Skip to content
Menü

Zulässigkeit einer standortfixierten Umkreisauflage und des Gebots für Fahrten nur bei Tageslicht

VG Frankfurt (Oder) – Az.: 6 L 59/22 – Beschluss vom 20.05.2022

1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 17. Februar 2022 gegen die Anordnung des Antragsgegners vom 10. Januar 2022 (Aktenzeichen 32-36.84.05.7.22A09B64/21/OV) wird wiederhergestellt, soweit als Auflagen in der Nummer 1.2 dieser Anordnung die Eintragung der Schlüsselzahl 05.02 („In einem Umkreis von 15 Km des Wohnsitzes“) in den Führerschein angeordnet und in der Nummer 1.3. die Nachbegutachtung mit Fahrverhaltensbeobachtung bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung in 2 Jahren und die Vorlage des Gutachtens bis zum 30. Juni 2023 angeordnet wird. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Von den Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner 75% und der Antragsteller 25%.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.300,00 € festgesetzt.

Gründe

1. Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit im Hinblick auf die Nummer 1.1. (Vorlage eines neurologischen Attestes) der Anordnung des Antragsgegners vom 10. Januar 2022 (Aktenzeichen 32-36.84.05.7.22A09B64/21/OV) übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

2. Im Übrigen hat der verbleibende Antrag, der sinngemäß lautet, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 17. Februar 2022 gegen

1. die unter der Nummer 1.2. angeordneten Auflagen (Tageslichtfahrtauflage mit der Schlüsselzahl 05.01 und Umkreisauflage mit der Schlüsselzahl 05.02) sowie

2. die unter der Nummer 1.3. angeordnete Auflage (Nachbegutachtung mit Fahrverhaltensanordnung bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung in 2 Jahren und Gutachtenvorlage bis zum 30. Juni 2023)

aus der Anordnung des Antragsgegners vom 10. Januar 2022 (Aktenzeichen 32-36.84.05.7.22A09B64/21/OV) wiederherzustellen,

lediglich in dem aus der Entscheidungsformel dieses Beschlusses ersichtlichen Umfange Erfolg.

2.1. Begründet ist der vorliegende Rechtsschutzantrag, soweit sich der Antragsteller gegen die mit der Nummer 1.2. der streitbefangenen Verfügung unter anderem angeordnete Umkreisauflage mit der Schlüsselzahl 05.02. sowie gegen die mit der Nummer 1.3 dieser Verfügung angeordnete Nachbegutachtung innerhalb von 2 Jahren und die Gutachtenvorlage bis zum 30. Juni 2023 wendet. Auf Grund der summarischen Prüfung erweist sich die Umkreisauflage bereits als rechtswidrig (vgl. dazu unter 2.1.1. dieses Beschlusses); des Weiteren besteht für die dem Grunde nach rechtmäßige Nachbegutachtungsanordnung und Gutachtenvorlage jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt kein besonderes öffentliches Interesse an deren sofortiger Befolgung, weil diese erst bis zum 30. Juni 2023 und damit erst in einem Jahr zu befolgen sind (vgl. dazu unter 2.1.2. dieses Beschlusses).

2.1.1. Im Hinblick auf die Umkreisauflage, nach der die Fahrerlaubnis des Antragstellers für die Fahrerlaubnisklassen B und BE nur im Umkreis von 15 Kilometern seines Wohnsitzes genutzt werden darf (Umkreisauflage), bestehen bereits durchgreifende Bedenken gegen deren Rechtmäßigkeit, weil diese Auflage weder geeignet noch erforderlich und auch nicht angemessen ist, um das mit dieser Auflage verfolgte Ziel zu erreichen, das beim Führen eines Kraftfahrzeuges mit zunehmender Dauer steigende Risiko eines Krampfanfalls und die sich daraus ergebenden negativen Folgen für die Fahreignung zu unterbinden.

Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) ordnet die Fahrerlaubnisbehörde unter anderem die erforderlichen Auflagen an, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis nur noch als bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Bei Auflagen sind nach § 25 Abs. 3 FeV die in der Anlage 9 festgelegten Schlüsselzahlen zu verwenden. Nach der Laufenden Nummer (Lfd. Nr.) 2 des Abschnittes B.Ia. der Anlage 9 der FeV ist unter Schlüsselzahl 05.02. unter anderem vorgegeben, dass die Fahrerlaubnis nur in „einem Umkreis von … km des Wohnsitzes“ genutzt werden darf. Mit dieser Auflage soll sichergestellt werden, dass ein lediglich bedingt geeigneter Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis nur in einem räumlichen Bereich nutzt, der ihm aus seiner langjährigen Fahrpraxis vertraut ist und in dem unbekannte und komplexe Verkehrssituationen bzw. -konstellationen, die ein gesteigertes Maß an Vorausschau, Überblick und Orientierungsverhalten erfordern, typischerweise eher seltener auftreten (vgl. hierzu: Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – Au 3 K 08.185 – zitiert nach juris, Rdnr. 28).

