Skip to content
Menü

Bussgeldverfahren – Verteidiger ist auf Antrag die vollständige Messreihe zur Verfügung zu stellen

Verteidiger im Bußgeldverfahren: Anspruch auf Einsicht in vollständige Messreihe

In rechtlichen Auseinandersetzungen, insbesondere im Verkehrsrecht, steht oft die Frage im Mittelpunkt, inwiefern Betroffene Zugang zu bestimmten Daten oder Beweismitteln haben sollten. Ein zentrales Thema dabei ist die Transparenz und Vollständigkeit von Messreihen, die zur Begründung von Bußgeldbescheiden herangezogen werden. Hierbei geht es um das Spannungsfeld zwischen dem Recht des Betroffenen auf effektive Verteidigung und dem Interesse der Behörden an einer effizienten und rechtsstaatlichen Verfahrensführung. Die Frage, ob und in welchem Umfang ein Verteidiger Einsicht in solche Daten nehmen darf, hat weitreichende Implikationen für die Praxis und kann entscheidend für den Ausgang eines Verfahrens sein.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 805 OWi 96/23 (b)   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Amtsgericht Köln hat entschieden, dass im Bussgeldverfahren dem Verteidiger oder einem beauftragten Sachverständigen auf Antrag Einsicht in die vollständige Messreihe des Tattages gewährt werden muss.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Amtsgericht Köln hat am 21. Juni 2023 einen Beschluss im Bezug auf Bussgeldverfahren gefasst.
  2. Die Bußgeldstelle der Stadt Köln muss dem Verteidiger die vollständige Messreihe vom Tattag zur Verfügung stellen.
  3. Die Kosten des Verfahrens und notwendige Auslagen werden von der Stadtkasse getragen.
  4. Der Anspruch auf Einsicht ergibt sich aus § 46 OWiG in Verbindung mit § 147 StPO.
  5. Ohne die Daten wäre der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
  6. Bei standardisierten Messverfahren muss der Betroffene die Richtigkeit der Messung entkräften können.
  7. Eine Begrenzung der herauszugebenden Datensätze ist nicht zulässig.
  8. Datenschutzgründe stehen der Herausgabe nicht entgegen, da die Daten anonymisiert und nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Personenkreis zur Verfügung gestellt werden können.

Der Fall vor dem AG Köln

In einem Bussgeldverfahren, das vor dem Amtsgericht Köln verhandelt wurde, ging es um die Frage, ob dem Verteidiger eines Betroffenen oder einem von diesem beauftragten Sachverständigen Einsicht in die vollständige Messreihe vom Tattag gewährt werden muss. Das Gericht entschied am 21. Juni 2023, dass die Bußgeldstelle der Stadt Köln verpflichtet ist, dem Verteidiger Einsicht in die vollständige Messreihe zu gewähren, indem die maßgeblichen Datenträger kopiert und an ihn übersandt werden. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Stadtkasse auferlegt.

Rechtliche Grundlagen und Herausforderungen

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall lag in der Frage, ob der Verteidiger Anspruch auf Einsicht in die vollständige Messreihe hat. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 46 OWiG in Verbindung mit § 147 StPO. Ohne die Herausgabe der entsprechenden Daten würde der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Bei einem standardisierten Messverfahren muss der Betroffene konkrete Einwendungen gegen die Messung vorbringen. Das standardisierte Messverfahren bewirkt eine Beweislastumkehr, da der Betroffene die Richtigkeit der Messung entkräften muss. Dies ist ihm nicht möglich, wenn er keine vollständige Überprüfung der Messung durchführen kann.

Begrenzung der Datensätze und Datenschutz

Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Falles war die Frage, ob eine Begrenzung der herauszugebenden Datensätze, beispielsweise auf fünf oder acht weitere Messungen aus der Messreihe, zulässig ist. Das Gericht entschied, dass der Betroffene selbst die Messreihe sichten muss, um entscheiden zu können, welche anderen Messungen er anführen möchte, um Fehler in seiner Messung belegen zu können. Eine Vorauswahl durch das Gericht wäre eine weitere Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten.

Die Stellungnahme der PTB vom 30.03.2020, die besagt, dass die gesamte Messreihe sehr lang sein könnte und daher praktisch nicht auswertbar sei, wurde vom Gericht nicht als Grund gegen die Herausgabe angesehen. Datenschutzgründe sprechen ebenfalls nicht gegen die Herausgabe, da die Interessen des Betroffenen ohne die Messreihe nicht gewahrt werden können. Die Daten werden nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Personenkreis, nämlich dem Rechtsanwalt und dem Sachverständigen, zur Verfügung gestellt.

Auswirkungen und zukünftige Relevanz

Die Auswirkungen dieses Urteils könnten weitreichend sein, da es die Rechte der Betroffenen in Bussgeldverfahren stärkt. Es betont die Wichtigkeit des rechtlichen Gehörs und die Notwendigkeit, dass Betroffene Zugang zu allen relevanten Daten haben, um sich effektiv verteidigen zu können. Das Urteil des Amtsgerichts Köln steht im Einklang mit der Rechtsauffassung des OLG Köln, das in einem Beschluss vom 30.05.2023 ähnlich entschieden hat.

Das Fazit dieses Urteils ist, dass in Bussgeldverfahren der Verteidiger oder ein von ihm beauftragter Sachverständiger Anspruch auf Einsicht in die vollständige Messreihe hat. Dies stärkt die Rechte der Betroffenen und betont die Wichtigkeit des rechtlichen Gehörs in solchen Verfahren. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich diese Entscheidung auf zukünftige Bussgeldverfahren auswirkt und ob sie zu einer Änderung der Praxis in anderen Gerichtsbarkeiten führt.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was ist eine Messreihe bei Geschwindigkeitsmessungen?

