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Aufklärungs- und Feststellungspflicht des Gerichts bei standardisierten Messverfahren

Aufklärungs- und Feststellungspflicht bei Geschwindigkeitsmessungen

Im Zentrum des Urteils des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt, Az.: 1 Ws 31/21, steht die Klärung der Aufklärungs- und Feststellungspflicht des Gerichts im Kontext standardisierter Messverfahren bei Geschwindigkeitsübertretungen und die Wahrung des Anspruchs auf ein faires Verfahren gemäß Bundesverfassungsgericht. Trotz des Anspruchs auf faire Verfahrensführung wurden dem Betroffenen die notwendigen Informationen bereitgestellt und kein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht festgestellt; der Antrag auf Rechtsbeschwerde wurde daher abgelehnt.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Bundesverfassungsgericht betont die Notwendigkeit des gleichen Informationszugangs für Betroffene in Bußgeldverfahren, was jedoch die Anforderungen an die gerichtliche Aufklärungspflicht bei standardisierten Messverfahren nicht verändert.
  • Der Antrag des Betroffenen auf Rechtsbeschwerde wurde abgelehnt, da weder eine materiell-rechtliche Fortbildung noch eine Gehörsverletzung vorliegt.
  • Die verhängte Geldbuße beträgt 80,00 Euro; eine Rechtsbeschwerde ist unter diesen Umständen nicht zulässig.
  • Das Gericht stellte klar, dass keine Verpflichtung besteht, Messdaten zu speichern oder zu erheben, solange der Betroffene Zugang zu den relevanten Informationen erhält.
  • Die Verwaltungsbehörde hat den Anforderungen durch Bereitstellung von Bildmaterial inklusive Rohmessdaten entsprochen.
  • Ein gestellter Beweisantrag wurde als unzulässiger Ausforschungsantrag zurückgewiesen; es ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung.
  • Die Behauptung, nur ein Sachverständiger könne die Richtigkeit der Messung überprüfen, entbindet nicht von der Notwendigkeit eines konkreten Vortrags zu möglichen Messfehlern.
  • Das Bundesverfassungsgericht hat die Praxis der Fachgerichte zu standardisierten Messverfahren bestätigt.

Die Gerichtliche Aufklärungspflicht im Fokus

Bei Geschwindigkeitsübertretungen und der Anwendung standardisierter Messverfahren stellt sich regelmäßig die Frage nach der Aufklärungs- und Feststellungspflicht des Gerichts. Hier gilt es, sowohl den Anspruch des Betroffenen auf ein faires Verfahren als auch die Besonderheiten des standardisierten Messverfahrens angemessen zu berücksichtigen.

Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Informationen dem Betroffenen zur Verfügung gestellt werden müssen und inwiefern das Gericht zur Aufklärung verpflichtet ist. Fehlerhafte Messungen müssen ausgeschlossen und die Richtigkeit des Verfahrens gewährleistet werden, ohne jedoch die Effizienz standardisierter Prozesse zu konterkarieren.

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➜ Der Fall im Detail


Der Kern des Falls: Aufklärungs- und Feststellungspflicht bei standardisierten Messverfahren

Im Mittelpunkt des Falls steht ein Bußgeldverfahren, das nach einer Geschwindigkeitsübertretung eingeleitet wurde. Die strittige Messung erfolgte mit dem standardisierten Messgerät ESO 3.0.

Bußgeld wegen Blitzer: Standardmessverfahren
(Symbolfoto: r.classen /Shutterstock.com)

Der Beschwerdeführer forderte im Zuge des Verfahrens Zugang zu den Rohmessdaten und Bildmaterial, um die Richtigkeit der Messung überprüfen zu lassen. Sein Anliegen basierte auf dem Anspruch auf ein faires Verfahren, welcher impliziert, dass einem Betroffenen dieselben Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, die auch der Verwaltungsbehörde oder dem Gericht vorliegen. Diese Forderung leitete er aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ab. Der Fall erreichte das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt, das über die Anforderungen an die Aufklärungs- und Feststellungspflicht des Gerichts bei der Anwendung von standardisierten Messverfahren zu entscheiden hatte.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt

Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt wies den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zurück. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die Nachprüfung des Urteils zur allein zulässigen Fortbildung des materiellen Rechts nicht geboten sei und keine Versagung des rechtlichen Gehörs vorlag. Zentral war hierbei die Interpretation, dass die Bereitstellung von Bildmaterial und Rohmessdaten durch die Verwaltungsbehörde bereits den Anforderungen an ein faires Verfahren entsprach. Weiterhin betonte das Gericht, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss keine neuen Anforderungen an die Speicherung oder Erhebung von Messdaten im Rahmen standardisierter Messverfahren gestellt hat.

Relevante Aspekte für das Gericht

Die Gerichtsentscheidung hob hervor, dass für die Annahme eines fairen Verfahrens nicht zwingend Messdaten erhoben oder gespeichert werden müssen. Entscheidend sei vielmehr der Zugang des Betroffenen zu den Informationen, die ihm eine Überprüfung der Messung ermöglichen. Der Tatrichterin wurde außerdem zugestimmt, den Beweisantrag des Verteidigers, der auf die Erhebung weiterer Daten abzielte, als unzulässigen Ausforschungsantrag zurückzuweisen. Das Gericht sah keine konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messvorgangs, was die Aufklärungs- und Feststellungspflicht des Gerichts nach den Grundsätzen für ein standardisiertes Messverfahren als erfüllt ansah.

Konsequenzen der Entscheidung

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt verdeutlicht die Interpretation des Anspruchs auf ein faires Verfahren im Kontext standardisierter Messverfahren. Sie bestätigt, dass der Zugang zu den wesentlichen Informationen, die eine Überprüfung der Messung ermöglichen, ausreichend ist und nicht jede technische Datenübermittlung erforderlich macht. Zudem stärkt sie die Position der Gerichte hinsichtlich der Zurückweisung von Beweisanträgen, die auf eine umfassende Ausforschung abzielen, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen.

Juristische Einordnung und Relevanz

Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der bisherigen Rechtsprechungspraxis zum Umgang mit standardisierten Messverfahren und dem Anspruch auf ein faires Verfahren. Sie betont, dass die Gerichte eine gewisse Flexibilität im Umgang mit der Aufklärungs- und Feststellungspflicht haben, solange die grundlegenden Rechte des Betroffenen gewahrt bleiben. Diese Rechtsauffassung trägt zur Klärung der juristischen Rahmenbedingungen bei und bietet sowohl Verwaltungsbehörden als auch Gerichten eine Orientierung für den Umgang mit ähnlichen Fällen in der Zukunft.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was versteht man unter standardisierten Messverfahren im Verkehrsrecht?

Unter einem standardisierten Messverfahren versteht man im deutschen Verkehrsrecht ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen der Anwendbarkeit und der Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.

Standardisierte Messverfahren kommen insbesondere bei der Feststellung von Geschwindigkeitsüberschreitungen zum Einsatz. Hierbei werden technische Messsysteme verwendet, deren Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur Eichung zugelassen ist. Die Anerkennung eines Messverfahrens als standardisiert erfolgt durch die Gerichte, wobei sie sich auf die Bauartzulassung der PTB stützen.

Wird ein Messverfahren von der Rechtsprechung als standardisiert anerkannt, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die Begründungsanforderungen in Bußgeldurteilen. Das Gericht muss dann im Regelfall nur noch das gewählte Messverfahren, das Messergebnis und die gewährte Toleranz feststellen. Eine weitergehende Überprüfung der Messung ist nur erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen.

Die Einhaltung der Vorgaben des Geräteherstellers in der Gebrauchsanweisung und der Gerätezulassung ist unbedingt erforderlich, um die Messung als standardisiertes Messverfahren zu qualifizieren. Kann der Messbeamte nicht nachweisen, dass er entsprechend geschult wurde oder über ausreichend praktische Erfahrung verfügt, bestehen zumindest Bedenken, ob von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden kann.

