Fahrerlaubnisprüfung nach langer Fahrpraxispause erforderlich
Das Bayerische Verwaltungsgericht hat entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine prüfungsfreie Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis hat. Nachdem ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde, muss er seine Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen durch eine theoretische und praktische Prüfung erneut nachweisen. Der lange Zeitraum ohne gültige Fahrerlaubnis und die damit einhergehende fehlende Fahrpraxis sind ausschlaggebend für diese Entscheidung.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Neuerteilung der Fahrerlaubnis erfordert Nachweis der Befähigung durch theoretische und praktische Prüfung nach Entziehung.
- Langjährige fehlende Fahrpraxis führt zu Zweifeln an der fortbestehenden Befähigung zum sicheren Führen von Fahrzeugen.
- Die vorangegangene Fahrpraxis des Klägers und die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa reichen nicht aus, um auf eine bestehende Befähigung zu schließen.
- Medizinisch-psychologische Untersuchungen (MPU) und deren Ergebnisse sind entscheidend für die Wiedererteilung.
- Gerichtliche Hinweise zur Notwendigkeit einer Prüfung wurden dem Kläger rechtzeitig mitgeteilt.
- Verfahrensmängel oder unzureichende Hinweise wurden vom Gericht nicht als begründet angesehen.
- Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
- Streitwert für das Zulassungsverfahren wurde auf 5.000 Euro festgelegt.
Übersicht
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis: Hürden nach langer Fahrpraxis-Abstinenz
Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einer längeren Phase ohne Fahrpraxis birgt rechtliche Hürden. Die Dauer der fehlenden Fahrpraxis sowie die Gründe für den Entzug der Fahrerlaubnis sind entscheidende Faktoren. In der Regel muss der Betroffene erneut eine theoretische und praktische Prüfung ablegen, um seine Fahreignung nachzuweisen. In Ausnahmefällen kann die Fahrerlaubnisbehörde auf die Prüfung verzichten, wenn der Nachweis regelmäßiger Fahrpraxis erbracht wird. Eine verkehrspsychologische Untersuchung kann ebenfalls Bestandteil der Neuerteilung sein.
Im Zentrum eines langwierigen Rechtsstreits stand die Frage der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einer langjährigen Pause ohne Fahrpraxis. Der Fall, der vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof unter dem Aktenzeichen 11 ZB 23.1417 verhandelt wurde, wirft ein Schlaglicht auf die Anforderungen und Verfahrensweisen im deutschen Fahrerlaubnisrecht.
Der Weg durch die Instanzen
Der Kläger, dessen Fahrerlaubnis nach mehreren Verkehrsdelikten entzogen wurde, sah sich einer Reihe von Ablehnungen gegenüber, als er versuchte, seine Fahrerlaubnis neu zu beantragen. Trotz der Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens bestand das Landratsamt auf der Notwendigkeit, eine theoretische und praktische Prüfung abzulegen. Diese Entscheidung basierte auf der Annahme, dass die lange Zeit ohne Fahrpraxis – in diesem Fall etwa zwölf Jahre – hinreichende Zweifel an der fortbestehenden Befähigung des Klägers zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen begründe.
Kern des rechtlichen Dilemmas
Das rechtliche Problem in diesem Fall lag in der Interpretation der Vorschriften zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis, insbesondere der Frage, inwiefern eine langjährige Unterbrechung der Fahrpraxis die Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs beeinflusst. Die Regelungen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) sehen vor, dass Bewerber ihre Befähigung durch eine Prüfung nachweisen müssen, wenn begründete Zweifel an ihrer Fahreignung bestehen. Der Fall zeigt die Herausforderungen auf, die entstehen, wenn langjährige Fahrabstinenz auf die Notwendigkeit trifft, aktuelle Kenntnisse und Fähigkeiten im Straßenverkehr nachzuweisen.
