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Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung – Voraussetzungen

Das Oberlandesgericht Köln kritisiert die Beweiswürdigung des Amtsgerichts in einem Fall von vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in einem Baustellenbereich. Die Annahme eines bedingten Vorsatzes wird für nicht hinreichend belegt erachtet, und das Urteil wird vollständig aufgehoben.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: III-1 ORBs 273/23

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung kann ein Indiz für vorsätzliches Handeln sein.
  • Die Wahrnehmung einer Geschwindigkeitsbeschränkung ist grundsätzlich Voraussetzung für vorsätzliches Handeln.
  • Ein optisch erkennbarer Baustellenbereich auf der Autobahn lässt auf eine Geschwindigkeitsbeschränkung schließen.
  • Das Ausmaß der Überschreitung ist ein wichtiges Kriterium, um vorsätzliches von fahrlässigem Handeln abzugrenzen.
  • Die Feststellungen reichten nicht aus, um einen bedingten Vorsatz auf die konkrete Überschreitung von 101 km/h zu begründen.
  • Mögliche Erwägungen des Betroffenen zu einer geringeren vermeintlichen Höchstgeschwindigkeit wurden nicht hinreichend geprüft.
  • Die Rechtsfolgenentscheidung zur Geldbuße und Fahrverbotsdauer ist mangels ausreichender Prüfung des Vorstellungsbildes aufzuheben.
  • Die Rückwirkungen eines früheren Bußgeldbescheids auf die Sanktionsbemessung sind nicht belegt.

Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung: Wenn Tempo-Höhenflug zur Straftat wird

Im Straßenverkehrsrecht spielt die Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit eine zentrale Rolle. Überschreitet ein Fahrzeugführer die erlaubten Tempolimits vorsätzlich, können empfindliche rechtliche Konsequenzen drohen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob der Fahrer die Geschwindigkeitsbegrenzung kannte oder zumindest hätte kennen müssen. Denn nur bei einer bewussten Missachtung der Regeln lässt sich von einer vorsätzlichen Straftat sprechen. Fahrlässige Überschreitungen werden in der Regel milder bestraft. Ob und in welchem Maße ein Fahrer die Geschwindigkeit kannte und dennoch überschritt, ist daher ein wichtiger Aspekt, der sorgfältig geprüft werden muss. Am Ende dieses Beitrags werden wir ein konkretes Gerichtsurteil betrachten, das sich eingehend mit den rechtlichen Voraussetzungen für eine vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung auseinandersetzt.

Der Fall vor dem OLG Köln im Detail

Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung im Baustellenbereich

Der vorliegende Fall betrifft eine vorsätzliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften, die am Amtsgericht Köln verhandelt wurde. Der Betroffene, ein Kraftfahrer, fuhr am 15. Januar 2022 auf der BAB 4 zwischen den Anschlussstellen Köln Ost und Merheim. Er überschritt in einem Baustellenbereich die festgelegte Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 101 km/h. Diese erhebliche Überschreitung wurde mit einem geeichten Messgerät festgestellt. Das Amtsgericht verurteilte den Fahrer zu einer Geldbuße von 2000 Euro und erlegte ihm ein Fahrverbot von zwei Monaten auf, gestützt auf den § 25 Abs. 2a StVG. Das Gericht ging von einem bedingten Vorsatz aus, basierend auf der Annahme, dass der Fahrer die deutliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bemerkt haben muss.

Rechtliche Bewertung und Erkenntnisse des Amtsgerichts

Die rechtliche Auseinandersetzung entstand aus der Annahme des Amtsgerichts, dass ein „bedingter Vorsatz“ vorliegt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten wird. Das Gericht berief sich dabei auf den Erfahrungssatz der Rechtsprechung, dass einem Fahrzeugführer die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit durch Fahrgeräusche und die Umgebung auffallen muss. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Betroffene trotz der Kenntnis der Geschwindigkeitsbegrenzung, die durch mehrere Verkehrsschilder und die optische Einrichtung des Baustellenbereichs offenkundig war, schneller fuhr, um seine Heimatadresse zügig zu erreichen.

