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Fahrerlaubnisentziehung wegen Nichteignung – Nichtbeibringung ärztliches Gutachten

VG Frankfurt (Oder) – Az.: 2 L 78/19 – Beschluss vom 08.08.2019

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der ausdrücklich so beschränkte Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung vom 19. November 2018 hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen, hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.

Der Antragsgegner hat gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung angeordnet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist die sofortige Vollziehung von der Behörde den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend angeordnet worden, so entscheidet das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs auf der Grundlage einer eigenen Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über dessen Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das besondere öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung (vgl. BVerwG, Beschluss von 19. Dezember 2014 – 7 VR 5.14 -, juris, Rn. 9). Im Rahmen der Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs eine entscheidende Bedeutung zu. Ergibt sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen Überprüfung, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache keinen Erfolg haben wird, weil sich der angegriffene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts. Erweist sich der Rechtsbehelf bei summarischer Überprüfung demgegenüber als offensichtlich erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Adressaten des Verwaltungsakts, von dessen Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Stellen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs hingegen bei der allein gebotenen summarischen Überprüfung als offen dar, so ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich, bei der in Rechnung zu stellen ist, welche Gründe bei bestehender Unsicherheit im Hinblick auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs für und gegen eine Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts sprechen (vgl. nur Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 10. Mai 2010 – 13 ME 181/09 -, juris, Rn. 4).

Nach Maßgabe dessen ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs unbegründet.

Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hinreichend begründet. Die Begründung muss erkennen lassen, dass die Behörde sich mit der Frage der sofortigen Vollziehung auseinandergesetzt und bei ihrer Entscheidung Ermessen ausgeübt hat (vgl. OVG Brandenburg, Beschluss vom 5. Februar 1998 – 4 B 134/97 –, Rn. 10, juris). Sie darf auch auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden Gründe abstellen, sofern aus diesen erkennbar die Schlussfolgerung des überwiegenden Sofortvollzugsinteresses in Abwägung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Adressaten gezogen werden kann (vgl. OVG Brandenburg, Beschluss vom 13. Dezember 2004 – 4 B 206/04 –, Rn. 4, juris). Darauf, ob die Begründung inhaltlich in jeder Hinsicht überzeugt, kommt es nicht an (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. März 2018 – OVG 11 S 12.18 –, Rn. 22, juris). Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit der Vermeidung von der sich aus dem in den Akten befindlichen Gutachten ergebenen Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen für Leben, Gesundheit und Eigentum ergebenden Nachteilen und mit den erheblichen Gefahren für den Straßenverkehr und die übrigen Verkehrsteilnehmer begründet hat. Ob dieses Gutachten herangezogen werden darf, ist an dieser Stelle unerheblich.

Vorliegend lassen sich die Erfolgsaussichten des Widerspruchs indes nicht hinreichend sicher beurteilen. Denn die angefochtene Ordnungsverfügung erweist sich nicht schon allein aufgrund summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, soweit der Antragsgegner sich auf das von ihm angeordnete und von der Fahrschule H… in W…am 25. Oktober 2018 an den Antragsgegner per Telefax übermittelte ärztliche Gutachten der p… GmbH (Gutachter: D…) vom 26. Juni 2018 stützt (1.). Auch bei Umdeutung des angegriffenen Bescheides gemäß § 1 Abs. 1 VwVfGBbg i.V.m. § 47 Abs. 1 VwVfG in eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 11 Abs. 8 FeV bei Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens wäre der Bescheid nicht schon allein aufgrund summarischer Prüfung offensichtlich rechtmäßig (2.). Allerdings ergibt die damit gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen, dass die sofortige Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts aufrechtzuerhalten ist (3.). Das ergibt sich aus Folgendem:

1.

Der Antragsgegner stützt die angefochtene Ordnungsverfügung auf § 3 Abs. 1 S. 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist der Inhaber einer Fahrerlaubnis insbesondere dann ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn Erkrankungen und Mängel nach Anlagen 4, 5 oder 6 FeV vorliegen.

