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Vorladung zum Verkehrsunterricht – Verhältnismäßigkeit

VG München – Az.: M 23 K 16.948 – Urteil vom 27.06.2017

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Vorladung zum Verkehrsunterricht.

Im Rahmen einer am …. August 2015 vorgenommenen Verkehrskontrolle stellten Polizeibeamte fest, dass der Kläger in seinem … Oldtimer kein Warndreieck, kein Verbandskasten sowie keine Warnwesten mitführte.

Ausweislich Lagemeldung vom …. August 2015 der Polizeiinspektion R… (im Folgenden: Polizeiinspektion) habe sich der Kläger im Rahmen der Verkehrskontrolle „genervt“ gezeigt und nach Vorhalt des Fehlens der benannten Gegenstände geäußert, „in so ein Fahrzeug passe das nicht rein“. Zudem habe er die Polizeibeamten gefragt, ob sie „nichts Besseres zu tun“ hätten. Weiter heißt es „es [sei] […] nicht davon auszugehen, dass der [Kläger] die mitzuführenden Sachen zukünftig auch in seinem … aufrüste[…]“. Einem weiteren Schreiben vom …. August 2015 nach habe der Kläger zudem geäußert, „es sei ihm egal“. Der Kläger habe zudem gegenüber den Polizeibeamten den Eindruck gemacht, „dass er die Gegenstände lediglich nachträglich bei der Dienststelle vorweisen“ werde. „Ob er die Sachen […]regelmäßig in seinem … Oldtimer mitführen [werde], [sei] fraglich“

Aufgrund dieses Sachverhalts wurde gegen den Kläger am 22. September 2015 eine bestandskräftige Verwarnung samt Verwarngeld i.H.v. EUR 43,50,– erlassen, auf das der Kläger zahlte.

Mit Schreiben vom 16. November 2015 bat die Polizeiinspektion das Landratsamt Altötting (im Folgenden: Landratsamt) um Prüfung einer Vorladung zum Verkehrsunterricht. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, ihn wegen des vorgenannten Verkehrsverstoßes zum Verkehrsunterricht vorzuladen und hörte den Kläger hierzu an.

Mit Bescheid vom 25. Januar 2016 – zugestellt am 26. Januar 2016 – lud das Landratsamt den Kläger zum Verkehrsunterricht vor (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete eine Teilnahme innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung des Bescheids an (Nr. 2). Ort und Zeitpunkt des Verkehrsunterrichts würden dem Kläger von der Polizeiinspektion T… mitgeteilt (Nr. 3). Für den Fall der Nichtbefolgung der Aufforderung unter Nummer 2 wurde dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von Euro 500 angedroht (Nr. 4). Weiter wurde die sofortige Vollziehung der Nummern 1 und 2 angeordnet (Nr. 5), dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 6) sowie eine Gebühr von EUR 25,60 und Auslagen in Höhe von Euro 3,45 festgesetzt.

Zur Begründung bezieht sich das Landratsamt in seinem Bescheid im Wesentlichen darauf, dass der Kläger ausweislich seines während der Verkehrskontrolle gezeigten Verhaltens uneinsichtig gewesen sei und insofern ein Erziehungsbedürfnis bestünde. Auch für solche Fälle – und nicht nur bei fehlender Kenntnis von Verkehrsvorschriften – sei die Möglichkeit der Anordnung eines Verkehrsunterrichts eröffnet. Auf die weitere Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.

Der Bevollmächtigte des Klägers erhob gegen diesen Bescheid am …. Februar 2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und stellte gleichzeitig den Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids wiederherzustellen. Nachdem der Beklagte die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Bescheid vom 3. Mai 2015 aufgehoben und Nr. 5 des Bescheids dahingehend geändert hatte, dass die Teilnahme innerhalb von sechs Monaten nach Bestandskraft des Bescheids zu erfolgen habe, ist das Eilverfahren nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Beteiligten mit Beschluss vom 13. Mai 2016 eingestellt worden (M 23 S 16.949).

Schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2017 stellte der Klägerbevollmächtigte den Antrag, den Bescheid vom 25. Januar 2016 aufzuheben.

