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Sonderrechte bei Nutzung eines Privatfahrzeugs durch einen Feuerwehrmann

AG Speyer, Az.: 8e OWi 5287 Js 23655/14 (2), Urteil vom 15.03.2016

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen unter Einschluss der durch das Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

Sonderrechte bei Nutzung eines Privatfahrzeugs durch einen Feuerwehrmann
Symbolfoto: Von BATMANV /Shutterstock.com

Dem Betroffenen war ausweislich des Bußgeldbescheides des Polizeipräsidiums Rheinpfalz – Zentrale Bußgeldstelle Speyer – vom 28. Mai 2014 vorgeworfen worden, am 19. März 2014 um 11:39 Uhr die Bundesstraße (B) 9, Gemarkung Speyer, Fahrtrichtung Germersheim, als Fahrer des Personenkraftwagens Seat, amtliches Kennzeichen XX XX XXX, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 100 km/h um 50 km/h überschritten zu haben. Es wurde, gestützt auf §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, 24, 25 StVG, 4 Abs. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.7 BKat eine Geldbuße von 160,00 Euro und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.

Von diesem Tatvorwurf wurde der Betroffene bereits durch Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 13.02.2015 freigesprochen.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin hat der Bußgeldsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts in Zweibrücken mit Beschluss vom 13.08.2015 das Urteil des Amtsgerichts Speyer mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Speyer zurückverwiesen.

II.

Der Betroffene ist ledig und hat keine Kinder. Er ist Angestellter und arbeitet bei der Straßenmeisterei in Ort (Landesbetrieb Mobilität). Seine wirtschaftlichen Verhältnisse sind geregelt. Er ist im Außendienst der Straßenmeisterei tätig.

Er ist zudem Hauptfeuerwehrmann bei der Freiwilligen Feuerwehr in Ort und als solcher speziell als Atemschutzträger und Drehleitermaschinist ausgebildet.

Er ist bisher noch nicht verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten.

III.

Der Betroffene arbeitete am 19. März 2014 am Ort auf der Bundesautobahn A 650, als er um kurz vor 11 Uhr über seinen mit einem Display ausgestatteten Funkmeldeempfänger eine Nachricht von der Leitstelle der Freiwilligen Feuerwehr Speyer, welcher er seinerzeit angehörte, mit dem Inhalt „Halbschleife Brand Isover“ erhielt, was bedeutete, dass es zu einem Brand bei der Firma A gekommen und ein kleinerer Einsatz zu erwarten war. Da zwischen ihm und seinem Dienstherrn einerseits sowie der Leitung der Feuerwehr andererseits vereinbart worden war, dass er bei einer solchen Meldung angesichts seiner eingeschränkten beruflichen Verfügbarkeit seinen Dienstort nicht verlässt, ging er seiner Tätigkeit auf der Autobahn zunächst unverändert nach, informierte jedoch seinen Arbeitgeber per Funk über das Einsatzsignal der Feuerwehr. Da er auch keine Möglichkeit hatte, weitere Einzelheiten zu dem gemeldeten Brand in Erfahrung zu bringen und eine Anfrage bei der nur mit einer Person besetzten Leitstelle unerwünscht war, blieb ihm verborgen, dass es sich bei der von ihm empfangenen Meldung bereits um eine Nachalarmierung gehandelt hatte, die es – objektiv betrachtet – geboten hätte, sich umgehend nach Speyer zu begeben.