Prüfungsanordnung als zentraler Streitpunkt
Besonders kontrovers wurde die vom Landratsamt geforderte Prüfungsanordnung diskutiert. Der Kläger argumentierte, dass seine jahrzehntelange Fahrpraxis vor dem Entzug der Fahrerlaubnis und die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa sowie als LKW-Beifahrer ausreichen sollten, um die Fahrerlaubnis ohne erneute Prüfung zu erhalten. Das Gericht folgte jedoch der Auffassung des Landratsamts, dass die veränderten Anforderungen im Straßenverkehr und die technologische Entwicklung der Fahrzeugtechnik eine Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers notwendig machten.
Gerichtsentscheidung und ihre Begründung
In seiner Entscheidung wies das Gericht die Klage ab und bestätigte die Anordnung des Landratsamts, wonach der Kläger zur Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis sowohl eine theoretische als auch eine praktische Prüfung ablegen muss. Die Entscheidung beruhte auf der Überzeugung, dass die Sicherheit im Straßenverkehr gewährleistet sein muss und daher bei langjähriger Unterbrechung der Fahrpraxis eine erneute Überprüfung der Fahrkompetenz unerlässlich ist.
Fazit
Der Fall unterstreicht die Bedeutung einer kontinuierlichen Fahrpraxis und die Notwendigkeit, aktuelle Kenntnisse und Fähigkeiten zu beweisen, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Er zeigt auf, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen eine flexible Handhabung erfordern, die sowohl individuellen Lebensläufen Rechnung trägt als auch das übergeordnete Interesse der Verkehrssicherheit wahrt.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Welche Rolle spielt die Fahrpraxis bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis?
Die Fahrpraxis spielt bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis eine wesentliche Rolle. Nach längerer Zeit ohne Fahrpraxis kann es erforderlich sein, die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen erneut nachzuweisen. Dies ergibt sich aus den §§ 16 Abs. 1 und 17 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). In der Rechtsprechung werden bereits Zeiträume von weniger als 20 Jahren ohne Fahrpraxis als ausreichend erachtet, um eine erneute Prüfung der Fahreignung zu rechtfertigen.
Die Dauer der fehlenden Fahrpraxis ist ein wichtiger Faktor, der bei der Entscheidung über die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis berücksichtigt wird. So kann eine über einen längeren Zeitraum fehlende Fahrpraxis Zweifel an der fortbestehenden Befähigung zum sicheren Führen von Fahrzeugen aufkommen lassen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund technischer Weiterentwicklungen und Veränderungen im Straßenverkehr.
Die Fahrerlaubnisbehörde kann im Einzelfall eine Fahrerlaubnisprüfung anordnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr besteht. Ein langer Zeitraum ohne Fahrpraxis, wie im Fall eines Mannes, der 26 Jahre keine Fahrpraxis hatte und zuvor nur knapp drei Jahre eine Fahrerlaubnis besaß, kann bereits ausreichen, um eine erneute Prüfung zu verlangen.
In einem anderen Fall wurde die Bedeutung der Fahrpraxis für die Aufrechterhaltung der Fahreignung betont, und es wurde klargestellt, dass die Gerichte eine umfassende Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vornehmen, wobei sie insbesondere die Dauer der fehlenden Fahrpraxis berücksichtigen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Fahrpraxis ein entscheidender Faktor bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ist. Die Behörden und Gerichte prüfen im Einzelfall, ob und inwieweit das Fehlen von Fahrpraxis als Grund für die Anordnung einer erneuten Fahrerlaubnisprüfung herangezogen werden kann, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten.
Das vorliegende Urteil
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 ZB 23.1417 – Beschluss vom 05.12.2023
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgelegt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die vom Beklagten ausgesprochene Verpflichtung, im Rahmen des Verfahrens zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis seine Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in einer theoretischen und praktischen Prüfung nachzuweisen.