Zur Begründung führt der Bevollmächtigte – wie schon im Verwaltungsverfahren – an, es bedürfe keiner Belehrung des Klägers im Rahmen eines Verkehrsunterrichts. Angesichts der zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses gegebenen Fahrpraxis von 26 Jahren könne der Kläger hinsichtlich der festgestellten Verstöße nichts hinzulernen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2017 führte der Klägerbevollmächtigte zudem aus, dass der Kläger gerade im Hinblick auf das Mitführen der fehlenden Gegenstände aufgeklärt sei. Somit komme der Anordnung des Verkehrsunterrichts ausschließlich sanktionierender Charakter zu. Letztlich sei die Maßnahme auch unverhältnismäßig.

Der Beklagte beantragte in der mündlichen Verhandlung, die Klage abzuweisen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2017, die Gerichtsakte, die Gerichtsakte des Eilverfahrens (M 23 S 16.949) sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die streitgegenständliche Vorladung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Landratsamt hat den Kläger rechtmäßig zum Verkehrsunterricht geladen.

Das Gericht kann die getroffene Ermessensentscheidung des Beklagten gemäß § 114 S. 1 VwGO nur eingeschränkt daraufhin überprüfen, ob der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen erkannt, von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht und ob er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat.

Hiervon ausgehend lässt sich feststellen, dass das Landratsamt die gesetzlichen Grenzen des durch § 48 StVO eröffneten Ermessens nicht überschritten hat, vgl. § 114 Abs. Satz 1 VwGO.

Nach § 48 StVO ist derjenige, der Verkehrsvorschriften nicht beachtet, auf Vorladung der Straßenverkehrsbehörde verpflichtet, an einem Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr teilzunehmen.

Diese tatbestandlichen Voraussetzungen sind erfüllt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger am …. September 2015 mit seinem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnahm, ohne einen Verbandskasten, ein Warndreieck oder eine Warnweste mitzuführen. Hierdurch missachtete der Kläger die Verkehrsvorschrift des § 35h Abs. 3 der Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO) sowie der §§ 53a Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StVZO. Der von Klägerseite im Verwaltungsverfahren eingebrachte Einwand, es bedürfe eines den Verkehrsverstoß feststellenden Bußgeldbescheids, vermag das Gericht nicht zu folgen. Ein solcher ist von § 48 StVO nicht vorgesehen. Tatbestandlich ausreichend ist vielmehr jeder Verkehrsverstoß, ohne Rücksicht auf dessen Ahndung. Zudem wurden die von Klägerseite begangenen Verkehrsverstöße bestandskräftig mit der Verwarnung samt Verwarngeld vom 22. September 2015 geahndet.

Bei der damit durch § 48 StVO eröffneten Ermessensentscheidung sind keine Ermessensfehler ersichtlich.

Vorladung zum Verkehrsunterricht - Verhältnismäßigkeit
(Symbolfoto: Von didesign021/Shutterstock.com)

Insbesondere liegt der von Klägerseite angenommene Ermessensfehlgebrauch nicht vor. Das Landratsamt hat in einer dem Zweck des § 48 StVO entsprechender Weise von der Ermächtigung Gebrauch gemacht, indem sie ausweislich der Bescheidsbegründung auf das beim Kläger gegebene Erziehungsbedürfnis abgestellt hat. Entgegen der von Klägerseite vorgetragenen Ansicht kann eine Ladung zum Verkehrsunterricht nämlich nicht nur gerechtfertigt sein, wenn dem Betroffenen die Kenntnis einzelner Verkehrsvorschriften fehlt. Vielmehr kommt eine solche auch in Betracht, wenn der Betroffene sich über die Folgen seines verkehrswidrigen Verhaltens nicht im Klaren ist oder zu erkennen gegeben hat, dass es ihm am erforderlichen Verantwortungsbewusstsein fehlt (BVerwG, U.v. 18.9.1970 – VII C 53.69 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 22.10.1990 – 11 B 90.655 – juris; B.v. 25.10.2012 – 11 ZB 12.985 – juris Rn. 14 ff.). So dient der Verkehrsunterricht auch der Weitergabe von Erfahrungen, die gerade beim Verkehrsunterricht die Notwendigkeit einzelner Verkehrsregelungen sichtbar machen sollen, um erzieherisch auf den Betroffenen einzuwirken. Damit soll letztlich die Verkehrsdisziplin gehoben werden (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage 2013, § 48 StVO Rn. 8; Müller, in: Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2. Auflage 2014, § 48 StVO Rn. 5; Janker/Hühnermann/BeckOK, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 48 StVO Rn. 4). Indem das Landratsamt ausweislich der im Bescheid gegebenen Begründung diesen Erziehungszweck verfolgt, hat es von dem Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung Gebrauch gemacht. Ein Ermessensfehlgebrauch ist demnach nicht gegeben.

