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Einspruchsrücknahme gegen Bußgeldbescheid im Rechtsbeschwerdeverfahren

Grenzen der Einspruchsrücknahme im Bußgeldverfahren

Die Zurücknahme eines Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid im Rechtsbeschwerdeverfahren ist grundsätzlich nur bis zur Urteilsverkündung im ersten Rechtszug möglich, eine Ausnahme besteht, wenn das Urteil vollständig aufgehoben und zur neuen Entscheidung zurückverwiesen wird; dies gilt nicht, wenn nur der Rechtsfolgenausspruch betroffen ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 Ws 235/21 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann normalerweise nur bis zur Urteilsverkündung im ersten Rechtszug zurückgenommen werden.
  • Eine Ausnahme besteht, wenn das Urteil in der Rechtsbeschwerdeinstanz vollständig aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen wird.
  • Die Zurücknahme des Einspruchs ist unzulässig, wenn die Aufhebung nur den Rechtsfolgenausspruch betrifft.
  • Im konkreten Fall wurde der Einspruch des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren als unzulässig betrachtet.
  • Die Staatsanwaltschaft hatte erfolgreich gegen das Fehlen eines Fahrverbots als Teil der ursprünglichen Entscheidung Berufung eingelegt.
  • Der Verteidiger des Betroffenen zog den Einspruch zu spät zurück, was keine Auswirkungen auf den Fortgang des Verfahrens hatte.
  • Das Amtsgericht muss nun erneut über die Rechtsfolgen, einschließlich eines möglichen Fahrverbots, entscheiden.
  • Die Entscheidung betont die Wichtigkeit des richtigen Zeitpunkts für die Zurücknahme eines Einspruchs im Bußgeldverfahren.

Zurücknahme eines Einspruchs im Bußgeldverfahren

Ein Bußgeldbescheid kann im Verkehrsrecht oder bei anderen Ordnungswidrigkeiten verhängt werden. Gegen diesen Bescheid kann Einspruch eingelegt werden, um eine gerichtliche Überprüfung zu erwirken. In bestimmten Fällen kann jedoch der zunächst eingelegte Einspruch wieder zurückgenommen werden.

Die Frage der zulässigen Rücknahme eines Einspruchs im laufenden Verfahren, insbesondere im Rechtsbeschwerdeverfahren, ist komplex. Dabei spielen Faktoren wie der Verfahrensstand und die Reichweite einer möglichen Aufhebung des vorherigen Urteils eine entscheidende Rolle. Ein aktuelles Gerichtsurteil gibt wichtige Hinweise für die Handhabung dieser speziellen Rechtsfrage.

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➜ Der Fall im Detail


Grenzen der Einspruchsrücknahme im Bußgeldverfahren

In einem bemerkenswerten Fall vor dem Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt (Az.: 1 Ws 235/21) ging es um die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Zurücknahme eines Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid im Kontext eines Rechtsbeschwerdeverfahrens.

Einspruchsrücknahme gegen Bußgeldbescheid
(Symbolfoto: Shotmedia /Shutterstock.com)

Die Kernfrage drehte sich um die Möglichkeit und die Grenzen der Einspruchsrücknahme nach der Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug, speziell unter den Bedingungen einer teilweisen Aufhebung durch die Rechtsbeschwerdeinstanz.

Der Fall: Fahrlässige Missachtung einer Lichtzeichenanlage

Der zugrunde liegende Sachverhalt betraf einen Betroffenen, der wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage zu einer erhöhten Geldbuße von 480 Euro verurteilt wurde. Interessanterweise wurde von einem Regelfahrverbot abgesehen, basierend auf der Annahme eines Härtefalls. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil Rechtsbeschwerde ein, fokussiert auf die Nichtverhängung eines Fahrverbots, und argumentierte, dass die Annahme eines Härtefalls nicht hinreichend begründet sei.

Juristische Kernpunkte der Rechtsbeschwerde

Die Rechtsbeschwerde hatte teilweise Erfolg, was zu einer Aufhebung der Entscheidung im Rechtsfolgenausspruch und in der Kostenentscheidung führte und die Angelegenheit zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurückverwiesen wurde. Entscheidend war die Feststellung, dass die Zurücknahme eines Einspruchs im Bußgeldverfahren prinzipiell nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug möglich ist, es sei denn, das Urteil wird in der Rechtsbeschwerdeinstanz vollständig aufgehoben.

