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Fahrerlaubnisentziehung – ausschließlich schlafgebundene Epilepsie

Schlafgebundene Epilepsie: Fahrerlaubnisentzug wegen einzigartiger Erkrankung

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Entziehung der Fahrerlaubnis eines Mannes bestätigt, der ausschließlich an schlafgebundener Epilepsie leidet. Der Mann hatte einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein epileptischer Anfall vermutet wurde. Trotz ärztlicher Atteste und Medikation wurde entschieden, dass er nicht sicher Kraftfahrzeuge führen kann. Es wurden regelmäßige ärztliche Kontrollen und eine erneute Begutachtung in Zukunft festgelegt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: RO 8 S 22.1694  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Fahrerlaubnisentziehung bestätigt aufgrund eines Verkehrsunfalls, bei dem ein epileptischer Anfall des Antragstellers vermutet wurde.
  2. Der Antragsteller leidet an schlafgebundener Epilepsie und war unter Medikation.
  3. Vorliegen früherer Tagesanfälle, jedoch seit 2008 nur noch schlafgebundene Anfälle dokumentiert.
  4. Ärztliches Attest betonte die Fahreignung bei ausschließlich nächtlichen Anfällen.
  5. Landratsamt Schwandorf forderte Nachweis regelmäßiger neurologischer Kontrollen und Anpassungen der Medikation.
  6. Eine spätere fachärztliche Stellungnahme berichtete von tagsüber aufgetretenen Anfällen im Jahr 2020.
  7. Gutachten der TÜV Süd Life Service GmbH empfahl, die Fahreignung des Antragstellers neu zu bewerten.
  8. Beschluss zur erneuten Begutachtung im Juni 2023, wenn keine weiteren Anfälle auftreten.

Rechtliche Betrachtung der Fahrerlaubnis bei Gesundheitsbeeinträchtigungen

Fahrerlaubnisentziehung bei schlafgebundener Epilepsie
(Symbolfoto: Tero Vesalainen /Shutterstock.com)

Die Frage der Fahrerlaubnisentziehung bei bestimmten Gesundheitszuständen ist ein sensibles und bedeutsames Thema im Verkehrsrecht. Insbesondere wenn es um Erkrankungen wie schlafgebundene Epilepsie geht, stehen Sicherheit im Straßenverkehr und individuelle Mobilitätsrechte in einem komplexen Spannungsfeld. Dieses Thema berührt nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch medizinische Gutachter, Behörden wie das Landratsamt und letztlich die Gerichte, die über solche Fälle zu entscheiden haben.

Im Kern geht es darum, eine Balance zwischen der Notwendigkeit, die öffentliche Verkehrssicherheit zu gewährleisten, und dem Recht des Einzelnen auf Mobilität zu finden. Hierbei spielen ärztliche Gutachten und die Beurteilung von Einzelfällen, wie beispielsweise nach einem Verkehrsunfall, eine entscheidende Rolle. Der nachfolgende Bericht beleuchtet die juristischen Herausforderungen und Entscheidungsprozesse anhand eines konkreten Falls, der zeigt, wie solche Abwägungen in der Praxis getroffen werden. Lassen Sie uns nun einen detaillierten Blick auf diesen speziellen Fall werfen und die Rechtslage sowie ihre Auswirkungen auf den Antragsteller näher betrachten.

Der Weg zur Entziehung der Fahrerlaubnis: Ein Fall von schlafgebundener Epilepsie

Im Zentrum des Falles steht die Entziehung der Fahrerlaubnis eines Mannes, der an schlafgebundener Epilepsie leidet. Der Antragsteller, geboren 1991, war im Besitz einer Fahrerlaubnis für verschiedene Fahrzeugklassen. Ein Verkehrsunfall im Juli 2020 auf der BAB 93, verursacht vom Antragsteller, löste den rechtlichen Konflikt aus. Der Beifahrer des Antragstellers berichtete, dass der Antragsteller während der Fahrt nicht auf seinen Namen reagierte und körperliche Anzeichen eines epileptischen Anfalls zeigte. Dieser Vorfall führte dazu, dass das Landratsamt Schwandorf eine Untersuchung der Fahrtauglichkeit des Antragstellers forderte.

Medizinische Bewertung und behördliche Auflagen

Auf Anforderung des Landratsamts legte der Antragsteller ein ärztliches Attest vor, das seine Epilepsie bestätigte, welche seit seinem sechsten Lebensjahr bekannt und medikamentös behandelt wird. Seit 2008 wurden tagsüber keine Anfälle mehr beobachtet, lediglich schlafgebundene nächtliche Anfälle traten auf. Das Landratsamt Schwandorf reagierte darauf mit der Auflage, regelmäßige neurologische Untersuchungen durchzuführen und jegliche Änderungen in der Medikation zu melden. Die Medikamente umfassten Lamotrigin, Zonisamid und Valproat.

