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Geschwindigkeitsmessung innerorts nach 32 Metern nach 30 km/h-Schild – kein Fahrverbot

Kein Fahrverbot trotz Überschreitung: Geschwindigkeitsmessung innerorts auf dem Prüfstand

Die Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen ist ein zentrales Anliegen im Verkehrsrecht, um die Sicherheit auf den Straßen zu gewährleisten. Dabei spielt die korrekte Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen eine entscheidende Rolle. Insbesondere innerorts, wo oft ein Tempolimit von 30 km/h gilt, können Überschreitungen dieser Grenze zu Bußgeldern und unter Umständen auch zu einem Fahrverbot führen. Die zentrale Rechtsfrage dreht sich um die Gültigkeit und Zuverlässigkeit solcher Messungen, insbesondere wenn diese kurz nach einem entsprechenden Verkehrszeichen durchgeführt werden.

Hierbei sind Aspekte wie die korrekte Aufstellung und Kalibrierung des Geschwindigkeitsüberwachungsgeräts, die Überprüfung des Messprotokolls auf mögliche Messfehler und die Einhaltung des Mindestabstands zwischen Verkehrsschild und Messstelle von Bedeutung. Das Kernthema umfasst somit die rechtliche Bewertung von Geschwindigkeitsmessungen und die daraus resultierenden Konsequenzen für die betroffenen Fahrzeugführer.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 22 OWi 63 Js 270/21 (533/21)  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Amtsgericht St. Ingbert verhängte eine Geldbuße von 160 Euro für eine Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts, sah jedoch aufgrund des geringen Abstands zwischen dem 30 km/h-Schild und der Messstelle von einem Fahrverbot ab.

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Die Betroffene wurde wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 35 km/h zu einer Geldbuße verurteilt.
  2. Die Geschwindigkeitsbeschränkung wurde durch ein Verkehrszeichen signalisiert, das nur 32 Meter vor der Messstelle aufgestellt war.
  3. Die Messung wurde mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät TraffiStar S330 durchgeführt, ein standardisiertes und gültig geeichtes Messverfahren.
  4. Das Gericht stellte fest, dass keine konkreten Messfehler oder Unregelmäßigkeiten ersichtlich waren und die Betroffene die Geschwindigkeit hätte kontrollieren können.
  5. Das Gericht hatte keinen Zweifel daran, dass die Betroffene die Fahrzeugführerin war, basierend auf dem Vergleich mit dem Lichtbild.
  6. Die Entscheidung berücksichtigte die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes bezüglich der Speicherung von Rohmessdaten.
  7. Das Gericht entschied, dass die fehlende Datenspeicherung die Verteidigung nicht beschränkte, da die Rohmessdaten eine nachträgliche Plausibilisierung des Messergebnisses erlaubten.
  8. Trotz der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung wurde aufgrund des geringen Abstands zwischen dem Verkehrsschild und der Messstelle von einem Fahrverbot abgesehen.

Geschwindigkeitsüberschreitung: Ein Fall vor dem Amtsgericht

Ein Fall von Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts führte zu einer rechtlichen Auseinandersetzung, die vor dem Amtsgericht St. Ingbert verhandelt wurde. Die Betroffene wurde wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 35 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt. Die Geschwindigkeitsbeschränkung wurde durch ein Verkehrszeichen signalisiert, das lediglich 32 Meter vor der Messstelle aufgestellt war. Das Gericht stellte fest, dass die Betroffene die Überschreitung hätte erkennen und vermeiden können, wenn sie die Beschilderung beachtet und ihre Geschwindigkeit auf dem Tachometer überprüft hätte.