Nachdem kurze Zeit darauf ein weiterer Wachalarm u. a. mit dem Inhalt „Vollschleife Zug 2, Doppelzug 2-3, ISOVER“ bei dem Betroffenen aufgelaufen war, der – nun unmissverständlich – auf einen Großbrand hindeutete, bei dem – wie er es war – auch Atemschutzträger benötigt werden könnten, fuhr er unvermittelt mit seinem Dienstfahrzeug, einen mit Auflegerarm und Kehrbürste ausgestatteten Unimog, dessen zulässige Höchstgeschwindigkeit bei 80 km/h lag, zu der etwa 3,5 km entfernten, in Ort angesiedelten Straßenmeisterei. Dies tat er aufgrund einer zwingenden dienstlichen Weisung seines Arbeitgebers, an die er sich schon deshalb unbedingt zu halten hatte, weil sich Feuerwehreinsätze einstweilen über mehrere Tage, etwa aufgrund einer Nachtbrandwache, hinzogen und das Fahrzeug der Straßenmeisterei, würde der Betroffene hiermit zu einem Einsatz fahren, bei dringenden Reparaturen, Unfallabsperrungen oder -absicherungen (dies in dem besonders gefahrträchtigen Autobahnbereich) bzw. bei Bauwerkssanierungen nicht verfügbar wäre. Zudem hätte kein Versicherungsschutz bestanden und wäre es durch die Fahrt mit dem gegenüber seinem Privatfahrzeug deutlich langsameren Unimog zu zeitlichen Verzögerungen gekommen. Nachdem der Betroffene, der im Falle einer Zuwiderhandlung gegen die Anweisung außerdem mit einer Abmahnung zu rechnen gehabt hätte, das Fahrzeug dort abgestellt und den Schlüssel stecken lassen hatte, stieg er in seinen Personenkraftwagen Seat Cordoba mit dem amtlichen Kennzeichen XX XX XXX ein und machte sich auf den Weg zu der unweit des Brandortes in der Straße in Speyer gelegenen Feuerwache.

Hierbei wählte er den Weg über die A 650 und A 61 und sodann über die B 9, da ihm dieser als der schnellste erschien. Als er sich auf der B 9 befand, entschloss er sich, die auch nach seiner Kenntnis zulässige Höchstgeschwindigkeit, die 100 km/h betrug, zu überschreiten, um schnellstmöglich zum Einsatzort zu gelangen. Seiner Kenntnis nach handelte sich bei Isover nämlich um eine Glaswollefabrik, wobei er im Falle eines Brandes mit Verpuffungen sowie Gas- und Giftstoffentwicklung rechnete. Er wusste, dass dort Isolierstoffe hergestellt wurden und chemische Prozesse im Gang waren. Er hatte zudem Kenntnis davon, dass sich in dem Komplex außer den Produktionsräumen Lager- und Büroräume befanden und zudem einen betriebseigene Tankstelle betrieben wurde. Im Wissen, dass sich der Brand an einem Werktag ereignete, mithin zu einer Zeit, zu der in der Fabrik – wie aufgrund der dort üblichen Schichtarbeit, aber auch sonst – sicher gearbeitet wurde, ging er auch davon aus, dass sich möglicherweise Menschen in Notsituationen befinden könnten, die unter Umständen nur durch mit Atemschutzgeräten ausgestatteten Spezialisten des Brandschutzes geborgen werden können. Dies befürchtete er insbesondere deshalb, weil er weder Kenntnis vom genauen Brandort, noch von der Art oder den Umständen des Brandes hatte. Auch wusste er nicht, welche Teile des Werks betroffen waren, weshalb aus seiner Sicht ein Übergreifen oder ein Betroffen sein der Produktionsstätten, wo sich die Arbeiter üblicherweise aufhielten, denkbar war. Er machte sich schließlich auch Gedanken darüber, dass Büroräume, Aufenthaltsräume oder die Tankstelle, die durch Arbeiter bedient wurde, in Brand geraten sein könnten oder das Feuer auf diese Einrichtungen möglicherweise übergreifen könnte. Schließlich band er in seine Überlegung mit ein, dass sich neben der Firma Isover Tanklager einer Raffinerie befanden. Er rechnete nach alledem angesichts der Erwägung, dass sich der Brand zwischenzeitlichen ausgebreitet haben könnte, mit der Möglichkeit der Entstehung bedeutender Sach- und Umweltschäden, vor allem aber ging er davon aus, dass Personen konkret gefährdet oder gar verletzt, eingeschlossen und damit in konkreter Lebensgefahr sein könnten. Zu alledem kam hinzu, dass er zu dem mit Atemschutz ausgerüsteten Trupp gehörte, was für ihn bedeutete, dass er nach seiner Vorstellung ggf. zusammen mit einem zweiten Kameraden in das Gebäude hineingehen musste, um Personen zu retten, zu bergen oder sonstige Maßnahmen zu ergreifen (Tankkessel kühlen, Elektrik abschalten etc.). Auch rechnete er damit, dass – wie dies vorgeschrieben war – ein ggf. anderer hineingehender Trupp durch ihn gesichert werden müsste.

