Fahrerlaubnisentzug trotz ärztlicher Verordnung von Medizinalcannabis
Das Thema der Fahrerlaubnisentziehung aufgrund von Medizinalcannabiskonsum stellt eine komplexe rechtliche Herausforderung dar. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwiefern der regelmäßige Konsum von Cannabis zu medizinischen Zwecken die Fahrtüchtigkeit eines Fahrzeugführers beeinträchtigt und somit eine Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellen kann. Dies berührt sowohl Aspekte des Verkehrsrechts als auch des Medizinrechts.
Die rechtliche Bewertung der Fahrtauglichkeit bei Medizinalcannabiskonsum erfordert eine differenzierte Betrachtung. Einerseits muss die medizinische Notwendigkeit und Wirksamkeit der Cannabisbehandlung berücksichtigt werden, andererseits sind die potenziellen Auswirkungen auf die Reaktionsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit des Fahrers zu evaluieren. Hierbei spielen fachärztliche Gutachten und Reaktionstests eine entscheidende Rolle. Sie dienen dazu, die individuelle Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit zu beurteilen und eine fundierte Entscheidung über die Fahrerlaubnis zu treffen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in diesem Kontext ist das Arzneimittelprivileg. Es stellt sich die Frage, inwieweit der Konsum von Medizinalcannabis, der unter ärztlicher Aufsicht und aus gesundheitlichen Gründen erfolgt, eine Ausnahme von den allgemeinen Regeln zur Beurteilung der Fahreignung rechtfertigt.
Insgesamt zeigt sich, dass die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung bei Medizinalcannabiskonsum eine sorgfältige Abwägung zwischen der medizinischen Notwendigkeit der Cannabisbehandlung und der Verkehrssicherheit erfordert. Dieser Prozess erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Medizin, Recht und Verkehrspsychologie, um eine gerechte und sichere Entscheidung für alle Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Das Urteil des VGH München (Az.: 11 CS 22.1202) vom 22.08.2022 befasst sich mit der Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund regelmäßigen Medizinalcannabiskonsums. Es stellt fest, dass die Fahrerlaubnis rechtmäßig entzogen wurde, da der Antragsteller als regelmäßiger Cannabiskonsument und aufgrund unklarer medizinischer Indikationen für den Cannabiskonsum als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt.
Zentrale Punkte des Urteils:
- Regelmäßiger Cannabiskonsum: Der Antragsteller ist ein regelmäßiger Konsument von Medizinalcannabis, was grundsätzlich Zweifel an der Fahreignung aufkommen lässt.
- Unklare medizinische Indikation: Die medizinische Indikation für die Verschreibung von Medizinalcannabis ist unklar und widersprüchlich, was die Fahreignung weiter infrage stellt.
- **Fehlende Fahreignung:**Das Gericht bestätigt die Entscheidung des Landratsamts zur Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund der Annahme, dass der Antragsteller nicht geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen.
- Widersprüchliche ärztliche Aussagen: Es gibt Diskrepanzen zwischen den Aussagen des Antragstellers, seines Hausarztes und der nervenärztlichen Gutachterin bezüglich der Gründe für den Cannabiskonsum und der Dosierung.
- Anforderungen an Medizinalcannabiskonsum: Für eine Beibehaltung der Fahreignung trotz Medizinalcannabiskonsums müssen strenge Kriterien erfüllt sein, wie klare medizinische Indikation und keine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit.
- Beweislast beim Fahrerlaubnisinhaber: Der Antragsteller trägt die Beweislast für die Notwendigkeit und ordnungsgemäße Anwendung von Medizinalcannabis.
- Rechtliche Rahmenbedingungen: Das Gericht bezieht sich auf relevante rechtliche Bestimmungen, wie § 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG und § 46 Abs. 1 FeV, die die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Ungeeignetheit regeln.
- Keine frühere Kenntnis des Landratsamts: Das Landratsamt war nicht von Anfang an über den Cannabiskonsum informiert, was jedoch für die Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlich unerheblich ist.
Übersicht
Beginn der rechtlichen Auseinandersetzung: Fahrerlaubnisentziehung nach Medizinalcannabiskonsum
Im Zentrum des vorliegenden Falles steht die Entziehung der Fahrerlaubnis eines Antragstellers durch das Landratsamt, basierend auf seinem regelmäßigen Konsum von Medizinalcannabis. Der Antragsteller, dessen Fahrerlaubnis am 17. Juli 2000 erteilt wurde, geriet in den Fokus der Behörden, nachdem die Polizei ihn am 21. Juli 2020 aufgrund einer Alkohol- bzw. Drogenintoxikation und eines Suizidversuchs in ein Bezirkskrankenhaus einwies. Nach seiner Behandlung auf der Intensivstation und anschließender Verlegung ins Bezirkskrankenhaus forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, diverse medizinische Unterlagen vorzulegen und einen Gesprächstermin zu vereinbaren.
Ein Berufsbetreuer und ein Verfahrensbevollmächtigter traten daraufhin in Erscheinung, wobei letzterer nach Einsicht in die polizeilichen Akten mitteilte, er sehe keinen Grund für Fahreignungszweifel und die Vorlage eines Medikamentenplans. Das Landratsamt forderte dennoch ein fachärztliches Gutachten aufgrund des Verdachts einer affektiven Psychose. Das vom Antragsteller vorgelegte nervenfachärztliche Gutachten offenbarte eine rezidivierende depressive Störung und Alkoholerkrankung, wobei die Cannabistherapie als stabilisierend für die depressive Erkrankung beschrieben wurde. Der Antragsteller konsumierte Alkohol nur noch selten und fuhr unter dessen Einfluss nicht Auto. Das Gutachten stellte fest, dass keine Abhängigkeit oder regelmäßiger Alkoholmissbrauch vorlag. Die Cannabiseinnahme wurde als nicht beeinträchtigend für die Fahrtauglichkeit angesehen, solange ein positiver Reaktionstest vorliegt.
