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Überholverbot an unübersichtlichen Stellen – Haftungsabwägung bei Verkehrsunfall

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 4 U 136/21 – Urteil vom 15.12.2022

I. Auf die Erstberufung des Klägers und die Zweitberufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28.09.2021, Az. 4 O 265/20, unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.800 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2020 zu zahlen. Der Beklagte zu 1 wird darüber hinaus verurteilt, an den Kläger Zinsen aus 2.800 € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für die Zeit vom 26.08.2020 bis zum 02.09.2020 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger unter Anrechnung eines eigenen Mitverursachungsanteils von einem Drittel sämtliche materiellen Schäden und sämtliche zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf den Verkehrsunfall vom 31.08.2019 in Nonnweiler-Primstal zurückzuführen sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Dr. G. Rechtsanwälte, in Höhe von 492,54 € freizustellen.

II. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 50,5 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 49,5 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 14 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 86 %.

III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Überholverbot an unübersichtlichen Stellen - Haftungsabwägung bei Verkehrsunfall
(Symbolfoto: New Africa/Shutterstock.com)

Der Kläger begehrt von den Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes und die Feststellung der umfänglichen Einstandspflicht für die ihm entstandenen und noch entstehenden Schäden aus einem Verkehrsunfall, der sich am 31.08.2019 in Nonnweiler-Primstal ereignete. Der Kläger befuhr mit seinem Rennrad in einer Gruppe von insgesamt 5 Radfahrern die Hauptstraße in Richtung Wadern. Die Teilnehmer der Gruppe fuhren zum Unfallzeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h und untereinander dicht auf; der Kläger war der vorletzte Fahrer des Pulks. Dahinter fuhr der Beklagte zu 1 in gleicher Fahrtrichtung mit dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Fahrzeug VW Golf, amtliches Kennzeichen MZG, an dem ein Anhänger angebracht war. Der Beklagte zu 1 versuchte, die Radfahrerkolonne zu überholen. Wegen eines entgegenkommenden Fahrzeugs, welches einen Pferdeanhänger zog, brach er den Überholvorgang jedoch wieder ab. Hierbei kamen der Kläger sowie zwei weitere seiner Mitfahrer – der vor ihm fahrende Zeuge F. und der hinter ihm fahrende Zeuge R. – zu Fall.

Der Kläger zog sich bei dem Sturz eine Schultereckgelenkssprengung Typ Rockwood IV an der rechten Schulter, eine Beckenprellung rechts sowie Schürfwunden am linken Unterschenkel zu. Er wurde am 03.09.2019 an der Schulter operiert und vom 03.09.2019 bis 05.09.2019 stationär behandelt Die Schulter wurde im Anschluss mit einem Schulterabduktionskissen versorgt, das der Kläger für 6 Wochen tragen musste. Er war für eine Dauer von 3 Wochen arbeitsunfähig und durfte vom 31.08.2019 bis 31.10.2019 kein Kfz führen. Für einen Zeitraum von 4 Wochen litt er unter erheblichen Schmerzen und infolge der Abduktionsschiene unter körperlichen Einschränkungen.

Die mit Anwaltsschreiben vom 24.02.2020 zur Anerkennung ihrer Haftung dem Grunde nach aufgeforderte Beklagte zu 2 wies die geltend gemachten Ansprüche als unbegründet zurück.

Der Kläger hat zum Unfallhergang behauptet, die Radfahrer seien mit einer Geschwindigkeit von etwa 35 km/h (Bl. 44 d.A.) bzw. 30 km/h (Bl. 46 d.A.) gefahren. Als sich der Beklagte zu 1 mit seinem Gespann schon etwa auf der Höhe des die Kolonne anführenden Zeugen Ra. befunden habe, habe er wegen des entgegenkommenden Fahrzeugs abgebremst und sei nach rechts in Richtung der Radfahrer gezogen. Der Zeuge F. habe daraufhin in dem Versuch, eine Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug zu vermeiden, gebremst und sei nach rechts ausgewichen. Hierdurch seien der ihm folgende Kläger und der zuletzt fahrende Zeuge R. nach rechts abgedrängt worden, wobei der Kläger eine Kollision mit dem Fahrrad des Zeugen F. und der Zeuge R. eine Kollision mit dem Fahrrad des Klägers nicht habe vermeiden können.

Der Kläger hat behauptet, er leide nach wie vor unter chronischen Schmerzen, insbesondere beim Heben schwerer Gegenstände, und sei in seinen Bewegungen eingeschränkt; ein Knochenteil stehe nunmehr vom Körper ab. Für die erlittenen Verletzungen und Beeinträchtigungen hat der 1958 geborene Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € für angemessen und erforderlich gehalten. Seine mit dem Klageantrag zu 3 geltend gemachten außergerichtlichen Anwaltskosten hat er aus einem Streitwert von 5.000 € auf der Grundlage einer 1,3 Geschäftsgebühr berechnet (Bl. 5 unten d.A.).

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte zu 2 habe den Verkehrsunfall allein schuldhaft verursacht, weil er seine Sorgfaltspflichten beim Überholen verletzt und dadurch gegen § 5 Abs. 2 und Abs. 4, § 1 Abs. 2 StVO verstoßen habe. Er habe zum Überholen der Kolonne angesetzt, obwohl vor ihm eine scharfe und nicht einsehbare Kurve gelegen und ihm für den Überholvorgang weniger als 100 m (von der Einmündung Z. K. bis zur Kurve im Bereich des Abzweigs A. d. K.) zur Verfügung gestanden hätten.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden und sämtliche zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die zurückzuführen sind auf den Verkehrsunfall vom 31.08.2019 in Nonnweiler-Primstal, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Dr. G. Rechtsanwälte, in Höhe von 492,54 € freizustellen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben zum Unfallhergang behauptet, der Beklagte zu 1 habe beim Überholen einen sehr großen seitlichen Abstand zu der Gruppe der Radfahrer eingehalten, die mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h bzw. 20 km/h und sehr dicht zueinander weitergefahren seien. Als der Beklagte zu 1 sich in Höhe des letzten Radfahrers befunden habe, habe er das entgegen kommende Fahrzeug der Zeugin U. bemerkt und sein Fahrzeug unverzüglich – teilweise auf der Gegenfahrbahn – bis zum Stillstand abgebremst, um die Radfahrer rechts von ihm passieren zu lassen. Auch die Zeugin U. habe ihr Fahrzeug in einer Entfernung von rund 15 m angehalten. Der Kläger und der zuletzt fahrende Zeuge R. seien anschließend wieder nebeneinander weitergefahren, wobei sie sich umgedreht und wild mit den Händen dem Beklagten zu 1 gegenüber gestikuliert hätten, um ihr Missfallen auszudrücken. Bei diesem Manöver habe insbesondere der Kläger die Kontrolle über sein Fahrrad verloren und sei dann mangels ausreichenden Sicherheitsabstands auf das Fahrrad des vor ihm fahrenden Zeugen F. aufgefahren. Infolgedessen habe der ihm nachfolgende Zeuge R. ebenfalls nicht mehr ausweichen können und sei mit dem Zeugen F. und den Kläger kollidiert.

