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Fahrerlaubnisentziehung – rechtswidrige Gutachtensanforderung

VG Bayreuth – Az.: B 1 S 19.1118 – Beschluss vom 10.12.2018

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Nummern 1 und 2 des Bescheids des Landratsamts … vom 6. November 2019 wird wiederhergestellt.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die am … geborene Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klasse 3.

Die Polizei Autobahn- und Bezirksrevier Nord teilte dem Landratsamt … mit, dass die Antragstellerin am … am Parkplatz …. angetroffen worden sei, wobei der Eindruck entstanden sei, dass sie verwirrt gewesen sei und um Hilfe gesucht habe. Sie habe einen orientierungslosen Eindruck gemacht.

Bei einer Vorsprache der Antragstellerin beim Landratsamt gab diese an, an Diabetes erkrankt zu sein. Nach Aufforderung durch das Landratsamt übersandte die Antragstellerin einen Fragebogen und eine Medikamentenverordnungsübersicht. Dr. med. St. vermerkte auf dem Fragebogen, dass die Antragstellerin an Diabetes mellitus, COPD und einer Schilddrüsenerkrankung leide (Medikamente: Duaklir Genuair 340/12UG IHP, L-Thyroxin, Metformin und Salbutamol).

Das Landratsamt forderte die Antragstellerin auf, bis zum 3. Mai 2019 ein Gutachten eines Facharztes für Innere Medizin vorzulegen. Es wurde darauf hingewiesen, dass die chronisch-obstruktive Bronchitis Auswirkungen auf die Fahreignung habe, wenn Rückwirkungen auf die Herz-Kreislaufdynamik bestünden (Nr. 11.3 der Anlage 4 zur FeV). Die Erkrankung an Diabetes falle unter Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV. Zudem werde das Medikament Duaklir Genuair eingenommen, welches Schwindel hervorrufen könne. Das Gutachten solle zu folgenden Fragen Auskunft geben:

„1. Ist Frau …. trotz Vorliegens von Erkrankungen (hier chronisch-obstruktive Bronchitis, Diabetes mellitus) und der damit verbundenen Medikation in der Lage den Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden?

2. Liegt eine ausreichende Compliance vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)?

3. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeugs (je Fahrerlaubnisklassengruppe) gerecht zu werden?

4. Ist bzw. wird insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 (z.B. ärztliche Kontrollen) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange?

Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen; wenn ja, warum?

5. Ist eine fachlich einzelfallbegründete (je Fahrerlaubnisklassengruppe) Nachuntersuchung i.S. einer erneuten (Nach-) Begutachtung erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand?“

In dem internistischen Gutachten vom 9. August 2019 kam Frau Dr. med. B. zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin trotz des Diabetes und der medikamentösen Therapie in der Lage sei, die Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 und 2 zu führen. Die vorliegende COPD zeige sich als starke obstruktive Störung. Die eingesetzte Bedarfsmedikation schränke die Fahreignung nicht ein. Hinsichtlich dieser Erkrankung sei die Vorstellung beim Lungenfacharzt erforderlich, da beurteilt werden müsse, ob die Bedarfsmedikation ausreichend sei und es müsse überprüft werden, ob die Lungenerkrankung Einfluss auf das kardiovaskuläre System habe. Dieses fachärztliche Attest sei der Führerscheinstelle vorzulegen.

Mit Schreiben vom 3. September 2019 an den Bevollmächtigten der Antragstellerin wies das Landratsamt darauf hin, dass das Gutachten am 20. August 2019 übersendet worden sei. Das Ergebnis des Gutachtens wurde mitgeteilt. Zudem wurde die Antragstellerin aufgefordert, bis zum 4. Oktober 2019 das im Gutachten von Frau Dr. med. B. erwähnte fachärztliche Attest vorzulegen. Es wurde darauf hingewiesen, dass bei Nichtvorlage auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden könne (§ 11 Abs. 8 FeV).

Der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. med. Sch. diagnostizierte mit Schreiben vom 7. Oktober 2019 bei der Antragstellerin eine COPD (J44.99, G, Gold 2). Es ergebe sich kein Hinweis auf das Vorliegen eines Schlafapnoesyndroms. Eine polygraphische Kontrolle in einem Jahr sei empfehlenswert.