Zusätzliche medizinische Anforderungen und die Reaktion des Landratsamts
Das Landratsamt reagierte mit weiteren Forderungen nach medizinischen Berichten und kündigte eine Überprüfung der Fahreignung im Hinblick auf die Einnahme von Medizinal-Cannabis an. Der Antragsteller legte daraufhin verschiedene Atteste und Berichte vor, die jedoch keine eindeutige Diagnose oder ausreichende Informationen über die Medikation und deren Auswirkungen auf die Fahreignung lieferten.
Gerichtliche Entscheidung: Entzug der Fahrerlaubnis bestätigt
Schließlich entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 13. Oktober 2021 die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Der Antragsteller legte Widerspruch ein und beantragte vorläufigen Rechtsschutz, der jedoch vom Verwaltungsgericht Augsburg abgelehnt wurde. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass von einer fehlenden Fahreignung auszugehen sei, da der regelmäßige Cannabiskonsum in der Regel zum Verlust der Fahreignung führe. Es wurde kritisiert, dass keine ausreichenden Informationen über die medizinische Notwendigkeit und die genaue Dosierung der Cannabismedikation vorlagen.
Das Gericht stellte fest, dass die Nichtvorlage der Rezepte und/oder einer aussagekräftigen Stellungnahme des verantwortlichen Arztes eine Berufung auf das Arzneimittelprivileg ausschließe. Zudem wurden Widersprüche in den ärztlichen Attesten hinsichtlich der Dosierungsangaben festgestellt. Aufgrund dieser Unklarheiten und der Bedenken hinsichtlich der Fahreignung bei regelmäßigem Cannabiskonsum wurde die Entscheidung des Landratsamtes, die Fahrerlaubnis zu entziehen, als rechtmäßig angesehen.
Bedeutung des Falles für die Bewertung von Medizinalcannabiskonsum
Dieser Fall wirft wichtige Fragen hinsichtlich der Bewertung von Medizinalcannabiskonsum und dessen Auswirkungen auf die Fahreignung auf. Er zeigt die Notwendigkeit einer sorgfältigen medizinischen Dokumentation und Bewertung, insbesondere wenn es um die Fahreignung und den Konsum von Substanzen geht, die potenziell die Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen können.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Welche Rolle spielt das „Arzneimittelprivileg“ im Kontext der Fahrerlaubnisentziehung?
Das Arzneimittelprivileg spielt eine wichtige Rolle im Kontext der Fahrerlaubnisentziehung, insbesondere wenn es um die Einnahme von Medikamenten wie Medizinal-Cannabis geht. Dieses Privileg bezieht sich auf die rechtliche Ausnahme, dass die Einnahme von ärztlich verordneten Medikamenten, auch wenn sie psychoaktive Substanzen enthalten, nicht automatisch zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt.
Die Auswirkungen des Arzneimittelprivilegs auf die Fahrerlaubnis sind vielfältig. Einerseits kann es dazu führen, dass eine Person trotz der Einnahme von Medikamenten, die normalerweise die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen würden, weiterhin ein Fahrzeug führen darf. Dies ist jedoch an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Die Einnahme des Medikaments muss ärztlich verordnet und medizinisch indiziert sein. Darüber hinaus muss der Patient in der Lage sein, das Fahrzeug sicher zu führen, trotz der Einnahme des Medikaments.
Andererseits kann das Arzneimittelprivileg auch dazu führen, dass eine Person ihre Fahrerlaubnis verliert, wenn sie sich nicht an die Vorschriften hält. Beispielsweise kann eine Person, die Medizinal-Cannabis ohne die erforderliche ärztliche Verschreibung einnimmt, ihre Fahrerlaubnis verlieren.
Die Definition des Arzneimittelprivilegs ist im Kontext der Fahrerlaubnisentziehung von Bedeutung, da es bestimmt, unter welchen Umständen eine Person trotz der Einnahme von Medikamenten, die normalerweise die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen würden, weiterhin ein Fahrzeug führen darf. Es ist ein rechtlicher Begriff, der sich auf die Ausnahme von der Regel bezieht, dass die Einnahme von bestimmten Medikamenten zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt.
Die Voraussetzungen für das Arzneimittelprivileg sind streng. Die Einnahme des Medikaments muss ärztlich verordnet und medizinisch indiziert sein. Darüber hinaus muss der Patient in der Lage sein, das Fahrzeug sicher zu führen, trotz der Einnahme des Medikaments. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kann das Arzneimittelprivileg nicht in Anspruch genommen werden und die Person riskiert die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis.
Wie wird die „Fahreignung“ in Bezug auf regelmäßigen Medizinalcannabiskonsum rechtlich bewertet?
Die rechtliche Bewertung der Fahreignung im Zusammenhang mit regelmäßigem Medizinalcannabiskonsum ist komplex und berührt verschiedene Rechtsgebiete, einschließlich des Sozialrechts, des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts und des Verwaltungsrechts (Fahrerlaubnisrecht) .
