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Bußgeldverfahren – Anspruch auf Übersendung von Unterlagen an den Verteidiger

AG St. Wendel – Az.: 1 OWi 65 Js 1290/11 (167/11) – Beschluss vom 01.02.2012

1. Dem Betroffenen ist über seinen Verteidiger Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes der eso GmbH, Waldesch 30, 88069 Tettnang, hinsichtlich des Messgerätes ESO ES 3.0 durch Beifügung der Anleitung zur Akte und Übersendung der Akte in dessen Kanzleiräume zu gewähren.

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung betreffend des Ablehnungsbescheides des Landesverwaltungsamtes des S. – Zentrale Bußgeldbehörde – vom 18.11.2010 , AZ 210009140 auf Beifügung der technischen Unterlagen des verwendeten Messgerätes wird im Übrigen zurückgewiesen.

3. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens tragen der Betroffene und die Staatskasse je zur Hälfte.

Gründe

Der Verteidiger des Betroffenen beantragte mit Schreiben vom 21.10.2011 unter anderem Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung des Messgerätes und in die technischen Unterlagen des verwendeten Messgerätes.

Mit Ablehnungsbescheid vom 18.11.2011 teilte das Landesverwaltungsamt des S., Zentrale Bußgeldbehörde mit, die Bedienungsanleitung könne wie die technischen Unterlagen in den Räumen der VPI D. eingesehen werden, und lehnte den Antrag auf Beiziehung und Übersendung ab. Ein Versand der Unterlagen sei nicht möglich, da sie der Behörde nicht vorliegen würden. Eine Lebensakte zum Messgerät würde nicht geführt.

Mit Schreiben vom 07.12.2011 stellte der Betroffene, vertreten durch seinen Verteidiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung und führte aus, um die gebotene Akteneinsicht zu ermöglichen sei die Übersendung einer Kopie möglich und auch angemessen.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG ist im zugesprochenen Umfang zulässig und begründet, im Übrigen unbegründet.

Grundsätzlich besteht ein Einsichtsrecht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgerätes, was auch vom Landesverwaltungsamt nicht bezweifelt wird.

Umstritten ist allerdings, ob das Einsichtsrecht zu gewähren ist durch Hinzunahme der Bedienungsanleitung zur Akte (so AG Bremervörde 06.09.2011, 11 OWi 91/1; AG Karlsruhe, Urteil vom 22.09.2011 – 1 OWI 127/11; AG Heidelberg, Beschluss vom 31.10.2011 – 3 OWi 510 Js; AG Ellwangen – 5 OWi 146/10; AG Düsseldorf, Urteil vom 20.09.2010, LG Ellwangen in DAR 2011, 418), oder ob es ausreichend ist, dem Verteidiger die Möglichkeit zu geben, die Bedienungsanleitung bei der Bußgeldbehörde einzusehen (so AG Hamm vom 18.05.2011; AG Saarbrücken, Beschlüsse vom 25.05.2011 und 13.09.2011).

Das Amtsgericht St. Wendel schließt sich der ersten Ansicht an, wonach die Bedienungsanleitung zur Akte zu nehmen ist, und dem Verteidiger durch Übersendung an den Kanzleiort Einsicht zu gewähren ist.

Soweit die Auffassung vertreten wird, ein Anspruch auf Übersendung der Bedienungsanleitung bestünde nicht, weil diese Unterlagen für eine Vielzahl von Verfahren vorgehalten werden müssten, und weiter die Ansicht vertreten wird, dass diese nicht übersandt werden müsste, weil sie dem Verwaltungsamt nicht vorliegen würde, hält diese Auffassung einer kritischen Würdigung nicht stand.

Das AG Bremervörde hat in seinem Beschluss vom 06.09.2011, Aktenzeichen 11 OWi 91/1 dazu ausgeführt:

Es kann nicht pauschal auf eine Vielzahl von Bußgeldverfahren verwiesen werden, weil offenbar nicht in jedem Fall die Kopie einer Bedienungsanleitung begehrt wird. Die Bußgeldbehörde muss ohnehin einmalig einige Kopien der Bedienungsanleitung fertigen, weil diese gelegentlich zu einer Gerichtsakte zu reichen sind. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Fertigung der Kopie einer Bedienungsanleitung die Kapazität der Behörde mehr beansprucht als das Ermöglichen einer möglicherweise mehrere Stunden andauernden Einsicht in die Bedienungsanleitung in den Räumen der Behörde. Der Behörde ist es ohne weiteres zumutbar, eine gewisse Anzahl von Kopien für die Versendung an Verteidiger vorzuhalten, zumal die Versendung der Kopien mit der Akte von einer Auslagenpauschale abhängig gemacht werden kann Steht die Reise eines Verteidigers zum Ort der Aufbewahrung der Bedienungsanleitung bzw. der Akten wegen Entfernung außerhalb zur Bedeutung der Sache ist daher Akteneinsicht jedenfalls durch Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung an die Kanzleiräume des Verteidigers zu gewähren.

