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Bussgeldverfahren – Wirksamkeit Einspruch per E-Mail

AG Stuttgart – Az.: 18 OWi 73 Js 75232/21 – Beschluss vom 23.09.2021

Der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Stuttgart vom 26.04.2021 wird als unzulässig verworfen.

Gründe

1.

Die Stadt Stuttgart – Amt für öffentliche Ordnung – Bußgeldstelle – erließ gegen den Betroffenen am 26.04.2021 einen Bußgeldbescheid wegen sog. Handy-Verstoßes.

Dieser wurde dem Betroffenen am 29.04.2021 zugestellt.

Am 11.05.2021 sandte der Betroffene einen Einspruch an die Stadt Stuttgart. Der Einspruch wurde vom Betroffenen unterschrieben, gescannt und als Anhang einer einfachen E-Mail, ohne qualifizierte elektronische Signatur, an die Bußgeldbehörde gesandt. Die E-Mail und der Anhang wurden am 22.07.2021 ausgedruckt, als der Einspruch gem. § 69 Abs. 3 OWiG an die Staatsanwaltschaft übersandt wurde.

Am 14.05.2021 ging der o.g. Einspruch im Original bei der Bußgeldbehörde ein.

2.

Der Einspruch war als unzulässig zu verwerfen.

Der mittels Anhang einer einfachen E-Mail übersandte Einspruch war, bevor er ausgedruckt wurde, formunwirksam (a)). Nach dem Ausdruck war der so übersandte Einspruch verfristet (b)). Der per Post übersandte Einspruch war ebenfalls verfristet (c)).

a)

Der mittels Anhang einer einfachen E-Mail übersandte Einspruch ist formunwirksam, da er weder schriftlich noch zur Niederschrift der Bußgeldbehörde (vgl. § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG) eingelegt worden ist, noch der elektronischen Form (vgl. § 32a StPO i.V.m. § 110c OWiG) genügt (vgl. zum Ganzen: LG Stuttgart, Beschluss vom 23.03.2021, 17 Qs 19/21; LG Stuttgart, Beschluss vom 25.05.2021, 5 Qs 35/21; OLG Jena, Beschluss vom 10.11.2021, 1 OLG 145 SsBs 49/16 (BeckRS 2017, 156314, Rn. 14 ff.); LG Gießen, Beschluss vom 20.05.2015 – 802 Js 38909/14 (BeckRS 2015, 13534 und juris, jeweils Rn. 5 ff.); Radke in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 1. Auflage, § 32a StPO (Stand: 27.08.2021), Rn. 35 ff.; so wohl auch LG Stuttgart, Beschluss vom 14.06.2021, 1 Qs 42/21; zur Berufung: OLG Rostock, Beschluss vom 06.01.2017, 20 Ws 311/16 (BeckRS 2017, 100467 und juris, jeweils Rn. 12 ff.); zur Einspruchsrücknahme: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.05.2020, 1 OWi 2 SsBs 68/20 (BeckRS 2020, 10324 und juris, jeweils Rn. 11); zur Vertretungsvollmacht: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.11.2020, 2 Rv 21 Ss 483/20 (BeckRS 2020, 32390 und juris, jeweils Rn. 7); so wohl auch zur Vertretungsvollmacht: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.04.2021, 2 Ws 73/21 (BeckRS 2021, 6937 und juris, jeweils Rn. 13 ff.); ähnlich: LG Baden-Baden, Beschluss vom 01.10.2020, 2 Qs 105/20 (BeckRS 2020, 26634, Rn. 3)).

Der so übersandte Einspruch erfüllt nicht die Schriftform des § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG. Mindestvoraussetzung für die Schriftform ist, dass eine verkörperte Erklärung vorliegt. Bevor der Anhang ausgedruckt wird, liegt jedoch keine Verkörperung vor. Soweit dies anders gesehen wird (so wohl LG Hechingen, Beschluss vom 22.06.2020, 3 Qs 45/20 (BeckRS 2020, 14233 und juris, jeweils Rn. 5)), wird der Fall mit der Übersendung per Fax verglichen. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Fälle nicht vergleichbar sind, da beim Faxausdruck – anders als hier – eine Verkörperung vorliegt.