Messverfahren und rechtliche Herausforderungen

Kein Fahrverbot trotz Überschreitung: Geschwindigkeitsmessung innerorts
(Symbolfoto: Animaflora PicsStock /Shutterstock.com)

Das rechtliche Problem und die Herausforderung in diesem Fall lagen in der Frage, ob die Geschwindigkeitsmessung korrekt durchgeführt wurde und ob die Betroffene genügend Zeit hatte, ihre Geschwindigkeit nach dem Erkennen des Verkehrszeichens anzupassen. Die Messung wurde mit dem stationären Geschwindigkeitsüberwachungsgerät TraffiStar S330 durchgeführt, welches als standardisiertes Messverfahren anerkannt ist. Das Gerät war gültig geeicht und sowohl die Messbeamtin als auch der Auswertbeamte waren für die Bedienung des Geräts geschult.

Gerichtsentscheidung und Rechtsprechung

Das Gericht entschied, dass keine konkreten Messfehler oder Unregelmäßigkeiten ersichtlich waren und die Betroffene die zulässige Geschwindigkeit fahrlässig überschritten hatte. Die abgelesene Geschwindigkeit betrug 68 km/h, abzüglich einer Toleranz von 3 km/h, was zu einer festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung von 35 km/h führte. Das Gericht hatte keinen Zweifel daran, dass die Betroffene die Fahrzeugführerin war, da ein Vergleich zwischen der anwesenden Betroffenen und dem Lichtbild keine Zweifel aufkommen ließ.

Die Entscheidung des Gerichts berücksichtigte auch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes bezüglich der Speicherung von Rohmessdaten. Es wurde festgestellt, dass die fehlende Datenspeicherung nur dann eine Beschränkung der Verteidigung darstellt, wenn die Rohmessdaten geeignet wären, eine nachträgliche Plausibilisierung des Messergebnisses zu erlauben. In diesem Fall ging es um die Möglichkeit einer „falsifizierenden Plausibilitätseinschätzung“.

Fazit: Fahrverbot vermieden

Trotz der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung sah das Gericht von einem Fahrverbot ab. Dies wurde damit begründet, dass der geringe Abstand zwischen dem geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrsschild und der Messstelle den Schuldgehalt der Tat minderte. Im Saarland existieren keine festgelegten Mindestabstände für Geschwindigkeitsüberwachungen, jedoch wurde in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein zu geringer Abstand Auswirkungen auf die Verhängung eines Fahrverbots haben kann.

Das Fazit des Urteils ist, dass die Betroffene zwar die zulässige Geschwindigkeit überschritten hatte, jedoch aufgrund des geringen Abstands zwischen dem Verkehrsschild und der Messstelle von einem Fahrverbot abgesehen wurde. Dieser Fall zeigt die Komplexität und die verschiedenen Faktoren, die bei der Beurteilung von Geschwindigkeitsüberschreitungen und den damit verbundenen Sanktionen berücksichtigt werden müssen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wirkt sich der Abstand zwischen einem Geschwindigkeitsbegrenzungsschild und der Messstelle auf die Verhängung eines Fahrverbots aus?

Der Abstand zwischen einem Geschwindigkeitsbegrenzungsschild und der Messstelle kann tatsächlich Auswirkungen auf die Verhängung eines Fahrverbots haben. In Deutschland sind die Bundesländer für die Geschwindigkeitsüberwachung zuständig und legen daher eigene Richtlinien fest, die bestimmen, wer überwachen darf und wo die Messgeräte aufgestellt werden sollen. In vielen dieser Richtlinien sind Mindestabstände zwischen dem Schild und der Messanlage vorgeschrieben. Im Regelfall sollen die Abstände zwischen 150 und 200 Meter zum Schild betragen. Ausnahmen gibt es beispielsweise an Gefahrenstellen oder bei Messungen vor Schulen und Altenheimen.

Die genauen Abstände variieren jedoch von Bundesland zu Bundesland. So hat beispielsweise Bayern einen Mindestabstand von 200 Metern, während Berlin 75 Meter für Tempolimits und 150 Meter für Ortseingangsschilder vorschreibt. In einigen Bundesländern, wie Baden-Württemberg und Hamburg, gibt es keine spezifischen Abstandsvorgaben.