Das Landratsamt hörte die Antragstellerin zum Entzug der Fahrerlaubnis an, da der Lungenfacharzt keine Aussage getroffen habe, ob die Bedarfsmedikation ausreiche oder ob eine Umstellung der Medikation notwendig sei. Zudem enthalte das Schreiben keine Stellungnahme zum Einfluss der Erkrankung auf das kardiovaskuläre System. Es wurde Gelegenheit gegeben, bis zum 28. Oktober 2019 die geforderte ärztliche Einschätzung nachzureichen.

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2019 wies der Bevollmächtigte der Antragstellerin darauf hin, dass die Fragen von Dr. med. Sch. bei richtiger Lesart im positiven Sinne beantwortet worden seien. Die positive Bewertung sei unter den Vorbehalt gestellt worden, dass eine polygraphische Kontrolle durchgeführt werden müsse. Dass nach der Vorstellung des Landratsamts eine Analyse der Notwendigkeit der Umstellung der Medikation zu erfolgen habe, sei der Fragestellung nicht zu entnehmen. Zudem wurde ein ärztliches Attest der als Hausarzt tätigen Internistin Dr. med. St vorgelegt. Diesem ist zu entnehmen, dass die COPD im Gold-Stadium 3 unter laufender inhalativer Therapie ohne Exazerbation stabil sei. Weitere Stellungnahmen wurden angekündigt.

Mit Bescheid vom 6. November 2019 entzog das Landratsamt der Antragstellerin die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (Nr. 1) und ordnete an, dass der Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung bei der Führerscheinstelle abzugeben ist (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4). Für den Fall der Nichterfüllung der Verpflichtung in Nr. 2 des Bescheids wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300 EUR zur Zahlung angedroht (Nr. 3). Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Zweifel der Frau Dr. med. B. im Gutachten vom 9. August 2019 nicht ausgeräumt worden seien. Deshalb könne auf die Ungeeignetheit der Antragstellerin geschlossen werden (§ 11 Abs. 8 FeV).

Gegen diesen Bescheid ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch erheben und vortragen, dass aus fachärztlicher Sicht des Dr. med. Sch. keine Beeinträchtigung vorliege. Das Gutachten der Frau Dr. med. B. sei, ohne dass für die Antragstellerin erklärbar oder erkennbar dargelegt worden sei, welche konkreten Punkte geklärt werden müssten, als unzureichend bewertet worden. Die Antragstellerin habe keine ausreichende Gelegenheit zur Mängelbeseitigung erhalten. Es sei keine Klarstellung der erklärungsbedürftigen Punkte erfolgt und auch nicht, aus welchen Gründen dies für die Fahreignung relevant sein sollte. Frau Dr. med. …. habe die unausgesprochen gebliebenen Zweifel und deren Kausalzusammenhang mit dem angeblichen Verlust der Fahreignung nicht aufklären können. Dieses Fehlverhalten könne nicht der Antragstellerin zur Last gelegt werden. Es hätte einer konkreten Beweisfragestellung bedurft, was nicht geschehen sei. Vorgelegt wurde zudem ein Schreiben des Dr. med. Sch. vom 11. November 2019, dass ein Schlafapnoesyndrom ausgeschlossen werden könne.

Die Antragstellerin ließ mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 21. November 2019, eingegangen beim Verwaltungsgericht … am selben Tage, beantragen:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 14. November 2019 gegen den Bescheid des Landratsamts …, Abteilung Straßenverkehr, unter dem Aktenzeichen …, vom 6. November 2019, zugestellt am 9. November 2019, wird wiederhergestellt.