Die Beklagten haben hieraus den Schluss gezogen, dass der Sturz des Klägers sich nicht aufgrund des längst abgeschlossenen Überholversuchs des Beklagten zu 1 ereignet habe, sondern alleine aufgrund des Verhaltens des Klägers und seines Mitfahrers, die sich auf eine Maßregelung des Beklagten zu 1 konzentriert hätten. In rechtlicher Hinsicht habe sich deshalb die Verletzung des Klägers nicht bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG ereignet. Es fehle an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang, weil keine kritische Verkehrslage mehr vorgelegen habe.

Die geltend gemachten Ansprüche stünden dem Kläger auch der Höhe nach nicht zu, weil aufgrund der vorgelegten ärztlichen Unterlagen von einer Vorschädigung der Schulter auszugehen sei.

Das Landgericht hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Saarbrücken (62 Js 1912/19) beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und den Kläger und den Beklagten zu 1 informatorisch zum Unfallhergang angehört. Es hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Ra., F., Sch., R., H., K. und U. sowie gemäß Beweisbeschluss vom 30.03.2021 durch Einholung eines orthopädisch-unfallchirurgischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. R. vom 06.06.2021.

Mit Urteil vom 28.09.2021 (Bl. 186 ff. d.A.) hat das Landgericht die Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.400 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.07.2020 zu zahlen. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet seien, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden und sämtliche zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu jeweils 1/3 zu ersetzen, die zurückzuführen seien auf den Verkehrsunfall vom 31.08.2019 in Nonnweiler-Primstal, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien oder übergehen würden. Schließlich hat es die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 € freizustellen. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils Bezug.

Beide Parteien haben Berufung eingelegt. Mit seiner Erstberufung erstrebt der Kläger eine teilweise Abänderung des erstinstanzlichen Urteils auf der Grundlage einer alleinigen Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen. Er begehrt die Zuerkennung eines weiteren Schmerzensgelds in Höhe von mindestens 1.400 €, Feststellung der alleinigen Haftung der Beklagten für sämtliche erlittenen sowie zukünftigen Schäden sowie die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 236,69 €. Die Beklagten begehren ihrerseits mit der Zweitberufung die Abweisung der Klage insgesamt.

Der Kläger rügt im Rahmen seiner Erstberufung, das zuerkannte Schmerzensgeld werde den Umständen des Unfalls und den hierbei erlittenen Verletzungen nicht gerecht. Der vom Landgericht angenommene Mithaftungsanteil von zwei Dritteln sei zu hoch bemessen; allenfalls komme – wenn überhaupt – eine Kürzung des Schmerzensgeldes in einer Höhe von einem Drittel in Betracht. Das Landgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass der Schädiger nicht die um das eigene Mitverschulden zu kürzende Quote eines angemessenen Schmerzensgeldes schulde, sondern ein Schmerzensgeld, das unter Berücksichtigung der Beteiligungsquote angemessen sei.

Danach stehe dem Kläger ein weiteres, ausdrücklich ins Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu, welches jedoch den Betrag von 1.400 € nicht unterschreiten sollte.

Entsprechend sei der Ausspruch über die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten für zukünftige Schäden abzuändern. Die Freistellung des Klägers von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten habe in Höhe der mit der Klageschrift geltend gemachten 492,54 € zu erfolgen.

Die Zweitberufung der Beklagten sei dementsprechend zurückzuweisen. Mit Recht habe das Landgericht auf der Grundlage der Angaben des Klägers angenommen, dass dieser in einer Schreckreaktion nach rechts ausgewichen sei, weil der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug nach rechts gezogen sei. Dies müsse sich der Beklagte zu 1 als Folge seines Fahrmanövers zurechnen lassen. Zudem ließen die Beklagten unberücksichtigt, dass der Beklagte zu 1 offensichtlich gegen seine Sorgfaltspflichten beim Überholen verstoßen habe.

Der Kläger beantragt im Rahmen seiner Erstberufung, das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28.09.2021, Az. 4 O 465/20 teilweise abzuändern und

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger über das vom Landgericht für angemessen gehaltene Schmerzensgeld hinaus ein weiteres in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.07.2020 zu zahlen, dessen Höhe einen Betrag von 1.400 € nicht unterschreiten sollte;

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden und sämtliche zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die zurückzuführen sind auf den Verkehrsunfall vom 31.8.2019 in Nonnweiler-Primstal, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Dr. G. Rechtsanwälte, in Höhe von 236,69 € freizustellen.

Weiterhin beantragt er, die Zweitberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen im Rahmen ihrer Zweitberufung,

das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28.09.2021, Az. 4 O 465/20, teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Weiterhin beantragen sie, die Erstberufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie meinen, nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Kläger erst dann – und zwar seitlich rechts vor dem Pkw des Beklagten zu 1 – gestürzt sei, als dieser sein Fahrzeug bereits zum Stillstand abgebremst hatte und die Radfahrer wieder ein Stück an ihm vorbeigefahren seien. Hierfür treten sie – erstmals – Beweis durch Einholung eines verkehrstechnischen Sachverständigengutachtens an.

Durch das Anhalten des Fahrzeugs, ohne dass es zu einer Kollision gekommen sei, sei jedoch der Kausalverlauf betreffend das Überholmanöver beendet worden. Anschließend hätten der Kläger und seine Mitfahrer durch ihr völlig unüberlegtes Verhalten einen neuen Kausalverlauf in Gang gesetzt, indem sie nicht nur ihr dichtes Auffahren fortgesetzt, sondern nunmehr zur Seite geschaut und nicht mehr den Sichtkontakt nach vorne gehalten hätten. Die Gruppe habe damit den Verkehrsunfall geradezu provoziert.