Ein relativ kurzer Abstand zwischen Geschwindigkeitsbegrenzung und Messstelle kann Auswirkungen auf die gegen den Betroffenen zu verhängenden Rechtsfolgen haben. Dies ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Geschwindigkeitsbegrenzung ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter vorausgeht, durch den sich der Kraftfahrer stufenweise einer verringerten Geschwindigkeit anzupassen hat.

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat beispielsweise entschieden, dass von einem Regelfahrverbot trotz grober Geschwindigkeitsverletzung abgesehen werden kann, wenn die Abstandsvorschrift zwischen dem geschwindigkeitsbegrenzendem Verkehrsschild und der Messstelle nicht eingehalten wurde. Dies liegt darin begründet, dass Kraftfahrer berechtigterweise damit rechnen dürfen, dass sie bei der Einfahrt in eine Zone mit veränderter Höchstgeschwindigkeit sich auf die neue vorgeschriebene Geschwindigkeit einstellen können.


Das vorliegende Urteil

Amtsgericht St.Ingbert – Az.: 22 OWi 63 Js 270/21 (533/21) – Urteil vom 23.06.2021

Gegen die Betroffenen wird wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft von 30 km/h um 35 km/h eine Geldbuße in Höhe von 160 Euro festgesetzt.

Die Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Betroffene wurde am (…) in (…), (…), geboren. Sie arbeitet als (…) und hat aufgrund der Coronapandemie seit ca. einem Jahr nichts verdient, aktuell arbeitet sie seit vier Wochen wieder.

Ausweislich der Auskunft aus dem Fahreignungsregister ist die Betroffene bislang nicht in Erscheinung getreten.

II.

Die Betroffene befuhr am (…) um (…) Uhr in Wadern-Kostenbach, die Nonnweilerstraße, Fahrtrichtung ortseinwärts, Höhe Gasthaus Adams, als Führerin des Personenkraftwagens der Marke Ford mit dem amtlichen Kennzeichen (…).

Hierbei überschritt sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von 30 km/h um 35 km/h. Die festgestellte Geschwindigkeit betrug nach Toleranzabzug 65 km/h.

Die Messung erfolgte mittels eines stationären Geschwindigkeitsüberwachungsgerät mit Drucksensoren mit dem Messsystem TraffiStar, Typ S330 der Firma Jenoptik Robot GmbH, Softwareversion S330.SC4.A.12111915, Gebrauchsanweisung vom 19.10.2012.

Die Geschwindigkeitsbeschränkung erfolgte durch Verkehrszeichen 274 der StVO, welches in einem Abstand von 32 Metern vor der Messstelle aufgestellt war.

Hätte die Betroffene die aufgestellte Beschilderung beachtet und ihre gefahrene Geschwindigkeit auf dem Tachometer überprüft, so hätte sie erkennen und vermeiden können, dass sie die zulässige Geschwindigkeit überschreitet.

III.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Betroffenen ergeben sich aus dem Bußgeldbescheid vom 04.12.2020 (Bl. I d.A.), aus der Einlassung der Betroffenen in der Hauptverhandlung sowie aus der Auskunft aus dem Fahreignungsregister (Bl. 61 d.A.).

Die Feststellungen zur Sache beruhen auf den in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismitteln, hier den Lichtbildern (Bl. VII-IX d.A.) mit den Dateieinblendungen, dem Messprotokoll (Bl. 1 d.A.), dem Eichschein (Bl. 2, 3 d.A.), der Geräteakte (Bl. 5 d.A.), der Schulungsbescheinigung (Bl. 6 d.A.), der Konformitätserklärung (Bl. 62, 63 d.A.), der Konformitätsbescheinigung (Bl. 4 d.A.) sowie der Einlassung der Betroffenen.

Bei Messungen mit dem stationären Geschwindigkeitsüberwachungsgerät mit Drucksensoren mit dem Messsystem TraffiStar, Typ S330 der Firma Jenoptik Robot GmbH handelt es sich nach der obergerichtliehen Rechtsprechung um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Braunschweig, Beschl. v. 11 .04.2013 ‒ Az. 1 Ss (OWi) 71/13; Bayerisches OLG, Beschl. v. 09.12.2019 ‒ Az. 202 Ob0Wi1955/19; OLG Bremen, Beschl. v. 06.04.2020, Az. 1 SsRs 10/20, juris Rn. 10 mit weiteren Nachweisen; LG Köln, Beschl. v. 08.12.2020 ‒ Az. 323 Qs 109/20, juris Rn. 5).

