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Geschwindigkeitsüberschreitung – Anforderungen an anthropologisches Identitätsgutachten

OLG Zweibrücken – Az.: 1 OWi 2 SsBs 92/17 – Beschluss vom 22.01.2018

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Landstuhl vom 28. August 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an den Bußgeldrichter des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf dessen rechtzeitig erhobenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 12. Oktober 2016 (Az.: 500.02459957.7) mit Urteil vom 28. August 2017 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h mit einer Geldbuße von 160,– EUR belegt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung; auf die daneben erhobene Verfahrensbeanstandung kommt es nicht an.

I.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts überschritt der Betroffene am 9. Juli 2016 als Fahrer eines PKWs auf der BAB 6 im Bereich des Autobahnkilometers 629,3 in Fahrtrichtung Mannheim die dort mittels Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h – nach Abzug einer Toleranz – um 44 km/h.

II.

Das Amtsgericht hat sich auf Grundlage des von ihm in Augenschein genommenen Messbildes, den Ausführungen eines hierzu gehörten Sachverständigen sowie der Inaugenscheinnahme einer von dem Sachverständigen gefertigten Bildtafel die Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen verschafft. Die hierzu gegebenen Ausführungen des Amtsgerichts sind indes lückenhaft und einer rechtlichen Prüfung nicht in vollem Umfang zugänglich.

1.

Nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils hat das Amtsgericht den zur Bußgeldakte gelangten papiernen Ausdruck des Messbildes aufgrund von dessen schlechter Qualität für ungeeignet gehalten, um eine hinreichend sichere Wiedererkennung des Fahrers zu ermöglichen. Es hat deshalb die Akten zunächst gem. § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG an die Bußgeldbehörde zu weiterer Sachaufklärung zurückverwiesen. Nach erneuter Vorlage der Bußgeldakte hat sich das Amtsgericht im Hauptverhandlungstermin vom 28. August 2017 ein mündliches Gutachten des Sachverständigen für anthropologische Vergleichsgutachten Dr. C. S. unter Verwendung einer vom Sachverständigen angefertigten Bildtafel erstatten lassen. Die Bildtafel enthielt Hochglanzabdrucke des (vergrößerten) Messbildes sowie dreier Bearbeitungsstufen dieser Aufnahme, die den Bereich des Fahrers zeigen (Vergrößerung, Heraufsetzung der Helligkeit sowie Veränderung des Kontrastes). Nach den Urteilsausführungen ermittelte der Sachverständige auf dem (bearbeiteten) Lichtbild zwanzig Merkmale, anhand derer er den im Termin anwesenden Betroffenen mit dem Messbild abgeglichen hat. Hierzu enthält das angegriffene Urteil (UA S. 4) folgende Ausführungen:

„Nach Durchführung des Abgleichs kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass alle Merkmale übereinstimmen, eine Identität mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt und damit auch ein blutsverwandter Fahrer ausgeschlossen werden konnte. Dies liege an der hohen Anzahl von Merkmalen und der hohen Individualität der Merkmale. Der Sachverständige erläuterte das von ihm vergebene Wahrscheinlichkeitsprädikat dann anhand der einzelnen Merkmale. In der Stirnregion kann ein hohes freistehendes Schläfenbein festgestellt werden. Die Oberlidregion zeigt ebenfalls eine hohe, breite Zone. Hierauf folgt eine breite Nasenwurzel mit flachwinkligem Übergang, dichten Augenbrauen, wobei die linke ansteigt und die rechte gradlinig verläuft. Der Nasenrücken ist nicht gerade mit Tendenz nach links und leichter Asymmetrie. Die Nasenkuppe zeigt eine längliche Ausformung, was Brauen und Nase zu einem stark individuellen Erkennungsmerkmal macht. Die Nasenflügel sind an der Seite abgesetzt mit flachen Unterrand. Die Mundspalte zeigt ein deutliches Lippenrot, oben niedrig, unten stärker. Die Hautoberlippenzone weist eine längliche Rinne auf und seitliche Furchenbildung. Die Wangenbeine sind anliegend und es handelt sich bei dem Gesicht um eine längliche Schildform. Besonders markant sind die übereinstimmenden Merkmale bei den Ohren, die beide sichtbar sind. Die Stellung ist nach außen gerichtet, nicht anliegend, wobei dies links mehr als rechts ausgeprägt ist. Der Außenrand steigt an, fällt aber nicht gleich nach unten, sondern gerundet in Richtung Ohrmuschel und zeigt eine Verbreiterung in einen Darwin`schen Höcker als besondere Ohrenausprägung. Die Scheitelhelix ist ausgestellt.

