AG Göppingen – Az.: 9 OWi 85/11 – Beschluss vom 06.04.2011
1.) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Rechts- und Ordnungsamts – Bußgeldstelle des Landratsamts Göppingen vom 24.03.2011 wird als unbegründet verworfen.
2.) Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Betroffene überschritt am 06.08.2010 um 14:32 Uhr in Uhingen, B10, Richtung Ebersbach nach Galerie, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 28 km/h. Dafür wurde durch Bescheid des Landratsamts Göppingen vom 14.10.2010 unter anderem ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Da die Voraussetzungen vorlagen, wurde auch eine Abgabefrist von 4 Monaten gewährt. Mit Schreiben vom 27.10.2010 hat der Verteidiger des Betroffenen gegen diesen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Am 03.12.2010 fand daraufhin vor dem Amtsgericht Göppingen die Hauptverhandlung statt. Diese wurde zur Einholung eines humanbiologischen Sachverständigengutachtens zur Klärung der Fahreridentität ausgesetzt. Mit Schreiben vom 01.03.2011, beim Amtsgericht Göppingen per Telefax eingegangen am 02.03.2011 um 00:17 Uhr hat der Verteidiger des Betroffenen den Einspruch zurückgenommen. Der Bußgeldbescheid des Landratsamts Göppingen vom 14.10.2010 ist somit seit dem 02.03.2011 rechtskräftig.
Gegen den Betroffenen wurde in einem anderen Verfahren durch das Bayrische Polizeiverwaltungsamt in Straubing unter dem Aktenzeichen D-…-…am 02.08.2010 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein Bußgeldbescheid erlassen, in dem unter anderem ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet wurde. Da auch dort die Voraussetzungen vorlagen, war auch dort eine Abgabefrist von vier Monaten gewährt worden. Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Betroffene Einspruch eingelegt. Daraufhin wurde der Betroffene durch Beschluss des Amtsgerichts Kulmbach vom 24.01.2011, 1 OWi 149 Js 9971/10, wegen einer fahrlässig begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. In diesem Beschluss wurde unter anderem ein Fahrverbot von einem Monat verhängt, dass, da die Voraussetzungen vorlagen, innerhalb einer Abgabefrist von vier Monaten zu verbüßen war. Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 04.02.2011 Rechtsbeschwerde eingelegt. Diese hat der Verteidiger mit Schreiben, beim Amtsgericht Kulmbach eingegangen am 02.03.2011, zurückgenommen. Der Beschluss des Amtsgerichts Kulmbach vom 24.01.2011 ist somit seit 02.03.2011 rechtskräftig.
Der Betroffene hat seinen Führerschein am 09.03.2011 bei der Staatsanwaltschaft Bayreuth in amtliche Verwahrung gegeben um so die Vollstreckung des Fahrverbots von einem Monat aus dem Beschluss des Amtsgerichts Kulmbach vom 24.01.2011 zu verbüßen. Mit Schreiben vom 20.03.2011 beantragte der Verteidiger des Betroffenen beim Landratsamt Göppingen, dass die Staatsanwaltschaft Bayreuth den Führerschein des Betroffenen zugleich auch zur Vollstreckung des Fahrverbotes aus dem Bußgeldbescheid des Landratsamts Göppingen vom 14.10.2010 verwahren kann und beide Fahrverbote nebeneinander vollstreckt werden.
Mit Bescheid vom 24.03.2011 hat das Landratsamt Göppingen, Rechts- und Ordnungsamt, Bußgeldstelle, den Antrag des Betroffenen abgelehnt.
Gegen diesen Bescheid wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
II.
Der gemäß §§ 103 ,104 OWiG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet.
Gemäß § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG sind die Fahrverbote die gegen den Betroffenen verhängt wurden nacheinander in der Reihenfolge ihrer Rechtskraft zu vollstrecken. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 a StVG liegen vor.