Wie wird der Anspruch auf ein faires Verfahren im Kontext von Geschwindigkeitsmessungen definiert?

Der Anspruch auf ein faires Verfahren im Kontext von Geschwindigkeitsmessungen leitet sich aus dem allgemeinen Recht auf ein faires Verfahren ab, das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verankert ist. Dieses Recht gewährleistet dem Betroffenen, seine prozessualen Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen zu können.

Im Bereich der Geschwindigkeitsmessungen bedeutet dies konkret, dass der Betroffene Zugang zu allen relevanten Informationen erhalten muss, um sich effektiv verteidigen zu können. Dazu gehört insbesondere der Anspruch auf Einsicht in die sogenannten „Rohmessdaten“, also die unverarbeiteten Daten, die das Messgerät bei der Geschwindigkeitserfassung aufgezeichnet hat.

Dieser Anspruch auf Zugang zu den Rohmessdaten besteht jedoch nur, wenn diese Daten tatsächlich gespeichert wurden. Es gibt keine Verpflichtung für die Behörden, ausschließlich Messgeräte einzusetzen, die eine Speicherung der Rohmessdaten ermöglichen. Entscheidend ist, dass dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet wird, auf etwaige Messfehler hinzuweisen und entsprechende Beweisanträge zu stellen.

Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde. Dies wäre etwa der Fall, wenn dem Betroffenen der Zugang zu vorhandenen Rohmessdaten verwehrt würde oder wenn trotz konkreter Anhaltspunkte für Messfehler keine Überprüfung der Messung erfolgt.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Anspruch auf ein faires Verfahren bei Geschwindigkeitsmessungen primär durch umfassende Informations- und Beteiligungsrechte des Betroffenen gewährleistet wird. Dabei müssen die Behörden jedoch nicht zwingend Messgeräte mit Rohmessdatenspeicherung verwenden, solange die Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen im konkreten Fall gewahrt bleiben.

Welche Informationen müssen Betroffenen bei einer Geschwindigkeitsmessung zur Verfügung gestellt werden?

Betroffene haben bei Geschwindigkeitsmessungen einen Anspruch darauf, dass ihnen alle relevanten Informationen zur Verfügung gestellt werden, um die Korrektheit der Messung überprüfen zu können. Dies ergibt sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren und dem Grundsatz der Waffengleichheit.

Konkret haben Betroffene einen Anspruch auf Einsicht in sämtliche Messdaten, auch wenn sich diese nicht in der Bußgeldakte befinden. Dazu gehören insbesondere die sogenannten „Rohmessdaten“, also die unverarbeiteten Daten, die das Messgerät bei der Geschwindigkeitserfassung aufgezeichnet hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass dem Verteidiger bei Geschwindigkeitsmessungen auch die Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, die sich nicht in der Akte befinden, aber im Messgerät gespeichert sind. Dies umfasst neben der den Betroffenen betreffenden Falldatei auch die gesamte Messreihe, den Token, das Passwort, die Statistikdatei und die „Lebensakte“ des Messgeräts.

Darüber hinaus haben Betroffene einen Anspruch auf Einsicht in die Bedienungsanleitung des Herstellers, den Eichschein des verwendeten Messgeräts und den Ausbildungsnachweis des Messbeamten. Diese Unterlagen dienen dazu, mögliche Bedienfehler oder technische Mängel aufzudecken, die die Messung verfälscht haben könnten.

Allerdings besteht der Anspruch auf Zugang zu den Rohmessdaten nur, wenn diese Daten tatsächlich gespeichert wurden. Es gibt keine Verpflichtung für die Behörden, ausschließlich Messgeräte einzusetzen, die eine Speicherung der Rohmessdaten ermöglichen. Entscheidend ist, dass dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet wird, auf etwaige Messfehler hinzuweisen und entsprechende Beweisanträge zu stellen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Betroffene umfassenden Zugang zu allen Informationen erhalten müssen, die für die Überprüfung der Messung relevant sein können. Dies ist Ausdruck des Rechts auf ein faires Verfahren und soll eine effektive Verteidigung gegen möglicherweise fehlerhafte Geschwindigkeitsmessungen ermöglichen.