Der per E-Mail-Anhang eingelegte Einspruch erfüllt auch nicht die elektronische Form des § 32a StPO i.V.m. § 110c OWiG. Da der Einspruch gem. § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG schriftlich abzufassen ist, muss das elektronische Dokument gem. § 32a Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG qualifiziert elektronisch signiert sein oder signiert und auf einem sicheren Übertragungsweg gem. Absatz 4 eingereicht werden. Beides ist bei einer einfachen E-Mail nicht der Fall.

Sinn und Zweck des § 31a StPO ist, einerseits neue Wege der Kommunikation zu eröffnen und damit dem fortschreitenden Wandel Rechnung zu tragen (vgl. auch BT-Drucks 18/9416, S. 47, unter „Zu Nummer 4“), andererseits sicherzustellen, dass die Urheberschaft des Absenders gesichert ist (vgl. BT-Drucks 18/9416, S. 46, unter „Zu Nummer 3“). Die Schriftform des § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG soll daher weder eingeschränkt noch modifiziert werden. Das bedeutet, dass vor dem Ausdruck des Anhangs die Regelungen des § 32a StPO i.V.m. § 110c OWiG gelten, da (nur) ein elektronisches Dokument vorliegt; nach dem Ausdruck gilt § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG, da ein verkörpertes Dokument vorliegt.

b)

Mit Ausdruck des E-Mail-Anhangs am 22.07.2021 wurde der Einspruch formwirksam (aa)). Er war jedoch verfristet (bb)).

aa)

Ob der formunwirksam übersandte Einspruch durch späteren Ausdruck formwirksam wird, ist umstritten.

Zum Teil wird dies abgelehnt (LG Stuttgart, Beschluss vom 23.03.2021, 17 Qs 19/21; LG Stuttgart, Beschluss vom 25.05.2021, 5 Qs 35/21; ähnlich: LG Baden-Baden, Beschluss vom 01.10.2020, 2 Qs 105/20 (BeckRS 2020, 26634, Rn. 3); ebenso zur Vertretungsvollmacht: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.11.2020, 2 Rv 21 Ss 483/20 (BeckRS 2020, 32390 und juris, jeweils Rn. 7)).

Richtigerweise ist dies jedoch zu bejahen (OLG Jena, Beschluss vom 10.11.2021, 1 OLG 145 SsBs 49/16 (BeckRS 2017, 156314, Rn. 14 ff.); Radke in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 1. Auflage, § 32a StPO (Stand: 27.08.2021), Rn. 35 ff.; so wohl auch LG Stuttgart, Beschluss vom 14.06.2021, 1 Qs 42/21; ebenso zur Berufung: OLG Rostock, Beschluss vom 06.01.2017, 20 Ws 311/16 (BeckRS 2017, 100467 und juris, jeweils Rn. 12 ff.); ebenso zur Einspruchsrücknahme: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.05.2020, 1 OWi 2 SsBs 68/20 (BeckRS 2020, 10324 und juris, jeweils Rn. 11); so wohl auch zur Vertretungsvollmacht: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.04.2021, 2 Ws 73/21 (BeckRS 2021, 6937 und juris, jeweils Rn. 13 ff.)).

Der ausgedruckte E-Mail-Anhang ist kein elektronisches Dokument mehr, sodass insoweit die Vorschrift des § 32a StPO i.V.m. § 110c OWiG nicht mehr herangezogen werden kann oder muss.

Der Einspruch erfüllt aber nach Ausdruck die Schriftform des § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG.