Ausgehend hiervon ist die mit der Auflage angeordnete Umkreisbeschränkung, mit der die Ausnutzungsmöglichkeit der Fahrerlaubnis des Antragstellers anknüpfend an seinen Wohnsitz in räumlicher Hinsicht begrenzt wird, bereits im Ansatz nicht geeignet, das im Ärztlichen Gutachten des Verkehrsmediziners und Facharztes für Innere Medizin Dr. vom 19. Juli 2021 (vgl. Anlage A 2 zur Antragsschrift) festgestellte mit zunehmender Fahrzeit steigende Risiko eines die Fahreignung ausschließenden Krampfanfalles auszuschließen. Denn bei einer räumlichen Beschränkung seiner Fahrerlaubnis bliebe ein Fahrerlaubnisinhaber mit einer nur für eine begrenzte Zeitspanne bestehenden Fahreignung auch weiterhin berechtigt, auch ohne zeitliche Begrenzung sein Fahrzeug innerhalb dieses räumlich eingegrenzten Bereiches zu steuern. Dem steht nicht entgegen, dass es hier nach allgemeiner Lebenserfahrung zwar eher unwahrscheinlich sein dürfte, dass der Antragsteller über eine längere Zeitdauer in einem Umkreis von 15 Kilometern von seinem Wohnsitz über eine längere Zeit hinweg ununterbrochen mit seinem Kraftfahrzeug umherfahren würde; entscheidend ist hier jedoch, dass er bei einer derartigen Umkreisauflage hierzu berechtigt wäre und nach den gutachterlichen Feststellungen auch in diesem Falle wegen einer längeren Fahrtdauer ein gesteigertes Krampfanfallsrisiko bestehen würde.

Unbeschadet dessen ist eine standortfixierte Umkreisauflage, die allein an den Wohnsitz anknüpft, nicht erforderlich und würde den Antragsteller über Gebühr einschränken. Mit der an seinen Wohnsitz anknüpfenden Umkreisauflage werden auch Fahrten über eine kurze Zeitdauer an anderen Orten unterbunden, die außerhalb des Wohnsitzes angetreten werden, wie etwa an Urlaubs- oder Besuchsorten. Im Hinblick auf eine diesbezügliche Fahreignung des Antragstellers ist den Ärztlichen bzw. Fachärztlichen Gutachten des vorgenannten Arztes vom 30. Juni 2021 und 19. Juli 2021 allerdings nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller für kurzzeitige Fahrten außerhalb seines Wohnortes nicht geeignet wäre und dass bei derartigen Fahrten ein höheres Risiko für einen Krampfanfall bestehen würde als bei kurzzeitigen Fahrten innerhalb des genannten Umkreises zu seinem Wohnort. Vielmehr wurde gutachterlich festgestellt, dass der Antragsteller bei der Fahrverhaltensbeobachtung, die außerhalb seines Wohnortes in Berlin auf einer Standardstrecke mit Verkehrssituationen von mitunter hoher Komplexität durchgeführt wurde, eine völlig ausreichende Leistungsfähigkeit für die Bedienung von Fahrzeugen der Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklassen A, B, BE und L) erreicht hat (vgl. Blätter 8 und 13 des Ärztlichen Gutachtens vom 30. Juni 2021). Eine wohnsitzgebundene Beschränkung der Fahrerlaubnis ist danach nicht erforderlich, weil der Antragssteller nach den vorstehend aufgeführten gutachterlichen Feststellungen befähigt ist, auch außerhalb seines Wohnortes komplexe Verkehrssituationen an Orten zu bewältigen, die ihm unbekannt sind.

Schließlich ist nach derzeitigem Erkenntnisstand der Umfang der Beschränkung auf einen Radius von 15 Kilometern im engeren Sinne unverhältnismäßig. Selbst wenn man davon ausgeht, dass bei einer derartigen Begrenzung des räumlichen Nutzungsbereiches der Fahrerlaubnis nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise nur kurzzeitige Autofahrten stattfinden würden, die weniger als eine Stunde dauern, können weder dem Gutachten noch den Ausführungen in dem streitbefangenen Bescheid tragfähige Feststellungen und Erwägungen entnommen werden, aus welchen Gründen der Radius für die Umkreisauflage mit einem Umfang von 15 Kilometern bemessen wurde und nicht weiter gefasst werden darf, um das Risiko eines Krampfanfalles erheblich minimieren zu können.

Allenfalls käme hier zur Vermeidung eines durch lange Fahrzeiten bedingten Krampfanfallsrisikos – sofern die Fahrzeit, ab der ein gesteigertes Risiko besteht, gutachterlich festgestellt würde – eine individualspezifische Auflage mit der Schlüsselzahl 177 (vgl. Lfd Nr. 7 des Abschnittes B.II. der Anlage 9 zur FeV) in Betracht, die auf dem mitzuführenden Anhang zum Führerschein vermerkt würde und mittels derer die Fahrzeiten auf eine bestimmte Dauer beschränkt würden. Eine derartige Anordnung hat der Antragsgegner hier jedoch nicht erlassen, zumal in Ermangelung konkreter Feststellungen nicht ersichtlich ist, ab welcher Fahrzeitdauer ein derartiges Risiko bestehen würde.