§ 25 Abs. 2 a Satz 2 StVG bestimmt, dass mehrere Fahrverbote nacheinander zu vollstrecken sind, dabei grundsätzlich, aber nicht ausschließlich, in der Reihenfolge ihrer Rechtskraft (Amtsgericht Viechtach, Beschluss vom 09.08.2007, 6 II OWi 01045/07; Amtsgericht Viechtach, Beschluss vom 04.03.2008, 7 II OWi 307/08; Amtsgericht Offenbach, Beschluss vom 06.09.2008, 27 OWi 272/08; Amtsgericht Waiblingen, Beschluss vom 07.05.2008, 5 OWi 5/08).
Der Betroffene trägt vor die Vorschrift des § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG sei nicht anwendbar, da beide Bescheide und damit beide Fahrverbote gleichzeitig rechtskräftig geworden seien, was dazu führe, dass keine Reihenfolge der Vollstreckung feststellbar sei. Folglich sei parallel zu vollstrecken. Er beruft sich dabei auf eine Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 19.01.2010, 13 OWi 705 Js 23983/09.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
Zwar geht die Regelung in § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG ihrem Wortlaut nach davon aus, dass sich eine Reihenfolge der Rechtskraft feststellen lässt, dies ist jedoch nicht Vorraussetzung. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Bußgeldbescheide mit Fahrverboten gegen dieselbe Person zufällig gleichzeitig rechtskräftig werden, ist so gering, dass dies nicht ausdrücklich geregelt werden muss. Es liegt somit auch keine Gesetzeslücke vor, vielmehr kann diese vermeintliche Unklarheit durch Anwendung gewöhnlicher Auslegungsregeln geklärt werden.
Danach ist, wenn der Wortlaut einer Vorschrift im Einzelfall unklar bleibt, eine teleologische Auslegung vorzunehmen und zu fragen, was der Gesetzgeber mit seiner Regelung bezwecken wollte.
§ 25 Abs. 2 a S. 2 StVG bezieht sich auf die Situation, dass ein Fahrverbot mit Abgabefrist und ein weiteres Fahrverbot, mit oder ohne Abgabefrist, zeitlich Zusammentreffen. Für diesen Fall bestimmt die Norm, dass die Vollstreckung der Fahrverbote nacheinander erfolgt und zwar grundsätzlich in der Reihenfolge ihrer Rechtskraft.
Folgte man in dem seltenen Fall der gleichzeitigen Rechtskraft der Auffassung des Betroffenen, so müsste ihm nun die Möglichkeit eingeräumt werden, in einem Monat zwei Fahrverbote von je einem Monat verbüßen zu dürfen. Dieses Ergebnis stünde dem Zweck der Vorschrift des § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG diametral entgegen. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG versucht die Vorteile, die die Viermonatfrist dem Betroffenen gewährt, aus Gründen der Gleichbehandlung und zur Verhinderung von Missbräuchen durch den Nachteil den die Norm dem Betroffenen auferlegt auszugleichen.
So kann die Frage ob ein Betroffener einen oder zwei Monate auf seinen Führerschein verzichten muss nicht von dem Zufall abhängig gemacht werden, ob die beiden Bußgeldbescheide nacheinander oder gleichzeitig rechtskräftig werden. Dies wäre willkürlich und somit ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Artikel 3 GG. Eine Grundgesetzkonforme Auslegung des § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG zwingt dazu auch in einem solchen Fall mehrere Fahrverbote nacheinander zu vollstrecken und nicht parallel. Das gleichzeitige Eintreten der Rechtskraft hindert demnach den Nacheinandervollzug nicht (vgl. auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., StVG, § 25, Rn. 30).