Ausweislich des verlesenen Eichscheins des saarländischen Landesamtes für Umwelt- und Arbeitsschutz vom 24.04.2020 wurde das Gerät am 23.04.2020 bis 31.12.2021 gültig geeicht.

Die Messbeamtin, die die verfahrensgegenständliche Messung vorgenommen hat, ist mit dem angewendeten Messverfahren vertraut und für die Bedienung des Geräts geschult, dies ist gerichtsbekannt Der Auswertbeamte ist laut der Schulungsbescheinigung geschult.

Dem Messprotokoll zufolge wurde die ordnungsgemäße Beschilderung durch die Messbeamtin vor und nach der Messung kontrolliert. Das Messgerät wurde laut Messprotokoll an der Messstelle nach den Vorgaben der Gebrauchsanweisung des Herstellers und der Zulassung der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) aufgestellt und bedient. Die eichrechtliche Sicherung wurde laut Messprotokoll auf Vollständigkeit und Unversehrtheit geprüft. Die Messung erfolgte laut dem Messprotokoll von der linken Fahrbahnseite.

Die Höhe der gefahrenen Geschwindigkeit ergab sich für das Gericht aus den Lichtbildern, die in Augenschein genommen wurden und auf die gemäß § 71 I OWiG, § 267 I 3 StPO wegen der Einzelheiten verwiesen wird und den darin enthaltenen Dateieinblendungen, die zur Kenntnisnahme vorgelegt wurden. Die abgelesene Geschwindigkeit betrug 68 km/h, abzüglich der Toleranz von 3 km/h bei Geschwindigkeiten unter 100 km/h ergab dies die unter II. festgestellte Geschwindigkeit und die entsprechende Überschreitung der innerorts an dieser Stelle aufgrund der Beschränkung durch das Verkehrszeichen 274 gemäß § 41 I StVO i.V.m. Anlage 2 der StVO zulässigen Geschwindigkeit.

Der Abstand zwischen Verkehrsschild und Messstelle ergibt sich aus der Ausmessung der Messörtlichkeit, die gerichtsbekannt ist.

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die verfahrensgegenständliche Messung ordnungsgemäß war.

Ausgehend von einer Messung im standardisierten Messverfahren bedurfte es keiner weiteren Beweisaufnahme zur Überprüfung der Messung. Konkrete Messfehler oder Unregelmäßigkeiten waren nicht ersichtlich und wurden seitens der Betroffenen auch nicht vorgebracht. Der Vortrag beschränkte sich auf entscheidungsunerhebliche abstrakte Einwände gegen die Messung.

Wenn behauptete Fehlerquellen nicht in dem konkret durchgeführten Messvorgang, sondern allgemein oder strukturell in der Messtechnik sowie der Mess- und Auswertesoftware angelegt sein sollen, müssen Zweifel an der Messrichtigkeit erst dann aufkommen, wenn sich Umstände ergeben , die es im konkreten Einzelfall als plausibel erscheinen lassen, dass die Messung trotz Zulassung des Messgerätes durch die PTB fehlerhaft sein könnte (Saarländisches OLG, Beschl. v. 21.04.2017- Az. Ss Rs 13/2017 (26/17 OWi), juris Rn. 9).

Das Gericht hatte aufgrund des Vergleichs zwischen der in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen und dem Lichtbild, welches in Augenschein genommen wurden und auf das gemäß § 71 I OWiG, § 267 I 3 StPO wegen der Einzelheiten verwiesen wird, keinen Zweifel daran, dass es sich bei der Betroffenen um die Fahrzeugführerin handelt. Das Lichtbild ist zur Identifizierung abstrakt geeignet. Der Abgleich wurde vorliegend durch einen Vergleich der Gesichtsmerkmale, hier der Gesichtsform an sich, insbesondere der Kinnpartie, der Nasen-, Ohren-, Augenpartie und des Alters durchgeführt.