Entscheidung des OLG Köln und die zugrunde liegenden Erwägungen

Das Oberlandesgericht Köln entschied auf Basis der Rechtsbeschwerde teilweise anders als das Amtsgericht. Während es die Rechtsbeschwerde in einigen Punkten als unbegründet ansah, stellte es fest, dass das Amtsgericht in seiner Beweiswürdigung lückenhaft agierte. Es verwarf das Urteil im Rechtsfolgenausspruch und verwies die Sache zur erneuten Behandlung zurück an das Amtsgericht Köln. Das OLG hielt die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene habe bedingt vorsätzlich gehandelt, für nicht hinreichend belegt. Insbesondere wurde kritisiert, dass das Amtsgericht nicht ausreichend die Möglichkeit eines Übersehens der Geschwindigkeitsbegrenzung durch den Betroffenen berücksichtigte.

Überprüfung der Beweismittel und methodische Kritik

Das OLG Köln betonte, dass für die Annahme eines bedingten Vorsatzes eine umfassende und schlüssige Beweiswürdigung erforderlich ist. Es sah Fehler in der Bewertung des Amtsgerichts bezüglich der optischen Wahrnehmungen des Fahrers im Baustellenbereich. Das Oberlandesgericht argumentierte, dass die vom Amtsgericht vorgebrachten Indizien nicht ausreichten, um einen bedingten Vorsatz zu belegen, und kritisierte die unzureichende Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen, er habe das Verkehrszeichen möglicherweise übersehen. Dies, so das OLG, sei in der Beweisführung nicht adäquat berücksichtigt worden, was zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs führte.

✔ FAQ zum Thema: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung


Was versteht man unter bedingtem Vorsatz bei Geschwindigkeitsüberschreitungen?

Bedingter Vorsatz bei Geschwindigkeitsüberschreitungen im deutschen Verkehrsrecht bezieht sich darauf, dass eine Person die Möglichkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung erkennt und diese billigend in Kauf nimmt. Das bedeutet, dass der Fahrer sich bewusst ist, schneller als erlaubt zu fahren, und dennoch weiterfährt, ohne die Überschreitung aktiv zu vermeiden. Diese Form des Vorsatzes unterscheidet sich von der direkten Absicht, zu schnell zu fahren, dadurch, dass der Fahrer den Eintritt der Geschwindigkeitsüberschreitung zwar für möglich hält, aber nicht unbedingt anstrebt. Er akzeptiert jedoch das Risiko und fährt trotzdem weiter.

In der Rechtsprechung wird bedingter Vorsatz oft dann angenommen, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung eine bestimmte Schwelle überschreitet, beispielsweise mehr als 40 Prozent über dem erlaubten Limit liegt. In solchen Fällen wird argumentiert, dass der Fahrer aufgrund der deutlichen Überschreitung die Geschwindigkeitsbegrenzung hätte erkennen müssen und somit die Überschreitung billigend in Kauf genommen hat. Diese Annahme basiert auf der Überlegung, dass bei erheblichen Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Fahrer durch die Fahrzeugdynamik und andere Indikatoren in der Lage sein sollte, seine Geschwindigkeit als deutlich zu hoch einzuschätzen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass die Feststellung von bedingtem Vorsatz erhebliche Auswirkungen auf die rechtlichen Konsequenzen einer Geschwindigkeitsüberschreitung haben kann. Während fahrlässiges Verhalten in der Regel mit geringeren Bußgeldern und Sanktionen geahndet wird, kann die Annahme von Vorsatz, einschließlich bedingtem Vorsatz, zu höheren Strafen führen.


Welche Rolle spielt die Beweisführung bei der Feststellung einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung?

Die Beweisführung bei der Feststellung einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ist ein zentraler Aspekt im Verkehrsrecht, da sie bestimmt, ob ein Verstoß als vorsätzlich oder fahrlässig eingestuft wird, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Strafe hat. Vorsatz bedeutet in diesem Kontext, dass der Fahrer sich der Überschreitung der Geschwindigkeitsbegrenzung bewusst war und diese mit Wissen und Wollen begangen hat.

Beweisführung und Indizien

Erkennbarkeit der Geschwindigkeitsbegrenzung:
Die Beweisführung beginnt oft mit der Frage, ob die Geschwindigkeitsbegrenzung für den Fahrer klar erkennbar war. Gut sichtbare Verkehrsschilder und keine plausiblen Gründe für ein Übersehen der Schilder sind starke Indizien für Vorsatz.

Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung:
Eine erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann ebenfalls als Indiz für Vorsatz gewertet werden. Gerichte neigen dazu, bei Überschreitungen von mehr als 40% der erlaubten Geschwindigkeit von einem vorsätzlichen Handeln auszugehen.