Im Straßenverkehr muss zwischen ordnungswidrigkeitsrechtlichen, strafrechtlichen und fahrerlaubnisrechtlichen Folgen unterschieden werden. Nach § 24a Abs.2, Satz 1 und 2 StVG handelt derjenige ordnungswidrig, der unter der Wirkung eines berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt und das berauschende Mittel im Blut nachgewiesen wird. Grundsätzlich liegt bei dem Konsum von Cannabis eine Ordnungswidrigkeit ab einem (aktiven) THC-Wert von 1,0 ng/ml vor. Allerdings gilt § 24a Abs.2, Satz 3 StVG für Medizinalcannabis: die vorgenannte Bestimmung gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels stammt.
Das sogenannte Arzneimittelprivileg bedeutet jedoch nicht, dass die ärztlich verordnete Einnahme von Cannabisarzneimitteln fahrerlaubnisrechtlich irrelevant wäre, solange es nicht zu Fahrfehlern oder Ausfallerscheinungen kommt. Es ist maßgeblich, ob der Betroffene im zu Grunde liegenden Einzelfall Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung einnimmt, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind und die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt.
Die Beurteilung der Fahreignung bei bestimmungsgemäßem Konsum von für einen bestimmten Krankheitsfall ärztlich verordnetem Cannabis ist als Dauerbehandlung mit Arzneimitteln (Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV) einzuordnen. Es ist wichtig, dass Patienten anders als Drogenkonsumenten in der Regel über eine hohe Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit verfügen. Sie verhalten sich eher regelkonform und sind achtsam im Umgang mit der Medikation und den Nebenwirkungen.
Es ist jedoch zu beachten, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Möglichkeit hat, zur Aufklärung der Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers die Beibringung eines medizinischen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Bei einer Einnahme des Medikaments in zu hoher Dosis oder entgegen der ärztlichen Verschreibung kann die Fahreignung ausgeschlossen werden.
Es ist daher ratsam, dass Patienten, die Medizinalcannabis einnehmen, eng mit ihren Ärzten zusammenarbeiten und sicherstellen, dass sie die Medikation gemäß den ärztlichen Anweisungen einnehmen und ihre Fahreignung regelmäßig überprüfen lassen.
Das vorliegende Urteil
VGH München – Az.: 11 CS 22.1202 – Beschluss vom 22.08.2022
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
III. Der Antragssteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
IV. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner am 17. Juli 2000 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen B, L und M.
Mit Schreiben vom 22. Juli 2020 teilte die Polizei dem Landratsamt G. mit, dass sie den Antragsteller am 21. Juli 2020 aufgrund einer Alkohol- bzw. Drogenintoxikation und eines Suizidversuchs im Bezirkskrankenhaus untergebracht habe. Nach Behandlung auf der Intensivstation eines Krankenhauses sei der Antragsteller ins Bezirkskrankenhaus verlegt worden.
Unter Bezugnahme hierauf bat das Landratsamt den Antragsteller um Vorlage des Befundberichts des Bezirkskrankenhauses, ggf. des Zwischen- bzw. Entlassungsberichts, eines Befundberichts des behandelnden Arztes und eines aktuellen Medikamentenplans sowie um die Vereinbarung eines Gesprächstermins.
Daraufhin zeigte ein Berufsbetreuer an, dass er den Antragsteller seit 31. Juli 2020 gesetzlich betreue. Ein Verfahrensbevollmächtigter teilte mit, er werde sich nach Einsicht in die polizeilichen Akten beim Landratsamt melden. Er sehe keinen Grund für Fahreignungszweifel und die Vorlage eines Medikamentenplans.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2020 forderte das Landratsamt den Antragsteller unter Bezugnahme auf den bekannten Sachverhalt und Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV wegen des Verdachts einer affektiven Psychose auf, bis spätestens 16. Februar 2021 ein fachärztliches Gutachten vorzulegen.
Aus dem vom Antragsteller vorgelegten nervenfachärztlichen Gutachten vom 5. April 2021 geht hervor, dass bei ihm eine rezidivierende depressive Störung und Alkoholerkrankung besteht. Die affektive Störung stelle keine Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV dar. Problematisch sei jedoch die Cannabistherapie. Die depressive Erkrankung sei unter medizinisch verordnetem Cannabis stabil. Alkohol konsumiere der Antragsteller nur noch selten, meistens im Sommer. Ein Kfz fahre er unter Alkohol nicht. Eine Abhängigkeit bzw. ein regelmäßiger Alkoholmissbrauch bestehe nicht. Bei dem akuten Ereignis im Juli 2020 sei die mehrtägige Schlaflosigkeit die Ursache für den vermehrten Alkoholkonsum und die Einnahme von Schlaftabletten gewesen. Die ursächliche häusliche Konfliktsituation bestehe seit dem Auszug aus der mütterlichen Wohnung nicht mehr. Nach einem positiven Ergebnis eines Reaktionstests bezüglich der Cannabiseinnahme sei der Antragsteller in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 vollständig gerecht zu werden. Eine ausreichende Krankheitseinsicht bestehe. Medikamente zur Behandlung der affektiven Störung nehme der Antragsteller nicht ein. Das medizinisch verordnete Cannabis nehme er wie psychiatrisch empfohlen. Medikamente nehme er ausschließlich zur Behandlung seiner Hypophyseninsuffizienz ein, was die Fahrtauglichkeit nicht beeinträchtige. Inwieweit das Cannabis die Reaktionsfähigkeit beeinträchtige, sollte durch einen Reaktionstest geklärt werden. Weitere Auflagenkontrollen oder Nachuntersuchungen seien nicht erforderlich.