2.1.2. Begründet ist der Rechtsschutzantrag auch hinsichtlich der begehrten Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die unter der Nummer 1.3. des streitbefangenen Bescheides angeordnete Nachbegutachtung und Gutachtenvorlage. Zwar dürften sich diese Auflagen aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen. Jedoch besteht gegenwärtig noch kein besonderes öffentliches Interesse im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO an deren sofortiger Befolgung, weil diese Verpflichtungen erst am 30. Juni 2023 und damit in mehr als einem Jahr zu erfüllen sind und weil der Antragsteller in Ansehung der gutachterlich empfohlenen Nachbegutachtung in zwei Jahren ab dem 30. Juni 2021 (vgl. Blatt 12 des Ärztlichen Gutachtens vom 30. Juni 2021) in dem gutachterlich festgestellten Umfange als fahrtauglich anzusehen ist. Entgegen den Ausführungen des Antragsgegners in der Begründung für die Vollziehungsanordnung unter dem Punkt 2. auf der Seite 3 des streitbefangenen Bescheides bestand im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am 10. Januar 2022 noch keine Gefahr, dass die innere Wirksamkeit dieser Auflagen wegen des Suspensiveffektes eines etwaigen Widerspruchsverfahrens in der Weise hinausgeschoben wird, dass die Nachbegutachtung nicht rechtzeitig bis zum 30. Juni 2023 durchgeführt und das Gutachten nicht bis dahin vorgelegt werden wird. Zu diesem Zeitpunkt bestand noch kein besonderes Bedürfnis, den Suspensiveffekt eines etwaigen Widerspruchs gegen eine Verpflichtung, die erst in mehr als einem Jahr und damit weit nach dem Ablauf der Widerspruchsfrist zu erfüllen sein wird, schon vor Ablauf der Widerspruchsfrist durch eine Sofortvollzugsanordnung zu beseitigen. Vielmehr hätte der Antragsgegner noch ohne Weiteres zuwarten können, ob die Widerspruchsfrist abläuft und die Auflagen bestandskräftig werden. Aber auch nach Erhebung des vorliegenden Widerspruchs vom 17. Februar 2022 bestand keine Gefahr, dass die mit den Auflagen begründeten Verpflichtungen innerhalb der verbleibenden Zeitspanne von mehr als 16 Monaten nicht rechtzeitig bis zum 30. Juni 2023 erfüllt werden. Im Falle einer Widerspruchserhebung würde ein besonderes Bedürfnis für eine nachträgliche (isolierte) Vollziehungsanordnung erst dann bestehen, wenn unter Berücksichtigung der zu erwartenden Vorlaufzeiten für die Nachbegutachtung und die Gutachtenerstellung sowie unter Einbeziehung der voraussichtlichen Verfahrensdauern der gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahren in der ersten und zweiten Instanz eine reale Gefahr für eine nicht rechtzeitige Auflagenerfüllung bestehen würde. Eine solche Gefahr bestand im Zeitpunkt der Widerspruchserhebung und besteht auch im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht, weil davon auszugehen ist, dass aus gegenwärtiger Sicht auch unter Einbeziehung eines etwaigen Beschwerdeverfahrens noch mehr als ein Jahr und damit ausreichend Zeit für die Befolgung der Auflagen bis zum 30. Juni 2023 verblieben wäre, die sofortige Vollziehung nachträglich anzuordnen.

Rein vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass der Antragsgegner auf Grund der Bindungswirkung dieses Beschlusses nunmehr gehindert sein wird, eine nachträgliche gesonderte Vollziehungsanordnung zu erlassen; vielmehr muss er beim Verwaltungsgericht einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Abänderung dieses Beschlusses hinsichtlich der nunmehr gegen die Auflage Nummer 1.3. wiederhergestellten aufschiebenden Wirkung stellen (vgl. hierzu: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 23. Auflage 2017, § 80 VwGO Rdnr. 172 mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung in den Fußnoten 345 und 346), falls er im vorliegenden Fall nach Würdigung der zukünftigen Entwicklungen zu der Einschätzung gelangen sollte, dass angesichts der fortschreitenden Zeit die Auflagen nicht rechtzeitig erfüllt werden sollten.

2.2. Unbegründet ist indessen der vorliegende Rechtsschutzantrag, soweit die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegenüber der übrigen weiterhin streitigen Auflage begehrt wird, als damit unter der Nummer 1.2. die Eintragung der Schlüsselzahl 05.02 („Fahrten nur bei Tageslicht“) angeordnet worden ist.

Auf Grund der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 2 VwGO vorzunehmenden summarischen Prüfung erweist sich diese Auflage nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig (dazu unter 2.2.1. dieses Beschlusses); insoweit besteht ein besonderes öffentliches Interesse an deren sofortiger Vollziehung, das in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechenden Weise begründet wurde und welches das private Interesse des Antragstellers überwiegt, diese Auflagen vorerst nicht befolgen zu müssen (dazu unter 2.2.2. dieses Beschlusses).

2.2.1. Keine durchgreifenden Bedenken bestehen gegen die Anordnung der in der Schlüsselzahl 05.01 der Lfd. Nr. 1 des Abschnittes B.Ia. der Anlage 9 der FeV verordnungsrechtlich vorgegebenen Auflage, dass nur bei Tageslicht gefahren werden darf.

Insoweit ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass eine solche Auflage hinreichend bestimmt ist (vgl. Oberverwaltungsgericht [OVG] Berlin, Beschluss vom 18. April 1990 – 1 B 222.88 – BeckRS 1990, 8091, Rdnr. 18; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. September 1986 – 2 TH 2233/86 – NJW 1987, 797; OVG Bremen, Beschluss vom 15. Januar 1980 – OVG 2 B 1/80 – NJW 1980, 2371, [2372]).