Dem am 14. Dezember 1964 geborenen Kläger wurde die Fahrerlaubnis der damaligen Klasse 3 am 14. Juli 1983 erteilt und nach einer Trunkenheitsfahrt (BAK 2,45 ‰) durch Urteil des Amtsgerichts Aichach vom 27. Mai 1999 erstmals entzogen. Nach Erteilung der Fahrerlaubnis der Klassen B und BE am 10. Juli 2000 wurde ihm diese mit Bescheid des Landratsamts Aichach-Friedberg vom 27. März 2007 wegen Erreichens von 27 Punkten im (damaligen) Verkehrszentralregister erneut entzogen und am 8. Juni 2009 wieder erteilt. Nach einer weiteren Trunkenheitsfahrt am 9. Dezember 2010 (BAK 1,55 ‰) verhängte das Amtsgericht Augsburg mit Urteil vom 24. Februar 2011 eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe und entzog ihm nochmals die Fahrerlaubnis, die ihm zuvor bereits gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen worden war.
Einen ersten Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis vom 25. Juni 2012 nahm der Kläger am 13. Juli 2015 zurück. Einen weiteren Antrag vom 29. März 2016 lehnte das Landratsamt Augsburg mit Bescheid vom 16. Dezember 2016 ab, nachdem der Kläger das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht hatte. Am 16. Dezember 2018 beantragte der Kläger erneut die Erteilung der Fahrerlaubnis. Auch diesen Antrag lehnte das Landratsamt mit Bescheid vom 18. September 2020 wegen Nichtvorlage des medizinisch-psychologischen Gutachtens ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Schwaben mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2021 zurück, nachdem das vom Kläger nachgereichte medizinisch-psychologische Gutachten vom 10. November 2020 negativ ausgefallen war.
Am 18. Oktober 2021 beantragte der Kläger nochmals die Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B mit Unterklassen. Mit Schreiben vom 25. November 2021 forderte ihn das Landratsamt zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf. Das Schreiben enthielt unter der Überschrift „Führerschein-Prüfung?“ folgenden Hinweis: „Darüber entscheiden wir, nachdem Sie uns das Gutachten vorgelegt haben. Wenn Sie die Prüfung nochmals machen müssen, werden wir Ihnen das mitteilen.“
Nach Ablehnung des Antrags mit Bescheid vom 19. Juli 2022 wegen Nichtvorlage des Gutachtens brachte der Kläger im Widerspruchsverfahren schließlich ein positives Gutachten vom 16. November 2022 (Versanddatum) bei. Daraufhin widerrief das Landratsamt die Ablehnung und teilte dem Kläger mit Schreiben vom 25. November 2022 mit, weil er seit dem 9. Dezember 2010 nicht mehr im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis sei, habe er die theoretische und praktische Prüfung zu absolvieren, werde aber von der Ausbildungspflicht befreit.
Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2022 ließ der Kläger beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben mit dem Antrag, den Beklagten zur Erteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, AM, B, BE, L und T ohne theoretische und praktische Prüfung zu verpflichten, hilfsweise unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Seine durchschnittliche jährliche Fahrleistung vor der Entziehung der Fahrerlaubnis habe 90.000 km betragen. Seither habe er mit einem Mofa bei einer jährlichen Fahrleistung von 6.000 km am Straßenverkehr teilgenommen und sei ständiger LKW-Beifahrer. Nach 28 Jahren Fahrpraxis verlerne man das Autofahren nicht. Der Beklagte habe ihn zu keinem Zeitpunkt auf die Wiederholung der Prüfung hingewiesen.
Mit Schriftsatz vom 11. und 19. Mai 2023 erklärten der Kläger und der Beklagte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Mit Urteil vom 10. Juli 2023 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Landratsamts Augsburg vom 19. Juli 2022 hinsichtlich der Kostenentscheidung teilweise aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis ohne theoretische und praktische Prüfung. Das Landratsamt habe ihn bereits in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens auf die möglicherweise notwendige Prüfung hingewiesen. Eine über einen längeren Zeitraum fehlende Fahrpraxis lasse Zweifel an der fortbestehenden Befähigung zum sicheren Führen von Fahrzeugen entstehen. Beim Kläger betrage dieser Zeitraum mittlerweile etwa zwölfeinhalb Jahre. Auch der davor liegende Zeitraum von insgesamt etwa 24 Jahren vermöge die lange Zeit seit der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht aufzuwiegen. Dies gelte auch in Ansehung der Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Mofa und als Beifahrer. Die vom Kläger angeführten wirtschaftlichen Gründe stünden dem Erfordernis der Wiederholung der Fahrerlaubnisprüfung nicht entgegen.
Zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und einen Verfahrensmangel durch Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht geltend. Der Kläger habe überraschend erst in den Entscheidungsgründen vom ablehnenden Ergebnis der Kammer erfahren. Ansonsten hätte er die Einholung eines neurologischen Gutachtens beantragt. Die Volksmundweisheit ‚Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr‘ sei wissenschaftlich gesichert. Spätestens 15 Jahre nach Entziehung der Fahrerlaubnis könne diese ohne medizinisch-psychologische Untersuchung neu erworben werden. Der Kläger sehe sich durch den pflichtwidrig unterlassenen Hinweis des Landratsamts auf die „volle Fahrscheinprüfung“ nach Bestehen der medizinisch-psychologischen Untersuchung arglistig getäuscht. Von seinen Fahrten unter Alkoholeinfluss sei nie eine konkrete Gefahr ausgegangen. Selbst ein Mörder könne nach 15 Jahren mit einem Leben in Freiheit rechnen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen.
1. Wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist die Berufung zuzulassen, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der Ausgangsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – BayVBl 2023, 176 Rn. 23 m.w.N.). Aus der Antragsbegründung des Klägerbevollmächtigten und dessen Replik auf die Antragserwiderung des Beklagten ergeben sich solche Zweifel nicht.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf prüfungsfreie Erteilung der Fahrerlaubnis. Grundsätzlich hat der Bewerber im Erteilungsverfahren seine Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in einer theoretischen und praktischen Prüfung nachzuweisen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 des Straßenverkehrsgesetzes [StVG] in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.3.2003 [BGBl I S. 310, 919], zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.11.2023 [BGBl I Nr. 315]; § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 i.V.m. Anlage 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], zuletzt geändert durch Verordnung vom 20.7.2023 [BGBl I Nr. 199]). Gemäß § 2 Abs. 5 StVG ist befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer ausreichende Kenntnisse der für das Führen von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften hat (Nr. 1), mit den Gefahren des Straßenverkehrs und den zu ihrer Abwehr erforderlichen Verhaltensweisen vertraut ist (Nr. 2), die zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs, gegebenenfalls mit Anhänger, erforderlichen technischen Kenntnisse besitzt und zu ihrer praktischen Anwendung in der Lage ist (Nr. 3) und über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung in der Lage ist (Nr. 4).
Auch bei Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht ordnet die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 20 Abs. 2 FeV eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt. Diese Anordnung steht nicht im Ermessen der Behörde, sondern ist bei gerechtfertigter Annahme des Verlusts der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zwingend (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Auflage 2023, § 20 FeV Rn. 2 m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung genügen hierfür nach Aufhebung der früheren, bis zum 30. Oktober 2008 geltenden Zweijahresgrenze, nach deren Ablauf seit der Entziehung der Fahrerlaubnis ein Verzicht auf die Prüfung nicht zulässig war, gewichtige Anhaltspunkte aufgrund der vorliegenden Tatsachen, dass dem Bewerber die erforderliche Befähigung fehlen könnte (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 15.9.2023 – 11 BV 23.937 – juris Rn. 16; B.v. 23.8.2023 – 11 C 23.1065 – juris Rn. 14 f.; B.v. 13.4.2023 – 11 ZB 23.498 – juris Rn. 12). Mit Tatsachen in diesem Sinne ist das Gesamtbild aller relevanten Tatsachen gemeint (Dauer in Hentschel/König/Dauer, a.a.O. § 20 FeV Rn. 2). Die Beurteilung ist nicht schematisch, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen, bei der sämtliche tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind, die für und gegen den Fortbestand der Befähigung sprechen. Dazu gehört auch nach Aufhebung der früheren Zweijahresgrenze nach wie vor und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis. Es liegt auf der Hand, dass eine über einen längeren