Die Verteidigung widerspricht der Verwertung der Messfotos und des Messergebnisses wegen der Nichtspeicherung der Rohmessdaten.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 05.07.2019, Az. Lv 7/17, betreffend eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerätetyp Jenoptik Traffistar S 350, steht einer Verurteilung nicht entgegen. Nachdem das Saarländische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 30.08.2019 ‒ Az. Ss Bs 46/2019, 44/19 OWi, dem erkennenden Gericht letztlich aufgegeben hat, in künftigen Fällen zu überprüfen, ob ein nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes folgendes Verwertungsverbot anzunehmen ist wegen der Löschung bzw. Nichtspeicherung von Rohmessdaten, bedarf es einer differenzierenden Betrachtung und Auslegung des Urteils betreffend der Intention des Verwertungsverbotes (siehe hierzu AG St. Ingbert, Urt. v. 29.10.2019 ‒ Az. 25 OWi 66 Js 1919/19 (2968/19), Rn. 6 ff.).

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes stellt in seinem Urteil die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens nicht in Frage, sondern ergänzt sie um ein aus der Verfassung des Saarlandes abgeleitetes Grundrecht auf wirksame Verteidigung, welches bei Nichtspeicherung sämtlicher den Messwert bildender Daten verletzt sein könnte (VGH des Saarlandes, Urt. v. 05.07.19 ‒ Az. Lv 17/7, Rn. 115 ff.). Danach stelle die fehlende Datenspeicherung nur dann keine Beschränkung der Verteidigung dar, wenn die Rohmessdaten ungeeignet wären, eine nachträgliche Plausibilisierung des Messergebnisses zu erlauben. Dies sei selbst dann nicht der Fall, wenn in Unkenntnis der Algorithmen nur über die Auswertung einer Mehrzahl von Messungen ein Modell entwickelt werden könne, das die Plausibilisierung auch der konkreten Messung erlaube. Dabei gehe es letztlich um den aufwändigen Versuch einer Rekonstruktion eines komplexen Geschehensablaufes und seiner physikalischen Erfassung, der zwar nicht positiv zu einer “höheren Richtigkeit” einer Geschwindigkeitsmessung führe, wohl aber gewissermaßen falsifizierende Plausibilitätseinschätzungen erlaube.

Dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes geht es demnach um die Möglichkeit einer “falsifizierenden Plausibilitätseinschätzung”.

Eine solche Plausibilisierung ist bei dem Messgerät Traffistar S330 möglich. Nach Angaben der PTB nutzt das Messgerät drei druckempfindliche Sensoren in der Fahrbahn, deren Abstand voneinander bekannt ist. Für ein Fahrzeug werden die Zeitintervalle zwischen dem Auslösen der jeweiligen Sensoren erfasst. Zusammen mit dem Sensorabstand ergibt sich daraus durch Division die Geschwindigkeit als “Weg pro Zeit”. Das Gerät zeigt diejenige Geschwindigkeit an, die mit den beiden äußeren Sensoren (1 und 3) ermittelt wird, weil das die längste Messbasis ist und daher die höchste Genauigkeit bringt. Im Rahmen einer internen Plausibilisierung werden jedoch auch die aus den Sensorpaaren 1-2 bzw. 2-3 gebildeten Geschwindigkeiten betrachtet und bei zu großer Abweichung die Messung ggf. annulliert.

Der Verteidiger widerspricht der Verwertung des Messergebnisses auch wegen unzulässiger Mitwirkung privater Dienstleister bei der Messung. Er rügt, dass es sich bei der Geräteakte nicht um eine eigene Geräteakte der Stadt Wadern handelt, sondern um eine Akte des Geräteherstellers. Es ist gerichtsbekannt, dass die Messungen der Stadt Wadern durch Mitarbeiter der Stadt durchgeführt werden. Bislang wurde von der Stadt Wadern keine eichrelevanten Reparaturen oder Wartungen durchgeführt.