Rechtsgrundlage für diese Auflage ist § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV, nach dessen Satz 3 unter anderem die Anlage 4 dieser Verordnung zu berücksichtigen ist. In der hiernach in Bezug genommenen Anlage 4 der FeV wird in deren Vorbemerkungen in Satz 1 der Nummer 1 ausgeführt, dass die den Vorbemerkungen folgende Aufstellung häufiger vorkommende Erkrankungen enthält, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. Im Einzelnen sind diese Krankheiten und Mängel in den Nummern 1 bis 11 der Anlage 4 der FeV gesondert aufgelistet. Die in den vorgenannten Nummern aufgenommenen Bewertungen gelten nach der Nummer 3 Satz 1 der Vorbemerkungen der Anlage 4 der FeV nur für den Regelfall. Zu den in dem Katalog der Nummern 1 bis 11 der Anlage 4 ausdrücklich genannten Krankheiten gehört unter anderem die Epilepsie (vgl. Nummer 6.6 der Anlage 4 der FeV), bei der eine Fahreignung nur ausnahmsweise angenommen werden kann, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr vorliegt. Nach der Bewertung der Nummer 6.6 der Anlage 4 der FeV ist dies der Fall, wenn der Fahrerlaubnisinhaber unter anderem ein Jahr anfallsfrei ist; als Auflagen können Nachuntersuchungen angeordnet werden, ohne dass hierfür ein bestimmter Rhythmus vorgegeben ist. Hingegen sind nach dem Satz 2 der Nummer 1 der Vorbemerkung zur Anlage 4 der FeV keine Erkrankungen in den Katalog der Nummern 1 bis 11 der Anlage 4 der FeV aufgenommen worden, die unter anderem seltener vorkommen. Um eine seltener vorkommende Krankheit in diesem Sinne handelt es sich bei einem kanzerogenen Hirntumor bzw. kanzerogenen Hirnmetastasen, weil diese Krankheit nicht in dem unter den Nummern 1 bis 11 der Anlage 4 zur FeV aufgelisteten Katalog der Krankheiten enthalten ist. Auch hirnmetastasenbedingte Krampfanfälle und die sich hieraus ergebenden Fahreignungsmängel sind nicht in dem vorgenannten Katalog der Eignungsmängel enthalten. Für diese Krankheiten und Fahreignungsmängel gelten daher entgegen der Annahme des Antragstellers nicht die in den Nummern 1 bis 11 der Anlage 4 der FeV ausdrücklich geregelten Vorgaben für Beschränkungen und Auflagen, sondern der in § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV ausdrücklich genannte allgemeine Grundsatz der Erforderlichkeit sowie die allgemeinen Vorgaben des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Hiernach ist es grundsätzlich zulässig, eine Auflage mit dem Inhalt anzuordnen, nur bei Tageslicht zur fahren, wenn eine solche Auflage geeignet, erforderlich und angemessen ist, das fahreignungsausschließende Risiko eines hirnmetastasenbedingten Krampfanfalles wesentlich zu verringern.

In Anwendung dieser normativen Maßstäbe beurteilt sich im vorliegenden Fall die Fahreignung des Antragstellers und die Zulässigkeit der Auflage, nur bei Tageslicht zu fahren, nicht nach der Nummer 6.6 der Anlage 4 FeV, sondern an Hand der allgemeinen Vorgaben des § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn der Antragsteller ist aus gesundheitlichen Gründen nicht deswegen nur noch als bedingt geeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges angesehen worden, weil das Risiko eines die Fahreignung ausschließenden Krampfanfalles wegen einer Epilepsieerkrankung besteht, sondern wegen der Größe seiner durch eine Krebserkrankung entstandenen Hirnmetastasen, die auch in der Vergangenheit die Krampfanfälle verursacht hatten. Dies hat der Gutachter Dr. ausdrücklich festgestellt (vgl. Blätter 11 und 12 des Ärztlichen Gutachtens vom 19. Juli 2021 und Fachärztliches Gutachten vom 19. Juli 2021) und wird insoweit vom Antragsteller auch nicht in Frage gestellt. Bestätigt wird dies ferner durch den antragstellerseitig vorgelegten Arztbrief bzw. Befundbericht der ihn behandelnden Fachärztin für Nervenheilkunde Lehmann vom 25. Mai 2021 (vgl. Anlage A 3 zur Antragsschrift), auf den in den Ärztlichen bzw. Fachärztlichen Gutachten vom 30. Juni 2021 und 19. Juli 2021 Bezug genommen wird (vgl. Blätter 11 und 12 dieses Gutachtens); auch die Fachärztin für Nervenheilkunde hat in ihrem Befundbericht vom 25. Mai 2021 ausdrücklich darauf abgestellt, dass „mit Hirnmetastasen [ein] Risiko erneuter Anfälle durchaus besteht“. Unzutreffend ist demgegenüber die Annahme des Antragstellers, seine Fahreignung bestünde hier nach Maßgabe der Nummer 6.6 der Anlage 4, weil er allein an Epilepsie erkrankt sei und er seit September 2019 und damit seit mehr als einem Jahr anfallsfrei sei. Denn dieses Vorbringen übersieht, dass ausweislich der vorstehend zitierten ärztlichen Befunde sowohl der Gutachter als auch die den Antragsteller behandelnde Neurologin die Ursache für die Gefahr eines Krampfanfalles nicht in einer bei ihm vorliegende Epilepsieerkrankung sehen, sondern in den durch seine Krebserkrankung entstandenen Hirnmetastasen. Soweit die Neurologin sowohl in ihrem Arztbrief bzw. Befundbericht vom 25. Mai 2021 als auch in dem von ihr ausgestellten Attest vom 12. April 2022 (vgl. Anlagen A 3 und K 7 zur Antragsschrift) ausgeführt hat, dass „auf Grund der Epilepsie“ keine Einschränkung der Fahrtauglichkeit bestehe bzw. eine private Nutzung des PKW „anlässlich der Epilepsie“ wieder möglich sei, beziehen sich diese Feststellungen ersichtlich nur auf ein epilepsiebedingtes und nicht auf ein hirnmetastasenbedingtes Krampfanfallrisiko. Vielmehr hat die behandelnde Neurologin ihre Feststellungen zur Fahrtauglichkeit unter den ausdrücklichen Vorbehalt gestellt, dass sie die „für die Fragestellung der Fahrtauglichkeit ausreichende kognitive Testung … nicht anbieten“ könne und sie den Antragsteller auf „die Wahrscheinlichkeit kognitiver Einbußen infolge Hirnmetastasen … und deren Relevanz für die Fahrtauglichkeit … hingewiesen“ habe (vgl. Arztbrief bzw. Befundbericht vom 25. Mai 2021 und Attest vom 12. April 2022 – Anlagen A 3 und K 7 zur Antragsschrift).

