit verfügten. Da diese Personen doppelt so häufig rückfällig würden wie Personen mit geringeren Blutalkoholkonzentrationen, sei das Erfordernis zusätzlicher Verdachtsmomente nicht mehr vertretbar. Man bezog sich dabei auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein (Urteil vom 7. April 1992 − 4 L 238/91 −, juris) und die Ausführungen in einem Sachverständigengutachten, das dieser Entscheidung zugrunde lag.

Für die Anwendung der Regelung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ergibt sich nach Auffassung des Senats Folgendes:

a) Nicht erst das Fehlen von Ausfallerscheinungen bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille, die bei dem Kläger festgestellt worden ist, ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ein signifikantes Kriterium, das auf eine hohe Alkoholgewöhnung (Giftfestigkeit) durch eine längere Phase übermäßigen Trinkens schließen lässt. Der gegenwärtige Stand der Wissenschaft zum Zusammenhang von Alkoholkonsum und Fahreignung ist in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (VkBl. S. 110) in der Fassung vom 15. September 2017 (VkBl. S. 844), (Kapitel 3.13) niedergelegt, die nach der Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV bei der Begutachtung verbindlich anzuwenden sind. Weiterhin ergibt sich der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis aus der von Sachverständigen verfassten aktuellen Kommentierung der Begutachtungsleitlinien (Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, hrsg. von Schubert/Huetten/Reimann/Graw, 3. Aufl. 2018). Danach gilt es als wissenschaftlich allgemein akzeptiert, dass der gesellschaftlich übliche Alkoholkonsum in der Regel − auch bei besonderen Trinkanlässen − nur zu Spitzenwerten zwischen 0,8 bis 1,1 Promille, allenfalls in besonderen Fällen auch bis 1,3 Promille führt (Begutachtungsleitlinien, Kommentar, a.a.O., S. 249). Eine hohe Alkoholgewöhnung (Giftfestigkeit) wird erreicht, indem bei häufigem Trinken die Trinkmenge schrittweise gesteigert wurde, da bei wiederholtem Konsum die psychoaktive Wirkung des Alkohols nachlässt (Begutachtungsleitlinien, Kommentar, a.a.O., S. 250 f.). Aus dem Erreichen hoher Blutalkoholkonzentrationen jenseits von 1,0 Promille mit anschließender Verkehrsteilnahme kann nach Einschätzung von Wissenschaftlern nicht nur auf einen aktuell starken Wunsch, die berauschende Wirkung des Alkohols zu erleben, geschlossen werden, sondern auch auf eine vorausgegangene Phase, in der dieser Wunsch immer wieder durch übermäßiges Trinken befriedigt wurde. Dies gelte auch dann, wenn erhebliche Ausfälle im Verhalten zu beobachten seien, selbst wenn dies für eine etwas geringere Toleranz als bei weitgehend Unbeeinträchtigten spreche (Begutachtungsleitlinien, Kommentar, a.a.O., S. 251). Treten trotz hoher Blutalkoholkonzentration keine Ausfälle auf, müsse daraus hergeleitet werden, dass der Betroffene in der Vergangenheit häufig noch höhere Werte erreicht habe, da bei Erreichen der persönlich maximal möglichen Trinkmenge schwere Ausfallerscheinungen zu erwarten seien (Begutachtungsleitlinien, Kommentar, a.a.O., S. 251). Soweit nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung als eine Fallgruppe, in der von Alkoholmissbrauch auszugehen sei, eine einmalige Fahrt unter hoher Alkoholkonzentration „ohne weitere Anzeichen einer Alkoholwirkung“ genannt ist, heißt es dazu in der Kommentierung „präzisierend“, dass das Erreichen oder Überschreiten der in der Fahrerlaubnis-Verordnung derzeit vorgesehenen Grenze von 1,6 Promille für die Anordnung eines Gutachtens in jedem Fall für das Vorliegen einer auch bei Trinkgewohnten ungewöhnlich hohen Blutalkoholkonzentration und damit für Alkoholmissbrauch im Sinne der Begutachtungsleitlinien spreche (Begutachtungsleitlinien, Kommentar, a.a.O., S. 251). Eine den Alkoholmissbrauch kennzeichnende „hohe“ Alkoholkonzentration wird also auch beim Fehlen von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen an den Promillewert in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gekoppelt.

Entgegen dem Verständnis der Beklagten (vgl. auch – nicht entscheidungstragend: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. März 2019 − 3 M 291/18 −, juris Rn. 23; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2019 − 11 ZB 19.448 −, juris Rn. 11; OVG d. Saarlandes, Urteil vom 4. Juli 2018 − 1 A 405/17 −, juris Rn. 41) vermag der erkennende Senat den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in dem Urteil vom 6. April 2017 − 3 C 24.15 − (juris Rn. 28) keine tragende Aussage dahingehend zu entnehmen, dass allein das Fehlen von Ausfallerscheinungen, das auf eine gewisse Giftfestigkeit schließen lasse, als Zusatztatsache im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu werten sei. Diese Ausführungen beziehen sich lediglich auf die Feststellungen der Vorinstanz und das Fehlen von revisionsrechtlich bedeutsamen Verfahrensrügen.

b) Auch unter dem Gesichtspunkt des mangelnden Wirkungsempfindens aufgrund der bestehenden Giftfestigkeit kann allein das Fehlen von Ausfallerscheinungen bei einer Alkoholfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille nach der gegenwärtigen Rechtslage die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht rechtfertigen.