Fahrerverhalten und äußere Umstände:
Das Verhalten des Fahrers vor und während der Messung sowie die äußeren Umstände (z.B. Wetterbedingungen, Verkehrslage) können ebenfalls zur Beweisführung herangezogen werden. Beispielsweise kann aus der Art und Weise, wie der Fahrer auf das Blitzen reagiert oder ob er nach der Messung seine Geschwindigkeit anpasst, auf Vorsatz geschlossen werden.

Technische Beweismittel:
Geschwindigkeitsmessungen durch Radar, Lidar oder andere technische Mittel bilden die Grundlage der Beweisführung. Die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Messung muss gewährleistet sein, und es muss nachgewiesen werden, dass die Messgeräte ordnungsgemäß gewartet und kalibriert wurden.

Aussagen und Verhalten des Fahrers:
Aussagen des Fahrers während der Verkehrskontrolle oder im Nachhinein können ebenfalls relevant sein. Ein Geständnis oder das Eingestehen der Kenntnis von der Geschwindigkeitsbegrenzung kann als direkter Beweis für Vorsatz dienen.

Rechtliche Konsequenzen

Die Feststellung von Vorsatz kann zu erheblich strengeren Strafen führen, einschließlich höherer Bußgelder, Punkten in Flensburg und Fahrverboten. Im Gegensatz dazu werden fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitungen in der Regel mit geringeren Sanktionen geahndet.

Die Beweisführung bei der Feststellung einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung erfordert eine sorgfältige Prüfung aller Umstände und Beweismittel. Für Betroffene ist es wichtig, die eigene Verteidigung auf die Überprüfung dieser Aspekte zu stützen, insbesondere die Erkennbarkeit der Geschwindigkeitsbegrenzung und die Zuverlässigkeit der Messung.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 25 Abs. 2a StVG (Straßenverkehrsgesetz): Dieser Paragraph ermöglicht die Anordnung eines Fahrverbots als Nebenfolge bei bestimmten Verkehrsdelikten, hier speziell bei schweren Geschwindigkeitsüberschreitungen. Im konkreten Fall wurde dem Betroffenen aufgrund einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung neben der Geldbuße auch ein Fahrverbot auferlegt, was die Bedeutung dieser rechtlichen Regelung unterstreicht.
  • § 41 StVO (Straßenverkehrs-Ordnung) in Verbindung mit Zeichen 274: Dieser Paragraph regelt die Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr und das entsprechende Verkehrszeichen 274 zeigt die zulässige Höchstgeschwindigkeit an. Im Fall wurde festgestellt, dass die Geschwindigkeit in einem Baustellenbereich auf 60 km/h begrenzt war, was der Fahrer deutlich überschritt. Die Kenntnis dieser Beschränkung ist entscheidend für die Bewertung des Vorsatzes.
  • § 79 Abs. 1 OWiG (Ordnungswidrigkeitengesetz): Dieser Paragraph definiert die Zulässigkeit und die Bedingungen einer Rechtsbeschwerde. Im vorliegenden Fall wurde eine Rechtsbeschwerde eingelegt, die teilweise erfolgreich war und zu einer Zurückverweisung des Falls an das Amtsgericht führte, um die Sache neu zu verhandeln.
  • § 24 StVG: Dieser Paragraph behandelt die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr und die damit verbundenen Bußgelder. Im gegebenen Kontext wurde die maximale Geldbuße gemäß diesem Gesetz verhängt, was die Schwere der Übertretung und die zugrunde liegenden rechtlichen Rahmenbedingungen hervorhebt.
  • § 261 StPO (Strafprozessordnung), speziell die Inbegriffsrüge: Die Inbegriffsrüge ist ein rechtliches Instrument, das in der Hauptverhandlung zur Geltung kommen kann, wenn eine Urkunde nicht den im Urteil zugeschriebenen Inhalt hat. Im analysierten Fall spielte diese Regelung eine Rolle bei der Bewertung der vorgelegten Beweismittel bezüglich der festgestellten Geschwindigkeitsbeschränkung.