Eine Messreihe bei Geschwindigkeitsmessungen bezieht sich auf eine Reihe von Messungen, die durchgeführt werden, um die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs zu bestimmen. Diese Messungen können auf verschiedene Arten durchgeführt werden, abhängig von der verwendeten Technologie und dem spezifischen Kontext der Messung.  Eine gängige Methode zur Durchführung einer Messreihe ist die Verwendung von Lasermessgeräten. Bei dieser Methode wird ein Laserstrahl ausgesendet, der von einem Objekt reflektiert und vom Messgerät detektiert wird. Aus der Laufzeit des Laserstrahls und der Differenz der Entfernung sowie der verstrichenen Zeit zwischen den beiden Laserpulsen wird die Geschwindigkeit berechnet.

Eine andere Methode zur Durchführung einer Messreihe ist die Verwendung von piezoelektrischen Sensoren, die in der Fahrbahn eingelassen sind. Diese Sensoren messen die Zeit, die das Fahrzeug benötigt, um eine bestimmte vorher definierte Strecke zurückzulegen. Mit der Weg-Zeit-Formel wird daraus die gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Messergebnisse von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter die korrekte Aufstellung und Ausrichtung des Messgeräts, die Schulung des Messpersonals und die Einhaltung der Vorgaben der Gebrauchsanweisung. Darüber hinaus müssen die Messgeräte über eine gültige Eichung verfügen und die Messprotokolle müssen Angaben zur Aufstellung und korrekten Ausrichtung enthalten.

Insgesamt dient eine Messreihe bei Geschwindigkeitsmessungen dazu, genaue und zuverlässige Daten über die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs zu liefern, die dann zur Durchsetzung von Geschwindigkeitsbegrenzungen und zur Verbesserung der Verkehrssicherheit verwendet werden können.

Amtsgericht Köln-  Az.: 805 OWi 96/23 (b) – Beschluss vom 21.06.2023

In dem Verfahren hat das Amtsgericht Köln am 21. Juni 2023 beschlossen:

Der Bußgeldstelle der Stadt Köln wird aufgegeben, dem Verteidiger des Betroffenen oder einem von diesem beauftragten Sachverständigen Einsicht in die vollständige Messreihe vom Tattag (inkl. Token) zu gewähren, indem die maßgeblichen Datenträger kopiert werden und an ihn übersandt werden.

Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen Betroffenen trägt die Stadtkasse.

Gründe:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.

Dem Verteidiger ist auf Antrag die vollständige Messreihe zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich aus § 46 OWiG in Verbindung mit § 147 StPO. Ohne die Herausgabe der entsprechenden Daten würde der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Wird ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt, muss der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorbringen. Das standardisierte Messverfahren bewirkt in diesem Sihne eine Beweislastumkehr, da der Betroffene konkret die Richtigkeit der Messung entkräften muss. Dies ist ihm nicht möglich, wenn er keine vollständige Überprüfung der Messung durchführen kann, was wiederum voraussetzt, dass ihm plle vorhandenen Daten, insbesondere die gesamte Messreihe, zugänglich gemacht werden. Auch ist eine Begrenzung der herauszugebenden Datensätze, bspw. lauf fünf oder acht weitere Messungen aus der Messreihe, nicht statthaft. Der Betroffene muss selbst die Messreihe sichten können, um entscheiden zu können, welche anderen Messungen er anführen möchte um die Fehler in seiner Messung belegen zu können. Eine Vorauswahl durch das Gericht, indem dem Betroffenen nur eine bestimmte Anzahl anderer Messungen oder nur Messungen an bestimmten Positionen der Messreihe zugänglich gemacht werden, würden eine weitere Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten darstellen, da andere Messungen, ohne dass diese hätten geprüft werden können, von vorne herein aus der möglichen Beweisführung ausgenommen werden.

Die Stellungnahme der PTB vom 30.03.2020 ändert hieran nach Auffassung des Gerichts nichts. Soweit die PTB anführt, dass die gesamte Messreihe sehr lang sein könnte und daher praktisch nicht auswertbar sei, stellt dies keinen Grund gegen‘ die Herausgabe dar. Die Auswertung, auch wenn sie ggf. lange dauert oder umfangreich ist, ist die Entscheidung des Betroffenen. Hinsichtlich der weiteren dort aufgeführten Punkte haben gerichtliche Sachverständige in der Vergangenheit die gesamte Messreihe untersucht und vorgetragen, diese zur Auswertung zu benötigen. Diese sachverständige Auskunft kann das Gericht mangels technischer Kenntnisse nicht überprüfen. Sie erscheint aber auch nicht von vorneherein unplausibel.

Gründe des Datenschutzes sprechen nicht gegen die Herausgabe, da die Interessen des Betroffenen ohne die Messreihe nicht gewahrt werden können und zudem die Möglichkeit besteht, die Messreihe zu anonymisieren. Die Daten werden zudem nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Personenkreis (Rechtsanwalt und Sachverständiger) zur Verfügung gestellt.

Letztlich handelt es sich um Daten, die durch die freiwillige Teilnahme am Straßenverkehr entstanden sind.

Diese Rechtsauffassung wird auch vom OLG Köln geteilt, Beschluss vom 30.05.2023, Az.: 111-1 RBs 288/22.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 OWiG i.V.m. § 467 StPO.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!