Die Beklagte weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Kläger ausweislich seiner Angaben in dem strafgerichtlichen Verfahren über den hohen Blutalkoholwert selbst erschrocken gewesen sei und sich nicht betrunken gefühlt habe, und leitet daraus die Besorgnis ab, dass er das erforderliche Trennungsvermögen zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und dem Führen von Fahrzeugen auch künftig nicht aufbringen werde.

Der Aspekt des mangelnden Wirkungsempfindens aufgrund der bestehenden Giftfestigkeit hat indes bei der Festlegung des Grenzwerts von 1,6 Promille in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV Berücksichtigung gefunden. In der grundlegenden Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein vom 7. April 1992 − 4 L 238/91 − (juris), auf die sich die Begründung des Bundesrates zu dieser Regelung (a.a.O.) bezieht, ist unter Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten von Stephan ausgeführt, dass diejenigen Personen, die im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr auffällig würden, beim Trinken nicht mehr realisierten, wann sie die kritische Grenze der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit überschritten. Der Verlust dieser Kontrollmöglichkeit werde auch nicht durch eine bewusste Registrierung oder ein bewusstes Rekapitulieren der getrunkenen Alkoholmenge kompensiert (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., Rn. 17).

Liegt dem geltenden Grenzwert von 1,6 Promille für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach einmaliger Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV aber die Einschätzung zugrunde, dass erst ab diesem Wert ein relevanter Verlust des Wirkungsempfindens gegeben ist, der nicht durch eine Reflexion der Trinkmenge kompensiert werden kann, ist dies bei der Bestimmung des Gegenstands der sonstigen Tatsachen i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV zu berücksichtigen. Von einem Verlust der Fähigkeit, wegen mangelnden Wirkungsempfindens eine rationale Entscheidung zu treffen, und von einem Verlust des Überblicks über die Trinkmenge kann bei einer einmaligen Alkoholfahrt nach geltender Rechtslage deshalb erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille ausgegangen werden (vgl. hierzu: Begutachtungsleitlinien, Kommentar, a.a.O., S. 252, 257).

c) Der entscheidende Gesichtspunkt für die Anforderung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach vorangegangener Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr ist die Rückfallwahrscheinlichkeit (vgl. Rothfuß, jM 2017, 427, 429; Dronkovic/Kalus, „MPU unter 1,6 Promille?“, Blutalkohol 53 (2016), S. 145, 152 f.). Dabei liegt der Regelung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV die Erwartung zugrunde, dass bei einer einmaligen Fahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille durch die Wirkung der Strafe und die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB nach Ablauf der Sperrfrist der mit der Trunkenheitsfahrt dokumentierte Alkoholmissbrauch nicht mehr bestehen werde, da der Betroffene in der Lage ist, aus den Konsequenzen seiner Auffälligkeit die erforderlichen Schritte abzuleiten und sie umzusetzen (vgl. Begutachtungsleitlinien, Kommentar, a.a.O., S. 257). Ob der Wert von 1,6 Promille mit Blick auf die Rückfallwahrscheinlichkeit herabgesetzt werden müsste, ist eine Frage, die von dem Verordnungsgeber zu beantworten ist. Der Deutsche Verkehrsgerichtstag hat bereits im Jahre 2016 gefordert, dass aufgrund der empirisch belegten Rückfallwahrscheinlichkeit die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung bei Kraftfahrzeugführern nach einmaliger Auffälligkeit bereits ab 1,1 Promille erfolgen solle (vgl. Empfehlungen des Deutschen Verkehrsgerichtstages 2016, Arbeitskreis II, Nr. 3, abrufbar unter: https://www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de/images/empfehlungen_pdf/empfehlungen_54_vgt.pdf). Gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht hatte der Vertreter des Bundesinteresses in den Verfahren zur Auslegung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV mitgeteilt, dass die Bundesanstalt für Straßenwesen prüfe, ob es gerechtfertigt sei, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bereits nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr zwingend vorzusehen (BVerwG, Urteile vom 6. April 2017 − 3 C 24.15 −, juris Rn. 27; − 3 C 13.16 −, juris Rn. 25). Wie auch das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) betont hat, ist es allein Aufgabe des Verordnungsgebers, den Grenzwert gegebenenfalls neu zu bestimmen. Dies ist jedoch bislang nicht geschehen. Der Senat sieht sich deshalb daran gehindert, durch die von der Beklagten vertretene Auslegung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV eine Herabsetzung des in Buchst. c dieser Norm enthaltenen Promillewertes faktisch herbeizuführen.

Als unterliegender Teil hat die Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zur Klärung der Frage zugelassen, ob das alleinige Fehlen von Ausfallerscheinungen bei einer Blutalkoholkonzentration unterhalb von 1,6 Promille als sonstige Tatsache i.S.v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu werten ist, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründet. Häufig liegen außer dem Wert der Blutalkoholkonzentration und den Angaben in dem polizeilichen Protokoll und in dem ärztlichen Untersuchungsbericht über fehlende Ausfallerscheinungen keine näheren Kenntnisse über die weiteren Umstände und Hintergründe der Alkoholfahrt vor. Eine eindeutige Aussage zu der Fragestellung lässt sich der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (insbesondere in dem Urteil vom 6. April 2017 − 3 C 24.15 − Rn. 28) nicht entnehmen.

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