Das o.g. Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller ein Kraftfahrzeug nicht mehr sicher führen kann, Auflagen nicht mehr sinnvoll möglich sind und seine psycho-physische Leistungsfähigkeit massive Defizite aufweist, so dass gegenwärtig und zukünftig kein Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 und 2 möglich ist.

Zwar kommt es auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens vom 14. März 2018 entgegen der Ansicht der Antragstellerseite jedenfalls in der vorliegenden Konstellation zunächst einmal nicht an. Das Fahreignungsgutachten stellt vielmehr jedenfalls grundsätzlich eine neue Tatsache dar, die im Zusammenhang mit einer Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde über die Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers selbständige Bedeutung hat und daher vom Antragsgegner nicht außer Acht gelassen werden darf. Seine Verwertbarkeit hängt daher auch nicht von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung zur Beibringung eines solchen Gutachtens ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2010 – BVerwG 3 C 2.10 -; juris, Rn. 19, m.w.N.). Auch die von der Antragstellerseite vorliegend aufgeworfene Frage nach der Rechtmäßigkeit der Verwendung des vorgelagerten Fragebogens für den Hausarzt zur Vorbereitung einer Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens zur Fahreignung ist daher zumindest in diesem Zusammenhang nicht erheblich.

Trotz dieser grundsätzlichen Verwertbarkeit sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und einer sich gegebenenfalls anschließenden Klage offen. Denn es bestehen letztlich nur durch weitere Ermittlungen des Antragsgegners bzw. eine Beweisaufnahme des Gerichts ausräumbare Zweifel daran, dass der Antragsgegner das Gutachten für seine Entscheidung heranziehen durfte.

Der Antragsteller lässt dazu sinngemäß vortragen, dies sei dem Antragsgegner verwehrt, weil der Antragsteller sich entschlossen habe, das Gutachten nicht zur Akte des Antragsgegners zu reichen, es vielmehr durch eine dritte Person ohne seine Zustimmung per Fax zum Antragsgegner gelangte.