Zeitraum fehlende Fahrpraxis Zweifel an der fortbestehenden Befähigung zum sicheren Führen der entsprechenden Fahrzeuge entstehen lassen kann. Auch die Fahrzeugtechnik und die gesetzlichen Vorschriften unterliegen ständigem Wandel. Wer längere Zeit nicht mit fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen am Straßenverkehr teilnehmen konnte, ist hiermit möglicherweise nicht mehr ausreichend vertraut. Die Dauer fehlender Fahrpraxis wird regelmäßig der einzige Anhaltspunkt für die Einschätzung der Fahrbefähigung sein, nachdem der Betroffene ohne Fahrerlaubnis weder negativ beim Führen entsprechender Fahrzeuge auffallen noch umgekehrt das Fortbestehen seiner Befähigung unter Beweis stellen konnte. Aus Gründen der Sicherheit des Verkehrs ist es somit geboten, danach zu differenzieren, wie lange der erstmalige Nachweis der klassenspezifischen Befähigung schon zurückliegt, wie lange – und ob regelmäßig oder nur sporadisch – der Betroffene von dieser Fahrerlaubnis Gebrauch gemacht hat und wie lange eine danach liegende Phase mangelnder Fahrpraxis angedauert hat (BayVGH, B.v. 23.8.2023 a.a.O. Rn. 15).
Hiervon ausgehend sind die Zweifel des Landratsamts an der Befähigung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründet und ist die Anordnung der Prüfung nicht zu beanstanden. Der Kläger war im Zeitpunkt der Anordnung seines Befähigungsnachweises seit zwölf Jahren nicht mehr Inhaber einer Fahrerlaubnis. Mittlerweile sind es 13 Jahre. Dieser Zeitraum ist so lang, dass sich daraus auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen, allerdings durch mehrere Entziehungen der Fahrerlaubnis unterbrochenen Zeit von insgesamt ca. 24 Jahren als Teilnehmer am Straßenverkehr mit fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, dass er die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten möglicherweise nicht mehr besitzt. Auch wenn der Kläger sinngemäß zutreffend auf die bessere Lernfähigkeit im jugendlichen Alter hinweist, in dem er die Fahrerlaubnis erstmals erworben hat, unterliegt es andererseits keinem Zweifel, dass erworbenes Wissen und erlernte Fähigkeiten bei längerer Nichtnutzung schwinden. Diesen Erfahrungssatz, den der Kläger mit seinem Vorbringen nicht erschüttert hat, hat auch der Verordnungsgeber mit der Ersetzung der früheren Zweijahresfrist durch eine Einzelfallbetrachtung nicht aufgegeben. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang auf die geänderten Anforderungen an die Teilnahme am Straßenverkehr aufgrund der gestiegenen Verkehrsdichte und der fortentwickelten Fahrzeugtechnik hin. In vielerlei Hinsicht geändert haben sich auch die für das Führen von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften sowie die Anforderungen an eine umweltbewusste und energiesparende Fahrweise, die ebenfalls Gegenstand der Prüfung sind. Selbst bei langjähriger Fahrpraxis vor der letzten Entziehung der Fahrerlaubnis im Jahr 2010 war der Kläger seither nicht mehr berechtigt, aktiv mit fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen am Straßenverkehr teilzunehmen und sich hierdurch seine Befähigung durch ständige Übung zu bewahren. Hierfür ist aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen insbesondere auch die Fahrpraxis mit einem Mofa nicht ausreichend (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2023 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, a.a.O. § 20 FeV Rn. 2a). Auch die Teilnahme am Straßenverkehr als Beifahrer in einem von einer anderen Person geführten Fahrzeug genügt nicht zum Erhalt der Befähigung (BayVGH, B.v. 15.9.2023 a.a.O. Rn. 18).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Ausgangsurteils ergeben sich schließlich auch nicht daraus, dass das Landratsamt den Kläger nicht rechtzeitig auf die Notwendigkeit der Prüfung hingewiesen hätte. Abgesehen davon, dass ein solcher Hinweis zwar opportun sein mag, rechtlich jedoch nicht geboten ist, hat das Verwaltungsgericht hierzu zutreffend ausgeführt, die Anordnung des Landratsamts zur Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 25. November 2021 enthalte den Hinweis, dass nach der Vorlage des Gutachtens über die Notwendigkeit der Prüfung entschieden werde. Nicht nachvollziehbar ist insoweit der Vorwurf, das Landratsamt habe den Kläger arglistig getäuscht.