Unzulässigkeit der Einspruchsrücknahme im vorliegenden Fall

Der Verteidiger des Betroffenen nahm den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurück, allerdings zu einem Zeitpunkt, zu dem dies rechtlich nicht mehr zulässig war. Das Gericht stellte klar, dass eine solche Rücknahme nur erlaubt ist, wenn das Urteil in der Rechtsbeschwerdeinstanz in Gänze aufgehoben und zur neuen Entscheidung zurückverwiesen wird. Eine partielle Aufhebung, die lediglich den Rechtsfolgenausspruch betrifft, erlaubt keine Rücknahme des Einspruchs.

Bedeutung für die Praxis und zukünftige Verfahren

Das Urteil des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt verdeutlicht die strikten Grenzen, innerhalb derer eine Einspruchsrücknahme im Bußgeldverfahren erfolgen darf. Die Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit für Betroffene und ihre Verteidiger, sich der zeitlichen und inhaltlichen Rahmenbedingungen bewusst zu sein, die für die Zurücknahme eines Einspruchs gelten, insbesondere im Kontext von Rechtsbeschwerdeverfahren. Die genaue Kenntnis und Einhaltung dieser Regelungen ist entscheidend, um rechtliche Nachteile zu vermeiden.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Wann kann ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid zurückgenommen werden?

Ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann bis zu folgenden Zeitpunkten zurückgenommen werden:

Bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch durch die Einspruchsentscheidung oder den Erlass eines Abhilfebescheids. Die Rücknahme muss also vor Ergehen der behördlichen Entscheidung erklärt werden.

Wenn bereits Hauptverhandlung anberaumt ist: Bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug. Theoretisch kann die Rücknahme also noch in letzter Sekunde vor der Urteilsverkündung erfolgen.

Hat die mündliche Verhandlung bereits begonnen, ist für die Rücknahme die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich. Vor Beginn der Hauptverhandlung kann der Einspruch jedoch jederzeit ohne Zustimmung zurückgenommen werden.

Die Rücknahme muss schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde erklärt werden, die den Bußgeldbescheid erlassen hat. Sie wird mit Zugang bei der Behörde wirksam.

Geht die Rücknahme so kurz vor der Hauptverhandlung ein, dass die zuständige Richterin nicht mehr rechtzeitig davon erfährt, wird der Bußgeldbescheid trotzdem mit Eingang der Rücknahme rechtskräftig.

Nach Rechtskraft des Bußgeldbescheids durch die Rücknahme ist ein Rechtsmittel nicht mehr möglich. Der Betroffene muss dann die Geldbuße und eventuell verhängte Nebenfolgen wie ein Fahrverbot akzeptieren.

Für eine wirksame Rücknahme muss der Verteidiger vom Mandanten ausdrücklich dazu ermächtigt sein, was üblicherweise in der Vollmacht enthalten ist. Ohne Ermächtigung ist die Rücknahme durch den Anwalt unwirksam.

Welche Folgen hat die vollständige Aufhebung eines Urteils im Rechtsbeschwerdeverfahren?

Die vollständige Aufhebung eines Urteils im Rechtsbeschwerdeverfahren hat folgende wesentliche Auswirkungen:

Das Urteil des Amtsgerichts wird durch die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts beseitigt. Es entfaltet keine Rechtswirkungen mehr und der Rechtsstreit ist wieder in dem Stand, in dem er sich vor Erlass des aufgehobenen Urteils befand.

Durch die Urteilsaufhebung lebt das Verfahren wieder auf. Das Amtsgericht muss nun erneut über die Sache entscheiden und eine neue Hauptverhandlung durchführen. Der Betroffene erhält damit die Möglichkeit, sich nochmals umfassend zu verteidigen.

Eine zuvor erklärte Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid verliert ihre Wirkung. Denn mit der Urteilsaufhebung entfällt auch die Grundlage für die Einspruchsrücknahme. Der Betroffene kann seinen Einspruch nun weiterverfolgen.

Allerdings kann der Betroffene auch nach der Urteilsaufhebung seinen Einspruch erneut zurücknehmen. Die Rücknahme ist dann bis zur erneuten Urteilsverkündung in der neuen Hauptverhandlung möglich.

Die Aufhebung des Urteils führt dazu, dass der Bußgeldbescheid noch nicht rechtskräftig ist. Erst wenn in der neuen Hauptverhandlung wieder ein Urteil ergeht oder der Einspruch zurückgenommen wird, kann Rechtskraft eintreten.