Zwiespältige Expertenmeinungen und rechtliche Unsicherheiten

Im weiteren Verlauf wurden unterschiedliche medizinische Stellungnahmen eingeholt. Ein Arztbrief der Schön Klinik, in die der Antragsteller zur Behandlung ging, erwähnte verminderte Konzentration und Gedächtnisstörungen. Eine fachärztliche neurologische Stellungnahme berichtete von drei epileptischen Anfällen im Juni 2020, die tagsüber auftraten. Diese Informationen führten zu Unsicherheiten bezüglich der Fahrtauglichkeit des Antragstellers. Ein weiteres Gutachten des TÜV Süd Life Service GmbH ergab, dass der Antragsteller bei Vorliegen einer Epilepsie nicht die Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 erfüllt.

Gerichtsentscheidung und ihre Begründung

Das Verwaltungsgericht Regensburg lehnte den Antrag des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis ab. Das Gericht begründete dies mit der Annahme, dass der Antragsteller aufgrund des diagnostizierten Krankheitsbildes und des Unfallgeschehens im Juli 2020 ein erhöhtes Gefahrenpotential für die Verkehrssicherheit darstellt. Die Entscheidung basierte auf einer umfassenden Abwägung der medizinischen Gutachten und der potenziellen Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Im Nachgang dieses Urteils bleibt die Frage nach dem Gleichgewicht zwischen individueller Freiheit und öffentlicher Sicherheit im Kontext medizinischer Erkrankungen und ihrer Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit. Der Fall zeigt die komplexen Herausforderungen auf, die bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit von Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen entstehen.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Was sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnisentziehung bei Personen mit Epilepsie?

Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnisentziehung bei Personen mit Epilepsie in Deutschland sind in der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) festgelegt. Gemäß Anlage 4 der FeV (Punkt 6.6) kann eine Fahrerlaubnis bei Epilepsie entzogen werden, wenn die Anfälle unvermittelt und in regelmäßigen Abständen auftreten.

Für die Fahrerlaubnisklassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T kann der Führerschein mit Epilepsie genutzt werden, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr besteht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Patient seit einem Jahr oder länger anfallsfrei ist. Für die Fahrerlaubnisklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E, oder FzF gelten strengere Vorgaben. Hier ist eine Anfallsfreiheit von fünf Jahren ohne antiepileptische Behandlung erforderlich.

Es ist zu beachten, dass die Entscheidung über die Fahrtauglichkeit immer im Einzelfall getroffen wird und von verschiedenen Faktoren abhängt, darunter die Art und Schwere der Epilepsie, die Häufigkeit und Vorhersehbarkeit der Anfälle und die Wirksamkeit der Behandlung.

Ein ärztliches Fahrverbot aufgrund von Epilepsie ist zwar rechtlich nicht bindend, kann aber zu Problemen führen, wenn es ignoriert wird. Ein Arzt muss die Situation beurteilen und kann die Fahrtauglichkeit durch ein ärztliches Gutachten wieder bescheinigen.

Wenn ein an Epilepsie erkrankter Inhaber einer Fahrerlaubnis nicht darlegen kann, dass er über einen Mindestzeitraum anfallsfrei gewesen ist, ist ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass das Straßenverkehrsgesetz im § 2 besagt, dass geeignet zum Führen von Fahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt.


Das vorliegende Urteil

VG Regensburg – Az.: RO 8 S 22.1694 – Beschluss vom 02.08.2022

I. Der Antrag wird abgewiesen.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch das Landratsamt Schwandorf (LRA).

Der am … 1991 geborene Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B, BE, L und T.

Mit Schreiben vom 27. August 2020 teilte die Polizeiinspektion … dem LRA mit, dass der Antragsteller am 7. Juli 2020 um 16:45 Uhr auf der BAB 93 einen Verkehrsunfall verursacht habe. Der Beifahrer des Antragstellers habe bei der Vernehmung durch die Polizeibeamten angegeben, dass er seine Augen kurz geschlossen hatte, um sich auszuruhen. Kurzfristig habe er seine Augen geöffnet, dabei habe er gesehen, wie der Antragsteller dem Sattelzug immer näher gekommen sei. Er habe den Namen des Antragstellers gerufen. Dieser habe nicht reagiert. Anschließend sei es zum Zusammenstoß mit dem Sattelschlepper gekommen. Der Antragsteller habe weiterhin nicht reagiert. Dieser habe am ganzen Körper gezittert und habe einen starren Blick gehabt. Der Beifahrer habe sodann mittels Motorbremse und Handbremse das Fahrzeug zum Stillstand gebracht. Der Pkw sei am Seitenstreifen zum Stehen gekommen. Später habe der Beifahrer den Polizeibeamten kontaktiert und ausgeführt, er könne keine Aussage machen, weil er die Augen geschlossen gehabt habe. Als Unfallursache werde vermutet, dass der Antragsteller einen körperlichen Anfall gehabt habe.