Ob der per E-Mail-Anhang übersandte Einspruch nach Ausdruck die Schriftform erfüllt, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG nicht. Jedenfalls liegt dann einer Verkörperung vor, was ein erstes Indiz für dessen Formwirksamkeit ist.

Aus der Gesetzeshistorie lässt sich allenfalls erkennen, dass ein Einspruch per einfacher E-Mail nicht genügt (BT-Drucks 18/9416, S. 47, unter „Zu Nummer 4“). Ob ein E-Mail-Anhang, nachdem er ausgedruckt wurde, genügt, lässt sich hieraus nicht entnehmen. Insbesondere lässt sich der Gesetzeshistorie nicht entnehmen, ob die Regelung des § 32a StPO abschließend sein und auch spätere Ausdrucke umfassen soll (so jedoch LG Stuttgart, Beschluss vom 23.03.2021, 17 Qs 19/21; LG Stuttgart, Beschluss vom 25.05.2021, 5 Qs 35/21; ähnlich: LG Baden-Baden, Beschluss vom 01.10.2020, 2 Qs 105/20 (BeckRS 2020, 26634, Rn. 3); ebenso zur Vertretungsvollmacht: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.11.2020, 2 Rv 21 Ss 483/20 (BeckRS 2020, 32390 und juris, jeweils Rn. 7)).

In systematischer Hinsicht bietet sich der Vergleich mit einem Einspruch ein, der per Fax übermittelt wird. Dass ein Fax der Schriftform genügt, ist unzweifelhaft anerkannt (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 05.04.2000, GmS-OBG 1/98 (BeckRS 2000, 30105453 und juris); Gertler in: BeckOK OWiG, 31. Edition 01.07.2021, § 67, Rn. 68 m.w.N.). Auch die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass ein Fax die Schriftform wahrt (vgl. BT-Drucks 18/9416, S. 51, fünfter Absatz).

Wenn ein Fax die Schriftform erfüllt, dann muss dies auch bei einem ausgedruckten E-Mail-Anhang der Fall sein. Technisch gesehen ist der Ablauf in beiden Fällen gleich: In beiden Fällen liegt ein Original-Dokument im Papierform vor. In beiden Fällen wird dieses Dokument auf elektronischem Wege übermittelt. Und in beiden Fällen wird das elektronisch übermittelte Dokument anschließend ausgedruckt, sodass es wieder in Papierform vorliegt. Durch den Ausdruck – aber auch erst dann – kann daher bei einer Übersendung per E-Mail-Anhang von der Einhaltung der Schriftform gesprochen werden.

Diese Auslegung entspricht auch der überwiegenden, höchstrichterlichen Rechtsprechung in anderen Rechtsgebieten (zuletzt BGH, Beschluss vom 08.05.2019, XII ZB 8/19 (BeckRS 2019, 9924 und juris, jeweils Rn. 12 ff.); BAG, Beschluss vom 11.07.2013, 2 AZB 6/13 (BeckRS 2013, 71557 und juris, jeweils Rn. 9 ff.)).

Auch Sinn und Zweck der Formvorschriften deuten darauf hin, dass der E-Mail-Anhang (erst) formwirksam wird, wenn er ausgedruckt wird.

Die Formvorschriften sind kein Selbstzweck, sondern sollen sicherstellen, dass das Dokument vom Urheber stammt und mit dessen Willen abgesandt wurde (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 05.04.2000, GmS-OBG 1/98 (juris, Rn. 10)). Aufgrund des unterschriebenen Dokuments mit Briefkopf, das er E-Mail angehängt ist, wird – anders als bei einfachen E-Mails ohne Anhang – deutlich, dass dieses vom Absender stammt und mit dessen Willen abgesendet wurde. Daher überzeugt die Ansicht, die die Formwirksamkeit generell ablehnt (s.o.), nicht. Insbesondere kann dem nach Ausdruck schriftlich vorliegenden Einspruch nicht die (Form-)Wirksamkeit versagt werden, nur weil er vormals elektronisch übermittelt worden war.