Das Landgericht habe offensichtlich die Aussage des Zeugen H. übersehen, wonach alle Beteiligten aus der Radfahrergruppe nach links zu dem Fahrzeug geschaut und geschimpft und sich dabei nicht mehr nach vorne orientiert hätten. Seiner Aussage und der der Zeugin K. komme ein höherer Beweiswert zu als den Angaben der übrigen Radfahrer.

Unter diesen Umständen müsse auch die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs gänzlich zurücktreten.

Nicht nachvollziehbar sei, aufgrund welcher Feststellungen das Landgericht angenommen habe, der Kläger habe in einem „ausweichenden Reflex“ gehandelt (Seite 8 unten und Seite 9 des Urteils). Derartiges habe keiner der vernommenen Zeugen angegeben.

Schließlich entspreche der Tenor im Hinblick auf die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Die Funktionseinschränkungen des Klägers beruhten hälftig auf den Vorschädigungen, so dass künftig eintretende Funktionseinschränkungen nicht zu einem Drittel, sondern jedenfalls lediglich zu einem Sechstel berücksichtigt werden könnten.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 09.03.2021 (Bl. 93 ff. d.A.) und vom 07.09.2021 (Bl. 183 f. d.A.) sowie die Sitzungsniederschrift des Senats vom 24.11.2022 (Bl. 312 f. d.A.) Bezug genommen.

II.

Die Erstberufung des Klägers ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und mithin zulässig. In der Sache hat sie überwiegenden Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Rechtsfehler und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine dem Kläger günstigere Entscheidung.

1.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auf Grund seiner unfallbedingten Verletzungen ein Schmerzensgeld gemäß §§ 11 Satz 2 StVG, 253 Abs. 2 BGB zu, das der Senat statt dem vom Landgericht zuerkannten Betrag von 1.400 € unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles mit 2.800 € bemisst.

a.

Das Schmerzensgeld verfolgt vordringlich das Ziel, dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden zu verschaffen, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien. Als objektivierbare Umstände besitzen vor allem die Art der Verletzungen, Art und Dauer der Behandlungen sowie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ein besonderes Gewicht. Hierbei zählen das Entstehen von Dauerschäden, psychischen Beeinträchtigungen und seelisch bedingten Folgeschäden zu den maßgeblichen Faktoren. Darüber hinaus sind die speziellen Auswirkungen des Schadensereignisses auf die konkrete Lebenssituation des Betroffenen zu berücksichtigen. Die beruflichen Folgen der Verletzung und ihre Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung des Geschädigten sind Faktoren bei der Bestimmung des Schmerzensgeldes. Hierbei kommt es nicht zuletzt auf das Alter des Geschädigten an; denn ein und dieselbe Beeinträchtigung wird nicht in jedem Lebensalter gleich gravierend empfunden (Senat, Urteil vom 27.07.2010 – 4 U 585/09 – 166 –, juris Rn. 44 f. m.w.N.). Bei der Schmerzensgeldbemessung nach diesen Grundsätzen verbietet sich eine schematische, zergliedernde Herangehensweise. Einzelne Verletzungen bzw. Verletzungsfolgen dürfen nicht gesondert bewertet und die so ermittelten Beträge addiert werden. Vielmehr ist die Schmerzensgeldhöhe in einer wertenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien des konkreten Falls zu ermitteln, wobei die in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder einen gewissen Anhaltspunkt bieten können, ohne jedoch zwingend zu einer bestimmten „richtigen” Schmerzensgeldhöhe zu führen (Senat, Urteil vom 26.02.2015 – 4 U 26/14, juris Rn. 47).

b.

Hierbei hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie für zwar vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden. Das Berufungsgericht darf es nicht dabei belassen zu prüfen, ob die Bemessung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (Senat, Urteil vom 26.02.2015 – 4 U 26/14, juris Rn. 48).

c.

Auch das Mitverschulden des Verletzten ist ein wichtiger Bemessungsfaktor, der freilich nicht zu einer quotenmäßigen Begrenzung des Anspruchs führen darf (Senat, Urteil vom 27.07.2010 – 4 U 585/09 –, juris Rn. 46; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 253 Rn. 20). Bei der Abwägung steht das Maß der beiderseitigen Verursachung, nicht das Verschulden im Vordergrund (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 254 Rn. 59 m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat das Landgericht den Verursachungsbeitrag des Klägers für seine unfallbedingten Verletzungen und Beeinträchtigungen doppelt so hoch wie die des Beklagten zu 1 bemessen. Nach Auffassung des Senats ist jedoch dem Beklagten zu 1 der deutlich überwiegende Verursachungsanteil für den Verkehrsunfall zur Last zu legen, während der Kläger sich eine Mithaftung in Höhe von nur einem Drittel anrechnen lassen muss. Im Einzelnen:

(1)

Mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass sich der Unfall bei dem Betrieb des von dem Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw ereignet hat (§ 7 Abs. 1 StVG). Dem steht weder entgegen, dass es sich um einen berührungslosen Unfall gehandelt hat noch dass für den Sturz des Klägers – insoweit unstreitig – der unzureichende Sicherheitsabstand der Radfahrer untereinander jedenfalls mitursächlich geworden ist.

(a)

Nach dem entscheidend zu berücksichtigenden Schutzzweck des § 7 StVG ist der Schaden beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn er durch die diesem typisch innewohnende Gefährlichkeit adäquat verursacht ist. Ausreichend ist, dass bei einer wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug zumindest mitgeprägt worden ist (BGH, Urteil vom 24.03.2015 – VI ZR 265/14 –, juris Rn. 5). Andererseits reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kfz an einer Unfallstelle nicht aus. Insbesondere bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (BGH, Urteil vom 22.11.2016 – VI ZR 533/15 –, juris Rn. 14 m.w.N.; Senat, Urteil vom 21.02.2021 – 4 U 8/20, juris Rn. 54). Ein Unfall kann insbesondere auch dann dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, wenn er durch eine Ausweichreaktion im Zusammenhang mit einem Überholvorgang des anderen Fahrzeugs ausgelöst worden ist. Dabei ist nicht erforderlich, dass das Verhalten des Schädigers objektiv verkehrswidrig ist (Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 7 StVG (Stand: 01.12.2021) Rn. 40). Ebenfalls nicht erforderlich ist, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellte, um eine Kollision zu vermeiden (BGH, Urteil vom 21.09.2010 – VI ZR 263/09, juris Rn. 6; Senat, Urteil vom 11.11.2021 – 4 U 79/20, n.v.; Urteil vom 21.02.2021 – 4 U 8/20, juris Rn. 55).