Da ihm § 1 der Feuerwehrverordnung bekannt war, wonach die Gemeindefeuerwehr so aufzustellen ist, dass diese in der Regel zu jeder Zeit und an jedem an einer öffentlichen Straße gelegenen Ort ihres Zuständigkeitsbereichs innerhalb von acht Minuten nach der Alarmierung Hilfe leisten kann, wog er seine Pflichten als Feuerwehrmann gegen die ihn als Führer eines PKW betreffenden sorgfältig gegeneinander ab und entschied sich dafür, das – aus seiner Sicht erlaubte – Risiko einzugehen, die zulässige Geschwindigkeit zu überschreiten. Da die Sicht- und Witterungsverhältnisse ideal (die Fahrbahn war trocken; die Sonne schien) und die nahezu unbefahrene B 9 autobahnähnlich ausgebaut war, er zudem über eine sehr gute Fahrpraxis verfügte, die er auch bei Verkehrssicherheitstrainings erworben hatte (er besitzt den Führerschein bereits seit 1998, fährt beruflich etwa 300 km pro Tag, privat 6.000 km pro Jahr und für die Feuerwehr maximal 1.000 km pro Jahr), und er schließlich aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit imstande war, Gefahren auf Schnellstraßen gut einschätzen zu können, erachtete er die von ihm gefahrene Geschwindigkeit, die 150 km/h betrug und damit die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 50 Prozent überschritt, als angemessen. Zwar wusste er nicht, wie schnell er tatsächlich fuhr, sah die Übertretung jedoch aufgrund seines Einsatzes als vom Gesetz gedeckt an, zumal er aufgrund der allenfalls abstrakt gefährlichen Gesamtsituation eine Gefährdung Dritter, insbesondere anderer Verkehrsteilnehmer ausschloss.

Um 11:39 überholte er mit dieser Geschwindigkeit in einer Entfernung von etwa 200 Metern hinter dem vor der Abfahrt Speyer-West in Fahrtrichtung Germersheim angebrachten Abfahrtsschild einen Lastkraftwagen, wobei es Anlass zur Besorgnis, dass es aufgrund des hohen relativen Geschwindigkeitsunterschieds zwischen überholendem und überholtem Fahrzeug zu einem Unfall kommen könnte, auch aus objektiver Sicht nicht gab. Weder existierte in dem dortigen Bereich eine Auffahrt auf die B9, noch befanden sich (langsamere) Fahrzeuge vor dem LKW. Die Gefahr, dass der LKW-Fahrer auf die linke, vom Betroffenen befahrene Spur wechseln könnte, bestand daher nicht.

Hierbei passierte er die von dem Zeugen A aufgebaute Messstelle.

IV.

Die Feststellungen zu I. beruhen auf den glaubhaften Angaben des Betroffenen sowie auf der in der Verhandlung verlesenen Auskunft aus dem Verkehrszentralregister.

