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Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens zur Identifizierung des Fahrers

Verkehrssünder oder Justizopfer? Landgericht Landshut hebt Bußgeldbeschluss auf

In einem komplexen Fall, der die Grenzen der Verwaltungsjustiz und die Bedeutung eines fairen Verfahrens in den Fokus rückt, hat das Landgericht Landshut einen Beschluss des Amtsgerichts Landshut aufgehoben. Der Fall dreht sich um einen Bußgeldbescheid, der einem Autofahrer wegen Missachtung einer roten Ampel ausgestellt wurde. Das Hauptproblem liegt in der Identifizierung des Fahrers und der Frage, ob die Verwaltungsbehörde und das Amtsgericht ausreichende Ermittlungen durchgeführt haben, um den Beschuldigten zu belasten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Qs 154/13 >>>

Die Rolle der Verwaltungsbehörde

Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt hatte dem Betroffenen einen Bußgeldbescheid über 200 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot ausgestellt. Der Betroffene legte Einspruch ein und behauptete, nicht der Fahrer gewesen zu sein. Trotz einer Einlassung des Vaters, der die Fahrereigenschaft für sich reklamierte, ging die Behörde nicht weiter auf diese Information ein. Stattdessen stützte sie ihre Entscheidung auf ein minderwertiges Passfoto des Betroffenen.

Unzureichende Ermittlungen und Verfahrensfehler

Der Betroffene legte erneut Einspruch ein und beantragte die Wiederaufnahme des Verfahrens. Er präsentierte neue Beweismittel, darunter Zeugenaussagen und die Anforderung eines anthropologischen Gutachtens. Das Amtsgericht Landshut wies den Wiederaufnahmeantrag jedoch als unzulässig zurück. Es argumentierte, dass der Betroffene keine überzeugenden Gründe für das späte Vorbringen der neuen Beweismittel geliefert habe.

Die sofortige Beschwerde und die Rolle des Landgerichts

Der Verteidiger des Betroffenen legte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein. Er argumentierte, dass die Vorgehensweise der Bußgeldbehörde willkürlich sei und gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoße. Das Landgericht Landshut gab der Beschwerde statt und hob den Beschluss des Amtsgerichts auf. Es verwies das Verfahren zur erneuten Prüfung an das Amtsgericht zurück.

Rechtliche Implikationen und die Bedeutung eines fairen Verfahrens

Das Landgericht stellte fest, dass ein zulässiger Wiederaufnahmeantrag vorlag. Es betonte die Bedeutung neuer Beweismittel und Tatsachen, die in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet sind, die Freisprechung des Betroffenen zu begründen. Damit rückt der Fall die Bedeutung eines fairen Verfahrens und einer sorgfältigen Ermittlungsarbeit in den Mittelpunkt.

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Das vorliegende Urteil

LG Landshut – Az.: 3 Qs 154/13 – Beschluss vom 18.09.2013

1. Auf die sofortige Beschwerde vom 29.07.2013 wird der Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 16.07.2013 aufgehoben.

2. Der Wiederaufnahmeantrag vom 25.09.2012 ist zulässig.

3. Das Verfahren wird zur Durchführung der Begründetheitsprüfung des Wiederaufnahmeantrages an das Amtsgericht Landshut zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt erließ am 08.05.2012 einen Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen wegen Missachtens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage als Führer eines Pkw bei einer länger als 1 Sekunde andauernden Rotphase mit einer Geldbuße von 200,00 € und einem Monat Fahrverbot. Gegen den am 10.05.2012 zugestellten Bußgeldbescheid legte der Betroffene mit Schreiben vom 18.06.2012 Einspruch ein und entschuldigte sich darin für das verspätete Schreiben. Er führte aus, er habe den Wagen nicht gefahren, sondern sein Vater A.. Bereits im Anhörungsverfahren vor Erlass des Bußgeldbescheides hatte der Vater des Betroffenen, A., den Anhörungsbogen mit seinen Personalien ausgefüllt (Geburtsdatum, Vorname A.), unterschrieben und auf der Rückseite ausgeführt: „Ich habe schon angehalten, nicht weitergefahren, ich bitte um die Fotos nochmal anzusehen, müsste noch feststellbar sein, dass ich angehalten habe.“