Der Verteidiger stellt in der Verhandlung den aus der Anlage ersichtlichen Einsichts- bzw. Aussetzungsantrag (Bl. 86 d.A.), der abgelehnt wurde.

Ein Anspruch der Verteidigung auf Einsicht in die digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe besteht grundsätzlich nicht (Saarländisches OLG, Beschl. v. 09.11.2017 ‒ Az. Ss Rs 39/2017 (60/17 OWi), juris Rn. 9 ff.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.08.2016 ‒ Az. Ss OWi 589/16, juris Rn. 16; OLG Koblenz, Beschl. v. 17.11.2020- Az. 1 OWi 6 SsRs 271/20, juris Rn. 9; Bayerisches OLG, Beschl. v. 04.01.2021 ‒ Az. 202 ObOWi 1532/20, juris Rn. 11; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 05.05.2020- Az. 1 OWi SsBs 94/19, juris Rn. 18 ff.). Hierzu muss die Verteidigung zunächst tatsachenfundiert vortragen, wozu diese Einsicht benötigt wird (hierzu OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.08.2016- Az. Ss OWi 589/16, juris Rn. 16).

“Selbst wenn das Messgerät alle anderen Messungen an diesem Tag storniert und nur die des Betroffenen aufgezeichnet hätte, folgt daraus nur, dass eine Messung, nämlich die des Betroffenen, messtechnisch wirksam zustande gekommen ist. Ob diese Messung richtig ist, kann nach wir vor nur anhand der sie betreffenden Messdaten überprüft werden. Erst wenn durch tatsachenfundierten Vortrag und zwar zur Überzeugung des Gerichts dargelegt wird, warum aus der Prüfung der Messreihe entscheidungserhebliche Schlüsse auf die Messrichtigkeit des den Betroffenen zugeordneten Messwertes gezogen werden müssen, muss sich das Amtsgericht damit auseinandersetzen” (OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.08.2016 ‒ Az. Ss OWi 589/16, juris Rn. 16 ff.; hierzu auch Bayerisches OLG, Beschl. v. 04.01.2021 ‒ Az. 202 ObOWi 1532/20, juris Rn. 11; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 05.05.2020 ‒ Az. 1 OWi SsBs 94/19, juris Rn. 18 ff.).

Laut Angabe der Stadt Wadern erfolgt bei diesem Messgerät keine Speicherung der Testfotos.

Zum Nachweis, dass ein Messgerät die wesentlichen Anforderungen im Sinne des § 6 II MessEG erfüllt, muss eine in einer Rechtsverordnung nach § 30 Nr. 3 festgelegte Konformitätsbewertung erfolgreich durchgeführt worden sein und eine Konformitätserklärung vorliegen gemäß § 6 111 MessEG. Nach erfolgreicher Konformitätsbewertung wird die Konformitätserklärung ausgestellt. Die Konformitätserklärung liegt vor.

Dem Eichschein zufolge wurde die Bauart des Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes unter dem Zulassungszeichen Z 18.11/03.04 von der PTB zur innerstaatlichen Eichung zugelassen (siehe hierzu auch die von der PTB veröffentlichte Liste der zugelassenen Geräte mit dem zugehörigen Messprinzip, abrufbar unter: https://www.ptb.de/cms/ptb/fachabteilungen/abt1/fb-13/ag-131/geschwindigkeitsueberwachungsgeraete.html#c19090).

Bezüglich der Unterlagen zur Zusammenarbeit mit Privatdienstleistern wird auf die oben bereits gemachten Angaben verwiesen.

Die Betroffene hätte die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen. Anhaltspunkte dafür, dass dies der Betroffenen nicht möglich war, bestanden nicht.

IV.

In rechtlicher Hinsicht hat sich die Betroffene einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h nach §§ 41 I i.V.m. Anlage 2, 49 III Nr. 4 StVO, § 24 StVG schuldig gemacht.

V.