➜ Das vorliegende Urteil vom OLG Köln

OLG Köln – Az.: III-1 ORBs 273/23 – Beschluss vom 12.10.2023

Unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels wird das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache wird zu erneuter Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Köln zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit der angefochtenen Entscheidung wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu der Geldbuße von 2000,– EUR verurteilt und ihm – mit Gestaltungsmöglichkeit gemäß § 25 Abs. 2a StVG – für die Dauer von zwei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 15. Januar 2022 – aus Frankfurt kommend – zwischen dem Autobahnkreuz Köln Ost und der Anschlussstelle Merheim in Fahrtrichtung Olpe den mittleren der drei Fahrstreifen der BAB 4 mit seinem Pkw. In Höhe des Kilometers 86,17 überschritt er im – „nicht zuletzt durch Fahrbahnmarkierungen“ zu erkennenden – Baustellenbereich die durch Zeichen 274 (zunächst im Übergangsbereich BAB 3/4 bei km 137,76 bzw. 173,68, sodann auf der BAB 4 bei km 85,36 sowie bei km 86,1) angeordnete höchstzulässige Geschwindigkeit von 60 km/h um – bereinigt – 101 km/h. Die Messung erfolgte mit einem gültig geeichten Messgerät des Typs Vitronic PoliScan M1 HP.

Die Annahme, der Betroffene habe die höchstzulässige Geschwindigkeit (bedingt) vorsätzlich überschritten, hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

„Wesentliches Indiz für den jedenfalls bedingten Vorsatz des Betroffenen ist die deutliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 168 %, nämlich um 101 km/h. Das Gericht geht insoweit von dem in der Rechtsprechung anerkannten Erfahrungssatz aus, nach welchem einem Fahrzeugführer die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit aufgrund der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung jedenfalls dann nicht verborgen bleibt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten wird. Dem steht hier nicht entgegen, dass sich um eine Fahrt auf einer BAB handelte, auf denen regelmäßig keinerlei Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Denn dass für den konkreten Streckenabschnitt eine außerörtliche Geschwindigkeitsbegrenzung galt, war für den Betroffenen nicht nur aufgrund der unter II. festgestellten Beschilderung, sondern bereits aufgrund der optischen Einrichtung als Baustellenbereich offenkundig. Dass der Betroffene diese nicht als Anlass für eine erhöhte Sorgfalt bei der Beobachtung der wechselnden Beschilderung nahm, sondern vielmehr der nach eigener Einlassung maßgeblichen Erwartung nachgab, seine nicht mehr weit entfernte Heimatadresse schnell zu erreichen, hat das Gericht als ausreichendes Indiz für Tatvorsatz gesehen.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat Verwerfung der Rechtsbeschwerde beantragt.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 OWiG statthafte, Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsbeschwerde des Betroffenen erzielt in der Sache den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet.

1.

Soweit der Betroffene – der Sache nach – das tatrichterliche Verfahren beanstandet, dringt er damit nicht durch. Seine Rügen sind jedenfalls unbegründet:

a)Das gilt zunächst für die Beanstandung, eine für den Betroffenen geltende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h mit Zeichen 274 zu § 41 StVO werde durch die eingeführten Unterlagen – namentlich die Dienstanweisung für die Messstelle und den Beschilderungsplan (vom Betroffenen unzutreffend als „Bauphasenplan“ bezeichnet) – nicht belegt.

Mit der sogenannten „Inbegriffsrüge“ (Rüge der Verletzung des § 261 StPO) kann geltend gemacht werden, eine in die Hauptverhandlung eingeführte Urkunde habe nicht den ihr im Urteil zugeschriebenen Inhalt (allgemein: Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 261 Rz. 44 m. N.).

Dieser Rüge bleibt hier der Erfolg versagt, weil sich den genannten Unterlagen jedenfalls in einer Gesamtschau entnehmen lässt, dass die festgestellte Geschwindigkeitsbeschränkung auch nach Verlassen des Autobahnkreuzes Köln-Ost für den Betroffenen angeordnet war.

b)

Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Tatgericht hätte sich durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung überzeugen müssen, dringt auch das nicht durch:

aa)

Durch die auf einer Seite abgeschrägte Form des auf dem Messbild befindlichen Auswerterahmens musste sich das Tatgericht nicht zu weiterer Beweiserhebung gedrängt sehen. Diese Form ist bei Messgeräten des Typs Poliscan Speed nicht ungewöhnlich (s. die Darstellung bei Burhoff/Grün-H.-P. Grün/M. Grün/R. Schäfer, Messungen im Straßenverkehr, 6. Auflage 2023, § 1 Rz. 863: „verwertbar“) und gibt für sich genommen keinen Anlass, an der Zuverlässigkeit des Messergebnisses zu zweifeln.

bb)

Soweit mit der Rechtsbeschwerde vorgebracht wird, im Messwertrahmen sei kein Vorderreifen des Kraftfahrzeugs (scil.: vollständig) aufgenommen, musste auch dieser Befund das Tatgericht nicht zu sachverständiger Begutachtung der Messung drängen. Vielmehr genügt es, wenn sich bei einer – hier vorliegenden – Frontmessung ein Vorderrad und/oder das Kennzeichen des Fahrzeugs zumindest teilweise innerhalb des Auswerterahmens befinden (Burhoff/Grün-H.-P. Grün/M. Grün/R. Schäfer a.a.O. Rz. 854). Das trifft hier jedenfalls auf das linke Vorderrad (teilweise) und das Kennzeichen (vollständig) zu.