Überdies dient § 25 Abs. 2 a StVG dazu Missbrauchsfälle, die ansonsten durch ein geschicktes Einspruchsmanagement entstehen würden, zu verhindern. Entgegen Krumm, DAR 2008, S. 54 ff. sowie der Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 19.01.2010, 13 OWi 705 Js 23983/09, ist somit auch bei gleichzeitiger Rechtskraft ein Nacheinandervollzug zu bejahen. Ansonsten würde der Sinn und Zweck der Norm konterkariert und überdies von der Rechtsfolgenseite der Norm auf deren tatbestandliche Voraussetzungen geschlossen. Die Reihenfolge der Rechtskraft ist nämlich nicht Voraussetzung der Norm sondern lediglich Rechtsfolge. Die Unklarheit der Bestimmung auf Rechtsfolgenseite kann dabei durch sachgerechte Auslegung geschlossen werden, insofern als ein sachgerechter Nacheinandervollzug der Fahrverbote zu erfolgen hat. Sei es durch Wahl des Betroffenen selbst, wie im vorliegenden Fall, oder durch Vollstreckung des zunächst älteren Fahrverbotes.
Dies muss insbesondere dann gelten wenn der gleichzeitige Rechtskrafteintritt nicht zufällig eingetreten ist, sondern zielgerichtet herbeigeführt wurde. Würde man in diesen Fällen eine parallele Vollstreckung vornehmen, so hätte dies zur Folge, dass zahlreiche Einsprüche und Rechtsmittel nur deshalb eingelegt würden, um sie gleichzeitig zurücknehmen zu können. Dies würde zu einem erheblichen, überflüssigen und teuren Aufwand bei Verwaltung und Gericht führen, der dem eigentlichen Ziel beider Behörden, gerechte Entscheidungen zu treffen, zuwiderlaufen würde. Insbesondere würde es das Institut des Einspruchs konterkarieren und einen Mehrfachtäter über Gebühr bevorzugen. So ist es denkbar, dass ein Betroffener, der weiß, dass demnächst ein Fahrverbot gegen ihn verhängt wird oder gegen den ein Fahrverbot bereits verhängt ist, dieses jedoch noch nicht rechtskräftig ist, darauf spekuliert, dass weitere Fahrverbote ihn für eine gewisse Zeit nicht mehr treffen würden, wenn er sich eines kreativen Einspruchsmanagements bedient. Der eigentliche Zweck eines Fahrverbotes, die künftige Beachtung der StVO zu fördern, wäre damit in sein Gegenteil verkehrt.
Welches der beiden Fahrverbote im Falle gleichzeitigen Rechtskrafteintritts zuerst vollstreckt werden soll, ist dabei eine überwiegend formale Frage. Im vorliegenden Fall hat der Betroffene diese selbst entschieden und seinen Führerschein am 09.03.2011 explizit zur Verbüßung des Fahrverbots aus dem Beschluss des Amtsgerichts Kulmbach vom 24.01.2011 abgegeben. In Fällen in denen der Betroffene selbst keine Wahl getroffen hat ist es naheliegend zunächst den ältesten Bußgeldbescheid zu vollstrecken.
Der Bescheid des Landratsamt Göppingen vom 24.03.2011 ist somit korrekt. Unter Zugrundelegung der Rechtskraft am 02.03.2011 und dem Beginn der Verbüßung des Fahrverbotes am 09.03.2011 endet die Vollstreckung des Fahrverbotes, das durch Beschluss des Amtsgerichts Kulmbach verhängt wurde, am 08.04.2011 Tagesende. Im Anschluss erfolgt sodann der Vollzug des einmonatigen Fahrverbotes gemäß dem Bußgeldbescheid vom 14.10.2010 des Landratsamts Göppingen, soweit die 4-Monatsfrist nicht in Anspruch genommen wird, sich der Führerschein noch in amtlicher Verwahrung befindet und ein unmittelbarer Anschlussvollzug gewünscht wird.
Der Antrag war damit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 StPO.
Diese Entscheidung ist gem. § 104 Abs. 3 S. 2 OWiG nicht anfechtbar.