Insgesamt eröffnet die Urteilsaufhebung im Rechtsbeschwerdeverfahren dem Betroffenen neue Möglichkeiten, auf den Fortgang des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Er kann sich erneut verteidigen, seinen Einspruch weiterverfolgen oder auch zurücknehmen. Die Entscheidung über eine Einspruchsrücknahme sollte daher sorgfältig abgewogen werden.

Was bedeutet es für den Einspruch, wenn nur der Rechtsfolgenausspruch aufgehoben wird?

Wenn in einem Bußgeldverfahren nur der Rechtsfolgenausspruch eines Urteils aufgehoben wird, hat dies folgende Bedeutung für den Einspruch:

Der Schuldspruch, also die Feststellung, dass der Betroffene die Ordnungswidrigkeit begangen hat, bleibt bestehen. Nur die verhängte Rechtsfolge, also die konkrete Höhe der Geldbuße oder ein Fahrverbot, wird aufgehoben.

Das Verfahren wird dann zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nur über die Rechtsfolgen an das Amtsgericht zurückverwiesen. In der neuen Hauptverhandlung darf das Gericht lediglich über Art und Höhe der Buße sowie eventuelle Nebenfolgen neu entscheiden.

Eine Rücknahme des Einspruchs ist nach Aufhebung allein des Rechtsfolgenausspruchs nicht mehr möglich. Denn der Einspruch kann gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 411 Abs. 3 StPO nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug zurückgenommen werden. Dieser Zeitpunkt ist bereits verstrichen.

Der Betroffene muss sich daher in jedem Fall der erneuten Hauptverhandlung über die Rechtsfolgen stellen. Er kann den Einspruch nicht mehr zurücknehmen, um den ursprünglichen Bußgeldbescheid in Rechtskraft erwachsen zu lassen.

Im Unterschied dazu führt die vollständige Aufhebung eines Urteils einschließlich des Schuldspruchs dazu, dass in der neuen Hauptverhandlung wieder über alle Aspekte des Falls verhandelt und entschieden wird. Der Betroffene erhält so die Möglichkeit, sich umfassend zu verteidigen.

Zusammengefasst beschränkt die Aufhebung nur des Rechtsfolgenausspruchs den Verfahrensgegenstand in der neuen Hauptverhandlung, während der Schuldspruch bestehen bleibt. Eine Rücknahme des Einspruchs scheidet nach diesem Zeitpunkt aus.

Wie wirkt sich die Annahme eines Härtefalls auf die Verhängung eines Fahrverbots aus?

Ein Fahrverbot stellt für viele Betroffene eine erhebliche Belastung dar. Daher sieht das Gesetz in bestimmten Fällen die Möglichkeit vor, von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen, wenn dies eine besondere Härte bedeuten würde. Die Annahme eines Härtefalls kann sich wie folgt auf die Entscheidung über ein Fahrverbot auswirken:

Liegt ein Härtefall vor, kann das Gericht von der Anordnung des an sich verwirkten Fahrverbots absehen. Stattdessen wird dann meist das Bußgeld angemessen erhöht. Der Verkehrsverstoß wird also weiterhin sanktioniert, aber eben nicht mit einem Fahrverbot.

Ein Härtefall wird insbesondere dann angenommen, wenn dem Betroffenen durch das Fahrverbot der Verlust des Arbeitsplatzes droht und seine berufliche Existenz gefährdet wäre. Dies kann z.B. bei Berufskraftfahrern, Außendienstmitarbeitern oder Selbstständigen, die zwingend auf ein Fahrzeug angewiesen sind, der Fall sein.

Auch die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger, für die kein zumutbarer Ersatz organisiert werden kann, kann einen Härtefall begründen. Das Gericht muss hier im Einzelfall abwägen, ob die persönlichen Folgen des Fahrverbots außer Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehen.

Kein Härtefall liegt dagegen vor, wenn lediglich Bequemlichkeiten wie der Weg zur Arbeit oder Freizeitaktivitäten beeinträchtigt werden. Auch ein hohes Alter oder eine Schwerbehinderung allein reichen nicht aus. Es müssen immer besondere Umstände hinzukommen.

Wichtig ist, dass der Betroffene die Gründe für einen Härtefall substantiiert darlegen und möglichst auch belegen muss. Pauschale Behauptungen genügen nicht. Auch bei einem Härtefall muss der Verkehrsverstoß aber schwerwiegend genug für ein Fahrverbot sein.