Mit Schreiben vom 11. März 2021 wurde dem Antragsteller vom LRA mitgeteilt, dass er wegen des Geschehens aufgefordert werde, bis zum 30. April 2021 einen Befundbericht eines Facharztes für Neurologie vorzulegen.

Der Antragsteller legte ein ärztliches Attest vom 12. April 2021 der Gemeinschaftspraxis Dr. med. …, …, … (Gemeinschaftspraxis) vor. Demnach sei seit dem sechsten Lebensjahr eine Epilepsie bekannt und werde medikamentös behandelt. Frühere Anfälle tagsüber seien seit Mai 2008 nicht mehr beobachtet worden. Einige Jahre später seien ausschließlich schlafgebundene nächtliche Anfälle manifestiert worden. Verschiedene medikamentöse Therapien seien zusammen mit der Epilepsieambulanz der Barmherzigen Brüder Regensburg durchgeführt worden; es habe eine aktuelle Besserung der nächtlichen Anfallsfrequenz gegeben. Da er seit 2008 tagsüber keine Anfälle erlitten habe bzw. keine Anfälle dokumentiert worden seien und über die Jahre ausschließlich schlafgebundene nächtliche Anfälle aufgetreten seien, liege entsprechend der Verkehrsverordnung die Fahreignung zum Führen von Pkw vor. Der Antragsteller sei immer verantwortungsbewusst gewesen und das Thema Fahrtauglichkeit sei häufig diskutiert worden. Die Medikamenteneinnahme sei gewährleistet. Medikamentennebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, kognitive Beeinträchtigungen hätten zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Die derzeitige Medikation bestehe aus Lamotrigin 400 mg, Zonisamid 500 mg, Valproat 1500 mg ret.

Mit Bescheid des LRA vom 29. Juni 2021 wurde die Fahrerlaubnis des Antragstellers mit sofortiger Wirkung mit folgenden Auflagen versehen: „Dem Landratsamt sind unaufgefordert regelmäßige Kontrolluntersuchungen eines Facharztes für Neurologie oder einer entsprechenden Fachklinik nachzuweisen. Dabei müssen neurologische Auffälligkeiten im EEG mitgeteilt werden. Verordnete Medikamente sowie diesbezügliche Änderungen oder ein Absetzen der Medikation sind anzugeben. Die Kontrolluntersuchungen sind in vierteljährlichen Abständen – jeweils zum Ende des Quartalszeitraums – bei der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen. Die Nachweispflicht beginnt im August 2021.“

Am 5. Oktober 2021 übersandte der Antragsteller den Arztbrief über die stationäre Behandlung in der Schön Klinik … im Zeitraum vom 30. August 2021 bis zum 1. September 2021. Der Antragsteller nehme seit ca. sechs Monaten eine 2-fach Medikation mit Valproat 500-0-1500 mg, Zonisamid 200-0-300 mg, Lamotrigin 200-0-200 mg ein. Seit der Einnahme von Valproat habe der Antragsteller einen leichten Intentionstremor der beiden Hände. Unter dem Punkt Epikreise/Theraphie und Verlauf wird ausgeführt, dass der Antragsteller über verminderte Konzentration, Gedächtnisstörung und Vergesslichkeit berichtet habe. Es wurde empfohlen, dass der Antragsteller sich zum Schädel-MRT in Narkose (Epilepsieprogramm) wieder vorstellen solle. Die Indiktion für diese Untersuchung seien Verdacht auf fokale Epilepsie, die Pharmakoresistenz der Epilepsie und die fehlende Anfallskontrolle unter 3-fach-antiepileptischer Medikation. Tagsüber auftretende Epilepsien im Juni 2020 werden in diesem Arztbrief nicht genannt. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.

