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Geschwindigkeitsmessung mit PoliScan Speed – Feststellungen bei Freispruch

KG Berlin, Az.: 3 Ws (B) 249/14 – 122 Ss 73/14, Beschluss vom 15.05.2014

Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. Januar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 4. Dezember 2013 wegen (fahrlässiger) Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h gemäß §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 [zu ergänzen: zu § 41 Abs. 1 Abschnitt 7 Nr. 49, Zeichen 274, Spalte 3], 49 [zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 4] StVO, 24 [zu ergänzen: Abs. 1] StVG eine Geldbuße von 160,00 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Auf den Einspruch des Betroffenen hin hat das Amtsgericht Tiergarten ihn mit Beschluss (§ 72 OWiG) vom 20. Januar 2014 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Amtsanwaltschaft Berlin mit ihrer von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vertretenen Rechtsbeschwerde und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss festgestellt, dass der Betroffene am 8. Oktober 2013 um 8.19 Uhr ein Kraftfahrzeug auf der Joachim-Tiburtius-Brücke in 12163 Berlin in Richtung Filandastraße führte. Eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät „PoliScan Speed“ der Firma Vitronic, das von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassen und mit der Software Version 1.5.5 ausgerüstet war sowie von einem an diesem Gerät geschulten Polizeiangestellten bedient wurde, ergab eine gemessene Geschwindigkeit von 64 km/h. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h betrug.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft hat (vorläufigen) Erfolg.

Der Freispruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Der angefochtene Beschluss genügt nicht den Anforderungen, die an ein freisprechendes Urteil und demzufolge an einen Freispruch im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG zu stellen sind (vgl. Göhler, OWiG, 15. Auflage, § 72 Rn. 63).

Spricht der Tatrichter einen Betroffenen frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Rechtsbeschwerdegericht in der Regel hinzunehmen. Ein Urteil kann indes keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung Rechtsfehler aufweist. Das ist etwa der Fall, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt oder nahe liegende Schlussfolgerungen nicht erörtert werden, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 56; NStZ 1999, 153; NStZ 1988, 236; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Auflage, § 261 Rn. 2).

Das Amtsgericht hat die Anforderungen, die vorliegend an eine Verurteilung des Betroffenen zu stellen sind, überspannt.

Grundsätzlich genügt ein Urteil bzw. ein Beschluss in Ordnungswidrigkeiten den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 267 StPO, wenn im Falle einer Geschwindigkeitsübertretung, bei der der Tatnachweis mittels eines standardisierten Messverfahrens erfolgt, das verwendete Verfahren und das nach Abzug der Messtoleranz gewonnene Messergebnis mitgeteilt werden (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. Juni 2010 – 2 Ss (OWi) 106 B/10 – juris Rn. 7; Göhler, a.a.O., § 71 Rn. 43 f.). Voraussetzung dafür, dass sich der Tatrichter vom Vorliegen eines korrekt ermittelten Messergebnisses überzeugt, ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und damit von niemandem anzweifelbare Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.). Dabei haben solche Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 5; OLG Brandenburg a.a.O.; OLG Zweibrücken DAR 2000, 225).

Bei der hier in Rede stehenden Messung mit dem Messgerät „PoliScan Speed“ der Firma Vitronic handelt es sich um ein amtlich anerkanntes, standardisiertes Messverfahren (vgl. Senat VRS 118, 366; 367 [368]; Beschlüsse vom 12. Februar 2014 – 3 Ws (B) 27/14 – und 20. Dezember 2012 – 3 Ws (B) 730/12 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Januar 2010 – IV-5 Ss (OWi) 206/09 – (OWi) 178/09 I – juris. Rn. 11 f.; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 42. Auflage, § 3 StVO Rn. 61), so dass Zweifel an der Zuverlässigkeit des Messergebnisses nur dann bestehen, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung vorliegen (vgl. OLG Frankfurt DAR 2010, 216). Standardisiert ist ein Messverfahren stets, wenn die Ermittlung der Geschwindigkeit nach einem durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahren erfolgt, bei dem die Voraussetzungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so präzise festgelegt sind, dass unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse erwartet werden können (vgl. BGH NJW 1998, 321; NZV 1993, 485; Senat VRS 118, 367 und Beschluss vom 20. Dezember 2012 a.a.O.). Die amtliche Zulassung erhalten derartige Geräte, nachdem die Physikalisch-Technische Bundesanstalt die Ermittlung des Messwertes auf der Grundlage der in der Gebrauchsanweisung festgelegten Vorgehensweise einer sachverständigen Prüfung unterzogen und die Messergebnisse als innerhalb einer zulässigen Toleranz liegend eingestuft hat. Letzteres bewirkt, dass die Ermittlungsbehörden und Gerichte im Regelfall von einer korrekten Messung ausgehen können (vgl. BGH NZV 1993, 485 [486]).