Zudem scheidet ein Absehen vom Fahrverbot regelmäßig aus, wenn in jüngerer Vergangenheit bereits ein Fahrverbot verhängt wurde oder es sich um Alkohol-/Drogendelikte handelt. Wiederholungstäter können sich also meist nicht auf einen Härtefall berufen.

Insgesamt führt die Annahme eines Härtefalls also dazu, dass trotz verwirktem Fahrverbot die Fahrerlaubnis nicht entzogen wird. Stattdessen wird eine höhere Geldbuße verhängt. Dies setzt aber voraus, dass gravierende persönliche, insbesondere berufliche Folgen drohen und der Betroffene dies nachvollziehbar geltend macht.

Was ist der Unterschied zwischen der Zurücknahme des Einspruchs im ersten Rechtszug und im Rechtsbeschwerdeverfahren?

Der wesentliche Unterschied zwischen der Zurücknahme des Einspruchs im ersten Rechtszug und im Rechtsbeschwerdeverfahren liegt im Zeitpunkt, bis zu dem die Rücknahme möglich ist, und in den Auswirkungen auf den Fortgang des Verfahrens:

Im ersten Rechtszug, also vor dem Amtsgericht, kann der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid bis zur Verkündung des Urteils zurückgenommen werden. Mit der wirksamen Rücknahme wird der Bußgeldbescheid rechtskräftig, als ob nie Einspruch eingelegt worden wäre. Das Verfahren ist dann beendet.

Im Rechtsbeschwerdeverfahren, das sich an das amtsgerichtliche Verfahren anschließt, ist eine Rücknahme des ursprünglichen Einspruchs dagegen nicht mehr möglich. Denn mit dem Urteil des Amtsgerichts ist der Einspruch bereits verbeschieden.

Wird im Rechtsbeschwerdeverfahren das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen, lebt das Verfahren dort in der Lage vor dem Urteil wieder auf. Damit ist auch die Möglichkeit der Einspruchsrücknahme bis zum neuen Urteil wieder eröffnet.

Hebt das Rechtsbeschwerdegericht das Urteil dagegen nur im Rechtsfolgenausspruch auf, bleibt der Schuldspruch bestehen. Dann scheidet eine Rücknahme des Einspruchs aus, da dieser schon im ersten Rechtszug verbeschieden wurde. Es wird lediglich neu über die Rechtsfolgen entschieden.

Zusammengefasst ist die Einspruchsrücknahme also nur im ersten Rechtszug bis zur Urteilsverkündung zulässig. Im Rechtsbeschwerdeverfahren selbst kann der Einspruch nicht mehr zurückgenommen werden. Nur wenn das Verfahren durch Aufhebung des Urteils in den ersten Rechtszug zurückverwiesen wird, lebt die Rücknahmemöglichkeit wieder auf.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 411 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG: Regelt, dass die Zurücknahme eines Einspruchs im Bußgeldverfahren grundsätzlich nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug möglich ist. Dies ist zentral, um zu verstehen, wann und unter welchen Umständen im Verfahrensablauf eine Einspruchsrücknahme zulässig ist.
  • § 4 Abs. 4 BKatV: Betrifft die Regeln zum Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots unter bestimmten Voraussetzungen, wie etwa bei Vorliegen einer besonderen Härte. Dies ist relevant für die Beurteilung, unter welchen Umständen von einem Fahrverbot abgesehen werden kann.
  • § 67 Abs. 2 OWiG: Erläutert die Möglichkeit, den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken. Dies ist wichtig für das Verständnis der Verfahrensoptionen und der strategischen Entscheidungen, die ein Betroffener im Laufe des Bußgeldverfahrens treffen kann.
  • Entscheidungen des BayObLG und OLG Hamm zur Einspruchsrücknahme: Diese Rechtsprechung verdeutlicht die Auslegung und Anwendung der relevanten gesetzlichen Bestimmungen in der Praxis und gibt Einblick in die juristischen Grenzen und Möglichkeiten der Einspruchsrücknahme.
  • BGH, Urteil vom 05. November 1984, AnwSt (R) 11/84, BGHSt 33, 59: Dient als Referenz für die allgemeinen Grundsätze zur Teilrücknahme von Rechtsmitteln und -behelfen. Dieser Punkt erhöht das Verständnis dafür, wie das Recht auf Rücknahme eines Einspruchs interpretiert und angewandt wird.
  • Gesetz vom 26. Januar 1998, BGBl. I S. 156: Dieses Gesetz führte Änderungen im OWiG ein, die u.a. die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ermöglichen. Es zeigt, wie gesetzliche Änderungen die Verfahrensweisen im Bußgeldrecht beeinflussen können.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 1 Ws 235/21 – Beschluss vom 11.01.2022