Nach einer Schweigepflichtsentbindungserklärung und einem Schreiben des LRA an die Schön Klinik …, wurde von Dr. med. … eine fachärztliche neurologische Stellungnahme (21. Dezember 2021) verfasst. Der Antragsteller habe über drei epileptische Anfälle, die im Juni 2020 tagsüber aufgetreten seien, berichtet. Zuvor seien über viele Jahre (attestiert durch die behandelnden Kollegen) und auch seit Juni 2020 (somit seit 1,5 Jahren) wieder ausschließlich schlafgebundene Anfälle aufgetreten. Zu dem Unfall, der bisher nicht bekannt gewesen sei, habe der Antragsteller angegeben, dass er mit einem Kollegen eine längere Strecke Autobahn gefahren sei, dabei sei er eingeschlafen und von der Fahrspur abgekommen. Ob hierbei nach dem Einschlafen auch ein epileptischer Anfall aufgetreten sei, sei nicht bekannt. Der erste ambulante Kontakt sei am 5. Juli 2021 erfolgt und Anfang September und im Oktober 2021 seien stationäre Untersuchungen vorgenommen worden, der letzte Telefon-Kontakt habe am 21. Dezember 2021 stattgefunden. Nach der Schilderung des Antragstellers habe vor den drei Anfällen tagsüber (im Juni 2020) über viele Jahre tagsüber stabile Anfallsfreiheit bestanden (ggf. bereits seit 2008; hierzu solle es ein Attest eines vorbehandelnden Arztes geben). Gemäß den Leitlinien zur Fahreignung könne die geforderte Anfallsfreiheit als Grundlage der Fahreignung entfallen, wenn zuvor über eine mindestens dreijährige Beobachtungszeit ausschließlich an den Schlaf gebundene Anfälle auftraten. Diese Frist wäre demnach noch nicht wieder erfüllt. Man sehe sich nicht in der Lage zu prüfen, ob hier eine Fristverkürzung in Betracht kommen könnte; hierzu sollten die langfristig vorbehandelnden Kollegen befragt werden. Die Fahrtauglichkeit werde nicht durch den milden Intentionstremor beider Hände eingeschränkt. Fehlende Anfallskontrolle unter Dreifach-Medikation meine, dass keine vollständige Anfallsfreiheit bestehe, da noch schlafgebundene Anfälle auftreten würden. Aufgrund der bisher nicht erreichten Anfallsfreiheit solle weiter untersucht werden, ob nicht doch noch eine operative Behandlungs-Option bestehe.

Mit Schreiben vom 13. Januar 2022 forderte das LRA den Antragsteller zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens bis zum 15. März 2022 auf. In dem Gutachten sollen folgende Fragen beantwortet werden:

„Ist Herr … trotz des Vorliegens einer Erkrankung (Epilepsiesyndrom: fokale Epilepsie) die nach Nr. 6.6… der Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellt, in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 vollständig gerecht zu werden?

Liegt eine ausreichende Compliance vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)?

Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 weiterhin gerecht zu werden?

Ist insbesondere eine fachlich einzelfallbegründete Auflage nach der Anlage 4 FeV (z. B. ärztliche Kontrollen) erforderlich? In welchen zeitlichen Abständen und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen und wenn ja, warum? Ist eine fachlich einzelfallbegründete (Nach-)Begutachtung (je Fahrerlaubnisklassengruppe) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand?

Liegen im Einzelfall von Herrn … besondere Umstände vor, die eine Abweichung vom Regelfall gemäß Nr. 3 der Vorbemerkungen zu Anlage 4 FeV möglich erscheinen lassen?“

Der Antragsteller nahm mit Schreiben vom 24. Januar 2022 zur Gutachtensanordnung Stellung. Er sei von seinen bisher behandelnden Ärzten stets über das Thema Fahrtauglichkeit und Fahreignung aufgeklärt worden und diese hätten für eine optimale Einstellung gesorgt. Er habe im Jahr 2021 in Eigeninitiative und unabhängig von den behandelnden Ärzten beschlossen, sich eine zweite Meinung einzuholen. Herrn Dr. … habe er nur ein einzige Mal bei seinen drei Besuchen in der Schön Klinik … gesehen, ohne Arztbrief, ohne Krankenakte oder Überweisung. Die Arztbriefe der Schön Klinik widersprächen sich mehrfach; angefangen vom falschen Beruf bis hin zum letzten Anfall, der angeblich Mitte 2020 in dreifacher Form gewesen sein solle, was nicht der Fall gewesen sei. Ende Dezember 2021 habe dieser telefonisch zum ersten Mal mitgeteilt, welchen Inhalt sein Protokoll (bzw. Arztbrief) vom Gespräch im Juni 2021 habe und dass er diesen – falschen Inhalt – für die Beantwortung der vom LRA gestellten Fragen nutzen werde. Ihm stelle sich die Frage, warum er einen Arzt/Ärztin im Jahr 2021 aufsuchen solle und von Ereignissen erzählen solle, die ein Jahr zurücklägen, wenn er seit Jahren bei seinen behandelnden Ärzten sei, die ihm jederzeit helfen könnten. Es wäre mehr als fraglich, in einem solchen – mehr als schwerwiegenden – Fall erst ein Jahr später anderen, nicht aber seinen seit Jahren behandelnden Ärzten von seinen gesundheitlichen Problemen zu berichten. Die Aussagen des Arztes an das LRA seien falsch. Er habe dem Arzt nicht von dem Unfall berichtet, weil dies nicht der Grund dafür gewesen sei, dass er die Klinik aufgesucht habe. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.