Zwar fehlt es insofern an einer Legaldefinition des in der Fahrerlaubnisverordnung hierzu verwendeten Begriffs der „Beibringung“. Das BVerwG führt in dem von der Antragstellerseite zitierten Beschluss vom 11. Juni 2008 jedoch aus, die Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV dürfe nicht auf ein medizinisch-psychologisches Gutachten gestützt werden, das die Fahrerlaubnisbehörde ohne Zustimmung des Betroffenen zur Kenntnis bekommen habe. Nach der Fahrerlaubnisverordnung sei bei einer durch Eignungszweifel veranlassten Einholung eines verkehrsmedizinischen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens der Fahrerlaubnisinhaber oder -bewerber selbst der Auftraggeber für dieses Gutachten (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 5 FeV) und er deshalb grundsätzlich auch berechtigt, über die weitere Verwendung dieses Gutachtens zu entscheiden. Es sei darüber hinaus davon auszugehen, dass die Rechtsprechung, wonach ein Gutachten verwertbar ist, wenn sich der Fahrerlaubnisinhaber einer angeordneten medizinisch-psychologischen Begutachtung gestellt hat und das Gutachten der Behörde vorliegt, nicht auf den Fall übertragbar ist, in dem der Betroffene das Ergebnis der Begutachtung der Fahrerlaubnisbehörde nicht selbst vorgelegt hatte (Beschluss vom 11. Juni 2008 – 3 B 99/07 –, Rn. 10, juris). Diese Ansicht teilt die Kammer. Sie wäre indes vorliegend nur einschlägig, wenn sich im Rahmen der genannten Ermittlungen (Befragung der Mitarbeiterin der Fahrschule S…sowie der das Telefonat mit ihr am 25. Oktober 2019 führenden Mitarbeiterin des Antragsgegners, ggf. Parteivernehmung) Tatsachen dafür ergäben, dass der Antragsteller das Gutachten zwar bei der Fahrschule vorzeigen wollte, aber mit dessen Kenntnisnahme durch den Antragsgegner nicht einverstanden war. Weder aus dem Verwaltungsvorgang noch aus den Schriftsätzen der Beteiligten ergeben sich eindeutige Anhaltspunkte für oder gegen ein ausdrückliches oder auch nur konkludentes Einverständnis des Antragstellers mit der Übersendung des Gutachtens an den Antragsgegner. Zwar hatte sich der Antragsteller ausweislich eines Telefonvermerks vom 4. Oktober 2018 (Bl. 30 R der Verwaltungsakte) gegenüber dem Antragsgegner telefonisch mit der Übersendung einer von der p…noch zu erbittenden Kopie des angeblich durch seine Ehefrau verlegten Gutachtens einverstanden erklärt. Diese Ankündigung setzte er jedoch nicht in die Tat um. In dem genannten Telefonat legte er offen, dass er „das mit dem Computer nicht hinbekommen“ habe. Da die Mitarbeiterin des Antragsgegners ihm daraufhin die (später mit Blick auf die Ausführungen im Gutachten indes nicht mehr aufgegriffene) Möglichkeit einer Fahrprobe aufgezeigt hatte, falls der Leistungstest der einzige Mangel sei, wandte er sich in der Folge stattdessen an die Fahrschule S…, um eine solche Fahrprobe abzulegen. Diese nahm Kontakt mit dem Antragsgegner auf und übersandte das Gutachten dorthin per Fax. Ob es sich mit dem Vortrag, er sei mit der Übersendung nicht einverstanden gewesen, – wie der Antragsgegner meint – um eine „Schutzbehauptung“ handelt und dieses Einverständnis in Wirklichkeit konkludent oder ausdrücklich erteilt wurde, liegt derzeit nicht offen zutage. In diesem Zusammenhang ist jedenfalls unerheblich, dass der Antragsgegner eine erfolgreiche Fahrprobe letztlich nur nach Vorlage des Gutachtens und unter den dem Antragsteller durch die Mitarbeiterin des Antragsgegners genannten Voraussetzungen für ein Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis hätte gelten lassen. Es ist nicht Sache der Kammer, dem Antragsteller diese hypothetische Überlegung zuzuordnen und daraus auf sein Einverständnis mit der Übersendung des Gutachtens zu schließen.

Wegen des insoweit nicht erwiesenen Geschehensablaufs kann im vorliegenden Eilverfahren nicht geklärt werden, ob der Antragsgegner das ihm bekannt gewordene Gutachten verwenden durfte. Umgekehrt ist die Ordnungsverfügung aber auch nicht offensichtlich rechtswidrig. Der Ausgang des Widerspruchs- und eines sich gegebenenfalls anschließenden Klageverfahrens hängt insoweit von den noch zu ermittelnden Umständen des Inverkehrbringens des Gutachtens ab.

2.

Auch bei einer Umdeutung des angegriffenen Bescheides in eine Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens wären die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen. Das ergibt sich aus Folgendem:

Gemäß § 1 Abs. 1 VwVfGBbg i.V.m. § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 3 zufolge kann allerdings eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Aus Abs. 4 ergibt sich, dass § 28 (Anhörung) entsprechend anzuwenden ist.

Die genannte Regelung in Absatz 3 steht einer Umdeutung des angegriffenen Bescheides in eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 11 Abs. 8 FeV nicht entgegen. Denn trotz der Formulierung in § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV, wonach die Behörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen darf, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder er der Behörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, ist der Behörde insoweit nach allgemeiner Ansicht kein Ermessen eingeräumt; die Vorschrift enthält vielmehr einen Grundsatz der Beweiswürdigung (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., FeV § 11, Rn. 51, m.w.N.). Auch ist der Antragsteller in der Anordnung vom 14. März 2018 auf diese Möglichkeit entsprechend § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV hingewiesen worden. Die grundsätzlich erforderliche Anhörung zur Umdeutung wird man mit Blick darauf, dass der Antragsgegner den Antragsteller bereits mit Schreiben vom 1. Oktober 2018 (Zustellungsurkunde vom 2. Oktober 2018) zu einem Entzug der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage des Gutachtens angehört hatte, für entbehrlich halten.