Die fachärztlichen Feststellungen zu der wegen eines erhöhten hirnmetastasenbedigten Krampfanfallrisikos nur noch bedingt bestehenden Fahreignung des Antragstellers begegnen im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Prüfung keinen durchgreifenden Bedenken. Dies gilt im Ergebnis auch, soweit fachgutachtlich festgestellt worden ist, dass bei Nachtfahrten verstärkt optische Reize mit einer potenziellen Erhöhung der Krampfbereitschaft auftreten (vgl. Fachärztliches Gutachten vom 19. Juli 2021).

Der Annahme eines derartigen Risikos steht zunächst nicht entgegen, dass der Antragsteller – wie in dem zuletzt durch das als Anlage K 7 vorgelegten Attest vom 12. April 2022 bestätigt worden ist – in der Zeit von September 2019 und April 2022 und damit über einen Zeitraum von mehr als zweieinhalb Jahren anfallsfrei gewesen ist und die Hirnmetastasen nach dem bildgebenden Befund vom Februar 2022 gegenwärtig stabil sind. Mit diesen Befunden, die im Wesentlichen auch mit der Befundlage im Zeitpunkt der Gutachtenerstellung im Juni 2021 übereinstimmen, hat sich der Gutachter auseinandergesetzt (vgl. Blatt 11 des Gutachtens vom 30. Juni 2021) und in einer nachvollziehbaren Weise festgestellt, dass für die Beurteilung der Fahreignung der Fortgang (Progredienz) der Krebserkrankung entscheidend (vgl. Blatt 12 des Gutachtens vom 30. Juni 2021) und die Progredienz der Hirnmetastasen eindeutig mit einem erhöhten Risiko für einen Krampfanfall verbunden ist (vgl. Fachärztliches Gutachten vom 19. Juli 2021); insoweit ist eine Prognose unsicher (vgl. Blatt 12 des Gutachtens vom 30. Juni 2021). Es liegt auf der Hand, dass ungeachtet des gegenwärtig attestierten stabilen Befundes (vgl. Attest vom 12. April 2022 – Anlage K 7) die Fortentwicklung der Krebserkrankung und die Entstehung neuer Metastasen naturgemäß nicht vorhersehbar ist, zumal auch die den Antragssteller behandelnde Neurologin ausgeführt hat, dass mit Hirnmetastasen, und zwar „auch neuartiger“, durchaus ein Risiko erneuter Anfälle besteht (vgl. den Arztbrief vom 25. Mai 2021 – Anlage K3).

Des Weiteren erheben sich jedenfalls keine durchgreifenden Zweifel, dass vor allem bei Nachtfahrten ein erhöhtes Risiko für Krampfanfälle mit Auswirkungen auf die Fahreignung besteht, die durch optische Reize, die insbesondere bei Nachtfahrten und vor allem bei Regen auftreten, provoziert werden können (vgl. Fachärztliches Gutachten vom 19. Juli 2021). Auch wenn im Hinblick auf die beim Antragsteller bestehenden Hirnmetastasen konkrete Feststellungen dazu fehlen, dass während einer Nachtfahrt gerade wegen der Beschaffenheit und Größe dieser Metastasen eine gesteigerte Empfindlichkeit für optische Reize ein sich hieraus ergebendes erhöhtes Risiko einer Krampfanfälligkeit wie – was gerichtsbekannt ist – beispielsweise bei einer Epilepsie besteht, ist die im Fachärztlichen Gutachten dafür angeführte allgemeine Begründung, „Krampfanfälle werden im EEG durch optische Reize provoziert“, im Rahmen der summarischen Prüfung noch als nachvollziehbar und ausreichend anzusehen.

Vor dem Hintergrund der hiernach gegebenen bedingten Eignung des Antragsstellers für nicht bei Tageslicht stattfindende Fahrten sprechen hier nach einer summarischen Prüfung stichhaltige Gründe dafür, dass die streitige Auflage, nur bei Tageslicht zu fahren, geeignet, erforderlich und angemessen ist, um das die Fahreignung ausschließende Risiko eines Krampfanfalles während einer nicht bei Tageslicht stattfinden Fahrt zu vermeiden.

Nicht überzeugend ist der Einwand des Antragstellers, dass auch bei Tageslicht wechselnde Lichtverhältnisse und Regen denkbar seien und bei nächtlichem Verkehr nicht von einem Flackerlicht ausgegangen werden könne. Insoweit verfügt das erkennende Gericht auf Grund eigener Erfahrung über die hinreichende Sachkenntnis, dass bei Nachtfahrten die Lichtkontraste erfahrungsgemäß häufiger als bei Tagesfahrten auftreten und stärker sind; ebenfalls kann die Kammer sachkundig beurteilen, dass Licht bei nasser Fahrbahn in der Dunkelheit stärker reflektiert wird; schließlich kann das Licht entgegenkommender Fahrzeuge insbesondere bei Fahrten auf hügeligen oder kurvigen Fahrbahnen in einer vergleichbaren Weise wie Flackerlicht plötzlich auftreten.