(b)

Nach dieser Maßgabe ist es nicht zweifelhaft, dass der Sturz des Klägers dem Betrieb des von dem Beklagten zu 1 geführten Pkw zuzurechnen ist:

Unstreitig kam der Kläger zu Fall in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zu dem Versuch des Beklagten zu 1, die Gruppe der Radfahrer zu überholen. Es steht außer Streit, dass der Beklagte zu 1 den Überholversuch wegen des entgegenkommenden Gespanns der Zeugin U. abbrechen musste und deshalb sein Fahrzeug abbremste, als er sich links neben der Gruppe der Radfahrer befand.

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist ferner – womit sich die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nicht befassen – davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1 hierbei sein Fahrzeug nach rechts in Richtung der Radfahrer gelenkt hat. Dies haben sowohl die Zeugin U. (Blatt 109) als auch der Zeuge H. (Blatt 106), beide am Unfallgeschehen nicht unmittelbar beteiligt, bekundet, wie auch die Zeugen R. (Blatt 104), Sch. (Blatt 102) und F. (Blatt 100); die Angaben der übrigen Zeugen hierzu waren nicht ergiebig. Diese Angaben stehen im Einklang mit der Schilderung des Klägers bei seiner informatorischen Anhörung, der Beklagte habe sich in Höhe der H 67 mit seinem Fahrzeug bis auf einer Armlänge Abstand nach rechts orientiert, weshalb er habe ausweichen und bremsen müssen und auf den nur einen halben Meter vor ihm fahrenden Zeugen F. aufgefahren sei (Blatt 95). Die gegenteiligen Angaben des Beklagten zu 1, er habe nach dem Abbremsen nicht nach rechts, sondern nach links gelenkt und bis zum Stillstand abgebremst, als der Kläger seitlich rechts vor ihm gestürzt sei (Blatt 97), sind durch die Zeugenaussagen widerlegt. Ein solches Fahrverhalten ist zudem nicht plausibel, weil der Beklagte zu 1 dann sein Fahrzeug in Richtung des Gegenverkehrs gelenkt hätte, wo sich das Fahrzeug der ihm entgegenkommenden Zeugen U. befand, selbst wenn man berücksichtigt, dass diese ihrerseits ihr Fahrzeug zum Stehen gebracht und ein wenig nach rechts zur Seite gelenkt hatte (Blatt 109).

Selbst wenn der Beklagte zu 1 keine Ausweichbewegung nach rechts durchgeführt hätte, sondern seine Fahrlinie beibehalten oder sogar nach links gelenkt hätte, wäre der Sturz des Klägers nach den oben dargestellten Grundsätzen dem Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 zuzurechnen. Insbesondere entfällt entgegen der mit der Zweitberufung vorgebrachten Argumentation bei wertender Betrachtung der Zurechnungszusammenhang nicht dadurch, dass der Kläger durch ein eigenes Fehlverhalten den Unfall mitverursacht hat. Anders als die Beklagten zur Begründung ihrer Zweitberufung annehmen, ist der von ihnen behauptete Unfallhergang durch die erstinstanzliche Beweisaufnahme nicht in vollem Umfang bewiesen worden. Ungeachtet dessen, ob der Kläger erst dann stürzte, nachdem das Fahrzeug des Beklagten zu 1 schon zum Stillstand gekommen war, ist nicht festgestellt, dass der Kläger und seine Mitfahrer anschließend zur Seite geschaut und nicht mehr den Sichtkontakt nach vorne gehalten hätten, und dass der Kläger (nur) deshalb gestürzt wäre. Entgegen seinem schriftsätzlichen Vorbringen hat der Beklagte zu 1 bei seiner informatorischen Anhörung – auf Nachfrage – lediglich angegeben, einer der Radfahrer habe sich beschwert oder gestikuliert; er könne aber nicht mehr sagen, wer das genau gewesen sei (Blatt 99). Der Zeuge R. hat hierzu erklärt, jedenfalls von den letzten drei Fahrern habe keiner etwas gerufen (Blatt 104). Der Zweitberufung ist insoweit zwar einzuräumen, dass der an dem Unfallgeschehen unmittelbar nicht beteiligte Zeuge H. angegeben hat, alle Fahrer der Gruppe hätten nach dem Fahrzeug geschaut und geschimpft; sie hätten sich dabei nicht mehr nach vorne orientiert, also nicht mehr auf den Vordermann geschaut (Blatt 107). Hieraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, der Kläger habe durch leichtsinniges Verhalten einen neuen Kausalverlauf in Gang gesetzt, während der Kausalverlauf betreffend das Überholmanöver bereits beendet gewesen sei. Denn ungeachtet dessen, ob das Fahrzeug des Beklagten zu 1 bereits zum Stillstand gekommen war, und ob die Reaktion des Klägers darauf objektiv geboten war, war der Überholvorgang jedenfalls noch nicht abgeschlossen, weil sich das Fahrzeug des Beklagten zu 1 noch seitlich neben den Radfahrern befand. Ein Überholvorgang endet grundsätzlich erst nach Wiedereinordnen nach rechts mit ausreichendem Sicherheitsabstand (König in: Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 5 StVO Rn. 23 m.w.N.; vgl. auch Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 5 StVO (Stand: 19.01.2022): Der Vorgang des Überholens ist beendet, wenn das überholende Fahrzeug das überholte hinter sich gelassen hat). Hinzu kommt, dass der erforderliche Zurechnungszusammenhang zu dem Betrieb des Kraftfahrzeugs selbst dann zu bejahen wäre, wenn der Kläger – wie von den Beklagten behauptet – nach Abbruch des Überholmanövers durch den Beklagten zu 1 nach hinten in Richtung des Pkw geschaut hätte und dadurch nicht mehr den erforderlichen Sichtkontakt nach vorne zu den vorausfahrenden Zeugen gehalten hätte. Denn eine solche Reaktion wäre aufgrund des gefährlichen Fahrmanövers des Beklagten zu 1 ohne weiteres nachvollziehbar gewesen und unterbräche nicht den Zurechnungszusammenhang zum Betrieb des vom Beklagten zu 1 geführten Pkw. Die Einholung eines verkehrstechnischen Sachverständigengutachtens hierzu, wie von den Beklagten erstmals im Berufungsverfahren angeboten, ist deshalb nicht geboten.

