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Bussgeldverfahren – Nichtinaugenscheinnahme Lichtbild in Hauptverhandlung

OLG Koblenz  – Beschl. v. 08.12.2021 – Az.: 3 OWi 32 SsBs 227/21

In der Bußgeldsache wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 4. Strafsenat – 3. Senat für Bußgeldsachen – des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Richter am Oberlandesgericht am 8. Dezember 2021 beschlossen:

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Linz am Rhein vom 6. Juli 2021 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Linz am Rhein zurückverwiesen.

Gründe:

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWG i.V.m. §§ 341 Abs. 1, 345 Abs. 1 StPO) eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde hat in der Sache — zumindest vorläufig — Erfolg.

Durch die erhobene Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe sich bei der Urteilsfindung auf zwei Lichtbilder, nämlich die Messfotos BI. 7 und 8 d. A., gestützt, die nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien, macht die Betroffene geltend, das Amtsgericht habe seine Überzeugung nicht allein aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft und rügt damit einen Verstoß gegen § 261 StPO i.V.m. §§ 249 ff. StPO, 77, 77a, 78 OWiG.

Die in einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 StPO noch genügenden Form erhobene Rüge ist auch begründet.

Die entsprechende Rügetatsache (Nichtinaugenscheinnahme der Lichtbilder BI. 7 und 8 d.A., auf die in den Urteilsgründen gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OwiG Bezug genommen wird) ist durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen. Bei der Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. § 273 Rn. 7 m. w. N.), so dass der Nachweis hierüber – bzw. über ihr Fehlen – durch das Hauptverhandlungsprotokoll geführt werden kann. Schweigt das Hauptverhandlungsprotokoll über die Inaugenscheinnahme – wie vorliegend -, so gilt diese als nicht erfolgt.

Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurden lediglich „die Daten auf den Messfotos BI. 7-8 d. A.“ durch Bekanntgabe ihres wesentlichen Inhalts gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 OwiG zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 27. November 2021 hierzu die Ansicht vertritt, dass mit der Verlesung der Datenzeile zwangsläufig auch eine Kenntnisnahme des Gerichts von den Lichtbildern verbunden sei, kann dem nicht gefolgt werden. Das OLG Stuttgart führt in der von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Entscheidung lediglich zutreffend und in Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus, dass, wenn sich ausnahmsweise der gedankliche Inhalt einer Urkunde auf einen Blick erfassen lässt, deren Inaugenscheinnahme auch deren Inhalt zum Gegenstand der Hauptverhandlung macht. Erschließt sich der Text bereits aus einem flüchtigen Betrachten der Urkunde bei der Inaugenscheinnahme, kann dessen Bedeutung nicht ausgeblendet werden und ist dieser mithin Bestandteil der diesbezüglichen Beweisaufnahme (vgl. BGH, Beschl. 3 StR 267/13 v. 12.12.2014 – NStZ 2014, 606; OLG Stuttgart, Beschl. 2 Ss 762/16 v. 19.01.2017 – NZV 2017, 341).

Umgekehrt kann dies jedoch nicht gelten. Während der Inhalt von Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 StPO durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wird, d.h. durch unmittelbares Umsetzen von Schrift- und Zahlenzeichen in Worte, erfolgt die Inaugenscheinnahme durch sinnliche Wahrnehmung (vgl. zur Abgrenzung auch BayObLG, Beschl. ObOWi 41/02 v. 06.03.2002 NZV 2002, 379). Durch das Erfordernis des Verlesens einer Urkunde in der Hauptverhandlung kommt zum Ausdruck, dass es nicht auf den optischen Eindruck des Schrift- bzw. Ziffernträgers ankommt, sondern auf dessen gedanklichen Inhalt, der den Verfahrensbeteiligten durch Verlesung zur Kenntnis gebracht werden soll. Käme es im Einzelfall doch auf den optischen Eindruck an, müsste der Schriftträger zum Gegenstand der Inaugenscheinnahme gemacht werden (BayObLG aaO.). Die optische Wahrnehmung der den Fahrer und das Fahrzeug zeigenden Lichtbilder, kann hingegen nicht durch die bloße Bekanntgabe der Daten auf den Messfotos durch die Richterin ersetzt werden. Der optische Gesamteindruck muss — anders als die Datenzeile im Rahmen der In-augenscheinnahme des Gesamtbildes — nicht im Rahmen der Mitteilung der Daten durch die Verfahrensbeteiligten zwingend mit erfasst werden (so auch: OLG Hamm, Beschl. 5 Rbs 63/20 v. 27.02.2020).

Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil auch. Denn das Amtsgericht hat ausdrücklich die Messfotos BI. 7 und 8 d. A. zum Beweis herangezogen, dass die Vorgaben des Herstellers in der Gebrauchsanweisung hinsichtlich der Auswertehilfen eingehalten worden seien. Darüber hinaus hat das Amtsgericht die Messfotos auch bei der Klärung der Fahrereigenschaft mitberücksichtigt.

Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Linz am Rhein zurückzuverweisen.

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