Aus all dem ergibt sich, dass ein mittels E-Mail-Anhang übersandter Einspruch zunächst unwirksam ist, jedoch mit Ausdruck durch die Behörde formwirksam wird.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es damit vom Zufall oder dem Belieben der Behörde abhängt, ob der Einspruch formwirksam wird oder nicht. Der Betroffene, der einen unwirksamen Einspruch einlegt, darf nicht darauf vertrauen, dass die Behörde diesem zur Formwirksamkeit verhilft. Insbesondere ist die Behörde nicht dazu verpflichtet, den Einspruch auszudrucken (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 10.11.2021, 1 OLG 145 SsBs 49/16 (BeckRS 2017, 156314, Rn. 24)). Dies gilt umso mehr, als dass die Akten bei der Bußgeldbehörde – anders als bei Gerichten – elektronisch geführt werden und daher grundsätzlich eingehende Dokumente nicht ausgedruckt werden. Zudem bleibt es dem Betroffenen unbenommen von vorneherein in wirksamer Weise Einspruch einzulegen. In der Rechtsbehelfsbelehrung steht deutlich, welche Formen hierfür möglich sind. Insbesondere wird – unter Verweis auf weitere Erklärungen auf einer Homepage – dargelegt, in welchen Formen ein elektronischer Einspruch eingelegt werden kann. Ein E-Mail-Anhang gehört nicht dazu.

Die Behörde ist auch nicht dazu verpflichtet, ein Faxgerät zur Entgegennahme von Einsprüchen und sonstigen Erklärungen bereitzuhalten. Dies mag für Betroffene und Verteidiger zwar misslich sein, da per Fax schnell und formwirksam Einsprüche eingelegt werden könnten; allerdings bestehen auch andere – wenn auch unbequemere – Möglichkeiten, auf schnelle und formwirksame Weise einen Einspruch einzulegen. Diese sind in § 32a StPO i.V.m. § 110c OWiG genannt.

In Zeiten der Digitalisierung mag dieses Ergebnis verwundern. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist jedoch aufgrund des eindeutigen Wortlauts und des eindeutigen Willens des Gesetzgebers durch das Gericht hinzunehmen (ähnlich: Gertler in: BeckOK OWiG, 31. Edition 01.07.2021, § 67, Rn. 68).

bb)

Da die Einspruchsfrist mit Ende des 13.05.2021 abgelaufen war, war der am 22.07.2021 ausgedruckte Einspruch verspätet, da er erst zu diesem Zeitpunkt (formwirksam) bei der Behörde vorlag.

Für den Zeitpunkt des Eingangs kommt es auf den Ausdruck an und nicht auf die Speicherung der E-Mail im Postfach der Behörde. Insbesondere ist die Regelung des § 32a Abs. 5 StPO i.V.m. § 110c Abs. 1 OWiG, der auf letzteren Zeitpunkt abstellt, nicht anwendbar, da – wie gezeigt – die Vorgaben des § 32a StPO nicht eingehalten wurden (vgl. LG Gießen, Beschluss vom 20.05.2015 – 802 Js 38909/14 (BeckRS 2015, 13534 und juris, jeweils Rn. 9 f.); Radke in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 1. Auflage, § 32a StPO (Stand: 27.08.2021), Rn. 39; ebenso zur Einspruchsrücknahme: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.05.2020, 1 OWi 2 SsBs 68/20 (BeckRS 2020, 10324 und juris, jeweils Rn. 11)). Eine analoge Anwendung scheitert zumindest an der planwidrigen Regelungslücke, da § 32a StPO bewusst nur für die dort genannten Übermittlungswege geschaffen wurde.

c)

Der per Post übersandte Einspruch war ebenfalls verfristet, da er erst am 14.05.2021 bei der Behörde einging.

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