Der Verteidiger des Betroffenen hat seinen Kanzleisitz in Köln. Ein Aufsuchen der Verwaltungsbehörde bzw. der Polizeiinspektion in D. dürfte mindestens 5 h an Zeitaufwand erforderlich machen. Demgegenüber erfordert das Anfertigen einer Kopie der Bedienungsanleitung nur wenige Minuten. Deswegen liegt es für das Gericht auf der Hand, dass es im Verhältnis zur Mühewaltung der Verwaltungsbehörde unzumutbar erscheint, den Verteidiger des Betroffenen aus Köln anreisen zu lassen, um wenige Minuten an Verwaltungsaufwand zu ersparen. Dies würde dem Grundsatz eines fairen Verfahrens widersprechen.

Aus Sicht des Gerichtes ist ergänzend hinzuzufügen, dass es der Verwaltungsbehörde unbenommen bleibt, einmalig eine Kopie der Bedienungsanleitung einzuscannen, und diese gegebenenfalls den Mitarbeitern so zu zur Verfügung zu stellen, dass ein Versand per E-Mail möglich ist. Der dazu erforderliche Zeitaufwand unterschreitet sicherlich den Zeitaufwand erheblich, der beim Fertigen eines Ablehnungsbescheides, anschließender Stellungnahme zum Antrag auf gerichtlicher Entscheidung und Herbeiführen gerichtlicher Entscheidungen bei verschiedenen s. Amtsgerichten regelmäßig bei allen Beteiligten produziert wird.

Auch die Begründung der Verwaltungsbehörde, die Bedienungsanleitung deswegen nicht zur Verfügung zu stellen, weil sie in ihrem Hause nicht vorliegen würde, vermag kritischer Würdigung nicht standzuhalten. Dem sachbearbeitenden Richter liegt die Bedienungsanleitung vor, dies erscheint auch notwendig, um derartige Vorgänge sachgerecht bearbeiten zu können. Demgegenüber erscheint es bemerkenswert, dass die Verwaltungsbehörde von der Bedienungsanleitung anscheinend bislang keine Kenntnis nehmen wollte. Zu beachten ist insbesondere, dass die Verwaltungsbehörde nach Abschluss der Messungen durch die Verkehrspolizei grundsätzlich aktenführende Behörde ist, und sich deswegen nicht darauf berufen kann, dass Teile von Vorgängen, die zunächst in der originären Zuständigkeit einer anderen Behörde, hier der Polizeiinspektion D., bearbeitet worden sind, sich ihrer Kenntnis entziehen würden. Das Beiziehen der Bedienungsanleitung ist der Verwaltungsbehörde jedenfalls derart leicht möglich, dass sie sich nicht darauf berufen kann, dass die Bedienungsanleitung aktuell nicht in ihrem Hause vorliege. Im Verhältnis zum Aufwand des Verteidigers, die Bedienungsanleitung einsehen zu können, steht der Aufwand der aktenführenden Behörde völlig außer Verhältnis. Angesichts dessen kann sich die Verwaltungsbehörde bei kritischer Würdigung nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Bedienungsanleitung in ihrem Hause nicht existent sei, weil es ihr ein Leichtes ist, sie sich zu verschaffen.

Demgemäß ist dem Betroffenen über seinen Verteidiger Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes der eso GmbH, Waldesch 30, 88069 Tettnang, hinsichtlich des Messgerätes ESO ES 3.0 durch Beifügung der Anleitung zur Akte und Übersendung der Akte in dessen Kanzleiräume zu gewähren.

Unbegründet ist demgegenüber der Antrag, die Lebensakte des Gerätes herbeizuziehen. Wenn eine derartige Akte nicht existiert, kann diese Akte nicht beigezogen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i. V. m. § 465 Abs. 1 StPO.

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