Aus dem Akteninhalt ist nicht ersichtlich, inwieweit sich die Verwaltungsbehörde mit dieser Einlassung inhaltlich auseinandergesetzt hat. Der polizeiliche Sachbearbeiter erholte lediglich ein in den Auszug aus dem Ausländerzentralregister kopiertes Passfoto des Betroffenen mit geringer Schwarz-Weiß-Qualität und einer Größe von 2 x 3 cm. Darauf ist handschriftlich notiert: „nach SB-Meinung mit dem Fahrer identisch. (Kopfform, Ohr rechts, Nase, Gesamteindruck).“ Weitere Feststellungen zu der Frage, auf welche Indizien die Verwaltungsbehörde die Fahrereigenschaft des Betroffenen stützt, enthält die Akte nicht. Ein anthropologisches Kurzgutachten, das in vergleichbaren Fällen häufig erholt wird, befindet sich nicht in der Akte. Auch der Vater des Betroffenen wurde weder angehört noch als Zeuge vernommen. Zur Ermittlung der Person des Beifahrers, der auf den Tatortfotos besser zu erkennen ist als der Fahrer, als möglichen Tatzeugen wurde nichts unternommen

Die Bußgeldbehörde verwarf mit Datum vom 21.06.2012 den Einspruch des Betroffenen als unzulässig wegen Verfristung. Mit selbst verfasstem Schreiben vom 27.06.2012, das eben so wenig wie das Einspruchsschreiben vom 18.06.2012 einen Eingangsstempel der Bußgeldbehörde aufweist, beantragte der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er führte aus, sein Vater habe das Auto gefahren. Er habe ihm das Schreiben gegeben, damit er sich darum kümmert. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er den Widerspruch einlegen müsse. Er bittet deshalb das Verfahren gegen ihn und gegen seinen Vater A. einzustellen.

Mit Beschluss vom 11.07.2012 verwarf die Bußgeldbehörde den Wiedereinsetzungsantrag wegen mangelnder Glaubhaftmachung. Der Verwerfungsbeschluss wurde dem Betroffenen am 13.07.2012 zugestellt.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 30.07.2012, taggleich eingegangen bei der Bußgeldbehörde per Fax, legte der Betroffene erneut Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Verteidiger führte aus, bereits im Rahmen des Anhörungsverfahrens habe sein Mandant darauf hingewiesen, dass er zum Tatzeitpunkt nicht Führer des Fahrzeugs gewesen sei, sondern sein Vater, A.. Insoweit sei der Betroffene davon ausgegangen, dass das Bußgeldverfahren für ihn „erledigt“ sei. Sein Vater habe ihm ausdrücklich zugesichert, dass er sich um die Angelegenheit kümmern werde und seine Fahrereigenschaft bei der Bußgeldstelle anzeigen werde. Sein Mandant sei davon ausgegangen, bereits die Stellungnahme seines Vaters im Anhörungsverfahren wäre ein ausreichender Einspruch.

Mit weiterem Schriftsatz vom 25.09.2012 beantragte der Verteidiger des Betroffenen die Wiederaufnahme des Verfahrens. Als neue Beweismittel benannte er die Zeugen M. und E.. Diese würden bestätigen, dass nicht der Betroffene, sondern sein Vater A. Fahrer des Pkw zur Tatzeit gewesen sei. Außerdem beantragte der Verteidiger die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens. Dies würde eindeutig ergeben, dass es sich bei der Person auf dem Lichtbild des in den Wiederaufnahmeantrag kopierten Aufenthaltstitels von A. und des Passfotos aus dem Pass derselben Person um den verantwortlichen Fahrer des Pkw zur Tatzeit handele.