Das Gericht hat das Gutachten anhand der markanten Kriterien nachvollziehen und mit dem Betroffenen direkt abgleichen können. (..) Die Kombination von Wiedererkennungsähnlichkeit dank eigener Anschauung des Gerichts und sachverständigerweise festgestellter, auch nachvollziehbarer Identität des Betroffenen mit dem abgelichteten Fahrer haben das Gericht sodann zu der Überzeugung geführt, dass dem Betroffenen der Verkehrsverstoß als Fahrer vorzuwerfen ist.“

2.

Diese Ausführungen erfüllen nicht in vollem Umfang die Anforderungen, die an die Urteilsgründe in Fällen der Identifizierung anhand eines Lichtbildes zu stellen sind.

Die Identifizierung eines Betroffenen als Täter im Bußgeldverfahren erfordert vom Bußgeldrichter in einem ersten Schritt die Prüfung, ob das bei der Akte befindliche Messbild – ggfs. nach Bearbeitung – überhaupt für eine Identifizierung geeignet ist. Notwendig dafür ist, dass aus dem Foto hinreichend viele individuelle körperliche Merkmale extrahierbar sind. Diese Merkmale sind dann in einem zweiten Schritt zu erfassen und mit der Vergleichsperson in Abgleich zu bringen (Gübner in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 2510). Liegt die Bedeutung der für maßgeblich gehaltenen morphologischen Merkmale nicht auf der Hand und bedient sich der Tatrichter (deshalb) eines Sachverständigen, so sind dessen Ausführungen unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist. Im Einzelnen gilt:

a) Bei der Beurteilung, ob das Messbild Grundlage für eine Identifizierung des Fahrers sein kann, sind der – grundsätzlich freien – Beweiswürdigung des Tatrichters Grenzen gesetzt. Ein sehr unscharfes Foto oder eine Aufnahme, auf dem das Gesicht des Fahrers nicht oder nur zu einem geringen Teil abgebildet ist, ist für eine Identifizierung durch bloßen Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens regelmäßig allenfalls eingeschränkt geeignet. Je nach Qualität und Inhalt des Bildes können sich ein Vergleich mit dem persönlich anwesenden Betroffenen und der Schluss auf seine Täterschaft in einem solchen Fall sogar von vornherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NZV 2006, 160, 161). Sieht der Tatrichter den Betroffenen in einem solchen Fall gleichwohl allein aufgrund des durchgeführten Vergleichs mit einem qualitativ mangelhaften Messbild als überführt an, so leidet das Urteil an einem Rechtsfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden kann. Die Wertung und Würdigung, ob das Lichtbild eine geeignete Grundlage für die Überzeugungsbildung darstellen kann, ist – wenn auch beschränkt auf den Maßstab, den die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Gesetze der Logik und die Erfahrungssätze des täglichen Lebens vorgeben – vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar. Die Urteilsgründe müssen daher so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto hinreichende individualisierende Merkmale des Fahrers wiedergibt, die eine Identifizierung ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er – wie hier – in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG verweist. Aufgrund wirksamer Verweisung wird das zu Vergleichszwecken herangezogene Lichtbild dann zum Bestandteil der Urteilsgründe. Dem Rechtsmittelgericht wird hierdurch eine Würdigung und Beurteilung der Tauglichkeit des Lichtbilds aus eigener Anschauung eröffnet (Senat, Beschluss vom 26.06.2000 – 1 Ss 137/00, juris Rn. 7). Ist das bei der Akte befindliche Messbild als Grundlage für einen Vergleich mit dem Betroffenen uneingeschränkt geeignet, obliegt dieser grundsätzlich allein dem Tatrichter. Eine Überprüfung der tatrichterlichen Überzeugung ist dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit grundsätzlich versagt. Die Rechtsbeschwerde kann daher mit der schlichten Behauptung nicht durchdringen, der Betroffene sei entgegen der Überzeugung des Tatrichters nicht mit der auf dem Radarfoto abgebildeten Person identisch. Das folgt auch daraus, dass eine solche Prüfung eine Inaugenscheinnahme des Betroffenen voraussetzte, also ohne eine – unzulässige – (teilweise) Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht möglich wäre.