Die Auflage ist offenkundig erforderlich. Ein milderes Mittel als das Gebot, nur bei Tageslicht zu fahren, ist nicht ersichtlich, um das erhöhte Risikos eines Krampfanfalles während einer Nachfahrt zu vermeiden.

Die Auflage, nur bei Tageslicht zu fahren, erweist sich auch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als angemessen. Der mit dieser Auflage verbundene tiefgreifende Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Antragsstellers, der infolge dieser Auflage seine Fahrerlaubnis nur noch in einem in räumlicher Hinsicht eng umfassten Umfange ausnutzen kann, ist hier geboten und gerechtfertigt, obwohl hier das Risiko eines hirnmetastasenbedingten Krampfanfalles während einer nicht unter Tageslicht stattfindenden Fahrt nicht quantifiziert ist. Allerdings ist vor dem Hintergrund der nervenärztlichen Feststellung, mit Hirnmetastasen bestehe „durchaus“ das Risiko erneuter Anfälle (vgl. Arztbrief bzw. Befundbericht vom 25. Mai 2021 – Anlage A 3), bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass dieses Risiko nicht nur theoretischer Natur ist und damit nicht zu vernachlässigen ist. In Ansehung dieses nicht nur theoretischen Risikos ist es hier daher gerechtfertigt, den Nutzungsumfang der Fahrerlaubnis des Antragstellers in zeitlicher Hinsicht auf Fahrten bei Tageslicht zu beschränken, um vor allem andere Verkehrsteilnehmer zu schützen, deren körperliche Integrität durch einen Verkehrsunfall beeinträchtigt würde, der durch einen beim Antragsteller nicht mit gänzlicher Unwahrscheinlichkeit auftretenden Krampfanfall herbeigeführt werden kann. Zu berücksichtigen ist hier ferner, dass es dem Antragsteller weiterhin möglich ist, seine Fahrerlaubnis in räumlicher Hinsicht vollumfänglich auszunutzen.

2.2.2. Für die Anordnung der Tageslichtfahrt- und Nachbegutachtungsauflage besteht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse. Das besondere Vollzugsinteresse hat der Antragsgegner in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO noch ausreichenden Weise begründet, indem er einzelfallbezogen auf die sich aus der nicht alsbaldigen Umsetzung der Auflagen ergebenden Nachteile für das Leben, die Gesundheit und das Eigentum des Antragstellers („für Ihren Mandanten“) abgestellt hat und dessen eigene Interessen („Interessen Ihres Mandanten“) an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis dem öffentlichen Interesse am Schutz und der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer gegenübergestellt hat.

Auch in der Sache ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner den öffentlichen Interessen an der sofortigen Befolgung der Tageslichtfahrtauflage den Vorrang eingeräumt hat gegenüber den Privatinteressen des Antragstellers, diese Auflagen nicht sofort befolgen zu müssen. Denn nach dem derzeitigen Erkenntnisstand besitzt der Antragsteller nur eine Eignung für das Führen von Fahrzeugen bei Tageslicht. Vor allem der Schutz der Interessen anderer Verkehrsteilnehmer, deren körperliche Integrität durch Unfälle, die bei nicht unter Tageslicht stattfindenden Fahrten des insoweit nicht geeigneten Antragstellers verursacht werden können, ist höher zu gewichten als das Interesse des Antragstellers an einer uneingeschränkten Ausnutzung seiner Fahrerlaubnis.

2.3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2 VwGO.

Es entspricht billigem Ermessen, dem Antragsteller den Teil der Verfahrenskosten des in der Hauptsache für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreites aufzuerlegen, der die unter der Nummer 1.1. angeordnete Vorlage eines neurologischen Attestes über die Anfallsfreiheit bis zum 1. Juli 2022 betrifft. Diese Auflage ist offensichtlich rechtmäßig gewesen und beruht auf der Rechtsgrundlage des § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV. Die Auflage, die den gutachterlichen Empfehlungen folgt (vgl. Blatt 12 des Ärztlichen Gutachtens vom 30. Juni 2021), war in Ansehung des nicht prognostizierbaren Krankheitsverlaufes und des nicht auszuschließenden Anfallsrisikos erforderlich und angemessen, um festzustellen, dass der Antragsteller auch nach einem Jahr weiterhin anfallsfrei ist. Im Gegensatz zu der Nachbegutachtungsauflage bestand bei der Auflage zur Vorlage des Attestes bis zum 1. Juli 2022 bereits im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 10. Januar 2022 ein besonderes Interesse für die Anordnung des Sofortvollzuges nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, weil bei einer nachträglichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach Ablauf der Widerspruchsfrist innerhalb einer Zeitspanne von etwa viereinhalb Monaten die reale Gefahr bestanden hätte, dass dieses Attest nicht rechtzeitig bis zum 1. Juli 2022 vorgelegt worden wäre.

Die Kostenaufteilung orientiert sich nach den jeweiligen Werten für die einzelnen Auflagen und deren Wertverhältnis.

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes.