Nach der Aktenvorlage an das Amtsgericht Landshut ergänzte der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 25.03.2013 seine bisherigen Ausführungen. Für den Betroffenen sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Bußgeldbehörde sich mit dem dürftigen Foto seines Mandanten aus dem Auszug des Ausländerregisters zufrieden gegeben habe. Sein Mandant sei vielmehr davon ausgegangen, nachdem sein Vater die Fahrereigenschaft eingeräumt habe, sei die Angelegenheit erledigt. Er habe seinen Vater damit beauftragt, sich um die ganze Angelegenheit zu kümmern. Er habe deshalb auch die beiden Zeugen damals nicht benannt. Die Bußgeldbehörde habe schlichtweg willkürlich die Einlassung des Vaters des Betroffenen übergangen. Sie habe es auch nicht für nötig befunden, den auf dem Lichtbild deutlich erkennbaren Beifahrer ausfindig zu machen und zu befragen. Der auf dem Lichtbild auf der Beifahrerseite deutlich erkennbare Beifahrer sei der jetzt benannte Zeuge M..

In ihrer Stellungnahme vom 24.04.2013 wies die Staatsanwaltschaft auf die Darlegungslast des Betroffenen hin. Er müsse einleuchtende Gründe dafür anführen, warum er die neuen Beweismittel nicht bereits früher zu seiner Entlastung benutzt habe. Die bisherigen Erklärungen des Betroffenen seien hierfür nicht ausreichend. Spätestens mit der Zustellung des Bußgeldbescheids am 10.05.2012 hätte der Betroffene genügend Veranlassung gehabt, Entlastungszeugen zu benennen.

Mit Beschluss vom 16.07.2013 verwarf das Amtsgericht Landshut den Wiederaufnahmeantrag als unzulässig.

Der Antrag auf Erholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens sei an sich kein neues Beweismittel. Angesichts der außerordentlich guten Qualität der Tatfotos (zu Bl. 40 d.A.) sei es weder von der Bußgeldbehörde noch vom insoweit zuständigen Gericht für erforderlich gehalten worden, ein anthropologisches Sachverständigengutachten zu erholen. In Anbetracht der erwähnten Lichtbilder mit guter Qualität habe zur Überzeugung des Gerichts ein bloßer augenscheinlicher Vergleich zwischen den Lichtbildern und dem Aussehen des Betroffenen bzw. dessen Vaters zur positiven oder negativen Identifizierung ausgereicht.

Der Betroffene habe auch keine objektiv einleuchtenden Gründe dafür anführen können, warum er die ihm bekannten beiden Zeugen nicht bereits früher schon im Verfahren der Bußgeldbehörde bzw. nach Zustellung des Bußgeldbescheides als Beweismittel benannt habe. Insoweit sei der Betroffene seiner Darlegungspflicht nicht hinreichend nachgekommen.

Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger am 25.07.2013 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 29.07.2013, taggleich eingegangen per Fax beim Amtsgericht Landshut, legte dieser sofortige Beschwerde ein. In der mit Schriftsatz vom 12.08.2013 vorgetragenen Begründung nahm der Verteidiger auf seine bisherigen Ausführungen Bezug und bezeichnete die Vorgehensweise der Bußgeldbehörde als schlichtweg willkürlich und als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Die Bußgeldbehörde habe die Einlassung des Vaters des Betroffenen einfach übergangen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde erweist sich als begründet, weil ein zulässiger Wiederaufnahmeantrag vorliegt (§§ 359 Nr. 5, 366, 368 StPO, 85 OWiG).

Nach diesen Vorschriften ist ein Wiederaufnahmeantrag gegen einen rechtskräftigen Bußgeldbescheid, der neben einer Geldbuße auch ein Fahrverbot beinhaltet, zulässig, wenn er von einem Verteidiger gestellt wird und neue Beweismittel oder Tatsachen beinhaltet, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet sind, die Freisprechung des Betroffenen zu begründen.