Das vorliegend eingesetzte Messgerät „PoliScan Speed“ ist von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt geprüft und amtlich zugelassen. Zudem wurde die Messung von einem an dem Gerät ausgebildeten Polizeiangestellten durchgeführt. Konkrete Tatsachen, die die Verwertbarkeit der in Rede stehenden Geschwindigkeitsmessung durchgreifend in Zweifel ziehen, teilt das Amtsgericht nicht mit. Dem angefochtenen Beschluss lassen sich weder Abweichungen von dem normierten Verfahren oder der Gebrauchsanweisung entnehmen, noch werden konkrete Anhaltspunkte für Fehlerquellen bei der hier in Rede stehenden Messung, die außerhalb der durch den Toleranzabzug berücksichtigten Grenzen liegen, mitgeteilt.

Das Amtsgericht gründet seine Zweifel an der Zuverlässigkeit des „PoliScan Speed“ Messergebnisses darauf, dass kein überprüfbarer Beweis der richtigen Messwertgewinnung möglich sei und es keine zuverlässige nachträgliche Richtigkeitskontrolle der gewonnenen Messwerte sowie der Zuordnung der abgelichteten Fahrzeuge gebe (UA, Seite 2). Zwar muss sich der Tatrichter bei der Berücksichtigung der Ergebnisse von Geschwindigkeitsmessgeräten bewusst sein, dass Fehler nicht auszuschließen sind (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.). Den nach den jeweiligen technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen Fehlerquellen hat er insoweit grundsätzlich durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen zu Gunsten des Betroffenen Rechnung zu tragen. Die bloße Annahme möglicher Messfehler kann jedoch nicht von vornherein die Unverwertbarkeit des Messergebnisses zur Folge haben (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die vom Amtsgericht geäußerten Zweifel nicht auf die eigentliche Geschwindigkeitsmessung sondern auf die Nachvollziehbarkeit bzw. Richtigkeitskontrolle des Messergebnisses beziehen. Der Umstand, dass die Messung im Nachhinein nicht mehr in allen Einzelheiten nachvollzogen werden kann, steht der Verwertbarkeit des Messergebnisses jedoch nicht entgegen (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.). Auch bei anderen standardisierten Messverfahren, wie z. B. mit dem ProVida Messverfahren (auch Police-Pilot-System genannt) oder dem Gerät LAVEG, ist dies nicht möglich, ohne dass an deren genereller Zuverlässigkeit Zweifel bestehen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 27. Juni 2011 – 3 Ws (B) 309/11 – und 23. März 2011 – 3 Ws (B) 650/10 -; OLG Frankfurt a.a.O.). So findet eine fotografische Dokumentation bei der Messung mit dem Gerät LAVEG nicht statt, und bei dem Messverfahren ProVida können weder die einzelnen Messpunkte zu Beginn und Ende mit dem Gerät selbst rekonstruiert werden, noch kann im Nachhinein überprüft werden, ob die angezeigte Zeit zum Durchfahren der Strecke zutreffend ermittelt worden ist. Zum Ausgleich etwaiger Ungenauigkeiten wird – wie auch bei der hier in Rede stehenden Messmethode „PoliScan Speed“ – der erforderliche Toleranzabzug vorgenommen.

Da die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen – die systemimmanenten Messfehler erfassenden – Toleranzwert gerade den Zweck verfolgt, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalls freizustellen (vgl. BGH NStZ 485 [486]), muss der Tatrichter – spricht er den Betroffenen wegen Unverwertbarkeit des Ergebnisses einer im standardisierten Verfahren durchgeführten Geschwindigkeitsmessung von dem Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit frei – konkrete auf den Einzelfall bezogene Messfehler oder eine fehlerhafte Bedienung des Geschwindigkeitsüberwachungsgeräts darlegen.

Demnach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückzuweisen.

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