Den zu II. festgestellten Sachverhalt hat das Gericht ebenfalls auf die glaubhafte Einlassung des Betroffenen, soweit dieser in der Lage war, Angaben zu machen, gestützt. Die Einlassung war nachvollziehbar und schon deshalb glaubhaft, weil sie sich mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere den Ausführungen der vernommenen Zeugen, deckt. Der Zeuge A hatte die Schilderungen des Betroffenen hinsichtlich der Witterungs- und Straßenverhältnisse bestätigt, der Zeuge B die Angaben des Betroffenen in Bezug auf Einzelheiten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Feuerwehr und den vorliegenden Einsatz. Der Zeuge C hat die Ausführungen des Betroffenen hinsichtlich der dienstlichen Anweisung zur bzw. Abwicklung der Rückgabe des Dienstfahrzeugs und D hinsichtlich der Örtlichkeiten bei Isover und der möglichen Gefährdungslage bei einem dortigen Großbrand – insoweit weitestgehend – in objektiver Hinsicht bestätigt. Die Korrektheit der Messung – unter Berücksichtigung der Toleranz – ergibt sich aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern und weiterhin aus der Aussage des Zeugen A. Zweifel an der Richtigkeit der Messung ergaben sich dabei nicht. Verwendet wurde das Messgerät Poli Scan speed, Software 1.5.5, Fabriknummer 632454. Es war laut verlesener Eichurkunde vom 25. September 2013 bis Ende 2014 geeicht. Das Eichsiegel war nach Angaben des Zeugen nicht beschädigt. Der Zeuge war, wie sich aus der vorgelegten Teilnahmebescheinigung ergab, hinsichtlich der Anwendung geschult.

V.

Der Betroffene hat damit vorsätzlich einen Geschwindigkeitsverstoß begangen und objektiv gegen §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, 24, 25 StVG, 4 Abs. 1 BKatV, Nr. 11.3.7 BKat verstoßen.

Der Betroffene durfte allerdings Sonderrechte wahrnehmen. Nach § 35 Abs. 1 StVO ist die Feuerwehr von den Vorschriften der StVO befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.

Der Betroffene war vorliegend zur Löschung eines Brandes und damit zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben unterwegs (hierzu: BHJJ/Heß StVO § 35 Rn. 6). Dass das Fahrzeug des Betroffenen weder mit Blaulicht noch mit einem Martinshorn ausgestattet war, spielt insoweit keine Rolle (BGH NJW 1975, 648; KG Berlin VM 85, 105; OLG Köln NZV 96, 237). Ebenfalls ist nicht von Belang, dass es sich bei dem Fahrzeug um einen privaten PKW des Betroffenen handelte. Dass auch „Privatfahrzeuge“ die Vergünstigung des § 35 Abs. 1 StVO in Anspruch nehmen können, ist in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend anerkannt (BHJJ/Heß StVO § 35 Rn. 2 – 8). Diese Ansicht wird auch durch das Pfälzische Oberlandesgericht geteilt (Senatsbeschluss vom 13.08.2015 – OWi 1 SsBs 21/15). Dem schließt sich das Gericht an.

Das Abweichen von den Verkehrsvorschriften zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben war vorliegend auch dringend geboten. Davon ist dann auszugehen, wenn die sofortige Diensterfüllung wichtiger erscheint als die Beachtung der Verkehrsregeln. Dabei rechtfertigt schon ein Einsatzbefehl im Allgemeinen die Inanspruchnahme des Vorrechts, sofern sich nicht aus der Anordnung selbst oder aus dem Inhalt des Auftrags ergibt, dass keine dringende Eile vorliegt (BHJJ/Heß StVO § 35 Rn. 2 – 8, beck-online). Ein Einsatzbefehl lag hier vor. Es ergab sich auch weder aus der Anordnung noch aus dem Inhalt des Auftrags, dass keine dringende Eile vorlag. Vielmehr musste der Betroffene von einer konkreten Gefahr für Leib und Leben sowie einer Gefährdung bedeutender Sachwerte und der Umwelt ausgehen. Dass sein Einsatz letztlich nicht mehr erforderlich war, steht der Annahme der Dringlichkeit nicht entgegen. Die Überprüfung der Ermessensentscheidung ist aus der damaligen Sicht des Fahrers zu treffen und nicht nach späterer objektiver Betrachtungsweise, die der Fahrer so gar nicht anstellen konnte (OLG Zweibrücken, a.a.O., m.w.N.). Dass der Betroffene letztlich nicht mehr gebraucht wurde, ist ihm erst nach seinem Eintreffen auf der Feuerwache mitgeteilt worden.