Daraufhin forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, den Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses vom 14. August 2020 und einen Befundbericht des behandelnden Arztes mit Antworten auf etliche Fragen zu seinem Gesundheitszustand und der Medikation vorzulegen. Ferner wurde ihm eine Überprüfung seiner Fahreignung im Hinblick auf die Einnahme von Medizinal-Cannabis angekündigt.
In einem hausärztlichen Attest vom 10. Mai 2021 wurde zu den Fragen, welche Erfahrung der Blütensorte und welche Diagnose der Verschreibung zugrunde liege, angegeben „ADHS laut Neurologe gute Erfolge“ und „F 90.0“; auf die Frage, was die Wahl von Cannabinoiden und die Wahl von Cannabisblüten begründet habe, „wurde vom Neurologen verordnet“. Zur Frage, ob die alternative Behandlungsmethode CBD (Cannabidiol) geprüft worden sei, ist angegeben „nicht bekannt, die Erstverordnung erfolgte durch Neurologen“. Zur Häufigkeit und Dosierung der Einnahme wurde ausgeführt, es sollten 2 bis 3 g pro Tag, abends mit Vaporisator eingenommen werden. Die Frage nach der Sicherstellung der richtigen Dosierung wurde nicht beantwortet, die Frage, ob eine Adhärenzkontrolle stattfinde, wurde bejaht. Die Frage, in welcher Frequenz der Arzt-Patienten-Kontakt stattfinde, wurde mit „Neurologe Dr. R.“ beantwortet.
Weiter legte der Antragsteller auszugsweise einen Arztbericht des Bezirkskrankenhauses vor, aus dem sich keine Diagnose ergibt. Aus dem Medikationsplan vom 10. Mai 2021 ergibt sich die Einnahme von Hydrocortison, Levothyroxin natrium, Testosteron, Dexamethason und Cannabisblüten unzerkleinert, Sorte Bakerstreet 15 g, 2/3 g am Tag, Dosierung gemäß ärztlicher Anweisung.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2021 forderte das Landratsamt den Antragsteller im Hinblick auf die ADHS-Erkrankung und die zu deren Behandlung erforderliche Betäubungsmittelmedikation auf, bis zum 1. September 2021 ein ärztliches Gutachten eines Facharztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung zu seiner Fahreignung vorzulegen. Ferner sollten die Fragen beantwortet werden, ob die bekannte missbräuchliche Einnahme von Alkohol in Widerspruch zur Einnahme von Medizinalcannabis stehe, ob eine ausreichende Compliance und Adhärenz vorliege und ob ggf. einzelfallbegründete Auflagen und eine Nachbegutachtung erforderlich seien.
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 20. Juli 2021 legte der Antragsteller Widerspruch gegen die Kostenrechnung ein und zeigte sich mit einer erneuten Begutachtung wegen des bereits eingeholten, hinsichtlich der Fahreignung eindeutigen nervenfachärztlichen Gutachtens nicht einverstanden.
Weiter legte er ein Attest seines Hausarztes vom 24. September 2021 vor, wonach ADHS in der Kindheit/Jugend anamnestisch vermutet werden könne, die Diagnose aber von fachärztlicher Seite nie gestellt worden sei. Mit Attest vom selben Tag erklärte der Hausarzt den Antragsteller für uneingeschränkt fahrtauglich. Die verordnete Menge von 2/3 g/Tag Cannabisblüten der Sorte Indica werde regelmäßig morgens und abends inhaliert. Es bestehe kein Beikonsum von anderen zentralwirksamen Substanzen. Die Therapie werde regelmäßig vom Fach- und Hausarzt kontrolliert. Der Antragsteller sei zuverlässig und nehme seine vereinbarten Termine regelmäßig wahr. Er zeige niemals kognitive Defizite und sei vor Fahrtantritt mit Sicherheit fähig, eine selbstkritische Selbstprüfung vorzunehmen.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2021 entzog das Landratsamt dem Antragsteller gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, unverzüglich, spätestens innerhalb von fünf Tagen ab Zustellung des Bescheids seinen Führerschein bzw. im Fall des Verlusts eine eidesstattliche Versicherung hierüber abzugeben. Weiter ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
Hiergegen ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 26. Oktober 2021 Widerspruch einlegen und die Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Nummern 1 und 2 des Bescheids beantragen. Beigefügt war eine undatierte Kurzinformation des Bezirkskrankenhauses, die bei den Therapieempfehlungen u.a. „Cannabisblüten auf Veranlassung von Dr. R. (Substitutionsarzt)“ enthielt.
Da der Antragsteller seinen Führerschein nicht abgab, stellte das Landratsamt mit Schreiben vom 27. Oktober 2021 das Zwangsgeld fällig und drohte mit Bescheid vom selben Tag ein weiteres Zwangsgeld an.
Am 10. Februar 2022 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg, ihm vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.