Nach allein gebotener summarischer Prüfung wäre der derart umgedeutete Bescheid aber jedenfalls nicht offensichtlich rechtmäßig:

Das ergibt sich bereits aus Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Anordnung eines ärztlichen Gutachtens vom 14. März 2018. Es spricht Einiges dafür, dass diese Anordnung unverhältnismäßig war, sodass der Antragsteller sie nicht befolgen musste und ihm seine entsprechende (im Rahmen der Umdeutung jedenfalls unterstellte) Weigerung im Rahmen des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nicht entgegengehalten werden darf. Das ergibt sich aus Folgendem:

Der Anordnung zufolge hatte der Gutachter zusammengefasst die Frage zu beantworten, ob der Antragsteller trotz der bekannt gewordenen Auffälligkeiten im Straßenverkehr (Unfall nicht bemerkt) und den vorliegenden Hinweisen auf Erkrankungen (Hypertonie, Schwerhörigkeit) ein Kraftfahrzeug sicher führen könne oder ob Auflagen oder näher zu konkretisierende Nachuntersuchungen erforderlich seien; darüber hinaus sollte im vorliegenden Fall die Überprüfung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit durchgeführt werden, was auch die Durchführung eines eventuell erforderlichen Fahrverhaltensbeobachtung beinhaltete.

Der Anordnung lag eine Aufforderung des Antragsgegners vom 1. März 2018 gegenüber dem Antragsteller zugrunde. Darin stellte er darauf ab, nach Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 1 StPO wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) habe die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) die Verfahrensakte zur Prüfung der Fahreignung weitergeleitet. Er – der Antragsteller – sei am 22. März 2017 rückwärts aus einer Parkbucht gefahren, habe zu früh eingelenkt und sei mit einem anderen Fahrzeug zusammengestoßen. Es sei zum Unfall mit Sachschaden gekommen. Er habe in der Folge angegeben, den Unfall nicht bemerkt zu haben. Die Polizei habe ihn kurz darauf indes Zuhause dabei angetroffen, wie er den Schaden am eigenen Fahrzeug bereits ausbesserte. Es seien daher Zweifel daran entstanden, ob er zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs noch geeignet bzw. befähigt sei. Man beabsichtige, die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen. Zuvor gebe man ihm die Möglichkeit, den beigefügten Fragebogen von seinem Hausarzt ausfüllen zu lassen und zurückzusenden. Dies solle dazu dienen, „ggf. weitere Erkrankungen zu ermitteln“, die auch im Untersuchungsumfang abgeklärt werden müssten, um dem Antragsteller zusätzliche Untersuchungen zu ersparen. Man weise auf seine Mitwirkungspflicht hin. In dem vom Antragsteller später ausgefüllt zurückgereichten Fragebogen machte die Hausärztin keine die Fahreignung infrage stellenden Angaben. Sie wies darauf hin, dass der Antragsteller ein Hörgerät trage und vier verschiedene Medikamente einnehme. Nach Ermittlung der Anwendungsgebiete dieser Medikamente (u.a. Bluthochdruck) ordnete der Antragsgegner unter dem 14. März 2018 die o.g. Überprüfung der Kraftfahreignung des Antragstellers durch Vorlage eines ärztlichen Gutachtens an.