Soweit der Klägerbevollmächtigte den Zulassungsantrag unter Hinweis auf die Tilgungsfristen damit begründet, spätestens 15 Jahre nach Entziehung der Fahrerlaubnis könne diese ohne medizinisch-psychologische Untersuchung neu erworben werden, ergeben sich daraus ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Die medizinisch-psychologische Untersuchung betrifft die Frage der Fahreignung, nicht der Befähigung. Sie ersetzt damit nicht den vom Kläger zu erbringenden Befähigungsnachweis durch erfolgreiche Teilnahme an der theoretischen und praktischen Prüfung gemäß § 20 Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 FeV. Es kommt insoweit auch nicht darauf an, ob andere Verkehrsteilnehmer durch die Zuwiderhandlungen des Klägers, die zu den Entziehungen der Fahrerlaubnis geführt haben, konkret gefährdet wurden oder nicht.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Mit der Rüge, der Kläger sei von der ablehnenden Entscheidung, der kein richterlicher Hinweis vorausgegangen wäre, überrascht worden, ist kein Verfahrensfehler, insbesondere kein Gehörsverstoß dargelegt. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO besteht darin, jedem Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zu geben, sich zu dem gesamten, nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Stoff des Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. Sie verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, jedoch nicht, ihnen in der Sache zu folgen. Das Gericht ist grundsätzlich auch nicht verpflichtet, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn das Gericht einen nicht erörterten oder sonst hervorgetretenen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und dem Rechtsstreit damit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl. BVerwG, B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10 – NVwZ 2011, 372 Rn. 4). Das ist jedoch nicht schon dann der Fall, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen er sich äußern konnte, in einer Weise würdigt oder aus ihnen Schlussfolgerungen zieht, die nicht seinen subjektiven Erwartungen entsprechen oder von ihm für unrichtig gehalten werden (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11 m.w.N.).
Daran gemessen bedurfte es hier keines richterlichen Hinweises vor Erlass des angefochtenen Urteils darauf, dass das Verwaltungsgericht voraussichtlich der Einschätzung des Landratsamts folgt, der Kläger müsse seine Befähigung durch Teilnahme an der theoretischen und praktischen Prüfung nachweisen. Insbesondere enthält das Urteil keine neuen Erwägungen, mit denen der Kläger nicht rechnen und zu denen er sich daher nicht äußern konnte. Vielmehr hat sich das Gericht, das mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, auch hinsichtlich der Begründung der ausführlichen Argumentation des Landratsamts in dessen Klageerwiderung vom 10. Januar 2023 angeschlossen. Der Kläger hatte ausreichend Gelegenheit, sich hierzu zu äußern, und hat davon in mehreren Schriftsätzen (vom 15.2.2023, 17.2.2023, 11.5.2023 und 5.6.2023) auch umfassend Gebrauch gemacht.
Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht deshalb vor, weil das Ausgangsgericht klägerisches Vorbringen nicht berücksichtigt hätte. Vielmehr geht das angefochtene Urteil auf alle für die Entscheidung maßgeblichen Aspekte, insbesondere auf das klägerischen Vorbringen, ausführlich und in gebotenem Umfang ein.
3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dabei geht der Senat zu Gunsten des Klägers davon aus, dass Streitgegenstand nur die Erteilung der beim Landratsamt beantragten Fahrerlaubnis der Klasse B (einschließlich AM und L als Unterklassen gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV) ist, nicht jedoch darüber hinaus auch die mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2022 erstinstanzlich beantragte Erteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, BE und T.
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).