Am 14. April 2022 ging das Gutachten der TÜV Süd Life Service GmbH (Versandtag 30. März 2022) beim LRA ein. Im Teil „Ärztliches Untersuchungsgespräch“ wird u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller auf Nachfrage angegeben habe, dass die Angabe von drei Anfällen tagsüber nicht stimmten würde. Er habe den Arztbrief nicht gesehen. Er sei bei dem Unfall müde gewesen, aber nicht bei Fahrtantritt; an den Unfall könne er sich nicht erinnern. Gefragt nach der Medikamentenumstellung (Levetiracetam auf Valproat), habe der Antragsteller angegeben, dass er auf Valproat extrem gut angesprochen habe. Bei ausschließlich Valproat sei er seit Februar 2021 (500 mg – 0 – 1500 mg). In der Bewertung der Befunde wird u.a. ausgeführt, dass es im August 2020 (Anmerkung durch das Gericht: Juli 2020) zu einem Unfallereignis gekommen sei, bei dem ursächlich am ehesten ein Anfallsgeschehen oder zumindest ein Anfallsäquivalent zu vermuten sei. Der Antragsteller habe von Müdigkeit während der Fahrt berichtet. Im Nachgespräch habe der Antragsteller ausgeführt, dass es seit Dezember 2021 auch zu keinen nächtlichen Anfällen mehr gekommen sei. In der Gesamtschau der Befunde seien beim Antragsteller derzeit jedoch keine besonderen Umstände erkennbar, die eine Abweichung vom Regelfall gemäß Nr. 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 FeV möglich erscheinen lassen. Basierend auf seinen Angaben würde aktuell eine Veränderung des Anfallsmusters vorliegen, bei dem die weitere Entwicklung noch weiter beobachtet werden müsse. Bei Fortbestand von ausschließlich an den Schlaf gebundenen Anfällen könne frühestens im Juni 2023 eine erneute Begutachtung angestrebt werden unter der Voraussetzung, dass sich anschließend kein weiteres ähnliches Geschehen wie beim Vorfall im Juni 2020 (Anmerkung durch das Gericht: Juli 2020) (nicht eindeutig an den Schlaf gekoppelter Anfall oder Anfallsäquivalent) ereignet habe. Wie bereits dargelegt sei als Unfallursache für den Vorfall im Juni 2020 ein epileptisches Geschehen oder Anfallsäquivalent als am wahrscheinlichsten anzunehmen. Es wäre hier somit nicht von einem nächtlichen bzw. schlafgebundenen Anfall auszugehen. Die Frage wird dahingehend beantwortet, dass der Antragsteller derzeit bei Vorliegen einer Erkrankung (Epilepsiesyndrom: fokale Epilepsie), die nach Nr. 6.6. der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stelle, nicht in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 weiterhin gerecht zu werden. Es lägen im Einzelfall des Antragsstellers keine besonderen Umstände vor, die eine Abweichung vom Regelfall gemäß Nr. 3 der Vorbemerkungen zur Anlage 4 FeV möglich erscheinen lassen. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2022 wurde dem Antragsteller vom LRA die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen (Ziffer 1). Der Antragsteller wurde verpflichtet, seinen Führerschein mit der Nummer … unverzüglich, spätestens am 5. Werktag nach Zustellung des Bescheids abzugeben (Ziffer 2). Die Ziffern 1 und 2 des Bescheids wurden für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 3). Für den Fall, dass der Antragsteller der Verpflichtung aus Ziffer 2 nicht fristgerecht nachkommt, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR angedroht (Ziffer 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.

Der Antragsteller gab seinen Führerschein am 2. Juni 2022 beim LRA ab.