(2)

Zulasten der Beklagten ist der schuldhafte und unfallursächliche Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO zu berücksichtigen. Hiernach darf nur überholen, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Dass der Beklagte zu 1 nicht hätte zum Überholen ansetzen dürfen, hat das Landgericht unter Bezugnahme auf das Lichtbild 4 auf Blatt 12 der Ermittlungsakte in nicht zu beanstandender Weise festgestellt (Seite 8 des Urteils, Bl. 193 d.A.). Der Unfallort befindet sich zu Beginn einer Kurve, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass der Beklagte zu 1 den erforderlichen Überholweg nicht vollständig überblicken konnte. Im Übrigen hat der Beklagte zu 1 selbst im Einklang mit den Aussagen sämtlicher Zeugen angegeben, er habe das Überholmanöver abbrechen müssen, weil ihm das Gespann der Zeugin U. entgegengekommen sei. Bei Anwendung des im Rahmen des § 5 StVO geltenden höchsten Sorgfaltsmaßstabs hätte der Beklagte zu 1 dies ohne weiteres erkennen können und deshalb von einem Überholen an dieser Stelle Abstand nehmen müssen.

Dieser Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 1 ist im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu berücksichtigen. Das Verbot, an unübersichtlicher Stelle zu überholen, dient nicht nur dem Schutz des Gegenverkehrs, sondern auch des zu überholenden Verkehrsteilnehmers. Auch dieser kann durch ein gegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO verstoßendes Überholen gefährdet werden, da der Überholende dann, wenn auf kurze Entfernung ein Verkehrsteilnehmer entgegenkommt, häufig zur Vermeidung eines Zusammenstoßes sein Fahrzeug vorzeitig nach rechts ziehen wird. Auch wird der Überholende gerade wegen der Unübersichtlichkeit der Stelle im Allgemeinen von vornherein bestrebt sein, sich möglichst weit rechts zu halten, und deshalb den seitlichen Abstand zu dem zu Überholenden möglichst gering zu bemessen (BayObLG, Urteil vom 02.08.1961, 1 St 312/61, BayObLGSt 1961, 178 (180) noch zu § 10 Abs. 1 Satz 4 StVO a.F.; so auch Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, StVO § 5 Rn. 13; Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 5 StVO (Stand: 19.01.2022) Rn. 11: § 5 StVO schütze bei Überholvorgängen lediglich den gleichgerichteten und den Gegenverkehr, jedoch nicht den untergeordneten Querverkehr)). Soweit in Rechtsprechung und Literatur ausgeführt wird, § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO bezwecke lediglich den Schutz des Gegenverkehrs (BGH, Urteil vom 26.09.1995 – VI ZR 191/94 –, juris Rn. 13 unter Hinweis auf die amtliche Begründung zu § 5 StVO, abgedruckt bei Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 33. Aufl., StVO § 5 Rdn. 3 und 4; BGH, Urteil vom 11.01.1977 – VI ZR 268/74 – VersR 1977, 524, 525; BGH, Urteil vom 19.09.1974 – III ZR 73/72 – VersR 1975, 37, 39; KG VRS 45, 466; siehe auch Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 5 StVO (Stand: 19.01.2022) Rn. 35), sind diese Ausführungen auf den nicht untergeordneten Querverkehr bezogen und nicht dahin zu verstehen, dass der zu überholende Verkehrsteilnehmer aus dem Schutzbereich der Vorschrift auszunehmen sei.

(3)

Ebenfalls zulasten der Beklagten ist – wozu das angefochtene Urteil keine Ausführungen enthält – der Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO in der zum Unfallzeitpunkt geltenden Fassung (gültig ab 15.06.2019 bis 27.04.2020) zu berücksichtigen. Hiernach muss beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere zu den zu Fuß Gehenden und zu den Rad Fahrenden, eingehalten werden. Generell gilt, dass der Überholende auf die Fahrweise des Eingeholten achten und diesen nicht gefährden darf. Er muss sich auch auf die Möglichkeit geringfügiger seitlicher Fahrbewegungen innerhalb von dessen Fahrstreifen einstellen. Das Überholen mehrerer Fahrzeuge einer Kolonne ist grundsätzlich nicht verboten, jedoch folgt hieraus eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Wer einen Radfahrer überholt, muss dessen häufig leicht schwankende Fahrlinie berücksichtigen (König in: Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 5 StVO Rn. 40 m.w.N.). Während durch die Neuregelung des § 5 StVO im Jahr 2020 nunmehr ein Mindestabstand beim Überholen in der StVO festgelegt ist (§ 5 Abs. 4 Satz 3 StVO n.F.: innerorts mindestens 1,5 m, außerorts mindestens 2 m), wurde der ausreichende Seitenabstand zuvor in der Rechtsprechung von den Umständen des Einzelfalls abhängig bestimmt. Hierbei wurde in der Regel ein Seitenabstand von mindestens 1 m (OLG Naumburg NJW-RR 2016, 349; NK-GVR/Sebastian Gutt, 3. Aufl. 2021, StVO § 5 Rn. 29) bzw. von mindestens 1,5 m (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 27. Aufl. 2022, StVO § 5 Rn. 37a, jedoch ohne Nachweise aus der Rechtsprechung) angenommen. Beim Überholen eines Radfahrers durch ein Kraftfahrzeug wurde je nach dessen Fahrweise und seiner eigenen Fahrgeschwindigkeit ein Seitenabstand von mindestens 1,5 m bis 2 m für notwendig erachtet (König in: Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 5 StVO Rn. 55 m.w.N.). Durch die Neuregelung bleibt der Sicherheitsabstand eine Frage des Einzelfalles, wobei die nunmehr gebotenen Abstände den Mindestabstand darstellen (NK-GVR/Sebastian Gutt, 3. Aufl. 2021, StVO § 5 Rn. 30). Hierfür spricht, dass der gebotene Seitenabstand insbesondere auch von der Breite der Straße und die Gefährdung des zu Überholenden auch von der Geschwindigkeit des Überholers abhängig ist.

