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Bußgeldsache – Urteilsfeststellungen bei Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes

Fahrverbot nach Rotlichtverstoß aufgehoben

In einem aktuellen Gerichtsverfahren wurde ein Fahrverbot und eine Geldbuße von 200 Euro aufgrund eines Rotlichtverstoßes zunächst verhängt. Allerdings ist das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona nach einer Rechtsbeschwerde des Betroffenen nun aufgehoben worden. Die Beweiswürdigung des Gerichts hielt einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Direkt zum Urteil: Az.: 6 RB 20/22 – 3 Ss-OWi 58/22 springen.

Qualifizierter Rotlichtverstoß

Der Betroffene wurde wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt. Das Amtsgericht stützte sich dabei auf die Angaben der Polizeibeamten und eine Weg-Zeit-Berechnung. Die Lichtzeichenanlage soll mindestens 1,44 Sekunden Rotlicht gezeigt haben, als der Betroffene die Haltelinie überquerte.

Rechtsbeschwerde und Aufhebung des Urteils

Der Betroffene legte gegen das Urteil Rechtsbeschwerde ein und rügte die Verletzung materiellen Rechts. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts hielt der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Es fehlte eine kritische Würdigung der Polizeibeamtenaussagen und eine ausreichende Begründung für die verwendete Weg-Zeit-Berechnung.

Zurückverweisung an das Amtsgericht

Das Gericht hob das amtsgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zurück an das Amtsgericht Hamburg-Altona für eine neue Verhandlung und Entscheidung. Eine Überprüfung durch eine andere Abteilung wurde nicht für notwendig erachtet.

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Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 6 RB 20/22 – 3 Ss-OWi 58/22 – Beschluss vom 28.04.2022

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 15.12.2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Hamburg-Altona zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamburg-Altona hat den Betroffenen am 15.12.2021 wegen fahrlässiger Nichtbeachtung eines Wechsellichtzeichens zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und ein Fahrverbot mit einer Dauer von einem Monat verhängt.

Das Amtsgericht hat insoweit im Wesentlichen die folgenden Feststellungen getroffen:

Bußgeldsache - Urteilsfeststellungen bei Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes
(Symbolfoto: Olga Hofmann/Shutterstock.com)

Der Betroffene befuhr am 03.04.2021 gegen 19.35 Uhr mit seinem von ihm geführten Fahrzeug die Ebertallee. Die sich an der Kreuzung Ebertallee / Osdorfer Weg befindende Lichtzeichenanlage wechselte auf Rotlicht, als der Betroffene mit seinem Fahrzeug noch „zwischen 20 und 50 m von der Haltelinie entfernt“ war. In diesem Moment „beschleunigte“ der Betroffene sein Fahrzeug und fuhr – nachdem die Lichtzeichenanlage bereits „mehr als eine Sekunde Rotlicht“ gezeigt hatte – über die Haltelinie, bevor er links in den Osdorfer Weg bog. Zur selben Zeit befuhren die Polizeibeamten … und … mit ihrem Streifenwagen die Ebertallee ebenfalls in Fahrtrichtung Osdorfer Weg mit einer „Geschwindigkeit von ca. 50 km/h, um zu einem Einsatz zu fahren“. Der Abstand zu dem vor ihnen fahrenden Fahrzeug des Betroffenen blieb dabei unverändert. Der Streifenwagen befand sich noch vor einem – rund 20 bis 30 m vor der Kreuzung Ebertallee / Osdorfer Weg gelegenen – Bereich, in dem sich die bis dahin einspurige Ebertallee in drei Fahrspuren auffächert, als der Betroffene links in den Osdorfer Weg bog.

Die Feststellungen zum Sachverhalt hat das Amtsgericht auf die Angaben des Betroffenen gestützt, soweit es diesen gefolgt ist, im Wesentlichen jedoch auf die Angaben der beiden den Vorgang beobachtenden Polizeibeamten.

Das Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes hat das Amtsgericht dabei im Wege einer Weg-Zeit-Berechnung ermittelt. Insoweit hat es ausgeführt, dass sich unter Berücksichtigung eines Abstands zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und der Haltelinie im Zeitpunkt des Wechsels der Lichtzeichenanlage auf Rotlicht „von lediglich“ 20 Metern sowie einer „von den Zeugen bekundeten Geschwindigkeit von 50 km/h“ aufgrund einer Weg-Zeit-Berechnung ergäbe, dass die „Lichtzeichenanlage mindestens 1,44 Sekunden Rotlicht“ zeigte, als der Betroffene die Haltelinie überquerte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat wie tenoriert beantragt.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hat einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Hamburg-Altona. Die Beweiswürdigung hält auch eingedenk eines eingeschränkten Prüfungsmaßstabes sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Auch wenn im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind und sich der Begrün-dungsaufwand auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß beschränken kann, so kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes gelten als im Strafverfahren. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 71 Rn. 42 f.).