Mit Schreiben vom 30. Juni 2022 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg gegen den Bescheid vom 27. Mai 2022 eingereicht (RO 8 K 22.1695) und gleichzeitig den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung wird unter anderem ausgeführt, die Beobachtungszeit von drei Jahren sei beim Antragsteller bereits verstrichen. Nachweislich lägen bis dato lediglich an den Schlaf gebundene Anfälle vor. Die Fahrerlaubnisbehörde habe jedoch fehlerhaft gegenteilige Umstände zugrunde gelegt, mithin unterstellt, dass die Ursache eines Verkehrsunfalls, an welchem der Antragsteller am 7. Juli 2020 beteiligt gewesen sei, ausschließlich auf ein Anfallsgeschehen oder zumindest ein Anfallsäquivalent zurückzuführen sei. Die Gutachtenserstellerin gehe fälschlicherweise davon aus, dass für den Unfall ein Anfallsgeschehen tagsüber aufgetreten sei, welches letztlich kausal für den eingetretenen Unfall gewesen sei. Fakt sei, dass ein entsprechendes Anfallsleiden nicht bestätigt bzw. nicht nachgewiesen werden konnte. An mehreren Stellen des Gutachtens sei klar erkennbar, dass die Schlussfolgerungen der Gutachterin auf reinen Vermutungen basiere. Ein Eignungsmangel des Antragstellers müsse sich aus erwiesenen Tatsachen ergeben. Der bloße Verdacht genüge nicht. Die Verwaltungsbehörde trage die volle Beweislast. Dieser Beweis sei durch das Gutachten nicht geführt worden. Das Gutachten leide an massiven Fehlern, sei unbrauchbar und könne daher seinen Zweck nicht erfüllen. Die Fahrerlaubnisbehörde sei daher auch aufgefordert worden, ein Obergutachten einzuholen. Es dürfe dem Antragsteller auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er im persönlichen Gespräch Angaben zur Medikation richtig stelle, obgleich in den Arztbriefen, die ihm nicht bekannt gewesen seien, anderweitige Angaben enthalten gewesen seien. Insofern wäre es Aufgabe der Gutachterin gewesen, die divergierenden Auskünfte aufzuklären. Auf welche Tatsachen Herr Dr. … seine Aussage von drei Anfällen im Jahr 2020 stütze, könne der Stellungnahme nicht entnommen werden. Da der Verwaltungsakt rechtswidrig sei, könne kein sofortiges Vollzugsinteresse bestehen. Das Vollzugsinteresse werde auf reine Vermutungen gestützt. Des Weiteren sei eine Änderung des Anfallsmusters nicht bewiesen. Dadurch sei die Beobachtungszeit von drei Jahren bei ausschließlich an den Schlaf gebundenen Anfällen als erfüllt anzusehen. Der öffentliche Nahverkehr in dem Bereich, in welchem der Antragsteller wohne, sei nicht gut ausgebaut. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.

Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Das LRA beantragt für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.

Für das LRA ergäben sich keine Anhaltspunkte an der Verwertbarkeit des vorgelegten ärztlichen Gutachtens zu zweifeln. Sofern der Antragsteller vortrage, das sofortige Vollzugsinteresse würde auf reinen Vermutungen gründen und ein erhöhtes Gefahrenpotential sei daraus nicht ableitbar, könne dem nicht gefolgt werden. Bei Epilepsien handle es sich grundsätzlich um Erkrankungen, die die Fahreignung ausschließen würden. Nur unter strengen Maßgaben könne die Fahreignung bei entsprechender Diagnose und ggf. unter Auflagen und Beschränkungen bejaht werden. Da es sich beim Antragsteller um eine Epilepsieform mit in der Regel nächtlich auftretenden Anfällen handle, welche als Ausnahmefall in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung als nicht fahreignungseinschränkend geführt werde, sei jeder nicht aufgeklärte Verdacht einer Änderung des Anfallsmusters für die Fahreignung als minus zu werten und es sei die Einhaltung einer dreijährigen Beobachtungszeit gem. den Begutachtungsleitlinien zu fordern. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.

Für weitere Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die elektronisch übermittelte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen ist er unbegründet.

1. Der Antrag ist bereits unzulässig, soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die mit Bescheid vom 27. Mai 2022 verfügte Zwangsgeldandrohung (Ziffer 4 des Bescheids) beantragt wurde. Insoweit fehlt es für eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO am erforderlichen allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller hat seinen Führerschein am 2. Juni 2022 beim LRA abgegeben, die Zwangsgeldandrohung hat sich damit erledigt.

2. Im Übrigen (hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 27. Mai 2022) ist der Antrag zulässig, aber unbegründet.

Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung, soweit dies gesetzlich besonders angeordnet ist; nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung, wenn die sofortige Vollziehung durch die den Verwaltungsakt erlassende Behörde besonders angeordnet wird. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann dann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen und in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Vorliegend hat die Behörde die sofortige Vollziehung hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis (Ziffer 1 des Bescheides vom 27. Mai 2022) und hinsichtlich der Ablieferung des Führerscheins (Ziffer 2 des Bescheids vom 27. Mai 2022) angeordnet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), die Zwangsgeldandrohung (Ziffer 4 des Bescheids vom 27. Mai 2022) ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar Art. 21 a VwZVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).