aa) Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind bei einem uneingeschränkt zur Identifizierung geeigneten Foto in den Urteilsgründen auch keine darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers erforderlich. In diesem Fall bedarf es weder einer Auflistung der charakteristischen Merkmale, auf die sich die Überzeugung von der Identität mit dem Betroffenen stützt, noch brauchen diese Merkmale und das Maß der Übereinstimmung beschrieben zu werden. Solche Ausführungen wären überflüssig und ohne Wert: Die Überprüfung, ob der Betroffene mit dem abgebildeten Fahrer identisch ist, steht dem Rechtsmittelgericht ohnehin nicht zu und wäre ihm zudem unmöglich. Als Grundlage für die Überprüfung der generellen Ergiebigkeit des Fotos könnten Beschreibungen der Abbildung dem Rechtsmittelgericht keine besseren Erkenntnisse vermitteln, als sie ihm aufgrund der – durch die Bezugnahme ermöglichten – eigenen Anschauung zur Verfügung stehen (Gübner aaO., Rn 2535 mwN.). Handelt es sich um ein Foto aus einer Verkehrsüberwachung, dass die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtszüge hinreichend wiedergibt, wird im Regelfall in Fällen verfahrensordnungsgemäß erfolgter Verweisung in den Urteilsgründen die Mitteilung ausreichen, dass es sich bei dem in Bezug genommenen Lichtbild um ein – nach Aufnahmeort und -zeit näher bezeichnetes – Radarfoto (Foto einer Rotlichtüberwachungsanlage usw.) handelt, das das Gesicht einer männlichen oder weiblichen Person zeigt. Weitere Angaben sind, um den Verständniszusammenhang zu wahren, nicht erforderlich.

bb) Ist das Foto demgegenüber – etwa aufgrund schlechterer Bildqualität (z.B. erhebliche Unschärfe) oder aufgrund seines Inhalts (z.B. Verdeckung von Teilen des Gesichts) – zur Identifizierung eines Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter auch in Fällen eines wirksam erfolgten Einbezugs nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.1995, 4 StR 170/95, juris Rn. 19 = BGHSt 41, 376, 384). Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist (Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 09.08.2011 – (2 B) 53 Ss-OWi 186/11 (89/11), juris Rn. 9). Die auf dem Foto trotz der vorhandenen qualitativen Mängel nach Auffassung des Tatrichters noch hinreichend erkennbaren charakteristischen Merkmale sind zu benennen und zu beschreiben (Senat, Beschluss vom 26.06.2000 – 1 Ss 137/00, juris Rn. 9). Die Zahl der morphologischen Merkmale, auf die der Tatrichter seine Überzeugung stützt, kann dabei umso kleiner sein, je individueller sie sind und je mehr sie in ihrer Zusammensetzung geeignet erscheinen, eine bestimmte Person sicher wiederzuerkennen. Dagegen muss die Beschreibung umso mehr Merkmale umfassen, wenn die geschilderten auf eine Vielzahl von Personen zutreffen und daher weniger aussagekräftig sind. Umstände, die eine Identifizierung erschweren können, sind ebenfalls mitzuteilen. Im Übrigen ist allerdings zu bemerken, dass in solchen Fallkonstellationen die sonstige Beweissituation nicht außer Betracht bleiben darf. Bestreitet der Betroffene mit näheren Ausführungen, der Fahrer gewesen zu sein, und benennt er etwa andere Personen, die als Fahrer in Betracht kommen, so kann eine eingehendere Darstellung der Beweiswürdigung – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer erweiterten Beweisaufnahme – geboten sein. Umgekehrt kann eine Gesamtwürdigung aller Umstände – der sich aus dem Foto ergebenden Anhaltspunkte sowie weiterer Indizien – etwa der Haltereigenschaft, der Fahrtstrecke oder -zeit – auch dann zur Überführung des Betroffenen ausreichen, wenn der Vergleich des Fotos mit dem Betroffenen für sich allein diesen Schluss noch nicht rechtfertigen kann.