Inwiefern hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Praxis der standardisierten Messverfahren beeinflusst?

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben die Praxis der standardisierten Messverfahren in mehrfacher Hinsicht beeinflusst, ohne jedoch die grundsätzliche Zulässigkeit dieser Verfahren in Frage zu stellen:

Zunächst hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass Betroffene aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zu allen bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen ableiten können, auch wenn sich diese nicht in der Bußgeldakte befinden. Dazu können insbesondere die sogenannten „Rohmessdaten“ zählen, also die unverarbeiteten Daten, die das Messgerät bei der Geschwindigkeitserfassung aufgezeichnet hat.

Die Fachgerichte dürfen daher Anträge auf Herausgabe solcher Informationen nicht pauschal zurückweisen, sondern müssen im Einzelfall prüfen, ob die begehrten Daten für die Verteidigung des Betroffenen relevant sein können. Durch diese erweiterten Informationsrechte sollen Betroffene in die Lage versetzt werden, etwaige Messfehler aufzudecken und substantiierte Einwendungen gegen das Messergebnis zu erheben.

Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht aber auch entschieden, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren keine Verpflichtung des Staates folgt, zur Geschwindigkeitsüberwachung ausschließlich Messgeräte einzusetzen, die eine Speicherung von Rohmessdaten vorsehen. Der Staat muss also keine potentiellen Beweismittel vorhalten oder gar erst schaffen, um die Verteidigungsrechte der Betroffenen zu gewährleisten.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsstellung der Betroffenen in Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen gestärkt haben, ohne jedoch die Systematik der standardisierten Messverfahren grundlegend in Frage zu stellen. Die geringeren Anforderungen an die Feststellungen der Fachgerichte bei Einsatz geeichter Messgeräte bleiben im Grundsatz bestehen. Allerdings müssen die Gerichte künftig sorgfältig prüfen, ob Betroffene Zugang zu zusätzlichen Informationen erhalten müssen, um eine effektive Verteidigung zu ermöglichen.

Welche Rolle spielen Beweisanträge in Verfahren zu Geschwindigkeitsübertretungen?

Beweisanträge spielen auch in Verfahren zu Geschwindigkeitsübertretungen eine wichtige Rolle, um die Verteidigungsrechte des Betroffenen zu wahren und eine umfassende Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht zu gewährleisten.

Grundsätzlich ist das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren verpflichtet, die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht dabei nach pflichtgemäßem Ermessen. Durch Beweisanträge kann der Verteidiger jedoch Einfluss auf die gerichtliche Beweisaufnahme nehmen.

Ein Beweisantrag ist das ernsthafte Verlangen eines Verfahrensbeteiligten, über eine entscheidungserhebliche Tatsache Beweis durch ein bestimmtes Beweismittel zu erheben. Der Antrag muss eine konkrete Beweisbehauptung, ein zulässiges und taugliches Beweismittel sowie die Konnexität zwischen Beweisbehauptung und -mittel enthalten.

Das Gericht darf einen ordnungsgemäß gestellten Beweisantrag nur unter den Voraussetzungen des § 244 Abs. 3-5 StPO ablehnen, der im Bußgeldverfahren entsprechend anwendbar ist. Ein Beweisantrag ist demnach abzulehnen, wenn die Beweiserhebung unzulässig, für die Urteilsfindung unerheblich oder aus anderen Gründen (z.B. wegen Offenkundigkeit) überflüssig ist.

In Verfahren wegen Geschwindigkeitsübertretungen werden häufig Beweisanträge gestellt, um die Funktionsweise und Bedienung des Messgeräts, die Einhaltung der Eichfrist oder die Identifizierung des Fahrers zu überprüfen. Auch Anträge auf Vernehmung von Zeugen wie Beifahrern sind üblich. Solche Anträge dürfen nicht vorschnell abgelehnt werden, sondern erfordern eine sorgfältige Prüfung und Bescheidung durch das Gericht.