Die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes kann grundsätzlich auf die Schätzung von Zeugen, insbesondere von Polizeibeamten gestützt werden (vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2020, 18938). Jedoch müssen derartige Schätzungen wegen der ihnen innewohnenden möglichen Fehlerquellen durch das Hinzutreten weiterer, im tatrichterlichen Bußgeldurteil anzugebender Umstände erhärtet und hinsichtlich ihrer Grundlage sowie ihres Beweiswertes vom Tatrichter einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Insbesondere, wenn die Feststellungen zum Zeitablauf nicht auf einer technischen Messung mittels eines geeichten Messgerätes beruhen, sind wegen der damit verbundenen Fehlerquellen klare und erschöpfende Feststellungen zum Zeitablauf sowie zur Entfernung des Fahrzeugs zum Einmündungsbereich, zur Lichtzeichenanlage und zu einer ggf. vorhandenen Haltelinie zu treffen (vgl. OLG Hamm NZV 2008, 309, 310). Insoweit ist es erforderlich, dass der Tatrichter in den Urteilsgründen die von den Zeugen angewandte Messmethode darstellt und sie hinsichtlich ihrer Beweiskraft bewertet; soll durch Zeugenbeweis und ohne technische Hilfsmittel ein qualifizierter Rotlichtverstoß bewiesen werden, so ist namentlich eine kritische Würdigung des Beweiswertes der Aussagen geboten (vgl. OLG Köln BeckRS 2012, 06812).

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die der Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu Grunde liegende Feststellung, die Lichtzeichenanlage habe zum Zeitpunkt des Passierens der Haltelinie durch den Betroffenen bereits „mehr als eine Sekunde“ – „mindestens 1,44 Sekunden“ – Rotlicht gezeigt, beruht auf einer lückenhaften und widersprüchlichen Beweiswürdigung. Die Urteilsgründe lassen namentlich besorgen, dass sich das Tatgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf die Schätzung der Polizeibeamten insbesondere zum Zeitablauf, zur Geschwindigkeit sowie zur Entfernung des Fahrzeugs des Betroffenen zur Haltelinie verlassen hat, ohne diese einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

Zwar kommen – wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat – neben der Schätzung auf der Basis eines gedanklichen Zählens (vgl. OLG Hamm NZV 2010, 44) auch andere Möglichkeiten in Betracht, einen qualifizierten Rotlichtverstoß festzustellen. Dies gilt grundsätzlich auch für die vom Amtsgericht zur Anwendung gebrachte Weg-Zeit-Berechnung. Diese Methode setzt indes Feststellungen voraus, die rechtsfehlerfrei beweiswürdigend unterlegt sind; auch in diesem Fall muss sich das Urteil mit den Grundlagen und dem Beweiswert der Schätzung wertend auseinandersetzen. Dies ist hier jedoch nicht geschehen.

Es mangelt bereits an einer kritischen Würdigung der Bekundungen der Polizeibeamten namentlich zu der gefahrenen Geschwindigkeit des Betroffenen sowie dem Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und der Haltelinie im Zeitpunkt des Wechsels der Lichtzeichenanlage auf Rotlicht. Auch sind den Urteilsgründen – wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – keine expliziten Feststellungen zu der konkreten Beobachtungsposition der Polizeibeamten sowie der Entfernung des Streifenwagens zum Fahrzeug des Betroffenen zu entnehmen. Zudem hat das Amtsgericht der Weg-Zeit-Berechnung ohne Weiteres eine Geschwindigkeit von (genau) 50 km/h zu Grunde gelegt, ohne dabei jedoch in den Blick zu nehmen, dass die Geschwindigkeit des Streifenwagens der Polizeibeamten nach den getroffenen Feststellungen (bei gleichbleibendem Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug des Betroffenen) lediglich „ca. 50 km/h“ betragen und der Betroffene sein Fahrzeug vor Überfahren der Haltelinie auch noch beschleunigt hat. Bei dieser Sachlage kann der Senat nicht sicher ausschließen, dass die Rotlichtphase – unter Berücksichtigung geänderter Parameter in Bezug auf den Abstand zur Haltelinie und die gefahrene Geschwindigkeit – auch kürzer als eine Sekunde gedauert haben könnte.

3. Wegen des dargelegten Rechtsfehlers war das amtsgerichtliche Urteil gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 OWiG, 353 Abs. 1, Abs. 2 StPO mit den Feststellungen aufzuheben. Die Sache wird gemäß § 79 Abs. 6 OWiG zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Hamburg-Altona zurückverwiesen, da eine Überprüfung durch eine andere Abteilung nicht notwendig erscheint (vgl. Seitz/Bauer, a.a.O., § 79 Rn. 48).

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