a. An der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs bestehen keine Zweifel. Insbesondere hat das LRA die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 begründet, in dem sie konkret auf den Antragsteller und die Gefahren, die durch nichtgeeignete Fahrzeugführer ausgehen können, eingegangen ist (vgl. Nr. 5, Seite 8 f. des Bescheides). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 wurde damit begründet, dass aufgrund des diagnostizierten Krankheitsbildes, dem vorliegenden Unfallgeschehen, der daraus resultierenden vermuteten Änderung des Anfallsmusters und der noch nicht erfüllten Beobachtungszeit ein erhöhtes Gefahrenpotential vom Antragsteller für die Verkehrssicherheit ausgehe. Die Abgabeverpflichtung des Führerscheines wurde damit begründet, dass sonst die Gefahr bestünde, dass das Dokument bei Polizeikontrollen zu Unrecht vorgelegt werden könnte. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt im Übrigen keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es wird eine eigene Interessenabwägung durchgeführt.

b. Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs überwiegt.

Für diese Interessenabwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich. Führt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache dazu, dass der Rechtsbehelf offensichtlich Erfolg haben wird, so kann kein Interesse der Öffentlichkeit oder anderer Beteiligter daran bestehen, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrige Verwaltungsakt sofort vollzogen wird. Wird der Hauptsacherechtsbehelf umgekehrt aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil nach der im vorläufigen Rechtschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, kann der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt werden, ohne dass es einer zusätzlichen Interessenabwägung bedarf. Denn der Bürger hat grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse daran, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Vollzug dringlich ist oder nicht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 11 CS 08.3273, m.w.N.).

aa) Im vorliegenden Fall spricht nach summarischer Prüfung viel dafür, dass die Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 27. Mai 2022 erfolglos bleiben wird, weil der Bescheid insoweit rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Das Gutachten der TÜV Süd Life Service GmbH Regensburg vom 30. März 2022 ist von der Fahrerlaubnisbehörde und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit sowie darauf zu prüfen, ob die Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten gemäß Anlage 4a zur FeV und damit auch die Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung beachtet worden sind. Nach den Grundsätzen für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten gemäß Anlage 4a zur FeV muss das Gutachten in allgemeinverständlicher Sprache verfasst, nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden. Das Gutachten muss in allen wesentlichen Punkten, insbesondere im Hinblick auf die gestellten Fragen (§ 11 Abs. 6 FeV), vollständig sein. Im Gutachten muss dargestellt und unterschieden werden zwischen der Vorgeschichte und dem gegenwärtigen Befund.

Das erkennende Gericht hat keine Bedenken hinsichtlich der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens. Die Vorgeschichte und die Voraussetzungen einer günstigen Beurteilung sowie die Untersuchungsbefunde und die Bewertung werden wiedergegeben. Das Gutachten kommt in der Bewertung der Befunde zu dem Ergebnis, dass beim Antragsteller zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung (Tag der Untersuchung: 4. März 2022) die Diagnose einer seit mehreren Jahren ausschließlich an den Schlaf gebundenen Epilepsie vorliege. Im August 2020 sei es zu einem Unfallereignis gekommen, bei dem ursächlich am ehesten ein Anfallsgeschehen oder zumindest ein Anfallsäquivalent zu vermuten sei. Der Antragsteller habe vom Auftreten von Müdigkeit während der Fahrt berichtet. Im Nachgespräch habe der Antragsteller berichtet, die Anfälle würden ziemlich genau eine Stunde nach dem Einschlafen auftreten. Laut Aussage des Antragstellers sei es nach dem Vorfall zur Umstellung der Medikation gekommen. Die Medikation mit Lamotrigin 200-0-200 mg, Zonisamid 200-0-300 mg, Valproat 500-0-1500 mg bei stabiler Einnahme bestehe laut Antragsteller seit Anfang 2021. Diese Aussagen seien nicht verifizierbar aufgrund der anderslautenden Dosierung des Valproats in den Angaben der Atteste der behandelnden Ärztin. In der Gesamtschau der Befunde seien derzeit jedoch keine besonderen Umstände erkennbar, die eine Abweichung vom Regelfall gemäß Nr. 3 der Vorbemerkungen zur Anlage 4 FeV möglich erscheinen lassen. Bei Fortbestand von ausschließlich an den Schlaf gebundenen Anfällen könne frühestens im Juni 2023 eine erneute Begutachtung angestrebt werden unter der Voraussetzung, dass sich anschließend kein weiteres ähnliches Geschehen wie beim Vorfall im Juni 2020 (nicht eindeutig an den Schlaf gekoppelter Anfall oder Anfallsäquivalent) ereigne. Wie bereits dargelegt, sei als Unfallursache für den Vorfall im Juni 2020 ein epileptisches Geschehen oder Anfallsäquivalent als am wahrscheinlichsten anzunehmen. Es wäre hier somit nicht von einem nächtlichen bzw. schlafgebundenen Anfall auszugehen.