Die Ermessensausübung begegnet auch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit keinen Bedenken. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass es sich bei den festgestellten Verstößen um keine solchen von besonderem Gewicht handelt. Nichtsdestotrotz lässt § 48 StVO die Ladung zum Verkehrsverstoß auch bei Verkehrsverstößen der festgestellten Art zu (s.o.). So steht der Anordnung nicht entgegen, dass ein Verstoß gegen § 35h Abs. 3 StVZO (Warnweste) nur mit EUR 5,00,– und Verstöße gegen § 53a Abs. 2 Nr. 1 (Warndreieck) und Nr. 3 (Warnweste) jeweils mit EUR 15,00,– geahndet werden (§ 69a Abs. 3 Nr. 7c, Nr. 19 StVZO i.V.m. Nr. 206.2 u. 222.6 der Bußgeldkatalog-Verordnung – BKatV).

Liegen dem Sachverhalt aber konkrete Umstände zugrunde, welche beim Betroffenen erkennbar ein fehlendes Verantwortungsbewusstsein aufweisen, so rechtfertigen zur Hebung der Verkehrsdisziplin selbst weniger gewichtige Verkehrsverstöße eine Ladung zum Verkehrsunterricht (BayVGH, U.v. 18.9.1970 – VII C 53.69 – juris Rn. 13).

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Anordnung in Nr. 1 des Bescheids auch als angemessen. Der Kläger hat in der Verkehrskontrolle vom …. August 2015 durch seine Aussagen klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Pflicht zum Mitführen des Erste-Hilfe-Materials, des Warndreiecks und der Warnweste als nicht wichtig erachtet, ihm dies sogar „egal“ sei. Dem hat der Kläger hinzugefügt, „in so ein Auto passe das nicht rein“. Hiermit gab der Kläger unmissverständlich zum Ausdruck, dass er die Optik seines … Oldtimers über die Sicherheit im Straßenverkehr stellt. Aufgrund dieser und weiterer Aussagen des Klägers waren genügend Anhaltspunkte gegeben, welche die Annahme der kontrollierenden Polizeibeamten stützen, dass der Kläger die mitzuführenden Gegenstände auch zukünftig nicht in seinem … mitführen werde. Diese berechtigte Annahme wird zudem dadurch gestützt, dass der Kläger sich seiner Verkehrsverstöße durchaus bewusst war. So hat sein Bevollmächtigter vor Bescheiderlass mit Schreiben vom …. Januar 2016 erklärt, dass der Kläger aufgrund seiner langjährigen Fahrpraxis zu der gegenständlichen Thematik nichts dazulernen könne, da er die Verkehrsvorschriften aufgrund seiner jahrelangen Fahrpraxis kenne. In der mündlichen Verhandlung gab der Prozessbevollmächtigte wiederum kund, dass der Kläger die gegenständlichen Verkehrsverstöße durchaus kenne. War der Kläger sich seines verkehrswidrigen Verhaltens aber bewusst, wiegt sein Verhalten schwerer und offenbart umso mehr ein Bedürfnis nach einer Verkehrserziehung.

Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht dessen, dass Vorladung zum Verkehrsunterricht lediglich von geringer Eingriffsintensität gekennzeichnet ist, ist Nr. 1 des Bescheids verhältnismäßig und damit insgesamt rechtmäßig.

Ebenso erweist sich die Zwangsgeldandrohung als rechtmäßig. Gleiches gilt im Hinblick auf die Kostenfestsetzung (Gebühren und Auslagen). Sie beruht auf § 6a Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Satz 1 StVG i.V.m. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) und Gebühren-Nummer 262 der Anlage zur GebOSt und bewegt sich im untersten Bereich des Gebührenrahmens.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO und unter dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO abzuweisen.

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 2.500,– festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG- i.V.m. Nr. 46.12 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 analog).

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