Das Landgericht hat insoweit – im Berufungsverfahren von den Beklagten nicht angezweifelt – angenommen, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mehr genau nachvollzogen werden könnte, wie sehr sich das Beklagtenfahrzeug der Radfahrergruppe seitlich angenähert habe (Seite 8 sowie 13 des Urteils). Allerdings ist nach den erstinstanzlichen Feststellungen von einer Unterschreitung des gebotenen Sicherheitsabstands auszugehen: Der Beklagte zu 1 hat bei seiner informatorischen Befragung selbst angegeben, der Abstand zu den Radfahrern habe etwa 1 m betragen (Blatt 97). Damit hat er schon nach seinem eigenen Vorbringen den gebotenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten. Es ist bereits zweifelhaft, ob ein solcher – jeweils in Abhängigkeit von der Straßenbreite und der gefahrenen Geschwindigkeit – möglicherweise gegenüber einem einzelnen Radfahrer noch ausreichend sein könnte. Im vorliegenden Fall ist jedoch maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1 eine ganze Gruppe von Radfahrern überholen wollte, die für ihn ersichtlich mit nur geringem Sicherheitsabstand im Pulk fuhren und die vor dem Überholversuch nach eigenem Bekunden des Beklagten zu 1 teilweise nebeneinander gefahren waren. Für ihn war somit erkennbar, dass eine erhöhte Sturzgefahr für die überholten Radfahrer bestand, wobei er auch die Möglichkeit einer psychisch vermittelten, nicht objektiv gebotenen Ausweichreaktion eines Radfahrers durch das Überholmanöver in Betracht ziehen musste. Der Zeuge F. hat den Abstand mit etwa 1 m bis 1,50 m angegeben (Blatt 100), der Zeuge Sch. mit 50 cm bis 1 m (Blatt 102), der Zeuge R. mit ca. 1,50 m und zuletzt 50 cm bis 1 m (Blatt 104); die übrigen Zeugen haben keine Angaben zu dem Abstand gemacht; der Kläger hat den Abstand mit einer Armlänge, allerdings erst bezogen auf das Ausweichmanöver nach rechts, angegeben (Blatt 95). Ein Sicherheitsabstand in einer Größenordnung von 1 m bis allenfalls 1,50 m wurde der hier in Rede stehenden Verkehrssituation nicht gerecht.

(4)

Ein Verstoß des Beklagten zu 1 gegen ein Überholverbot nach § 5 Abs. 3 StVO ist dagegen nicht ersichtlich. Insbesondere begründet das Vorausfahren einer Kolonne noch keine unklare Verkehrslage (König in: Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 5 StVO Rn. 34 m.w.N.).

(5)

Auf Seiten des Klägers ist gemäß § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB zu berücksichtigen, dass dieser in unfallursächlicher Weise gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen hat. Hiernach muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Diese Vorschrift gilt nicht nur für Kraftfahrzeuge. Auch ein Radfahrer muss grundsätzlich ausreichend Abstand halten (OLG Hamm, Urteil vom 02.02.2000 – 13 U 115/19 –, juris Rn. 33; König in: Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 4 Rn. 6 m.w.N.), und zwar nicht nur zu vorausfahrenden Kraftfahrzeugen, sondern auch auf einen vorausfahrenden anderen Radfahrer. Wird bei organisierten (Sport-)Veranstaltungen im geschlossenen Verband (Pulk) gefahren, kann dies anders zu beurteilen sein (OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.06.1995 – 1 U 213/94 –, juris). Bei der Teilnahme am „normalen“ Straßenverkehr ist die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zum eigenen Schutz und zum Schutz des vorausfahrenden Radfahrers unverzichtbar. Nach den eigenen Angaben des Klägers bei seiner informatorischen Anhörung betrug der Abstand zu dem vorausfahrenden Zeugen F. unmittelbar vor der Kollision etwa einen halben Meter bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von ca. 30 km/h (Blatt 95). Die Feststellung des Landgerichts, dass es bei Einhaltung eines ausreichenden Abstands zu keinem Auffahren untereinander gekommen und ein Sturz des Klägers vermieden worden wäre (Seite 11 des Urteils), ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden; sie ist auch im Berufungsverfahren nicht angegriffen worden.

Soweit das Landgericht auf das Urteil des AG Nordhorn (Urteil vom 07.05.2015 – 3 C 219/15 -, juris Rn. 14 ff.) Bezug genommen hat, weist die Erstberufung mit Recht darauf hin, dass sich aus den dortigen Erwägungen allenfalls ein gegenseitiger Verzicht auf den nach § 4 Abs. 1 StVO gebotenen Sicherheitsabstand innerhalb der Mitglieder des Pulks ergeben kann. Für die Bejahung eines Mitverschuldens gegenüber den Beklagten sind diese Erwägungen indes weder einschlägig noch erforderlich.

(6)

Dagegen ist bei der Haftungsabwägung kein Verstoß des Klägers gegen § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO zu berücksichtigen, wonach mit Fahrrädern einzeln hintereinandergefahren werden muss. Zwar fuhr die Gruppe vor dem Unfallereignis teilweise in Zweier- oder sogar Dreierreihen. Für Radfahrer gilt gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 StVO, dass erst mehr als 15 Radfahrer einen geschlossenen Verband bilden können. Diese dürfen dann gem. Absatz 1 Satz 3 StVO zu zweit nebeneinander auf der Fahrbahn fahren, was ihnen sonst durch § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO bereits bei einer Behinderung des übrigen Verkehrs stets untersagt ist. Allerdings steht nicht fest, dass sich das Fahren in Zweier- und/oder Dreierreihen vorliegend in unfallursächlicher Weise ausgewirkt hätte. Im Gegenteil hat insbesondere der Beklagte zu 1 selbst angegeben, er habe erst dann zum Überholen angesetzt, als die Radfahrer wieder hintereinander, zumindest aber leicht versetzt gefahren seien (Blatt 97). Ein etwaiges vorangegangenes verkehrsbehinderndes Verhalten des Klägers und/oder seiner Mitfahrer ist damit bei der Haftungsabwägung nicht zulasten des Klägers zu berücksichtigen.