Hilfsweise: Die Aufhebung des Vollzugs des Bescheids des Antragsgegners vom 6. November 2019, unter dem Aktenzeichen …, vom 6. November 2019, zugestellt am 9. November 2019, wird angeordnet.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Antragstellerin Tätigkeiten im Bereich des Lagerbefüllens ausübe und auf Grund ihres Wohnortes auf das Fahrzeug angewiesen sei, um zur Arbeit zu kommen. Die Polizeibeamten hätten keine Ausfallerscheinungen bei der Antragstellerin festgestellt. Es seien keine Ansatzpunkte vorhanden gewesen, die die Fahreignung in Frage gestellt hätten. Auch im medizinischen Bereich ergäben sich keine Anhaltspunkte. Dr. med. Sch. habe unter dem 7. Oktober 2019 und 11. Oktober 2019 festgestellt, dass ein Schlafapnoesyndrom nicht bestehe und keine Beschränkungen hinsichtlich der Fahreigenschaft vorliegen würden. Auch die von Dr. med. St. attestierte COPD Erkrankung (im Gold-Stadium 3) sei durch die inhalative Therapie ohne Auswirkung auf die Fahreignung (Schreiben vom 24. Oktober 2019). Frau Dr. med. B. habe ebenfalls festgestellt, dass eine Beeinträchtigung der Fahreignung nicht bestehe. Diese Stellungnahme habe sie dem Landratsamt direkt zugestellt. Angesichts der ärztlichen Stellungnahmen bestehe keine Grundlage für den Entzug der Fahrerlaubnis. Es fehle zudem an der Dringlichkeit. Sollten noch ärztliche Stellungnahmen nachgereicht werden können, so könne dies auch noch im Hauptsacheverfahren erfolgen.

Das Landratsamt … legte am 2. Dezember 2019 die Akten vor und beantragte, den Antrag abzulehnen.

Es erwiderte, dass das von Dr. med. Sch. erstellte Attest die im Gutachten von Frau Dr. med. B. offen gelassenen Fragen nicht ausreichend beantworte, weshalb die Zweifel an der Fahreignung nicht ausgeschlossen werden könnten. Das Attest gehe nicht darauf ein, ob die Bedarfsmedikation ausreichend sei. Weiter würde die lungenfachärztliche Einschätzung fehlen, ob die Erkrankung Einfluss auf das kardiovaskuläre System genommen habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die übermittelte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).

II.

Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 6. November 2019. Die Auslegung des gestellten Antrags (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), insbesondere die Wortlautauslegung, ergibt, dass die Antragstellerin nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides, nicht jedoch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bezüglich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids begehrt.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen.

1. Ausgehend von den oben genannten Grundsätzen ist nach summarischer Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, festzustellen, dass der Bescheid vom 6. November 2019 in Nr. 1 rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil der Antragsgegner nicht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen durfte.

a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 hinweisen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sie ihn hierauf bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens hingewiesen hat (§ 11 Abs. 8 FeV).

Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Fall der Nichtbeibringung eines Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist nur zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist insbesondere, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was ihr konkreter Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 55).

An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung sind auch formal strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller die Gutachtensaufforderung mangels Verwaltungsaktsqualität nicht direkt anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung und die dort formulierte Fragestellung sowie die genannten Rechts- und Beurteilungsgrundlagen gebunden. Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und nicht Aufgabe des Gutachters oder des Antragstellers, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar und fehlerfrei festzulegen (vgl. BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16/14 – Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 21 mit Anmerkung Liebler, BayVGH, B.v. 25.7.2016 – 11 CS 16.1256 – juris).

b) Der Schluss auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist vorliegend rechtswidrig, da die Aufforderung des Landratsamts vom 3. September 2019 nicht den Anforderungen des § 11 FeV entspricht (aa) und auf die Aufforderung vom 27. Februar 2019 hin ein internistisches Gutachten vorgelegt wurde (bb).

aa) Die vom Landratsamt mit Schreiben vom 3. September 2019 erstellte Aufforderung zur Vorlage des „im Gutachten von Frau Dr. med. B. erwähnten fachärztlichen Attests“ genügt aus mehreren Gründen nicht den Anforderungen des § 11 FeV.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV ist zu bestimmen, ob das Gutachten von einem für die Fragestellung zuständigen Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation, einem Arzt des Gesundheitsamts, einem Arzt mit der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ oder „Facharzt für Rechtsmedizin“ oder Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 erfüllt, erstellt werden soll. Das Landratsamt ordnete die Beibringung eines von Frau Dr. med. B. „erwähnten fachärztlichen Attests“ an, ohne zu konkretisieren, durch welchen Arzt im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV das Gutachten erstellt werden soll. Einzig die Fachrichtung Lungenfacharzt ist bei genauem Lesen der Anordnung erkennbar. Vorgelegt werden soll ein „fachärztliches Attest“ und kein „ärztliches Gutachten“ im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV.