cc) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Tatrichter – wie hier – ein anthropologisches Identitätsgutachten eingeholt und verwertet hat (Gübner aaO., Rn. 1774 und 2543 mwN.). Misst das Tatgericht einem solchen Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 20.02.2008 – 3 Ss OWi 180/08, juris Rn. 10; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Der Umfang der Darlegungspflicht hängt dabei von der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, der der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt, ab (BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NStZ 2000, 106). Weil es sich bei einem anthropologischen Identitätsgutachten nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt (vgl. Rösin/Quarch/Danner, Zur Wahrscheinlichkeitsaussage im morphologischen Identitätsgutachten, NStZ 2012, 548), bei der sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann (BGH, Beschluss vom 19.08.1993 – 4 StR 627/92, NStZ 1993, 592; Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458; KG, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 59), muss den Urteilsgründen eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen sowie der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung zu entnehmen sein. Dies erfordert insbesondere eine Benennung der vom Sachverständigen aus dem Messbild herausgearbeiteten morphologischen Merkmale. Sind diese Merkmale der bei der Bußgeldakte befindlichen Aufnahme nicht ohne weiteres zu entnehmen, ist zur Verständlichkeit des Gutachtens zudem in den Urteilsgründen die Methodik nachvollziehbar zu machen, mit der der Sachverständige gleichwohl die von ihm zugrunde gelegten Merkmale extrahiert und mit dem Betroffenen abgeglichen hat (OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48). Fehlt es an entsprechenden Ausführungen, kann dies die Besorgnis begründen, dass für maßgeblich gehaltene Merkmale nicht an dem Lichtbild und dem darauf abgebildeten Fahrer ausgerichtet worden sind, sondern anhand der Physionomie des Betroffenen ermittelt wurden. Ein solches Vorgehen wäre fehlerhaft. Denn es beinhaltet die Gefahr, dass das Tatgericht von ihm für maßgeblich gehaltenen Merkmale des in Augenschein genommenen Betroffenen in die vorhandene Aufnahme „hineininterpretiert“, obgleich diese wegen ihrer schlechten Qualität auch anderen Deutungen zugänglich ist. Neben der Mitteilung der anhand des Lichtbilds ermittelten Kriterien ist anzugeben, in welchem Maße der Sachverständige diesbezügliche Übereinstimmungen mit dem Betroffenen festgestellt hat. Ferner sind Angaben erforderlich, welche Aussagekraft er diesen einzelnen Merkmalen jeweils zugemessen und mit welchem Gewicht er sie jeweils in seine Gesamtbewertung eingestellt hat (BGH, Urteil vom 20.03.1991 – 2 StR 610/90, NStZ 1991, 596, 597; OLG Bamberg, Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Dies erfordert regelmäßig eine Gewichtung der herangezogenen einzelnen Merkmalsausprägungen in Bezug auf ihre Häufigkeit in der jeweiligen ethnischen Gruppe (Gübner aaO. Rn. 2545), die sinnvollerweise durch eine Einteilung in Wichtungsklassen transparent zu machen ist. Konkreter Angaben zum statistischen Verbreitungsgrad einzelner Merkmale in der Gesamtbevölkerung bedarf es dagegen allenfalls dann, wenn der Sachverständige seine Bewertung auf eine Wahrscheinlichkeitsberechnung gestützt hat (Thüringer OLG, Beschluss vom 20.10.2011 – 1 Ss Bs 31/11 (109), juris Rn. 16 [unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Gutachten zum Stand der anthropologischen Wissenschaft bei Aufgabe früherer Rechtsprechung]; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10, zfs 2010, 469; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7 [jew. zur Wahrscheinlichkeitsberechnung]; OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48; KG Berlin, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 60; vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NJW 2000, 1350, 1351; Gabriel/Huckenbeck/Kürpiers, Über die Fragwürdigkeit der Berechnung einer Identitätswahrscheinlichkeit in anthropologischen Gutachten, NZV 2014, 346). In den übrigen Fällen unterliegen die Beurteilung der Häufigkeit des Auftretens bestimmter Merkmalsausprägungen und damit die Einschätzung der Wichtigkeit der Merkmalsausprägung der Schätzung eines erfahrenen, morphologisch geschulten Sachverständigen (BGH, Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458, 549; Thüringer OLG aaO. Rn. 17 f.). Auch diese Einschätzung ist, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung ihrer Schlüssigkeit zu ermöglichen, in den Urteilsgründen wiederzugeben um erkennbar zu machen, inwieweit die Häufigkeit des einzelnen Merkmals in der Bevölkerung zutreffend wiedergespiegelt werden kann oder ob es sich nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt. (OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652, 653).

Eine besonders kritische und in den Urteilsgründen auch nachvollziehbar gemachte Würdigung der Einschätzung des Sachverständigen durch den Tatrichter ist in diesem Zusammenhang insbesondere dann veranlasst, wenn – wie hier, vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 02.10.2007 – 19 U 8/07, juris sowie https://www.merkur.de/bayern/…html und https://www.waz.de/staedte/bochum/…html – belastbare Hinweise darauf vorliegen, dass sich gutachterliche Äußerungen des gewählten Sachverständigen in früheren Verfahren als nicht nachvollziehbar oder gar unrichtig erwiesen haben (OLG Braunschweig aaO. zum Sachverständigen „Dr. CS“). Es kann sich aus diesem Grund auch die Heranziehung eines weiteren Sachverständigen anbieten.

b) Die Ausführungen des Amtsgerichts in dem angegriffenen Urteil werden diesen Anforderungen nicht uneingeschränkt gerecht.