Es spricht einiges dafür, dass dieses Vorgehen unverhältnismäßig und daher rechtswidrig war. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die auf § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 FeV gestützte Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anlassbezogen und verhältnismäßig sein muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – BVerwG 3 B 16.14 – juris Rn. 8). Daraus folgt, dass zwischen dem zu Bedenken an der Kraftfahreignung Anlass gebenden Ausgangssachverhalt und einer nach den § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV festzulegenden Fragestellung ein hinreichender innerer Zusammenhang bestehen muss (vgl. etwa Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. April 2017 – 12 PA 199/16 – juris Rn. 13; VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 2. Dezember 2013 – 10 S 1491/13 – juris Rn. 5). Am Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen Zweifel:

Ausgangssachverhalt war einzig die Angabe des Antragstellers, einen Zeugen zufolge stattgefundenen Unfall beim Ausparken nicht bemerkt zu haben. Für sich genommen kann dieser Sachverhalt – ohne weitere, gegebenenfalls in der Hauptsache noch zu ermittelnde Begleitumstände – schwerlich als Anlass für die Anordnung eines medizinischen Gutachtens dienen. Es spricht vielmehr Einiges dafür, dass der Antragsteller – wie er vortragen lässt – durch seine Behauptung nur von seinen Rechten als Beschuldigter Gebrauch machte. Insbesondere der Umstand, dass die Polizei ihn unmittelbar danach bereits bei der Ausbesserung des an seinem Kfz entstandenen Schadens antraf, deutet darauf hin. Die Anordnung einer umfassenden medizinischen Untersuchung – insbesondere des zum Nachteil des Antragstellers ausgefallene Leistungstests – trägt das Geschehen nach Ansicht der Kammer jedenfalls nicht ohne weiteres.

Soweit der Antragsgegner die Anordnung vom 14. März 2018 so verstanden wissen möchte, dass sie insgesamt auf den von der Hausärztin des Antragstellers ausgefüllten Fragebogen gestützt ist, ergeben sich auch insoweit Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnung. Die Kammer folgt der Ansicht, dass den o.g. Anforderungen nicht nur diejenigen Aufklärungsmaßnahmen unterliegen, die nach § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 FeV ergriffen werden sollen, sondern sie kennzeichnen das behördliche Aufklärungsziel insgesamt. Anlassbezogen und verhältnismäßig müssen deshalb auch diejenigen Fragestellungen sein, welche die Fahrerlaubnisbehörde an behandelnde Ärzte richtet, um die in § 11 FeV geregelten Aufklärungsmaßnahmen vorzubereiten (vgl. hierzu ausführlich Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 29. September 2017 – 12 ME 136/17 – Rn. 4 – 8, juris). Denn aus der passiven Formulierung in § 46 Abs. 3 FeV „Werden Tatsachen bekannt …“ ist zu schließen, dass Ziel der Aufklärung des Sachverhalts zu sein hat, die durch die bekannt gewordenen Tatsachen bedingten Eignungsbedenken zu klären, nicht aber aus Anlass solcher Bedenken den Betroffenen „ins Blaue hinein“ unter einen gesundheitlichen Generalverdacht zu stellen und umfassend nach potentiell eignungsrelevanten ärztlichen Befunden auszuforschen, die dann als Anknüpfungstatsachen für weitere durch den Ausgangssachverhalt nicht gerechtfertigte Eignungsbedenken verwendet werden können. Mit dem Niedersächsischen OVG (a.a.O., Rn. 6) geht die Kammer davon aus, dass in der Umsetzung eines gemessen an diesem Maßstab materiell-rechtlich überschießenden Aufklärungsbestrebens der Behörde zugleich ein nicht dem Zweck des § 24 Abs. 1 Satz 2 VwVfG (i. V. m. § 1 Abs. 1 VwVfGBbg) entsprechender Fehlgebrauch des Verfahrensermessens liegt, wenn die ergriffene Aufklärungsmaßnahme mit einem Verstoß gegen den Grundsatz der Fairness im Verwaltungsverfahren einhergeht. Das könnte vorliegend der Fall sein.