Besondere Bedeutung haben Beweisanträge, wenn kein standardisiertes, sondern ein nicht-standardisiertes Messverfahren eingesetzt wurde. Denn nur bei standardisierten Verfahren kann sich das Gericht im Regelfall auf die Angaben im Messprotokoll beschränken, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen. Bei nicht-standardisierten Verfahren muss das Gericht dagegen auch ohne Beweisantrag die Funktionsweise des Messgeräts und die Einhaltung der Bedienungsvorschriften überprüfen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Beweisanträge ein wichtiges Instrument sind, um in Verfahren zu Geschwindigkeitsübertretungen eine umfassende Sachverhaltsaufklärung und die Wahrung der Verteidigungsrechte sicherzustellen. Sie ermöglichen es dem Betroffenen, auf mögliche Fehlerquellen hinzuweisen und eine kritische Überprüfung der Messung zu erreichen.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • Artikel 2 BvR 1616/18 des Bundesverfassungsgerichts: Dieser Beschluss unterstreicht den Anspruch auf ein faires Verfahren und fordert, dass Betroffenen dieselben Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, wie sie der Verwaltungsbehörde oder dem Gericht vorliegen. Dies ist von zentraler Bedeutung für den Fall, da es die rechtliche Grundlage für die Informationspflicht gegenüber Betroffenen in Bußgeldverfahren definiert.
  • §§ 80 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 4, 79 Abs. 3 Satz 1, 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO: Diese Paragraphen regeln die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Kostenübernahme bei Bußgeldverfahren. Sie sind relevant, weil sie den Rahmen für die Entscheidungsfindung des Gerichts in Bezug auf die Zulassung von Rechtsmitteln und die Kostenverteilung bei Bußgeldverfahren darstellen.
  • § 344 StPO (Strafprozessordnung): Dieser Paragraph setzt die Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge fest. Im Kontext dieses Falles ist er relevant, da er die formellen Voraussetzungen für die Anfechtung von gerichtlichen Entscheidungen in Verfahrensrügen festlegt.
  • Standardisierte Messverfahren im Verkehrsrecht: Kein spezifischer Paragraph, aber ein wichtiges Konzept im Verkehrsrecht, das die Zuverlässigkeit und Rechtssicherheit von Geschwindigkeitsmessungen definiert. Die Diskussion um die Zugänglichkeit von Rohmessdaten und die Frage, ob und inwiefern diese für ein faires Verfahren notwendig sind, zentriert sich um dieses Konzept.
  • Recht auf ein faires Verfahren gemäß Grundgesetz: Grundlage für die Argumentation des Beschwerdeführers und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses Grundrecht sichert jedem Beteiligten eines rechtlichen Verfahrens zu, unter fairen Bedingungen behandelt zu werden, was den Zugang zu allen relevanten Informationen einschließt.
  • Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG): Während spezifische Paragraphen bereits erwähnt wurden, bildet das OWiG insgesamt die gesetzliche Grundlage für das Verfahren bei Ordnungswidrigkeiten, zu denen auch Verkehrsübertretungen zählen. Es regelt unter anderem die Rechtsmittel, die gegen Entscheidungen im Rahmen von Bußgeldverfahren eingelegt werden können.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 1 Ws 31/21 – Beschluss vom 17.02.2021

Leitsatz

Mit der Entscheidung vom 12. November 2020 – 2 BvR 1616/18 – hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass in Ansehung des Anspruchs auf ein faires Verfahren dem Betroffenen dieselben Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, wie sie der Verwaltungsbehörde oder dem Gericht vorliegen. Auf die Anforderungen an die Aufklärungs- und Feststellungspflicht des Gerichts im Falle der Anwendung von standardisierten Messverfahren hat die Entscheidung keinen Einfluss.