(7)

Ferner kann entgegen der Auffassung der Zweitberufung ein Mitverschulden des Klägers im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB an den erlittenen Verletzungen nicht durch die Nutzung von Klickpedalen begründet werden (offengelassen in Senat, Urteil vom 11.02.2021 – 4 U 8/20 –, juris Rn. 60; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.04.2020 – III ZR 251/17 –, juris Rn. 47). Zwar ist davon auszugehen, dass die mit der Nutzung der Klickpedale einhergehende Zeitverzögerung beim Lösen der Füße von den Pedalen sich in Gefahrensituationen negativ auswirken kann (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 28.09.2021 – 7 U 29/16 –, juris Rn. 49 ff.). Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch bereits an der Kausalität der Nutzung der Klickpedale für den Sturz des Klägers und dessen Folgen. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. R. hat insoweit nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass insoweit nur ein Ausklinken des sturzseitigen Fußes hilfreich und ein einseitiges Ausklinken des sturzabgewandten Fußes sogar gefährlich wäre. Im Übrigen stehe nicht fest, dass es auch noch gelinge, sich dann mit dem Fuß in seitlich relevanter Weise abzustützen. Schließlich könnte ein unkoordiniertes, seitliches Abstürzen möglicherweise wiederum Verletzungsrisiken für Sprunggelenk und Kniegelenk bergen und es sei dennoch nicht klar, dass der Sturz seitlich auf die Schulter sicher hätte vermieden werden können. Daher spiele dieser Umstand für die Unfallkausalität keine nachvollziehbare Rolle (Bl. 161 f. d.A.). Soweit die Zweitberufung dagegen einwendet, der Kläger hätte in Kenntnis dieser Situation noch vorausschauender und vorsichtiger fahren müssen, um jederzeit ein Anhalten und Ausklinken aus den Pedalen gewährleisten zu können, steht dem entgegen, dass die falsche Reaktion eines Verkehrsteilnehmers dann keinen vorwerfbaren Obliegenheitsverstoß darstellt, wenn dieser in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht vorhersehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unternimmt, um den Unfall zu verhüten (vgl. BGH, Urteil vom 23.04.2020 – III ZR 251/17 –, juris Rn. 44; OLG Schleswig, Urteil vom 28.09.2021 – 7 U 29/16 –, juris Rn. 61).

(8)

Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt entgegen der Annahme des Landgerichts zu einer deutlich überwiegenden Haftung der Beklagten:

Das Landgericht hat das Mitverschulden des Klägers mit einem Anteil von 2/3 bemessen mit der Begründung, auf Seiten der Beklagten sei das pflichtwidrige Überholmanöver und die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs (gemeint ist wohl: Beklagtenfahrzeugs) zu berücksichtigen. Nicht mehr feststellbar sei, wie sehr sich der Kläger (gemeint ist offensichtlich der Beklagte zu 1) der Fahrradgruppe seitlich angenähert habe, sodass nicht als bewiesen angesehen werden könne, dass allein durch die Fahrweise des Beklagten eine derartige räumliche Enge entstanden sei, dass ein Zusammenstoß unvermeidbar geworden sei. Der Kläger (richtig: der Beklagte zu 1) habe insoweit durch sein Überholmanöver eine Reaktion der Radfahrergruppe und damit ein Schadensereignis in Gang gesetzt. Bei hinreichendem Abstand und ohne Gruppenbildung, die das Überholen erschwerte, wäre indes der Unfall zu vermeiden gewesen (vgl. Blatt 13 des angefochtenen Urteils).

Hierbei hat das Landgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass im Fall einer Kollision mit dem Überholten die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Überholenden trifft. Dieser haftet meist überwiegend oder sogar allein, es sei denn der Überholte handelt selbst sorgfaltswidrig (Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 27 Rn. 196 m.w.N.). Dies leuchtet schon deshalb ein, weil der Überholende im Vergleich zu dem ihm vorausfahrenden Fahrzeug die Übersicht über das Verkehrsgeschehen vor ihm hat und mit dem Überholvorgang ein prinzipiell gefahrenträchtiges Fahrmanöver durchführt, bei dem er gemäß § 5 Abs. 1 StVO das Höchstmaß an Sorgfalt walten lassen muss. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die erhöhte Sturzgefahr für ein Mitglied der ohne ausreichenden Sicherheitsabstand fahrende Radfahrergruppe für den Beklagten zu 1 ohne weiteres erkennbar war. Dennoch hat er an einer unübersichtlichen Stelle und ohne Einhalten des erforderlichen Seitenabstands mit seinem Gespann zum Überholen der Radfahrergruppe angesetzt. Damit hat er seine Sorgfaltspflichten beim Überholen in ganz erheblicher Weise verletzt.

Andererseits hat sich der Kläger durch das wissentliche Unterschreiten des Mindestabstands zu dem vorausfahrenden Radfahrer selbst einem erhöhten Sturzrisiko ausgesetzt. Weitere Einzelheiten des Unfallhergangs konnten letztlich nicht aufgeklärt werden. Der Kläger wich nach eigenen Angaben dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 aus und bremste ab, fuhr dabei auf den Zeugen F. auf und erhielt einen Schlag von hinten mit der Folge, dass er auf den Bordstein stürzte. Dies korrespondiert mit den Angaben des Zeugen F., wonach dieser zu Fall gekommen sei, weil der Kläger auf ihn aufgefahren sei. Nach Angaben des Zeugen R. sei zunächst der Zeuge F. gestürzt, dann der Kläger und dann er selbst; die restlichen Aussagen waren insoweit nicht ergiebig. Auch das Geschehen unmittelbar vor dem Sturz konnte nicht weiter aufgeklärt werden. Allerdings steht jedenfalls außer Streit, dass der unzureichende Sicherheitsabstand der Radfahrer den Sturz des Klägers mitverursachte.

Bei einer Abwägung der feststehenden beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile hält der Senat eine Haftungsverteilung von zwei Dritteln zu einem Drittel zulasten der Beklagten für angemessen. Der Sorgfaltsverstoß des Klägers erhöhte zwar allgemein das Kollisionsrisiko innerhalb der Radfahrergruppe. Die maßgebliche Unfallursache wurde indessen vom Beklagten zu 1 gesetzt, der mit seinem Gespann im Bewusstsein der Gefahrenumstände an einer unübersichtlichen Stelle den Überholvorgang einleitete und – unter anderem – den Kläger den Risiken dieses Fahrmanövers gleichsam auslieferte.

d.