Das Vorgeschehen (Unfall) gab dem Antragsgegner nämlich auch nicht ohne weiteres Anlass, die Hausärztin des Antragstellers zur umfassenden Angabe aller fahreignungsrelevanten Leiden (allgemeiner Gesundheitszustand, Behinderungen, Herz/Kreislauf und Blut, Nierenerkrankung, endokrine Störungen, Nervensystem, psychische Erkrankungen/Sucht, Gehör/Gleichgewicht, Sehvermögen, Erkrankungen mit erhöhter Tagesschläfrigkeit, Medikamentenverordnungen und -einnahmeverhalten) ihres Patienten zu veranlassen. Wie in dem vom Niedersächsischen OVG zu entscheidenden Fall lag es auch hier für den Antragsgegner schon in Anbetracht des Alters des Antragstellers auf der Hand, dass sich aus einem vollständig ausgefüllten Fragebogen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Anknüpfungspunkte für allein durch den Ausgangssachverhalt nicht gerechtfertigte weitere Eignungsbedenken ergeben könnten, dass aber durch die Stellungnahme eines Hausarztes, der in der Regel über keine verkehrsmedizinische Qualifikation verfügt, solche Bedenken nicht ohne weiteres auszuräumen sein würden. Der Antragsgegner hat durch seine überschießenden „Vorermittlungen“ das Erfordernis der Anlassbezogenheit einer auf § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 FeV gestützten Untersuchungsanordnung umgangen und den Antragsteller durch seine Ausführungen im Schreiben vom 1. März 2018 zur Mitwirkung bewogen.

Sofern man unter Hinweis auf die o.g. Rechtsprechung zur Unbeachtlichkeit der Rechtswidrigkeit der Anordnung eines ärztlichen Gutachtens bei dessen Vorlage auch vorliegend einwenden will, dass sich Rechtsfragen mit Vorlage des ausgefüllten Fragebogens erledigt hätten, greift dies nicht durch. Zwar mag insoweit grundsätzlich nichts anderes gelten als in denjenigen Fällen, in denen ein Fahrerlaubnisinhaber der Behörde ein gestützt auf § 46 Abs. 3 FeV i. V. m. § 11 FeV angefordertes Gutachten vorgelegt hat, obwohl die Anordnung der Beibringung dieses Gutachtens rechtswidrig war (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2010 – BVerwG 3 C 2.10 -; juris, Rn. 19). Vorliegend gab der von der Hausärztin ausgefüllte Fragebogen (Nrn. 1 bis 10 sowie Nrn. 12 und 13) indes schon keinerlei unmittelbaren Anlass für Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers. Die Frage, ob die von der Hausärztin unter Nr. 11 des Fragebogens aufgelistete Medikamentengabe Anlass für die veranlasste Anordnung einer ärztlichen Begutachtung sein durfte, hat die Kammer im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu klären. Die vom Antragsgegner angeführte Gabe von Metroprolol kommt nicht nur als Therapie des Bluthochdrucks usw. in Betracht sondern auch zur Anfallsprophylaxe bei Migränepatienten ( https://de.wikipedia.org/wiki/Metoprolol ); Irbesartan wird für die Behandlung des Bluthochdrucks und bei Nierenerkrankung bei Patienten mit Hypertonie und Typ-2-Diabetes mellitus als Teil einer antihypertensiven Behandlung verschrieben ( https://de.wikipedia.org/wiki/Irbesartan ). Unmittelbare Anhaltspunkte dafür, dass ein nach Nr. 4.2.1 der Anlage 4 zur FeV für die Fahreignung relevante Hypertonie/Bluthochdruck (nur bei zerebraler Symptomatik und/oder Sehstörungen) oder Blutdruckwerte gemäß Nr. 4.2.2 (≥ 180 mmHg systolisch und/oder ≥ 110 mmHg diastolisch) beim Antragsteller vorliegen könnten, bestanden jedenfalls nicht.

3.