Den Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. April 2022 mit der Begründung ab, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei formell rechtmäßig, insbesondere ordnungsgemäß begründet worden, und im Widerspruchsverfahren bestünden keine Erfolgsaussichten. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei rechtmäßig, da von fehlender Fahreignung auszugehen sei. Nachdem erst durch das nervenärztliche Gutachten bekannt geworden sei, dass der Antragsteller aufgrund ärztlicher Verordnung täglich Cannabis konsumiere, habe das Landratsamt zu Recht zunächst weitere Ermittlungen angestellt und eine Stellungnahme des behandelnden Arztes zu den Hintergründen dieser Verordnung verlangt. Aus den vorgelegten Unterlagen lasse sich ersehen, dass der Antragsteller täglich bzw. regelmäßig Cannabis einnehme und dies zur Behandlung einer konkret diagnostizierten Erkrankung erfolge. Es werde nicht dargelegt, ob die Cannabismedikation die ultima ratio, also die letzte verbliebene Behandlungsmöglichkeit im Hinblick auf das geltend gemachte ADHS, darstelle. Die ärztliche Verordnung, die der Antragsteller nicht vorgelegt habe, sei nach den Angaben des Hausarztes aufgrund der lediglich vermuteten Diagnose ADHS in der Kindheit/Jugend erfolgt. Der Diagnoseschlüssel F 90.0 nach ICD 10 beschreibe ein vielfältiges Syndrom (einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung einschließlich Aufmerksamkeitsdefizit bei hyperaktivem Syndrom, bei Hyperaktivitätsstörung bzw. bei Störung mit Hyperaktivität). Das konkrete Krankheitsbild beim Antragsteller sei ebenso wenig festgestellt wie sein gegenwärtiger Zustand und die aktuelle Behandlungsbedürftigkeit. Damit liege keine Verordnung im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV, sondern ein regelmäßiger Cannabiskonsum vor, der in aller Regel nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV zum Verlust der Fahreignung führe. Es spreche schon vieles dafür, dass die Nichtvorlage der Rezepte und/oder einer aussagekräftigen Stellungnahme des für die vorgetragene Cannabisverordnung verantwortlichen Arztes eine Berufung auf das Arzneimittelprivileg von vornherein ausschließe. Offenbleiben könne, ob von einer ordnungsgemäßen Dosierungsangabe ausgegangen werden könne (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 5 BtMVV und die Ausarbeitung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekenkammern und der Bundesapothekerkammer vom 2.3.2017), nachdem die ärztlichen Atteste vom 10. Mai und 24. September 2021 insoweit widersprüchliche Angaben enthielten. Dem Antragsteller sei daher gemäß § 46 Abs. 1, § 11 Abs. 7 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen gewesen. Da dem Landratsamt bei dieser Entscheidung kein Ermessen zukomme, sei es unschädlich, dass es den Bescheid auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gestützt habe. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller seine Fahreignung durch nachgewiesene Abstinenz, Entgiftung und Entwöhnung nach Maßgabe der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV inzwischen wiedergewonnen habe. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis komme in der Regel nur in Betracht, wenn hinreichend gewichtige Gründe dafür sprächen, dass das von dem Betroffenen ausgehende Gefahrenpotenzial nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liege. Davon könne jedoch nicht ausgegangen werden. Der Antragsteller sei schon nach eigenem Sachvortrag regelmäßiger Cannabiskonsument. Aus dem nervenfachärztlichen Gutachten hätten sich zudem Hinweise auf eine Alkoholproblematik ergeben.
Mit seiner mit einem Prozesskostenhilfebegehren verbundenen Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, verweist der Antragsteller auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren, die beiden ärztlichen Atteste vom 24. September 2021 und das Gutachten vom 5. April 2021. Darüber hinaus führt er aus, der Eilantrag sei statthaft, weil der Antragsgegner bis jetzt nicht über seinen Aussetzungsantrag entschieden, sondern stattdessen ein Zwangsgeld angedroht habe. Gegen diesen Bescheid habe er Klage erhoben. Es drohe jedoch eine Klageabweisung, da der Antragsgegner über den Widerspruch vom 26. Oktober 2021 noch nicht entschieden habe. Das nervenärztliche Gutachten reiche vorliegend aus, um alle Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers auszuräumen. Es werde dort auch zur Einnahme von Medizinalcannabis Stellung genommen. Es treffe nicht zu, dass das Landratsamt erst nach Eingang dieses Gutachtens von der Einnahme erfahren habe. Da das Bezirkskrankenhaus darüber informiert gewesen sei, müsse auch das Landratsamt von Anfang an die entsprechenden Informationen gehabt haben. Die Cannabiseinnahme werde auch in den vorgelegten ärztlichen Unterlagen des Bezirkskrankenhauses aufgeführt. Es habe daher keine neue Tatsache vorgelegen, die zu einer Beibringungsaufforderung berechtigt hätte. Im Übrigen sei dies auch nicht relevant, da schon das nervenärztliche Gutachten den Konsum von Medizinalcannabis zum Gegenstand gehabt habe. Ein zweites Gutachten sei daher nicht erforderlich und dürfe aus Kostengründen nicht gefordert werden. Das Landratsamt habe selbst vorgeschlagen, dass die Nervenärztin Dr. P. das Gutachten erstelle. Wenn – wie jetzt im Nachhinein behauptet – diese Ärztin nicht die entsprechende verkehrsmedizinische Qualifikation habe, so hätte sie nicht als Gutachterin vorgeschlagen werden dürfen. Es sei auch nicht richtig, wenn das Landratsamt davon ausgehe, dass beim Antragsteller ADHS vorliege. Der Hausarzt habe mehrfach darauf hingewiesen, dass diese Erkrankung bislang nicht diagnostiziert worden sei. In den Schreiben des Landratsamts fänden sich zahlreiche Ungereimtheiten. Zum Beispiel sei die Behauptung, der Antragsteller sei aufgrund einer polizeilichen Anordnung im Bezirkskrankenhaus untergebracht worden, nicht richtig. Vielmehr habe es sich um einen freiwilligen Aufenthalt gehandelt. Ferner ergebe sich aus den zahlreichen ärztlichen Attesten, dass das Medizinalcannabis von Dr. R. und Dr. D. verordnet worden sei. Der Antragsteller müsse sich darauf verlassen, dass die ärztlichen Verordnungen ordnungsgemäß seien, und könne sich daher auf das sog. Arzneimittelprivileg berufen. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es an einer ordnungsgemäßen Verordnung für das Medizinalcannabis fehle. Dieses sei auch jeweils genau nach der ärztlichen Verordnung eingenommen worden. Weiter seien keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen gewesen und die Verordnung ultima ratio gewesen. Dem Antragsteller seien schon viele andere nicht zielführende Medikamente gegen die Depression verordnet worden. Auch Psycho- und Verhaltenstherapien hätten nicht den gewünschten Erfolg gezeigt. Grund für die Verordnung des Medizinalcannabis seien Depressionen, Nervenschmerzen, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen gewesen. Der Aufforderung nach einer ärztlichen Stellungnahme sei Dr. R. leider nicht nachgekommen. Dies dürfe jedoch nicht zulasten des Antragstellers gehen. Dass die Verordnung ordnungsgemäß gewesen sei, ergebe sich auch aus dem nervenärztlichen Gutachten. Auch das Landratsamt hätte eine ärztliche Stellungnahme von Dr. R. einholen können.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Soweit der Antragsteller zur Zulässigkeit seines Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorträgt, bleibt festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht den Antrag als unbegründet und nicht als unzulässig abgelehnt hat.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Januar 2021 (BGBl I S. 530), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19 m.w.N.). Steht zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, dass dem Betroffenen die Fahreignung fehlt, hat sie die Fahrerlaubnis ohne weiteres zu entziehen. Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt in diesem Fall die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens. Um über die Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens und die insoweit konkret zu klärenden Fragen zu entscheiden, kann die Behörde vom Betroffenen im Vorfeld auch die Beibringung ärztlicher Atteste und Bescheinigungen, etwa zu Anlass und Dauer der Verordnung des Medizinalcannabis, verlangen (BayVGH, B.v. 31.3.2022 – 11 CS 22.158 – juris Rn. 13). Kommt dieser seinen Mitwirkungsobliegenheiten zur Sachverhaltsaufklärung nicht nach, kann die Behörde daraus wiederum gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Nichteignung schließen.
Diesen Maßgaben folgend ist das Verwaltungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Entziehungsbescheid vom 13. Oktober 2021 – ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung vom 18. Juni 2021 – rechtmäßig ist, weil der Antragsteller als fahrungeeigneter regelmäßiger Cannabiskonsument im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV anzusehen und eine Auswechslung der Rechtsgrundlage unschädlich ist. Denn sowohl nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV als nach § 11 Abs. 7 FeV hat die Behörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne dass ihr insoweit ein Ermessensspielraum zusteht (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 25; Schemmer in BeckOK VwVfG, Stand 1.7.2022, § 47 Rn. 19). Auf das sog. Arzneimittelprivileg kann sich der Antragsteller schon deshalb nicht berufen, weil die Regelung des § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren beschränkt ist und dem Fahrerlaubnisinhaber hinsichtlich der Beurteilung der Fahreignung nicht zugutekommt (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2022 a.a.O. Rn. 13). Außerdem sind deren Voraussetzungen hier nicht erfüllt, weil insbesondere die medizinische Indikation der Cannabiseinnahme beim Antragsteller nicht nachvollziehbar und die ärztliche Verordnung unklar ist. Es ist daher nicht entscheidend, dass das Landratsamt eine weitere Begutachtung des Antragstellers im Juni 2021 für erforderlich und die Gutachterin für nicht geeignet hielt, die Fahreignung auch im Hinblick auf die Cannabiseinnahme zu begutachten. Das Beschwerdevorbringen, das im Wesentlichen die weiteren Ermittlungen des Landratsamts nach Eingang des nervenärztlichen Gutachtens vom 5. April 2021 und die Beibringungsanordnung vom 18. Juni 2021 beanstandet, geht somit ins Leere.
Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei ärztlich verordneter Einnahme von Medizinalcannabis richtet sich nach Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV. Danach entfällt bei Einnahme von ärztlich verordnetem Cannabis die Fahreignung grundsätzlich nicht schon wegen regelmäßigen Cannabiskonsums (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV), wenn es sich um die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels im Sinne von Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (Vkbl S. 110) in der Fassung vom 17. Februar 2021 (Vkbl S. 198) handelt. Insoweit definieren Nr. 9.4 und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV speziellere Anforderungen für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch psychoaktiver Arzneimittel resultieren (BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – BayVBl 2020, 419 Rn. 23 m.w.N.). Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinalcannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, das Medizinalcannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. Graw/Brenner-Hartmann/Haffner/Musshoff in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 303 f.; Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien [StAB] zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, aktualisierte Fassung vom August 2018, abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O., S. 443 ff.; BayVGH, B.v. 1.7.2022 – 11 CS 22.860 – juris Rn. 21; B.v. 31.3.2022 – 11 CS 22.158 – juris Rn. 12; B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – Blutalkohol 57, 133 = juris Rn. 22 m.w.N. aus der Rspr.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 2 StVG Rn. 62a ff.).