Der Verteidiger hat als neue Beweismittel die beiden Zeugen M. und E. sowie den Antrag auf Erholung eines anthropologischen Gutachtens bezeichnet. Im Gegensatz dazu hat das Amtsgericht in seiner Entscheidung vom 16.07.2013 diese Beweismittel nicht als neu eingestuft. In Bezug auf die Benennung der beiden Zeugen ging das Amtsgericht davon aus, der Betroffene habe seine im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrages gemäß § 359 Nr. 5 StPO erhöhte Darlegungspflicht nicht erfüllt, weil er nicht plausibel darlegen konnte, warum er nicht bereits im Einspruchsschreiben die beiden Zeugen benannt habe. Der Gutachtensantrag sei nicht als neues Beweismittel einzustufen, weil sowohl die Bußgeldbehörde als auch das Amtsgericht aufgrund eigener Sachkunde angesichts der guten Qualität der Lichtbilder vom Tatort die Fahrereigenschaft des Betroffenen festgestellt habe.

Dieser Begründung folgt die Kammer nicht.

Neue Zeugen:

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei einem Wiederaufnahmeantrag gemäß § 359 Nr. 5 StPO aufgrund der aus dieser Vorschrift abgeleiteten Beibringungspflicht des Antragstellers diesen eine erhöhte Darlegungslast für den Fall trifft, dass er ein bereits während des laufenden Verfahrens bekanntes Beweismittel erst im Wiederaufnahmeantrag als neu benennt. Die hierzu ergangenen Entscheidungen betreffen jedoch Fälle, in denen eine Hauptverhandlung stattgefunden hat, in welcher die Entscheidungsgrundlagen des Gerichts in Anwesenheit des Betroffenen für diesen nachvollziehbar erarbeitet werden, so dass für ihn auch die Wertigkeit und Bedeutung einzelner Beweismittel erkennbar wird.

Im gegenständlichen Verfahren ist die mit dem Wiederaufnahmeantrag angegriffene Entscheidung im Büroweg ohne persönliche Einbindung des Betroffenen ergangen. Ihm wurde lediglich ein Anhörungsbogen übersandt, den der Betroffene jedoch von seinem Vater ausfüllen und zurücksenden ließ. In diesem Anhörungsbogen benannte sich der Vater des Betroffenen ausdrücklich als Fahrer. Der weitere Ablauf des Entscheidungsprozesses der Verwaltungsbehörde wurde dem Betroffenen nicht offen gelegt. Welche Gesichtspunkte für die Bußgeldbehörde bei der Fahreridentifizierung ausschlaggebend waren, wurde dem Betroffenen im Einzelnen nicht mitgeteilt. Dies ist in einem Verwaltungsverfahren mit Verkehrsordnungswidrigkeiten auch nicht vorgesehen.

Der Entscheidungsprozess ist aber auch in der Akte nur unzureichend nachvollziehbar. Die Verwaltungsbehörde hat sich damit begnügt, ein kleines Lichtbild des Betroffenen mit einer unzureichend aussagekräftigen Schwarz-Weiß-Kopier-Qualität aus dem Ausländerzentralregister zu beschaffen offensichtlich wegen seiner Haltereigenschaft. Dieses kleine Lichtbild wurde  vom Sachbearbeiter mit den Tatortlichtbildern (zu Bl. 40) verglichen und als übereinstimmend bewertet. Als Übereinstimmungsmerkmale hat der Sachbearbeiter handschriftlich neben das Lichtbild des Betroffenen im Auszug aus dem Ausländerzentralregister (Bl. 40) die Kopfform, das rechte Ohr und den Gesamteindruck vermerkt. Individuelle Details zu diesen sehr allgemeinen Merkmalen werden nicht mitgeteilt. Ein Lichtbild des Vaters des Betroffenen, der sich selbst als Fahrer bezeichnet hatte, wurde zu Vergleichszwecken weder erholt noch herangezogen. Er wurde weder angehört noch vernommen. Auch zur Aufklärungsmöglichkeit über die Person des Beifahrers, der auf den Tatortfotos besser zu erkennen ist als der Fahrer, enthält die Akte keinen Hinweis.