Diese Ausführungen sind für das Gericht schlüssig. Da unstreitig ist, dass es nur ein Unfallereignis im Juli 2020 gab, handelt es sich, wenn August und Juni insoweit genannt werden, um offensichtliche Unrichtigkeiten, die nicht dazu führen, dass das Gutachten nicht verwertbar ist. In dem Gutachten wurden die Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung zunächst dargestellt und später auch beachtet (vgl. Nr. 3.9.6 der Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung; Stand 31.12.2019). Grundsätzlich besteht demnach bei einer Erkrankung an Epilepsie keine Fahreignung. Die Fahreignung kann jedoch nach einer einjährigen Anfallsfreiheit wiedererlangt werden. Auf diese Voraussetzung kann aber ausnahmsweise verzichtet werden, wenn es sich ausschließlich um an den Schlaf gebundene Anfälle handelt (nach mindestens dreijähriger Beobachtungszeit). Eine vom Bevollmächtigten vorgetragene Beweislastverteilung, die sich dahingehend auswirken würde, dass in dem Gutachten bzw. von der Behörde nachgewiesen werden muss, dass es sich tatsächlich bei dem Geschehen im Juni 2020 nicht um einen schlafgebundenen Anfall gehandelt hat, lässt sich aus den Begutachtungsleitlinien nicht ableiten und würde auch dem Regel-Ausnahmeverhältnis – wie es in den Begutachtungsleitlinien selbst vorgesehen ist – widersprechen. Insoweit kommt es auch nicht maßgeblich auf die derzeitige Medikation an, weshalb auch keine weiteren Ermittlungen diesbezüglich notwendig waren. Auf den Arztbrief des Herrn Dr. … und die Aussage, dass es im Juni 2020 zu drei Anfällen tagsüber gekommen sei, wird das Gutachten in seiner Bewertung nicht gestützt. Nachvollziehbar ist insbesondere, dass die Gutachterin zu dem Ergebnis kommt, dass im Juni 2020 ein epileptisches Geschehen oder Anfallsäquivalent als am „wahrscheinlichsten“ anzunehmen sei. Dass es sich wahrscheinlich um ein Anfallsgeschehen handelte, legt die Zeugenaussage in dem Polizeibericht nahe, die später als nicht zutreffend dargestellt wurde. Der Zeuge hat zunächst detailreich und schlüssig berichtet, wie er in der Situation reagiert und auch wie sich der Antragsteller verhalten hat. Wenn dieser aber tatsächlich nichts mitbekommen haben sollte und seine Aussagen insoweit bewusst falsch gewesen sein sollten, ist aber nicht schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, wie dann das Fahrzeug am Straßenrand zum Stehen gekommen ist, wenn auch der Antragsteller selbst sich nicht an das Geschehen erinnert. Dies spricht daher dafür, dass es sich um eine Schutzbehauptung handelt, und ein Anfallsgeschehen – wie von der Gutachtern angenommen – „wahrscheinlich“ ist. Es ist für die Kammer daher auch nachvollziehbar, dass keine Ausnahme nach Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV angenommen wurde.

Einer weiteren Sachaufklärung durch das LRA bedurfte es damit nicht mehr, da bei dieser Sachlage davon auszugehen war, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen war. Infolge des Ergebnisses des Gutachtens ist der Antragsgegner zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids von der Nichteignung des Antragstellers hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 ausgegangen. Ein Ermessen stand dem Antragsgegner hinsichtlich der Entziehung nicht zu (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV).

Im Rahmen der Interessenabwägung hat das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinter dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug zurückzustehen. Es ist nicht festzustellen, dass das Interesse des Antragstellers wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens weiterhin Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr führen zu dürfen, aus anderen Gründen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse genießt. Insbesondere spielt es insoweit keine Rolle, dass dem Antragstellers seit dem Unfall im Juli 2020 die Fahrerlaubnis belassen wurde und es seitdem zu keinen Auffälligkeiten beim Fahren gekommen ist. Zwar kann die Entziehung der Fahrerlaubnis die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Betroffenen sowohl in beruflicher als auch in privater Hinsicht gravierend beeinflussen. Die mit der Entziehung verbundenen Schwierigkeiten muss der Antragsteller als Betroffener jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen. Die Umstände des Einzelfalls gebieten auch keine Ausnahme, so dass das Interesse am Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Verkehrsteilnehmern Vorrang genießt.

bb) In der Folge ist auch die auf die Entziehung gestützte Anordnung zur Ablieferung des Führerscheins in Ziffer 2 des Bescheids vom 27. Mai 2022 nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Auch insofern überwiegt das öffentliche Interesse an der Abgabe des Führerscheins.

Nach allem war daher der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 GKG.

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