2.

Hingegen hält das angefochtene Urteil der durch die Erhebung der Sachrüge gebotenen umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung nicht uneingeschränkt stand.

a)

Zum Schuldspruch hat diese freilich keinen den Betroffenen belastenden Rechtsfehler aufgedeckt.

Das gilt namentlich für die Annahme bedingt vorsätzlichen Handelns. Soweit – wie zu zeigen sein wird – eine vorsatzgetragene Geschwindigkeitsüberschreitung um gerade 101 km/h durch die tatrichterlichen Beweiserwägungen nicht in ausreichendem Maße gestützt wird, berührt das unter den hier gegebenen Umständen lediglich den Schuldumfang und damit die Rechtsfolgenseite, nicht aber die innere Tatseite als solche.

b)

Ein (bedingt) vorsätzliches Handeln des Betroffenen im Hinblick auf eine Geschwindigkeitsübertretung von 101 km/h ist nicht ausreichend beweiswürdigend untermauert; die tatrichterliche Beweiswürdigung ist vielmehr – auch eingedenk des nur eingeschränkten rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfungsmaßstabs – lückenhaft:

aa)

Im rechtlichen Ansatz zutreffend geht das Tatgericht freilich davon aus, dass eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung ein wesentliches Indiz für (bedingt) vorsätzliches Handeln bilden kann (SenE v. 13.09.2016 – III-1 RBs 268/16 -; SenE v. 07.06.2017 – III-1 RBs 143/17 -; OLG Hamm DAR 2005, 407 [408] = VRS 108, 447 [449]; KG DAR 2004, 594 = VRS 107, 213; OLG Rostock VRS 108, 376). Das Bewusstsein, die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu überschreiten, setzt indessen grundsätzlich voraus, dass der Betroffene die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung wahrgenommen hatte (SenE v. 22.02.2007 – 82 Ss-OWi 13/07 -; OLG Hamm zfs 2008, 408 [409]; Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021, § 3 StVO Rz. 56). Kennt der Täter hingegen die höchst zulässige Geschwindigkeit im konkreten Fall nicht und geht er von einer unbeschränkten Geschwindigkeit aus oder von einer höheren zulässigen Geschwindigkeit, welche die Differenz der festgestellten und der vermeintlichen Höchstgeschwindigkeit gering erscheinen lässt, so kann ggf. nur fahrlässiges Handeln in Betracht kommen (OLG Bamberg DAR 2014, 38 [40] m. N.).

Hier gibt das Tatgericht die Einlassung des Betroffenen dahin wieder, er habe „das“ Schild zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 60 km/h übersehen. Nach eigener Prüfung nach der Tat habe jedenfalls eine der Beschilderungen (nach den Feststellungen bei km 85,3 und – kurz vor der Messstelle – bei km 86,1) vorgelegen. Mit dieser Einlassung des Betroffenen, die trotz der Nichterwähnung der Verkehrszeichen bei km 137.760 bzw. 173.668 im Übergangsbereich BAB 3 – BAB 4 ein Übersehen der maßgeblichen Beschilderung als möglich erscheinen lässt, setzt sich das Tatgericht nicht beweiswürdigend auseinander; vielmehr heißt es im Rahmen der Ausführungen zur Begründung vorsätzlichen Handelns lediglich, die Geltung der Geschwindigkeitsbeschränkung sei für den Betroffenen (auch) „aufgrund der (…) festgestellten Beschilderung (…) offenkundig“ gewesen.

bb)

Soweit das Tatgericht sich für seine Annahme bedingten Vorsatzes im Weiteren auf die optische Einrichtung des Messbereichs als Baustelle bezieht, gilt: Trotz der auf Autobahnen fehlenden gesetzlichen Beschränkung der Geschwindigkeit ist es im Einzelfall möglich, dass sich aufgrund der ohne weiteres erkennbaren äußeren Situation die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung in einer Weise aufdrängt, dass kognitives und voluntatives Vorsatzelement zu bejahen sind (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2005, 164 – dort freilich offen gelassen).