Die Verkehrsordnungswidrigkeit wird gemäß § 4 I BKatV, Nr. 11.3.6 BKat im Regelfall mit einer Geldbuße von 160 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat geahndet. Es gab keine Anhaltspunkte, von der Regelgeldbuße abzuweichen. Ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat ist neben der Geldbuße zur Einwirkung auf die Betroffene vorliegend nicht geboten.

Nach § 25 I 1 StVG kann einem Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG, die er unter grober Verletzung der Pflichten als Kraftfahrzeugführer begangen hat und wegen der eine Geldbuße festgesetzt worden ist, für die Dauer von einem bis drei Monaten verboten werden, Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art im Straßenverkehr zu führen. Nach § 4 I 1 Nr. 1 BKatV liegt eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel vor, wenn ein Tatbestand der Nummer 11.3 in Verbindung mit Tabelle 1 des Anhangs zum Bußgeldkatalog verwirklicht wird, das heißt die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 51 km/h überschritten wird. Die Erfüllung dieses Tatbestandes indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 I 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf (siehe hierzu BGH, Beschl. v. 28.11 .1991 ‒ Az. 4 StR 366/19, II. 4. dd), wobei, wenn es zum ersten Mal angeordnet wird, in der Regel die im Bußgeldkatalog bestimmte Dauer festzusetzen ist gemäß § 4 II 2 BKatV.

Vorliegend ist von dem Fahrverbot aufgrund des geringen Abstandes zwischen dem die Geschwindigkeit begrenzenden Verkehrsschild und der Messstelle abzusehen.

“Ein Kraftfahrer hat seine Geschwindigkeit grundsätzlich so einzurichten, dass er bereits beim Passieren eines die Geschwindigkeit regelnden Verkehrszeichens die vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalten kann (…). Allerdings trägt die Rspr. möglichen Unwägbarkeiten bei der Einfahrt in eine Zone mit veränderter Geschwindigkeitsregelung bei der Frage des Ausmaßes des Verschuldens grundsätzlich Rechnung, indem sie dem Kraftfahrer zubilligt, dass er mit gewissen Abständen zwischen geschwindigkeitsregelndem Verkehrszeichen und Messstrecke rechnen kann” (OLG Celle, Beschl. v. 25.07.2011 ‒ Az. 311 SsRs 114/11; NVZ 2012, 253, verweisend auf OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.01.2001 ‒ Az. 2 Ws (B) 582/00 OWi, NStZ-RR 2001, 120; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 14.09.2008 ‒ Az. Ss BS 25/2018 (48/18 OWi)).

Im Saarland existieren, anders als in anderen Bundesländern, keine Richtlinie oder ein Erlass über Mindestabstände bei Verkehrs- und Geschwindigkeitsüberwachungen. In den Bundesländern, in denen Vorschriften über Mindestabstände existieren, kann sich das Unterschreiten eines festgelegten Mindestabstandes zwischen dem geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrsschild und der Messstelle auf den Rechtsfolgenausspruch auswirken, insbesondere auf die Verhängung des Fahrverbotes, da in einem solchen Fall der Schuldgehalt der Tat geringer zu bewerten sein kann (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 14.09.2008- Az. Ss BS 25/2018 (48/18 OWi)).

Im Saarland sieht der Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport über die Wahrnehmung der Verkehrsüberwachung durch Ortspolizeibehörden gemäß § 80 IV SPolG vom 02.01 .2012 lediglich vor, dass die Messstelle zwar grundsätzlich nicht unmittelbar hinter dem ersten maßgebenden geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen, aber noch in dessen Wirkungsbereich eingerichtet werden soll (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 14.09.2008 ‒ Az. Ss BS 25/2018 (48/18 OWi)). Vorliegend liegt die Messstelle innerorts vor einer Kurve. Zuvor gilt demnach eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h. Es wird dem Betroffenen demnach keine Vollbremsung zugemutet, trotzdem ist der Abstand zwischen Verkehrszeichen und Messstelle sehr gering.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 I StPO i. V. m. § 46 I OWiG.

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