Eine konkrete Fragestellung ist der Aufforderung nicht zu entnehmen. Gemäß § 11 Abs. 6 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Sie teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann (§ 11 Abs. 6 Sätze 1 bis 3 FeV).

Aus dem Wortlaut und Sinn und Zweck des § 11 Abs. 6 FeV folgt, dass schon in der Gutachtensanordnung die Konkretisierung des Untersuchungsthemas zu erfolgen hat. Die konkrete Fragestellung ist nach dem Willen des Verordnungsgebers in der Anordnung selbst festzulegen und hat die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dabei wird der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde die Pflicht auferlegt, – gegebenenfalls unter Heranziehung des öffentlichen Gesundheitsdienstes – selbst bereits in der Gutachtensanordnung festzulegen, welche konkreten Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zu untersuchen sind. Die Fragestellung obliegt allein dem Antragsgegner. Er kann diese Frage nicht der Begutachtungsstelle oder dem Antragsteller überantworten, jedoch darf und muss er die Empfehlungen des vorherigen medizinischen Gutachtens berücksichtigen (VGH BW, U.v. 10.12.2013 – 10 S 2397/12 – juris; VG Osnabrück, B.v. 18.7.2013 – 6 B 40/13 – juris). Die Fragestellung muss konkret sein und differenziert benennen, was genau in der jeweiligen Sachverhaltsgestaltung Gegenstand der Überprüfung der Kraftfahreignung sein soll (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 42; VG Würzburg, Bv. 13.02.2014 – W 6 S 14.62 – juris Rn. 29).

Vorliegend wurde im Schreiben vom 3. September 2019 überhaupt keine Fragestellung durch den Antragsgegner formuliert. Indirekt werden nur die von der ersten Gutachterin angesprochenen Bedenken wiederholt, ohne zu erkennen zu geben, welche Fragen das Landratsamt selbst durch einen weiteren Gutachter geklärt wissen möchte. Es überrascht nicht, dass der von der Antragstellerin hinzugezogene Facharzt die Bedenken des Landratsamts durch die vorgelegten Atteste nicht beantworten konnte, da aus den der Antragstellerin zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht hinreichend klar war, welche konkreten Fragen der Facharzt beantworten sollte.

Der Hinweis auf die Einsichtsmöglichkeit der Unterlagen fehlt gänzlich, ebenso fehlt die Darlegung der Gründe hinsichtlich der Zweifel an der Eignung. Bei dem Hinweis auf die Einsichtsmöglichkeit der Unterlagen handelt es sich nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift, deren Verletzung ohne Bedeutung ist. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Vorschrift („teilt mit“) und zum anderen aus dem Sinn und Zweck der Regelung, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, zu entscheiden, ob er der Begutachtungsanordnung folgen will oder nicht. Zwar wird angenommen, dass § 46 VwVfG Anwendung findet, wobei aber im Hinblick auf die Bedeutung ein strenger Maßstab angenommen werden muss. (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 47 unter Berufung auf BVerwG U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/5 – juris – NJW 17, 1765). Hier gab der Bevollmächtigte der Antragstellerin zu erkennen, dass das Gutachten von Frau Dr. med. B. direkt an das Landratsamt versendet wurde und die Antragstellerin vom Inhalt keine Kenntnis hatte, weshalb die Einsichtsmöglichkeit in die Unterlagen im vorliegenden Fall relevant war.

Zu Unrecht wird im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt, dass die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 8 FeV berechtigt sei, auf die Nichteignung des Betroffenen zu schließen, wenn dieser die „von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte fachärztliche Stellungnahme nicht fristgerecht beigebracht hat“. § 11 Abs. 8 FeV bezieht sich nach seinem Wortlaut eindeutig nur auf „Gutachten“ und nicht auf die Anordnung des Beibringens „fachärztlicher Atteste“. Dass sich die Antragstellerin weigerte, sich im Sinne des § 11 Abs. 8 FeV untersuchen zu lassen, kann ebenfalls nicht angenommen werden, da sie sich durch einen Lungenfacharzt untersuchen ließ und auch entsprechende Atteste vorlegte.