Leitsatz

Die Zurücknahme eines Einspruchs im Bußgeldverfahren ist grundsätzlich nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug möglich. Später kann eine Zurücknahme auch dann noch wirksam erklärt werden, wenn das Urteil in der Rechtsbeschwerdeinstanz in Gänze aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen wird; nicht jedoch, wenn die Aufhebung des Urteils in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur den Rechtsfolgenausspruch erfasst. In diesem Fall muss das Amtsgericht erneut entscheiden.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Schönebeck vom 15. November 2021 unter Verwerfung der weitergehenden Rechtsbeschwerde im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen und in der Kostenentscheidung aufgehoben und zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Schönebeck zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Betroffene wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichtes einer Lichtzeichenanlage zu einer (erhöhten) Geldbuße von 480,00 Euro verurteilt. Von der Auferlegung eines einmonatigen Regelfahrverbots sah der Tatrichter in der Annahme eines Härtefalls ab.

Gegen das ihr am 23. November 2021 zugestellte Urteil hat die Staatsanwaltschaft unter dem 26. November 2021 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 29. November 2021 näher begründet, wobei sie ausschließlich die Nichtverhängung eines Fahrverbotes gerügt hat, ohne die Rechtsbeschwerde weitergehend zu beschränken. Sie strebt die Verhängung eines Fahrverbotes gegen den Betroffenen an und hält die Feststellungen für die Annahme eines Härtefalls für unzureichend.

Der Verteidiger des Betroffenen konnte auf die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft, die der Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft ergänzend beigetreten ist, Stellung nehmen. Er hat mit Schriftsatz vom 10. Januar 2022, bei dem Oberlandesgericht Naumburg am selben Tage eingegangen, den Einspruch vom 14. August 2021 gegen den Bußgeldbescheid vom 02. August 2021 zurückgenommen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im Rechtsfolgenausspruch und in der Kostenentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Schönebeck. Im Übrigen ist die unbeschränkt erhobene Rechtsbeschwerde jedoch unbegründet.

1. Die vom Betroffenen erklärte Zurücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid hindert den weiteren Fortgang des Verfahrens nicht; sie ist jedenfalls im Verfahren über die Rechtsbeschwerde unzulässig.

Die Zurücknahme des Einspruchs ist grundsätzlich nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug möglich (§ 411 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG; vgl. Göhler OWiG 18. Aufl. § 71 Rn 6; KK OWiG/Ellbogen, 5. Aufl., § 67 Rn 100). Zwar kann die Zurücknahme auch dann noch rechtswirksam erklärt werden, wenn das Urteil in der Rechtsbeschwerdeinstanz aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen wird. Voraussetzung hierfür ist aber, dass das Urteil in vollem Umfang aufgehoben wird und die Aufhebung nicht nur – wie hier – die Rechtsfolgenentscheidung erfasst (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16. Juli 1996, 2 ObOWi 513/96; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Oktober 1976, 2 Ss OWi 797/76 – beide zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 27. Februar 1987, Ss 744/86, NStZ 1987, 372; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. März 2009, 1 SsBs 9/09, NStZ 2010, 459; Göhler, a. a. O., § 71 Rn 6a a. E.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 411 Rn 9, § 302 Rn 6) möglich ist. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 411 Abs. 3 Satz 1 StPO, der gemäß § 71 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren gilt. Wird nämlich im Rechtsbeschwerdeverfahren das amtsgerichtliche Urteil nicht in vollem Umfang aufgehoben, sondern im Schuldspruch bestätigt, so liegt weiterhin ein Urteil des ersten Rechtszuges vor (vgl. BayObLG, a. a. O.).