aa) Den Urteilsgründen ist – wenn auch in sehr knapper Form – zwar die Gewichtung zu entnehmen, die der Sachverständige den von ihm im Rahmen der Vergleichsbeurteilung herangezogenen Merkmalen beigemessen hat. Danach waren sämtliche der auf „dem Lichtbild“ ermittelten 20 Merkmale von „hoher Individualität“, wobei Auffälligkeiten im Bereich der Brauen und der Nase diesen zu einem „stark individuellen Erkennungsmerkmal“ machten.

bb) Die Urteilsgründe verhalten sich aber nicht zu der Frage, wieso und anhand welcher Methodik dem Sachverständigen – und ihm folgend dem Amtsgericht – auf der Grundlage des vorhandenen Messbildes eine hinreichend sichere Ermittlung der beschriebenen individuellen Merkmale möglich gewesen war. Das Urteil erweist sich in diesem Punkt daher als nicht nachvollziehbar und somit rechtsfehlerhaft.

(a) Der Tatrichter hat hier zwar in hinreichend deutlicher Weise (vgl. zu den Anforderungen an die Bezugnahme: BGH, Urteil vom 28.01.2016 – 3 StR 425/15, NStZ-RR 2016, 178; OLG Bamberg, Beschluss vom 14.11.2016 – 3 Ss OWi 1164/16, juris Rn. 6 f) von der Möglichkeit einer Verweisung auf das Messbild sowie auf dessen Bearbeitungsstufen in der vom Sachverständigen vorgelegten Bildtafel nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Gebrauch gemacht. Einer näheren textlichen Beschreibung der Abbildungen bedurfte es nach den vorbeschriebenen Grundsätzen daher im rechtlichen Ausgangspunkt nicht, weil dem Senat damit die Bilder selbst als Anschauungsobjekt zur Verfügung stehen.

(b) Nicht entbehrlich waren aber Ausführungen dazu, weshalb das Messbild bzw. dessen Bearbeitungsstufen dem Amtsgericht eine Identifizierung erlaubten, obgleich sie – wie der Senat aufgrund der in verfahrensordnungsgemäßer Weise erfolgten Verweisung selbst beurteilen kann – von nur geringer Qualität sind. Die nur als Kopie zur Akte gelangte Abbildung ist stark überbelichtet, der den Fahrer betreffende Bereich der Aufnahme weist einen nur geringen Kontrast- und Auflösungsgrad auf. Diese qualitativen Mängel der ursprünglichen Aufnahme sind durch die vom Sachverständigen veranlassten Bearbeitungen nur zum Teil behoben. Der Auflösungsgrad der Aufnahme ist durch die im Rahmen der Bearbeitung erfolgte Vergrößerung eher noch schlechter geworden. Insbesondere die Bereiche des Halses, des Kinns und der Augenpartie sind von einem hohen Grad an Bildrauschen geprägt; Einzelheiten sind nur schemenhaft erkennbar. Dem Lichtbild bzw. dessen Bearbeitungsstufen lassen sich die vom Amtsgericht für maßgeblich gehaltenen morphologischen Eigenschaften bzgl. des darauf abgebildeten Fahrers damit nur ansatzweise entnehmen. Allenfalls die Ausführungen des Amtsgerichts zu der Form des Kopfes der abgelichteten Person sowie den beschriebenen Merkmalen der Ohren sind für den Senat noch ohne weiteres nachvollziehbar. Mangels entsprechender Ausführungen im Urteil kann der Senat hingegen nicht nachvollziehen, auf welche Weise der sachverständig beratene Bußgeldrichter trotz der minderen Qualität der Aufnahme im Übrigen zu hinreichend sicheren Feststellungen gekommen ist, namentlich betreffend der – von ihm als stark individualisierend gewichteten – Merkmalen der Brauen- und Nasenregion des abgelichteten Fahrers.

Dieser Darstellungsmangel erfordert die Aufhebung des Urteils insgesamt.

III.

Die Sache gibt Anlass zu dem Hinweis, dass auch außerhalb des Messbildes liegende Indizien, die für die Fahrereigenschaft des Betroffenen sprechen, im Rahmen der auf einer Gesamtwürdigung gestützten Überzeugungsbildung herangezogen werden können. Hierbei können insbesondere die Person des Halters und dessen Beziehung zum Betroffenen Relevanz entfalten, wenn sich daraus Rückschlüsse ergeben, dass der Betroffene Zugriff auf den verfahrensgegenständlichen PKW hatte.

Der Senat hatte keinen Anlass, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Sache an eine andere Abteilung oder ein anderes Amtsgericht zu verweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

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