Als verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel im Sinne der Anlage III zu § 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) darf Medizinalcannabis nach § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG nur dann ärztlich verschrieben, verabreicht oder überlassen werden, wenn die Anwendung am oder im Körper begründet ist, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Betäubungsmittel dürfen also immer nur die ultima ratio darstellen. Kommen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet sind, wie eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegender Arzneimittel, ist diesen der Vorrang zu geben (BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – Blutalkohol 57, 133 = juris Rn. 23; Bohnen/Schmidt in BeckOK, Stand 15.6.2022, § 13 BtMG Rn. 25; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl. 2022, § 13 Rn. 20 ff.).
Der Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, dass sich der Antragsteller mit diesen rechtlichen Maßgaben nicht auseinandergesetzt hat. Das Verwaltungsgericht hat die medizinische Indikation zutreffend für nicht nachvollziehbar gehalten, weil die zu behandelnde Grunderkrankung, die Dosierung des Medizinalcannabis und die Gründe für die Wahl von Cannabis als Medikation im Unklaren geblieben sind.
Während die nervenärztliche Gutachterin, ohne dies selbst durch eine Untersuchung festgestellt zu haben, annahm, das Cannabis werde, wie geltend gemacht, zur Behandlung einer depressiven Erkrankung eingesetzt, und der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nun vorträgt, darüber hinaus würden auch Nervenschmerzen, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen damit behandelt, ging der Hausarzt in dem Attest vom 10. Mai 2021 von einer Verschreibung wegen ADHS aus. Nach Erlass der zweiten Beibringungsanordnung teilte er in dem Attest vom 24. September 2021 mit, es könne lediglich vermutet werden, dass der Antragsteller in seiner Kindheit/Jugend an ADHS gelitten habe. Aus diesen ärztlichen Aussagen wird deutlich, dass der Hausarzt, der den Antragsteller erst seit August 2020 behandelt, keine eigenen Kenntnisse über die Grunderkrankung und die Gründe für die Medikation mit Medizinalcannabis hat. Zwischen den Angaben des Antragsstellers gegenüber der Gutachterin und denen des Hausarztes bestehen auch Diskrepanzen hinsichtlich der täglich zu inhalierenden Menge (0,5 – 1 g und 2 – 3 g). Die letzte Dosierungsanweisung im Attest des verschreibenden Arztes vom 9. November 2021 lautet auf „insgesamt 3/4 g/Tag“, wobei die beiden Einzeldosen offenbleiben.
Das erst im Beschwerdeverfahren vorgelegte Attest vom 9. November 2021 und die beigefügten Verordnungen von Juli 2020 bis April 2022 werfen im Übrigen weitere ungeklärte Fragen zur medizinischen Indikation der Behandlung auf. Das Attest enthält die Diagnose „Cannabisabusus“ und den Vermerk, der Antragsteller wünsche die Verordnung, wobei eine Abhängigkeitserkrankung als Kontraindikation für die Verschreibung gilt (Graw/Brenner-Hartmann/Haffner/Musshoff, a.a.O., S. 316). Die vom Antragsteller angeführten Grunderkrankungen (Nervenschmerzen, Schlafstörungen) finden sich dort nicht. Ansonsten ist lediglich von einem etwas reduzierten Antrieb und einer subdepressiven bis depressiven Stimmungslage die Rede. Weiter werden nach den vorliegenden Verordnungen ohne nachvollziehbaren Grund ständig wechselnde Sorten mit teilweise unterschiedlichem THC-Gehalt und unterschiedliche Mengen verschrieben, die zum Teil nicht mit der Anweisung für den Gebrauch von Cannabisblüten vom 22. März 2022 (30 g/6 Wochen) in Einklang zu bringen sind. So hatte der Antragsteller offenbar schon vom 17. August bis 8. September und vom 15. November bis 21. Dezember 2021 jeweils einen Verbrauch von 30 g.
Eine Stellungnahme des verschreibenden Arztes zu den Gründen für diese Verordnung, die insoweit hätte Klarheit schaffen können, hat der Antragsteller nicht vorgelegt. Dies geht entgegen seiner Ansicht zu seinen Lasten. Zwar trägt die Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen des Entziehungsverfahrens nach dem sog. Günstigkeitsprinzip die materielle Beweislast für das Fehlen der Fahreignung (vgl. BVerwG, U.v. 18.3.1982 – 7 C 69.18 – BVerwGE 65, 157 = juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 18.6.2013 – 11 CS 13.882 – juris Rn. 14). Begründen jedoch Tatsachen, wie hier der regelmäßige Cannabiskonsum, Fahreignungszweifel (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV), trifft den Fahrerlaubnisinhaber, der sich auf eine Dauerbehandlung mit Medizinalcannabis beruft, d.h. auf die in Nr. 9.4, 9.6 der Anlage 4 zur FeV normierte Abweichung von der Grundregel der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV, aus welcher er eine für sich günstige Rechtsfolge herleitet (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2017 – 8 B 69.16 – juris Rn. 4), eine Mitwirkungsobliegenheit bei der Aufklärung der nur ihm und seinen Ärzten bekannten Grunderkrankung(en), der Eignung von Medizinalcannabis zur Behandlung dieser Erkrankung(en) und den Gründen, weshalb eine alternative Behandlung medizinisch bei ihm nicht in Betracht kommt. Kommt er dieser Obliegenheit, die ihn auch schon vor einer Gutachtensanordnung trifft (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2019 – 11 CS 19.1565 – juris Rn. 24), nicht hinreichend nach, darf die Behörde davon ausgehen, dass die Voraussetzungen der Nr. 9.4 und 9.6 der Anlage 4 zur FeV und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG nicht erfüllt sind. Die Mitwirkungslast traf den Antragsteller hier im Besonderen, nachdem er ein ihm vorliegendes Beweismittel, den Entlassungsbericht des Bezirksklinikums, nur auszugsweise vorgelegt und damit eine Beweisführung vereitelt oder zumindest erschwert hat. Es ist dem Fahrerlaubnisinhaber auch zuzumuten, eventuelle Kosten für das ärztliche Zeugnis zu tragen bzw. die Kostentragung mit seinem Arzt oder seiner Krankenkasse zu klären, da die Kosten der Klärung von berechtigten Fahreignungszweifeln ganz generell von ihm zu tragen sind (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 2 und 5 FeV; vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2019 – 11 CS 18.2400 – juris Rn 19).