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Oschersleben vom 23. November 2020 wird als unbegründet verworfen, weil es nicht geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zu der hier allein zulässigen Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tragen, die als vorsorglich eingelegt und nunmehr als zurückgenommen gilt (§§ 80 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 4, 79 Abs. 3 Satz 1, 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

Ein Zulassungsgrund im Sinne von § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist nicht ersichtlich. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG scheidet hier jedoch von vornherein aus, was sich aus § 80 Abs. 2 OWiG ergibt. Die verhängte Geldbuße liegt bei 80,00 Euro. Es kann offenbleiben, ob die Ausführungen des Verteidigers im Zulassungsantrag den Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge im Sinne von § 344 StPO genügen.

Der Senat sieht von einer Begründung ab, weist jedoch auf Folgendes hin:

Entgegen eines landläufigen Missverständnisses gebietet die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts es gerade nicht, im Falle einer Geschwindigkeitsmessung im standardisierten Messverfahren – hier mit dem Gerät ESO 3.0 der Fa. eso GmbH – Messdaten über den Messvorgang zu erheben oder gar zu speichern. Das Bundesverfassungsgericht hat im Kammerbeschluss vom 12. November 2020 „nur“ herausgearbeitet, dass auch im Bußgeldverfahren der Betroffene Anspruch auf ein faires Verfahren und damit weitreichenden Zugang zu denselben Informationen habe, wie sie der Verwaltungsbehörde oder dem Gericht zur Verfügung stehen (Az. 2 BvR 1616/18, Rn. 50 ff. – zitiert nach juris).

Danach waren die Verwaltungsbehörde und das Gericht vorliegend verpflichtet, dem Betroffenen Zugang zu Informationen in dem Bußgeldverfahren zu vermitteln, die zwar nicht Teil der Bußgeldakte, jedoch als solche entstanden sind. Diese Pflicht wurde offensichtlich gewahrt. Denn die Verwaltungsbehörde kam der Bitte des Verteidigers noch im Verwaltungsverfahren nach und stellte diesem mit E-Mail vom 08. Januar 2020 Bildmaterial „einschl. Rohmessdaten“ zur Verfügung, ohne dass der Verteidiger später je eine unvollständige Übermittlung von Daten beanstandet hatte.

Folgerichtig und zutreffend hat die Tatrichterin außerdem den in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag des Verteidigers zurückgewiesen, bei dem es sich im Übrigen um einen unzulässigen Ausforschungsantrag handelt, soweit er darauf abzielt, „ob das hier zum Einsatz gekommene Messgerät ausreichend die gemessenen Daten“ speichere. Aus der Geschwindigkeitsmessung im standardisierten Messverfahren, von der die Tatrichterin zutreffend ausgegangen ist, haben sich keine konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messvorgangs ergeben, so dass die Aufklärungs- und Feststellungspflicht des Gerichtes nach den Grundsätzen für ein standardisiertes Messverfahren auch herabgesetzt gewesen war. Vor diesem Hintergrund tragen die Feststellungen und Ausführungen in jeder Hinsicht das Urteil.

Aus dem Vortrag des Betroffenen ergaben sich derart konkrete Hinweise aber auch nicht. Denn der Vortrag beschränkt sich im Wesentlichen auf die formelhaft mitgeteilte Forderung, ein Sachverständigengutachten einzuholen, weil die Messung fehlerhaft sei. Der Verteidiger verkennt hierbei jedoch, dass die oberflächliche Behauptung, nur ein Sachverständiger könne prüfen, ob eine Messung fehlerhaft sei, keineswegs den Betroffenen von dem Erfordernis befreit, konkret zu etwaigen Messfehlern bei der Messung im standardisierten Messverfahren vorzutragen. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht mit dem zitierten Beschluss auch ausdrücklich die bisherige Rechtsprechungspraxis der Fachgerichte zum standardisierten Messverfahren gebilligt (aaO., Rn. 47 – zitiert nach juris).

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