bb) Der Schluss auf die Nichteignung der Antragstellerin gemäß § 11 Abs. 8 FeV kann auch nicht aus der (formal rechtmäßigen) Begutachtensaufforderung vom 27. Februar 2019 gezogen werden, da das internistische Gutachten vorgelegt wurde. Dass die Fragen bezüglich der chronisch-obstruktiven Bronchitis nicht beantwortet wurden, liegt daran, dass ein Facharzt der Inneren Medizin nicht die Kompetenz zur Beantwortung von Fragen betreffend die Medikation einer Lungenerkrankung hat. Zu Recht hat Frau Dr. med. B im Gutachten vom 9. August 2019 auf Seite 5 deshalb darauf hingewiesen, dass hierfür eine Kontrolle beim Lungenfacharzt (hinsichtlich der Geeignetheit der Bedarfsmedikation) erforderlich ist. Hinsichtlich des Einflusses auf das kardiovaskuläre System kann eine internistische Beurteilung erforderlich sein (Blutgasanalysen oder Beachtung der Herzleistung). Eine weitere Diagnosemöglichkeit ist die Polygraphie, welche wohl durch den Lungenfacharzt durchgeführt wird, wie sich aus der Stellungnahme des Lungenfacharztes Dr. med. Sch. vom 7. Oktober 2019 ergibt (zu Rückwirkungen auf die Herz-Kreislauf-Dynamik bei Lungen- und Bronchialerkrankungen – Schubert, Huetten, Reimann, Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Auflage 2018, Seite 167). Was die internistische Beurteilung betrifft, scheint die Fachärztin keine Bedenken gehabt zu haben, da sie ansonsten nicht zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass eine Fahreignung besteht, wenn das lungenfachärztliche Attest keine anderweitige Aussage erkennen lässt. Dass die lungenfachärztliche Fragestellung von der Internistin nicht beantwortet werden konnte, kann nicht der Antragstellerin im Rahmen des § 11 Abs. 8 FeV angelastet werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist nur zulässig, wenn die Fragestellungen in den Kompetenzbereich des von der Behörde abstrakt bestimmten Gutachters fallen (Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 11 FeV, Rn. 125).

c) Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV (insbesondere Nr. 11. 3: schwere Lungen- und Bronchialerkrankung mit schweren Auswirkungen auf Herz-Kreislauf-Dynamik) noch nicht feststeht, kann auch nicht gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV von der Nichteignung der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden. Allein die Nichtvorlage eines geforderten Attestes ohne vorangehende Gutachtensanordnung nach § 11 Abs. 2 FeV reicht hierfür nicht aus, zumal die im hausärztlichen Dienst behandelnde Internistin mit Schreiben vom 24. Oktober 2019 festgestellt hat, dass die COPD im Gold-Stadium 3 unter laufender inhalativer Therapie ohne relevante Exazerbationen stabil sei. Der Lungenfacharzt diagnostizierte sogar nur ein Gold-Stadium 2 (im Schreiben vom 7. Oktober 2019) und schloss zumindest ein obstruktives Schlafapnoesyndrom aus. Das Gericht geht zwar davon aus, dass die Erkrankung der Antragstellerin Anlass ist, dass ein weiteres Gutachten angefordert werden kann (hinsichtlich der Geeignetheit der Bedarfsmedikation und des Einflusses auf das kardiovaskuläre System – soweit dies von einem Lungenfacharzt überprüft werden kann). Es ist aber nach aktueller Aktenlage nicht möglich, vom Vorliegen einer Erkrankung nach Nr. 11.3 der Anlage 4 zur FeV ohne weitere Aufklärung auszugehen.

2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Abgabeverpflichtung des Führerscheins (Nr. 2) ist ebenfalls erfolgreich. Die Abgabeverpflichtung erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig. Nachdem der Antragstellerin die Fahrerlaubnis zu Unrecht und sofort vollziehbar entzogen worden ist, ist die Abgabeverpflichtung als begleitende Anordnung, die ebenfalls für sofort vollziehbar erklärt wurde, nicht geboten, da keine Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV besteht.

3. Das Gericht weist darauf hin, dass durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs die in Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG genannte Vollstreckungsvoraussetzung für die Durchsetzung der Zwangsgeldandrohung nicht gegeben ist.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57) – BayVGH, B.v. 30.01.2014 – 11 CS 13.2342 – juris Rn. 22).

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