Das nervenfachärztliche Gutachten vom 5. April 2021 und die ärztlichen Atteste stehen der Annahme, die Fahreignung sei aufgrund der regelmäßigen Einnahme von Cannabis entfallen, nicht entgegen. Aus dem fachärztlichen Gutachten ergibt sich insoweit lediglich, dass der Antragsteller wegen Nebenwirkungen von Psychopharmaka seit Juli 2020 ärztlich verordnetes Cannabis erhalte, das er gegen seine Depressionen einnehme. Dies war dem Landratsamt entgegen der Behauptung des Antragstellers vor Eingang des nervenärztlichen Gutachtens nicht bekannt. Die von der Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 25. November 2021 vorgelegte undatierte Kurzinformation des Bezirkskrankenhauses mit dem Hinweis auf die Einnahme von Medizinalcannabis befindet sich nicht im Aktenbestand vor Erlass der Begutachtungsanordnung am 2. Dezember 2020. Dass das Bezirkskrankenhaus entsprechende Informationen hatte, mag daran liegen, dass der Antragsteller in der Vergangenheit dort bereits behandelt worden ist. Die Fahrerlaubnisbehörde erhält jedoch nicht regelhaft Kenntnis von jeder Behandlung eines Fahrerlaubnisinhabers im Bezirkskrankenhaus. Rechtlich kommt es auf den Zeitpunkt, in dem die Fahrerlaubnisbehörde Kenntnis von der Cannabiseinnahme hatte, ohnehin nicht an. Weder wäre das Landratsamt bei früherer Kenntnis verpflichtet gewesen, die Cannabiseinnahme zum Gegenstand der ersten Beibringungsanordnung zu machen, noch hätte ein entsprechendes Versäumnis etwas an ihrer Befugnis geändert, eine weitere Begutachtung wegen der Cannabiseinnahme zu verlangen oder die Fahrerlaubnis wegen Wegfalls der Fahreignung zu entziehen. Liegen mehrere Sachverhalte vor, die Anlass zu Zweifeln an der Fahreignung geben, kann die Fahrerlaubnisbehörde aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – um die Kosten und die sonstigen Belastungen für den Betroffenen niedriger zu halten – den Begutachtungsauftrag zunächst auf einen Sachverhalt beschränken, der ihres Erachtens am ehesten für ein Fehlen der Fahreignung spricht, und die weiteren Sachverhalte ggf. zu einem späteren Zeitpunkt, falls dazu noch Anlass und Bedarf besteht, untersuchen lassen oder einen laufenden Begutachtungsauftrag entsprechend ergänzen. Entscheidend ist hier, dass mit der ersten Beibringungsanordnung ein Gutachten zu einer Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV gefordert worden ist, jedoch nicht zur Einnahme von Medizinalcannabis. Letztere war lediglich insoweit Gegenstand des Begutachtungsauftrags, als es um den Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen zu Medikamenten gegen eine Erkrankung im Sinne von Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV ging. Hierauf bezieht sich auch die Frage nach den Auswirkungen der Medikamente. Zur Einnahme des Medizinalcannabis hat die Gutachterin lediglich Anmerkungen gemacht, weil sie diese im Gegensatz zu der von ihr zu untersuchenden Erkrankung für fahreignungsrelevant hielt. Eine auch nur annähernd ausreichende Begutachtung hat jedoch nicht stattgefunden. So wurden insbesondere nicht die vom Landratsamt in der Beibringungsanordnung vom 18. Juni 2021 gestellten Fragen beantwortet und die der Verschreibung zugrundeliegende Erkrankung geprüft. Zu den sonstigen Voraussetzungen einer rechtmäßigen ärztlichen Verordnung (ultima ratio nach Ausschöpfung alternativer Behandlungsmöglichkeiten) enthält das Gutachten ebenfalls keine Aussage. Dass die bloße Bestätigung der Fahreignung durch den behandelnden Arzt (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 5 FeV) oder die Behauptungen des Betroffenen zu den Gründen der Verschreibung und seiner Adhärenz nicht geeignet sind, eine substantiierte ärztliche Stellungnahme zu ersetzen, liegt auf der Hand.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Aus den vorstehenden Gründen kann auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten keinen Erfolg haben (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO). Auf die wirtschaftliche Bedürftigkeit des Antragstellers kommt es daher nicht an.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).