Die danach gegebene Befreiung des Betroffenen von jeder Verkehrsvorschrift (§ 35 Abs. 1 StVO) gilt aber nicht schrankenlos. Diese Sonderstellung wird durch § 35 Abs. 8 begrenzt, wonach die Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden können. Sie kann nur die Behinderung oder Belästigung anderer in erweitertem Umfang rechtfertigen, enthebt die Bevorrechtigten aber nicht vom Verbot der konkreten Gefährdung oder gar der Verletzung anderer (hierzu: BHJJ/Heß StVO § 35 Rn. 13 – 14, beck-online). Die Freistellung gemäß § 35 Abs. 1 StVO gibt also nur die Berechtigung, die allgemeinen Verkehrsregeln unter Beachtung größtmöglicher Sorgfalt zu „missachten“ (BGH(Z) VRS 48, 260 = StVE § 38 StVO 1; KG Berlin VM 85, 105 s auch E 108a). Das bedeutet nicht, dass ein Verhalten schon deshalb als nicht verkehrsgerecht anzusehen wäre, weil die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschritten wird. Die Modifikation des allgemeinen Maßstabs der Beurteilung verkehrsgerechten Verhaltens zugunsten des Vorrechtshinhabers, dem es erlaubt ist, von den geltenden Vorschriften abzuweichen, wird nämlich nur dadurch verschärft, dass der Vorrechtshinhaber der erhöhten Unfallgefahr, die durch das Abweichen von Vorschriften herbeigeführt wird, zusätzlich begegnen muss (vgl. BGHZ 26, 69, 71 VM 62, 38 Bay 57, 267). Eine starre oder anhand eines bestimmten Faktors zu ermittelnde Obergrenze für eine gerade noch hinnehmbare Geschwindigkeitsüberschreitung lässt sich daraus aber nicht ableiten. § 35 Abs. 1 und 8 StVO wird vielmehr durch den Grundsatz geprägt, dass die Vorsicht des Vorrechtsinhabers um so größer sein muss, je gefährlicher das Abweichen von einer Vorschrift ist (KG Berlin NZV 05, 636; OLG Hamm DAR 96, 93; OLG Frankfurt/M 98, 341). In keinem Fall wird es sich dabei aber als zulässig erweisen lassen, gefährdete Menschen auf Kosten anderer zu retten (OLG Braunschweig VRS 19, 230).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Abwägung des Betroffenen und sein daran ausgerichtetes Verhalten nicht zu beanstanden.

Dem Betroffenen war zunächst bewusst, dass eine berechtigte Ausübung des hoheitlichen Rechts vorlag. Ihm war bekannt, dass sein Fahrzeug in den Kreis der Sonderrechtsträger fällt, da er sich zu einem Einsatz begab. Dies ergibt sich schon daraus, dass er annahm, sein Verhalten sei vom Gesetz gedeckt. Er war sich – zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Messung – aufgrund des Inhalts des – aus seiner Sicht: zweiten – Einsatzbefehls auch im Klaren darüber, dass er eine vorrangige dringende öffentliche Aufgabe zu erfüllen hatte.

Ein Ermessensfehlgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung ist vorliegend nicht erkennbar. Dass § 35 StVO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist (OLG Celle Urt v 30.11.2006 – 14 U 204/05 = BeckRS 2007 00 334), steht dem nicht entgegen.