Soweit gemäß § 67 Abs. 2 OWiG in der seit dem 01. März 1998 geltenden Fassung (Gesetz vom 26. Januar 1998, BGBl. I S. 156) nunmehr auch eine Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch möglich ist (vgl. nur Göhler, a. a. O., § 67 Rn 34e) und sich die Rücknahme nach Eintritt der Rechtskraft des Schuldspruchs des erstinstanzlichen Urteils nur auf einen Teil des Bußgeldbescheides, nämlich den in ihm enthaltenen Rechtsfolgenausspruch beziehen würde, entspräche dies zwar dem Grundsatz, dass die Teilrücknahme eines Rechtsmittels/Rechtsbehelfs nur in gleicher Weise und in gleichem Umfang zulässig ist wie die von vornherein erklärte Beschränkung des Rechtsmittels (BGH, Urteil vom 05. November 1984, AnwSt (R) 11/84, BGHSt 33, 59; BayObLG, a. a. O., m. w. N.). Allerdings würde die Zulassung einer sich nur auf den Rechtsfolgenausspruch auswirkenden Teilrücknahme des Einspruchs zu einer systemwidrigen Verquickung von Bußgeldbescheid und Urteil führen, indem sich der Schuldspruch und die ihn tragenden Feststellungen aus einem gerichtlichen Urteil ergeben, während die Rechtsfolgenentscheidung, die auf dem Schuldspruch aufbaut, in einer bereits vor Erlass des Urteils ergangenen Entscheidung der Verwaltungsbehörde enthalten wäre; damit würde die vom Gesetz verlangte Einheit von Schuldspruch und Rechtsfolgenentscheidung zerstört (vgl. OLG Hamm; BayObLG jeweils a. a. O.; KG Berlin, Beschluss vom 24. Juni 2015, 5 Ws 78/15 – zitiert nach juris).

2. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Schönebeck im Rechtsfolgenausspruch. Der Tatrichter hat die Voraussetzungen verkannt, unter denen ein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots in Betracht kommen kann. Das festzustellen, ist zwar grundsätzlich seine Sache. Die tatsächlichen Feststellungen tragen die Absehensentscheidung jedoch nicht.

Eine besondere, über das gewöhnliche Maß hinausreichende Härte, die auch ohne Hinzutreten weiterer Umstände die Anwendung von § 4 Abs. 4 BKatV isoliert tragen kann, stellt das Fahrverbot für den Betroffenen nur dar, wenn er dessen nachteilige Folgen für die berufliche Tätigkeit nicht unschwer abmildern oder gar gänzlich ausräumen kann (u.a. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13. Februar 2019, Az. 1 OWi 2 Ss Bs 84/18, Rn. 9 – zitiert nach juris).

Allgemeine berufliche oder wirtschaftliche Nachteile können eine besondere Härte in der Regel nicht begründen. Es liegt auf der Hand, dass mit einem Fahrverbot Nachteile dieser Art für Betroffene verbunden sind. Das hat der Gesetzgeber gesehen und sogar bezweckt. Diese sind daher in Kauf zu nehmen. Aus den in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen lassen sich Anhaltspunkte nicht dafür finden, dass durch das Fahrverbot eine Existenzvernichtung des Betroffenen ernsthaft droht. Ob es zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen kommt und um welche es sich hierbei handelt kann, ist nicht ersichtlich. Zwar soll dem Betroffenen eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei Verhängung eines Fahrverbotes drohen. Eine konkrete Darlegung der Umstände und eine stichhaltige Begründung für eine solche Behauptung fehlen jedoch. Auch allein der Umstand, dass der Betroffene an verschiedenen Orten tätig wird und er hierfür vom Arbeitgeber ein Wohnmobil erhält, genügt für die Annahme einer unzumutbaren Härte nicht. Aus den Feststellungen des Amtsgerichts ist bereits nicht ersichtlich, aus welchen Gründen etwa Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Übernachtungen in einem Hotel oder einer Pension nicht möglich sein sollen. Auch verhält sich das Urteil nicht dazu, in welchem Umfang überhaupt Fahrten zu den von dem Betroffenen zu betreuenden Standorten anfallen, jedenfalls teilt das Urteil die Einsatzorte im Einzelnen nicht mit. Auch eine Kombination aus Urlaub und Einschaltung Dritter, die als Fahrer für den Betroffenen handeln könnten, wurde nicht erwogen oder geprüft. Unbequemlichkeiten oder Mehrkosten (z.B. durch Nutzung Öffentlicher Verkehrsmittel oder eines Taxis oder die Inanspruchnahme von Fahrdiensten von Privatpersonen) sind jedenfalls hinzunehmen. Darüber hinaus teilt das Amtsgericht auch nicht den Beginn des Arbeitsverhältnisses mit, so dass nicht überprüfbar ist, ob dem Betroffenen bei Vertragsschluss das drohende Fahrverbot bereits bewusst war.

Das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots kann danach keinen Bestand haben.

3. Zu einer eigenen Sachentscheidung ist der Senat derzeit nicht in der Lage. Das Amtsgericht wird auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden haben, nachdem sich auf der Grundlage einer erneuten Beweisaufnahme die Pflicht zur Kostentragung endgültig klärt.

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