Für die Kammer sind die herangezogenen Lichtbilder keineswegs von guter Qualität. Auf dem Tatortfoto ist die gesamte Kopfform des Fahrers für die Kammer gerade nicht erkennbar, da der Kopfbereich oberhalb der Augen durch eine Sonnenblende oder durch eine Kopfbedeckung verdeckt ist und die Konturen der Wangen- und Kinnpartie entweder infolge eines Bartes oder infolge Bildrauschens beim Entwickeln des Fotos sehr dunkel erscheinen und gerade nicht erkennbar sind. Auch Größe und Form des linken Ohres des Fahrers sind aus denselben Gründen auf den Tatortfotos nur schwer zu erkennen.

Dem Betroffenen gegenüber wurden diese Überlegungen der Verwaltungsbehörde zur Bewertung der Beweismittel nicht offen gelegt. Für ihn drängte es sich daher auch nicht auf, weitere Beweismittel sofort zu benennen. Als Reaktion auf die Rücksendung des Anhörungsbogens durch seinen Vater erfuhr er lediglich die Zustellung des Bußgeldbescheides. Das zuzustellende Schriftstück wurde ihm nicht persönlich übergeben, sondern in den Briefkasten eingelegt. Im Bußgeldbescheid werden unter Beweismittel Foto und unter Zeugen POK Reinhart angegeben.

In seinem Einspruchsschreiben vom 18.06.2012 wies der Betroffene erneut auf den Anhörungsbogen hin, den sein Vater versandt hatte und forderte die Behörde auf, sich an seinen Vater zu wenden, der der Fahrer gewesen sei. In seinem selbst verfassten Wiedereinsetzungsantrag vom 27.06.2012 brachte der Betroffene deutlich zum Ausdruck, dass es ihm nicht bewusst gewesen sei, dass er Widerspruch einlegen müsse. Er habe seinen Vater gebeten, dass er sich um die Sache kümmern solle, da er mit dem Auto gefahren sei. Zu diesem Zeitpunkt war der Betroffene noch nicht anwaltlich beraten. Der Inhalt dieser beiden Schreiben bringt für die Kammer hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass der Betroffene, wie im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen, bis zum 27.06.2012 durchaus der Meinung war, mit der Rücksendung des Anhörungsbogens durch seinen Vater und durch dessen Bekenntnis zur Täterschaft sei alles Nötige getan.

Damit hat der Betroffene seine Beibringungspflicht und Darlegungslast in ausreichender Form erfüllt. Bei der Bemessung des richtigen Maßstabes für diese Verpflichtungen des Betroffenen ist zu berücksichtigen, dass eben gerade keine Hauptverhandlung stattgefunden hatte, in welcher die Entscheidungsgrundlagen in Anwesenheit des Betroffenen und für diesen nachvollziehbar erarbeitet werden und er seine Beweismittel benennen hätte können. Vielmehr handelte es sich um ein schriftliches Büroverfahren, bei welchem der Betroffene keinen persönlichen Kontakt mit der Verwaltungsbehörde bzw. mit dem Sachbearbeiter hatte und ihm die ausschlaggebenden Entscheidungsgrundlagen nicht mitgeteilt wurden. Widersprüchliches Verhalten kann dem Betroffenen in einem solchen büromäßigen Verfahrensgang weniger entgegengehalten werden als in einer mündlichen Hauptverhandlung. Deshalb dürfen die Anforderungen an die Darlegungslast des Betroffenen im vorliegenden Fall nicht überspannt werden. Vielmehr stellt sich für die Kammer die Frage, warum die Verwaltungsbehörde angesichts der schlechten Lichtbildqualitäten davon abgesehen hat, vorhandene und sich geradezu aufdrängende Beweismittel heranzuziehen, wie beispielsweise ein Vergleichslichtbild vom Vater des Betroffenen, der sich selbst als Fahrer bezeichnet hat, einzuholen oder einen persönlichen Vergleich mit dem tatsächlichen Aussehen des Betroffenen vor Ort im Rahmen einer persönlichen Anhörung vorzunehmen oder den Beifahrer auf dem Tatortfoto als Zeugen zu ermitteln.