Für Auflagen zu einer Fahrerlaubnis (hier: Führerscheinklassen B und BE), mit denen der Nutzungsumfang der Fahrerlaubnis in räumlicher und zeitlicher Hinsicht eingeschränkt wird und mit denen einem Fahrerlaubnisinhaber Begutachtungs- und Attestvorlagepflichten auferlegt werden, ist bei der Streitwertbemessung in der Regel ein geringerer Wert anzusetzen als der Wert für den vollständigen Entzug der entsprechenden Fahrerlaubnis, für den der Streitwertkatalog für die Fahrerlaubnisklassen B und BE einen Wert von 5.000 € vorsieht (vgl. Nummer 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013, www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php). Für Auflagen, die – wie hier – nicht zum vollständigen Verlust der Befugnis zum Führen eines Fahrzeuges führen, sondern nur deren Umfang begrenzen, kann jedoch nur ein Bruchteil dieses Wertes angesetzt werden, der in der Regel geringer ist als der für den Erwerb bzw. den Bestand einer Fahrerlaubnis anzusetzende Wert. Dies gilt auch, wenn – wie hier – mehrere Auflagen zugleich angeordnet worden sind, mit denen einem Fahrerlaubnisinhaber zusätzlich noch gesonderte Verhaltenspflichten, wie Untersuchungsobliegenheiten oder Vorlagepflichten, auferlegt worden sind. Auch in diesem Fall liegt der Gesamtwertstreitwert für mehrere Auflagen in der Regel unter dem Bestandswert einer Fahrerlaubnis, der den äußersten Rahmen bei der Bemessung des Gesamtstreitwerts für mehrere Auflagen auch dann vorgibt, wenn die Summe der Einzelwerte der jeweiligen Auflagen den Bestandswert einer Fahrerlaubnis übersteigen sollte. Aus diesem Grund ist der Gesamtstreitwert für mehrere Auflagen im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln.

In einem ersten Schritt ist der Wertanteil jeder einzelnen Auflage zu bemessen, den sie im Verhältnis zum Bestandswert der Fahrerlaubnis hat; zu unterscheiden ist zwischen verhaltensbezogenen Auflagen, die dem Fahrerlaubnisinhaber zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Fahrerlaubnis bestimmte Verhaltens-, Untersuchungs- und Vorlagepflichten auferlegen, und nutzungsbezogenen Auflagen, durch die der Umfang der umfassenden Ausnutzungsmöglichkeit einer Fahrerlaubnis begrenzt wird.

In einem zweiten Schritt sind die nutzungsbezogenen Auflagen in ihrem Wert jeweils im Hinblick auf den durch die Auflage verbleibenden Nutzungsumfang der Fahrerlaubnis zu gewichten. Für die Bemessung der Bedeutung und des Wertes nutzungsbezogener Auflagen ist das maßgebende Kriterium der Umfang, in dem zum einen die mit der Fahrerlaubnis vermittelte umfassende Nutzungsausübungsmöglichkeit in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht begrenzt wird und in dem zum anderen dem Fahrerlaubnisinhaber noch eine Nutzungsausübungsmöglichkeit verbleibt. Ausgangspunkt für die Wertbemessung ist danach der nach einer nutzungsbeschränkenden Auflage verbleibende Nutzungsumfang der Fahrerlaubnis, zu der die Auflage in einem wertmäßigen Komplementärverhältnis steht. Der einer nutzungsbeschränkenden Auflage beizumessende Wert wird jedoch nicht durch eine lineare bzw. quantitative Betrachtung des Ausmaßes der Nutzungseinschränkung bestimmt, sondern im Hinblick auf den verbleibenden Umfang der Nutzungsausübungsbefugnis einer Fahrerlaubnis qualitativ gewichtet. Denn dem verbleibenden Kernbereich der Nutzungsmöglichkeit einer Fahrerlaubnis, die in räumlicher und zeitlicher Hinsicht weitgehend eingeschränkt wurde, ist im Verhältnis zu den weiter gefassten Nutzungsmöglichkeiten ein höheres Gewicht beizumessen.

Bei mehreren nutzungsbezogenen Auflagen sind in einem dritten Schritt deren Einzelwerte nicht zu addieren, sondern im Hinblick auf das Ausmaß der sich wechselseitig bedingenden und überlagernden Auswirkungen der Beschränkungen auf den verbleibenden Nutzungsumfang der durch die Auflagen verbleibenden Fahrerlaubnis zu gewichten; denn die faktischen Auswirkungen von zeitlichen und räumlichen Beschränkungen des Nutzungsumfanges einer Fahrerlaubnis überlagen sich. Je enger bei einer Umkreisauflage der Radius gefasst wird, desto geringer ist zugleich die Möglichkeit, die Fahrerlaubnis über einen längeren Zeitraum hin auszunutzen. Je weiter zeitliche Einschränkungen des Nutzungsumfanges reichen, desto mehr ist damit zugleich auch die Möglichkeit begrenzt, die Fahrerlaubnis in räumlicher Hinsicht auszunutzen. Räumliche Beschränkungen der Nutzungsbefugnis einer Fahrerlaubnis sind typischerweise schwerer zu gewichten als zeitliche Beschränkungen, weil die Möglichkeit zur Ausnutzung der Fahrerlaubnis außerhalb des Umkreises, innerhalb dessen die Nutzungsbefugnis noch besteht, schlechterdings ausgeschlossen ist; in ihrer faktischen Auswirkung handelt es sich bei einer Umkreisauflage um eine Teilentziehung einer Fahrerlaubnis für das Gebiet außerhalb des Umkreises vom Wohnort, in dem der Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis nur noch ausüben darf. Hingegen verbleibt dem Fahrerlaubnisinhaber bei einer zeitlichen Beschränkung des Nutzungsumfanges bei entsprechender Flexibilität immer noch die Möglichkeit, seine Fahrerlaubnis in räumlicher Hinsicht vollumfänglich auszunutzen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind für die angeordnete Vorlage des neurologischen Attestes und des Gutachtens für die Nachbegutachtung mit einer Fahrverhaltensbeobachtung die pauschalierten Kosten für deren Ausstellung bzw. Erstellung anzusetzen, und zwar 100 € für das Attest und 500 € für die Nachbegutachtung; für die unter der Nummer 1.2. der mit der streitbefangenen Verfügung angeordneten Auflagen, und zwar die Kombination der Tageslichtfahrtauflage (Schlüsselzahl 05.01) mit der Umkreisauflage mit einem Radius von 15 Kilometern (Schlüsselzahl 05.02), ist ein gewichteter Gesamtwert von 4.000 € anzusetzen, der einem Anteil von 80% des Bestandswertes einer Fahrerlaubnis der Klassen B und BE entspricht, der – wie vorstehend bereits ausgeführt wurde – bei 5.000 € liegt (4.000 € = 5.000 € x 80%). Die sich aus den vorstehend genannten Teilwerten für die betreffenden Auflagen ergebende Summe von 4.600 € (4.000 € + 500 € + 100 € = 4.600 €), die bei einem Klageverfahren anzusetzen wäre, ist für das hier geführte Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. Nummer 1.5 des Streitwertkataloges, a.a.O.).