Dem Betroffenen war zunächst § 1 der Feuerwehrverordnung bekannt. Er rechnete, was aufgrund der Aussage des Zeugen D nachvollzogen werden konnte, auch damit, dass sich infolge des an einem Werktag stattfindenden Brandes bei Grünzweig und Hartmann Menschen in Notsituationen befinden könnten, die unter Einsatz der Spezialisten beim Brandschutz mit Atemschutzgeräten gerettet und geborgen werden müssen. Insoweit kann umfassend auf die obigen Feststellungen verwiesen werden. Hinzu kam, dass er, am Atemschutzgerät ausgebildet, auch damit rechnete, zusammen mit einem zweiten Kameraden in das Gebäude zu müssen, um Menschen zu retten, zu bergen oder sonstige Maßnahmen zu ergreifen, zumindest einen anderen Trupp bei einer solchen Tätigkeit zu sichern.

Auf der anderen Seite warf er in die Waagschale, dass die Sicht- und Witterungsverhältnisse auf der autobahnähnlich ausgebauten B 9 ideal waren und die Straße nahezu unbefahren war. Er kannte aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit die Gefahren auf Schnellstraßen und er verfügte, was ihm bewusst war, über eine außergewöhnliche Fahrpraxis, weshalb er unter den gegebenen Bedingungen die gewählte, überhöhte Geschwindigkeit als sicher beherrschbar erachtete. Dabei vermied er auch eine Gefährdung Dritter. Anlass zur Besorgnis, sein Fahrverhalten könnte sich für andere als gefährlich erweisen, gab es nach den getroffenen Feststellungen auch aus objektiver Sicher nicht. Als er den LKW überholte, war ihm bewusst, dass in diesem Bereich der B 9 ein Überholverbot für Lastkraftwagen galt. Obwohl nach den getroffenen Feststellungen kein Anlass zur Annahme bestand, dass der LKW auf die linke Fahrspur wechseln könnte, hat er die Existenz eines anderen Verkehrsteilnehmers insoweit beachtet, als er die Höchstgeschwindigkeit seines PKW zu diesem Zeitpunkt nicht ausgereizt hat.

Damit hat er die ihn als Feuerwehrmann treffenden Pflichten gegen die ihn als Führer eines PKW treffenden sorgfältig gegeneinander abgewogen und sich im Einklang mit der Rechtsordnung dafür entschieden, zugunsten eines rechtzeitigen Eintreffens am Brandort die zulässige Höchstgeschwindigkeit situationsangepasst zu überschreiten. Dass es sich vorliegend um eine deutliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit handelte, die effektiv bei 50 km/h lag, steht der ordnungsgemäßen Ausübung des Ermessens des Betroffenen nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht entgegen, zumal nach den getroffenen Feststellungen eine Gefährdung Dritter objektiv nicht vorlag und das Risiko der Verursachung eines Unfalls aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit allenfalls im Bereich des nach menschlichem Ermessen nicht Ausschließbaren lag.

Ermessensfehlerhaft ist die Abwägung letztlich auch nicht deshalb, weil der Betroffene vor der Fahrt nach Speyer sein Dienstfahrzeug zurückgebracht hat. Abgesehen davon, dass damit – was der Bußgeldsenat beanstandet hatte – ohnehin keine Verzögerung der Ankunft in Speyer einhergehen konnte, war es dem Betroffenen auch nicht zumutbar, sich für die uneigennützige Wahrnehmung seiner Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr der Gefahr dienstrechtlicher Konsequenzen oder gar strafrechtlicher Verfolgung wegen unbefugtem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder Fahrens ohne Haftpflichtversicherungsvertrag auszusetzen und zugleich eine persönliche Haftung im Falle der Verursachung eines Schadens während der Fahrt zu riskieren. Jede andere Auffassung würde vor dem Hintergrund, dass man dem Betroffenen noch nicht einmal einen Verstoß gegen eine bußgeldbewährte Norm zugestehen wollte, zu unauflösbaren Wertungswidersprüchen führen.

Damit lag im Ergebnis keine rechtswidrige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor.

Der Betroffene war daher von dem Vorwurf eines Verhaltens, das – was in dem bisherigen Verfahrenverlauf unberücksichtigt geblieben ist – allenfalls nach § 49 Abs. 4 Nr. 2 StVO ordnungswidrig gewesen wäre, aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.

 

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