Vor diesem Hintergrund vermag die Kammer eine Verletzung der Darlegungspflicht des Betroffenen durch die „verspätete“ Benennung der beiden Zeugen im Wiederaufnahmeantrag nicht zu erkennen, zumal es im Wiederaufnahmeverfahren im Gegensatz zum Wiedereinsetzungsverfahren gerade nicht um die Beurteilung eines möglichen Verschuldens geht, sondern nur um eine plausible Erklärung dafür, warum die Benennung eines neuen Beweismittels erst jetzt im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt.

Neues Sachverständigengutachten:

Inwieweit die Verwaltungsbehörde tatsächlich im Rahmen der Identitätsfeststellung des Fahrers die Einholung eines anthropologischen Gutachtens erwogen hat, lässt sich aus der Akte weder erkennen noch nachvollziehen. Die Argumentation des Erstgerichts, dies sei offensichtlich unterblieben, weil die Lichtbilder von so guter Qualität seien, dass dies überflüssig sei, vermag die Kammer nicht zu teilen. Wie bereits ausgeführt, schätzt die Kammer die Qualität der Lichtbilder als schlecht ein und gerade die vom Sachbearbeiter handschriftlich neben das Lichtbild des Betroffenen gesetzten Identitätsmerkmale sind für die Kammer auf den Tatfotos nur unzureichend zu erkennen, so dass ein aussagefähiger Vergleich mit dem Foto des Betroffenen auf dem Auszug aus dem Ausländerzentralregister gerade anhand dieser Kriterien nicht möglich ist.

Ein Sachverständigengutachten wäre nur dann kein neues Beweismittel, wenn die Verwaltungsbehörde erkennbar bei ihrer Entscheidung die Erholung eines solchen Gutachtens mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde abgelehnt hätte und in nachvollziehbarer Weise ihr Bewertungsergebnis aufgrund der eigenen Sachkunde detailliert dargelegt hätte. Dies war vorliegend gerade nicht der Fall. Zum einen sind die Bewertungsgrundlagen nur kurz schriftlich skizziert und zum anderen lassen sich diese anhand der Lichtbilder nicht ohne weiteres nachvollziehen.

Demzufolge stellt sich für die Kammer sowohl die Benennung der beiden Zeugen als auch die Beantragung eines anthropologischen Gutachtens jeweils als neues Beweismittel dar. Diese Beweismittel sind auch geeignet, die Freisprechung des Betroffenen herbeizuführen. Dabei kann nicht von vorneherein davon ausgegangen werden, dass der Beifahrer zu Gunsten des Betroffenen eine Falschaussage machen will oder eine Erinnerung an die gegenständliche Fahrt von vorneherein ausgeschlossen erscheint. Auch im Rahmen eines anthropologischen Gutachtens kann nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, dass durch die Betrachtung weiterer Identitätsmerkmale und vor allen Dingen durch technische Verbesserungen der Tatortfotos aussagekräftige Erkenntnisse gewonnen werden können.

Damit sind alle Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Wiederaufnahmeantrages erfüllt, so dass dieser für zulässig zu erklären und der gegenteilige Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 16.07.2013 aufzuheben war. Das Verfahren wurde an das Amtsgericht Landshut zurückgegeben, damit dort nunmehr die Begründetheitsprüfung des Wiederaufnahmeantrages  durchgeführt werden kann.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, da es sich um keine verfahrensabschließende Entscheidung handelt.

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