Allerdings ergibt die damit gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen, dass die sofortige Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts aufrechtzuerhalten ist. Abzustellen ist insoweit auf die bei Durchführung der Leistungstests durch Herrn Diplom-Psychologen S. T…im Rahmen der Begutachtung durch p… am 26. Juni 2018 erzielten Ergebnisses. Danach ergaben sich für das psycho-physische Leistungsvermögen des Antragstellers im adaptiven tachistoskopischen Verkehrsauffassungstest (ATAVT/S1), im Wiener Determinationstest (DT/S1) und im Test zur Erfassung der Aufmerksamkeit und Konzentration (Cognitrone/S11) jeweils massive Defizite, ohne dass es bei der Durchführung der Tests Hinweise auf Instruktionsmängel oder äußere Störfaktoren gegeben hätte. Das öffentliche Vollziehungsinteresse verdrängt selbst bei offenen Erfolgsaussichten das private Aussetzungsinteresse, solange die Fahreignung des Antragstellers nicht positiv festgestellt ist. Dieser Vorrang folgt aus dem Gewicht der sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden staatlichen Schutzpflicht, der zufolge der Staat gehalten ist, sich schützend und fördernd vor das menschliche Leben zu stellen und dieses vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Anderer zu bewahren (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Oktober 1977 – 1 BvQ 5/77 – juris Rn. 13). Diese staatliche Schutzpflicht gilt auch und gerade im Hinblick auf die Sicherheit des Straßenverkehrs (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96 – juris Rn. 52) und somit für die Abwehr von Gefahren, die durch die Teilnahme von nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeigneten Fahrern am Straßenverkehr entstehen können (so zur Intention der §§ 3 Abs. 1 StVG, 46 Abs. 1 FeV: BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 – 3 C 32.07 – juris Rn. 14). Von daher beansprucht auch hier der Grundsatz Geltung, dass die Gefahren für die Allgemeinheit, die von einem möglicherweise zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet geltenden Verkehrsteilnehmer ausgehen, jedenfalls solange schwerer wiegen als das private Interesse des Einzelnen, weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen zu können, bis die Zweifel an seiner Kraftfahreignung ausgeräumt sind (st. Rspr. des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, grundlegend: Beschluss vom 6. Februar 2018 – OVG 1 S 100.18; Rn. 9; zuletzt: Beschluss vom 31. Oktober 2018; OVG 1 S 101.18; Rn. 7, jeweils zitiert nach juris). Zwar ist Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass mit der sofortigen Durchsetzung der Fahrerlaubnisentziehung ein ganz erheblicher und letztlich nicht wiedergutzumachender Verlust an persönlicher Mobilität für ihn verbunden ist und damit eine durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützte Rechtsposition tangiert wird. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass die vorliegende Einschätzung seiner Leistungsfähigkeit ungeachtet der aufgezeigten Bedenken hinsichtlich der Verwertbarkeit des Gutachtens zumindest beachtliche Zweifel daran weckt, dass der Antragsteller den hohen Anforderungen, die der motorisierte Straßenverkehr an die menschliche Leistungsfähigkeit stellt, aktuell noch hinreichend gewachsen ist. Auch vor dem Hintergrund des unkalkulierbaren Risikos, das von einem – wie hier möglicherweise – ungeeigneten Kraftfahrzeugführer für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer ausgeht, erscheint es in Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht verantwortbar, dem Antragsteller bis zur definitiven Klärung seiner Fahreignung vorerst die weitere Verkehrsteilnahme zu erlauben (vgl. zu einem ähnlichen Fall OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Februar 2013 – 16 B 1229/12 -, juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer sieht für eine abweichende Entscheidung keinen Anlass. Insbesondere sind die Regelungen in § 155 VwGO vorliegend auch angesichts der offenen Erfolgsaussichten des Widerspruchs nicht einschlägig.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Bedeutung der Sache für den Antragsteller. Die Kammer hat sich insofern an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 angelehnt (vgl. www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php; dort Nr. 46.3). Der sich so ergebende Auffangwert i.H.v. 5000,00 Euro für die Fahrerlaubnis der Klasse BE ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf den hälftigen Betrag zu reduzieren.

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