In diesem Zusammenhang stellt das Tatgericht fest, der Baustellenbereich in Höhe des Autobahnkilometers 86,17 sei „nicht zuletzt durch Fahrbahnmarkierungen zu erkennen“ gewesen. Welche Fahrbahnmarkierungen hier gemeint sind, erschließt sich durch Kenntnisnahme des prozessordnungsgemäß in Bezug genommenen Beschilderungsplans, der – handschriftlich eingetragen – gelbe Fahrbahnmarkierungen beginnend im Kreuz Köln Ost und fortgeführt zwischen diesem und der Anschlussstelle Köln-Merheim ausweist. Dass er einen Baustellenbereich durchfuhr, drängte sich dem Betroffenen bei dieser Sachlage im vorbezeichneten Sinne auf.

Erfahrungsgemäß ist im Baustellenbereich auf Autobahnen die höchstzulässige Geschwindigkeit auf Werte zwischen 40 und 100 km/h beschränkt. Der Betroffene kann danach nur über die Höhe der für ihn geltende Geschwindigkeitsbeschränkung geirrt haben. Ein solcher Irrtum berührte hier aber die Vorsatzzurechnung nicht: Selbst wenn der Betroffene die für ihn geltende Beschilderung nicht wahrgenommen hätte, hätte er (erkanntermaßen) die höchstzulässige Geschwindigkeit immer noch um jedenfalls 61 km/h überschritten (s. auch die Konstellation bei BayObLG NZV 1996, 375: Vorsätzliche Überschreitung der auf Bundesstraßen allgemein geltenden Geschwindigkeitsbeschränkung bei [möglicherweise] fahrlässiger Überschreitung einer durch Z 274 angeordneten, weitergehenden Geschwindigkeitsbeschränkung), was eine so wesentliche Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit bedeutet, dass die Tatrichterin ohne Rechtsfehler von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsübertretung ausgehen durfte. Die Differenz zwischen festgestellter und vermeintlicher Höchstgeschwindigkeit ist dann eben nicht im vorstehend gekennzeichneten Sinne „gering“. Vorsätzliches Handeln lag hier um so näher, als – wie das Amtsgericht mit Recht ausführt – der Betroffene schnell zu seiner nicht mehr weit entfernten Heimatadresse gelangen wollte.

Freilich ist hiermit noch nicht eine bedingt vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung um gerade 101 km/h belegt. Nach dem vorstehend Ausgeführten erscheint es auch – insbesondere je nach genauer Ausgestaltung des Baustellenbereichs – vorstellbar, dass der Betroffene lediglich eine Geschwindigkeitsübertretung von 61 oder 81 km/h in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Ein Betroffener mit einem solchen Vorstellungsbild muss nach Auffassung des Senats nicht notwendig auch eine höchstzulässige Geschwindigkeit von 60 km/h und damit eine Geschwindigkeitsüberschreitung von – hier – 101 km/h für möglich halten und billigen. Weil dieser Befund sich auf den Schuldumfang und damit auf die Höhe des Bußgeldes auswirkt, konnte die Rechtsfolgenentscheidung der Tatrichterin, die auf die Höchstbuße gemäß § 24 Abs. 2 StVG erkannt hat, keinen Bestand haben. Da diese selbst eine Abhängigkeit zwischen Bußgeldbemessung und Dauer des Fahrverbots hergestellt hat, verbot sich auch dessen isolierte Aufrechterhaltung.

Weitergehende Feststellungen zum Vorstellungsbild des Betroffenen – durch Widerlegung seiner Einlassung, er habe „das“ Schild übersehen, aber auch auf der Grundlage des genauen seinerzeitigen Ausbauzustands der Messstelle, der jedenfalls eine geringere höchstzulässige Geschwindigkeit als 100 km/h nahegelegt haben mag – erscheinen möglich. Der Senat sieht daher davon ab, in der Sache zu entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG) und verweist die Sache an das Amtsgericht zurück. Das ist auch deswegen angezeigt, weil die bußgelderhöhende Erwägung, im Zeitpunkt der hiesigen Tat sei der Bußgeldbescheid bezüglich der am 17. Dezember 2021 begangenen Tat bereits erlassen gewesen und habe daher Warnwirkung entfalten können, bislang nicht belegt ist. Angesichts der zeitlichen Verhältnisse (Tatbegehung hier: 15. Januar 2022) versteht sich das auch nicht von selbst.

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