Im Einzelnen:

Der isolierten Auflage, nur bei Tageslicht fahren zu dürfen (Schlüsselzahl 05.01), ist im Verhältnis zu der zeitlich nicht begrenzten Ausnutzbarkeit einer Fahrerlaubnis ein Wertanteil von 35 Prozent des Gesamtwertes einer Fahrerlaubnis beizumessen; bei einer Auflage für eine Fahrerlaubnis der Klassen B und BE sind dies 1.750 € (= 5.000 € x 35%). Obwohl mit einer solchen Auflage die Nutzungsmöglichkeit von Fahrzeugen in quantitativer Hinsicht um die Hälfte reduziert wird, ist hierfür im Rahmen der hier vorzunehmenden qualitativ gewichtenden Betrachtung ein geringerer Wertanteil als die Hälfte des Wertes einer zeitlich unbegrenzt ausnutzbaren Fahrerlaubnis zu Grunde zu legen. Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung wird ein Fahrzeug eher tagsüber als nachts genutzt, so dass einer Fahrzeugnutzung bei Tageslicht eine höhere Bedeutung und damit ein höherer Wert beizumessen ist. Vor diesem Hintergrund ist es angemessen, für die Auflage mit der Schlüsselzahl 05.01 einen Wertanteil von 35 % des Bestandswertes einer Fahrerlaubnis anzusetzen.

Bei der isolierten Wertbemessung einer Umkreisauflage (Schlüsselzahl 05.02) ist zunächst zu berücksichtigen, dass die mit der Fahrerlaubnis vermittelte umfassende Nutzungsausübungsmöglichkeit in räumlicher Hinsicht in einem ganz erheblichen Maße eingeschränkt wird. Maßgebend ist danach zunächst, wie eng bzw. wie weit der Radius um den Wohnort gezogen worden ist. Für eine Umkreisauflage mit einem Radius von 15 Kilometern ist danach ein anteiliger Wert von 70% des für eine Fahrerlaubnisentziehung maßgebenden Wertes als angemessen anzusehen, weil einem Fahrerlaubnisinhaber in diesem Falle ein in qualitativer Hinsicht bedeutsamer Kernbereich seiner Nutzungsausübungsbefugnis verbleibt, der bei der Wertbemessung nicht zu vernachlässigen ist. Bei einer Umkreisauflage mit einem Radius von 15 Kilometern für eine Fahrerlaubnis der Klassen B und BE entspricht dies einem Wert von 3.500 € (5.000 € x 70% = 3.500 €).

Vor dem Hintergrund dessen, dass die Addition der jeweiligen Einzelwerte für die Umkreis- und Tageslichtfahrtauflage zu einem höheren Wert gelangen als der für die vollständige Fahrerlaubnisentziehung maßgebende Wert, ist im Rahmen einer gewichtenden Betrachtungsweise für die hier kombinierte Tageslichtfahrt- und Umkreisauflage von 15 Kilometern in der Gesamtheit ein Anteil von 80 % des für den Erwerb bzw. Bestandes einer Fahrerlaubnis maßgebendes Wertes als angemessen anzusehen. Denn bei einer qualitativen Gewichtung ist der verbleibende Kernbereich des Nutzungsumfanges für einen Fahrerlaubnisinhaber nicht zu vernachlässigen, weil er typischerweise als besonders bedeutsam und wertvoll anzusehen ist. Angemessen ist daher, einen Wertanteil von 20 % des Bestandswertes einer Fahrerlaubnis für den hier dem Antragsteller in räumlicher und zeitlicher Hinsicht verbliebenen Nutzungskern seiner Fahrerlaubnis anzusetzen; hieraus ergibt sich ein komplementärer Wertanteil von 80% des Bestandswertes einer Fahrerlaubnis für eine mit einer Umkreisauflage mit einem Radius von 15 Kilometern kombinierte Auflage für Fahrten bei Tageslicht; bei einer derartigen Kombinationsauflage für eine Fahrerlaubnis der Klasse B sind dies 4.000 € (= 5.000 € x 80%).

Im Hinblick auf das zwischen der Tageslichtfahrtauflage und der hier angeordneten Umkreisauflage bestehende Wertverhältnis ist es angemessen, von einem Verhältnis von einem Viertel zu drei Vierteln auszugehen, weil die vollumfängliche Nutzungsausübungsmöglichkeit der Fahrerlaubnis in einem erheblich höheren Ausmaß durch die Umkreisauflage geprägt wird als durch eine Tageslichtfahrtauflage.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!