Das Landgericht hat für die im Berufungsverfahren außer Streit stehende Verletzungen ohne Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils ein Schmerzensgeld von 4.200 € für angemessen erachtet, welches aufgrund des Mitverschuldens des Klägers auf 1.400 € zu kürzen sei (Seite 10 f. des Urteils). Hierbei hat es im Grundsatz zutreffend darauf abgestellt, dass sich vorliegend die Behandlungsdauer im Normalbereich bewegt habe und die verbliebenen nur geringfügigen Beschwerden etwa hälftig auf unfallfremder Ursache beruhen, nämlich der bis zum Unfall symptomfreien arthrotischen Veränderung des Schultergelenks. In der Rechtsprechung würden für vergleichbare Verletzungen regelmäßig Beträge von 3.000 € bis 5.000 € zuerkannt, sodass vorliegend ein (bereinigter) Betrag von 4.200 € angemessen sei. Dagegen haben die Parteien im Berufungsverfahren nicht erinnert. Nach der Auffassung des Senats sind die Erwägungen des Landgerichts insoweit im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenngleich – wie bereits ausgeführt – eine schematische Kürzung um den Mitverschuldensanteil nicht erfolgen darf, sondern stets alle Umstände des Schadensfalls zu berücksichtigen sind. Da die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds indes bei einem Verkehrsunfall in den Hintergrund tritt und im vorliegenden Fall die akuten Verletzungsfolgen, nicht aber ein schwerer Dauerschaden im Mittelpunkt stehen, hält der Senat unter Berücksichtigung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge im Ergebnis ein Schmerzensgeld von insgesamt 2.800 € für angemessen.

2.

Damit hat die Erstberufung des Klägers auch im Berufungsantrag zu 2 anteiligen Erfolg. Der Kläger kann im Wege der ohne weiteres zulässigen Feststellungsklage die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten als Gesamtschuldner für die ihm entstandenen immateriellen und materiellen Unfallschäden unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von zwei Dritteln zulasten der Beklagten verlangen, §§ 7, 11, 17, 18 StVG, §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Der Klarstellung halber ist bei der Tenorierung anders als in dem angefochtenen Urteil („… immateriellen Schäden zu jeweils 1/3 zu ersetzen…“) aus den bereits unter Ziffer 1. dargelegten Gründen zu formulieren „unter Berücksichtigung eines eigenen Mithaftungsanteils von einem Drittel“. Anders als die Zweitberufung vorbringt, ist auch keine Einschränkung dahingehend vorzunehmen, dass künftige Schäden aufgrund der hälftigen Unfall fremden Ursache lediglich zu einem Sechstel zu ersetzen seien. In der Zweitberufungserwiderung ist bereits zutreffend darauf hingewiesen worden, dass der Vorschädigung des Schultergelenks in der Formulierung des Feststellungstenors dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ersatzpflicht beschränkt wird auf die Schäden, die auf den streitgegenständlichen Verkehrsunfall zurückzuführen sind. Insoweit wird deutlich, dass etwaige künftige Beeinträchtigungen, die nicht auf den Unfall, sondern auf eine Vorschädigung zurückzuführen sind, davon nicht erfasst sind. Weiterhin ist bei der Tenorierung zur Klarstellung – wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich beantragt – die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zu ergänzen.

3.

Nach dieser Maßgabe ist das Rechtsmittel des Klägers auch teilweise hinsichtlich des Berufungsantrags zu 3 begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlich entstandener Anwaltskosten als Nebenforderung zu. Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst prinzipiell auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Kostenerstattung aufgrund des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich nur insoweit verlangen, als seine Forderung diesem gegenüber auch objektiv berechtigt ist (BGH, Urteil vom 05.12.2017 – VI ZR 24/17, juris Rz. 7; Senat, Urteil vom 19.07.2018 – 4 U 26/17, juris Rn. 28).

Hierbei ist von einem Gegenstandswert von insgesamt 4.133,34 €, nämlich 2.800 € für den Schmerzensgeldanspruch und 1.333,34 € für den Feststellungsanspruch, auszugehen. Der Wert des Feststellungsanspruchs ist vom Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände nach freiem Ermessen festzusetzen (§ 3 ZPO), wobei den Wertangaben der Parteien, wenn sie nicht offensichtlich unzutreffend sind, erhebliches Gewicht zukommt (Senat, Urteil vom 19.07.2018 – 4 U 26/17, juris Rn. 35). Davon ausgehend hält der Senat angesichts der vom Feststellungsanspruch erfassten Ansprüche hinsichtlich aller Verletzungen und Verletzungsfolgen des Klägers unter Berücksichtigung der Angaben auf den Seiten 2 und 5 der Klageschrift die Bemessung mit 1.333,34 € für zutreffend. Der Kläger hat den Streitwert für seine Klage mit vorläufig 7.000 € beziffert (Klageantrag zu 1: 5.000 €, Klageantrag zu 2: 2.000 €) und als Gegenstandswert für seine Gebührenberechnung einen Betrag von 5.000 € angegeben. Die Beklagten haben in der Klageerwiderung zwar die Zulässigkeit des Feststellungsantrags mangels Feststellungsinteresses in Abrede gestellt, aber die Größenordnung des Gegenstandswerts nicht angegriffen, so dass dieser als Bemessungsgrundlage für die geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten zugrunde gelegt werden kann. Im Übrigen ist eine weitere Aufklärung der tatsächlichen Höhe dieser Positionen nur zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für Rechtsverfolgungskosten vorliegend weder erforderlich noch prozessökonomisch (vgl. Senat, Urteil vom 19.07.2018 – 4 U 26/17, juris Rn. 35). Unter Anrechnung des Mitverursachungsanteils des Klägers von einem Drittel beläuft sich der Gegenstandswert somit auf insgesamt 4.133,34 €.

Daraus ergibt sich ein Anspruch auf Freistellung in Höhe eines Betrags von 492,54 €. Dieser Betrag setzt sich, ausgehend von einem berechtigten Gegenstandswert von 4.133,34 € (2.800 € Schmerzensgeld und 1.333,34 € Feststellungsanspruch), auf der Grundlage der bis zum 31.12.2020 geltenden Gebührentabelle aus einer 1,3 Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 RVG-VV i.H.v. 393,90 €, einer Kostenpauschale gem. Nr. 7001, 7002 RVG-VV i.H.v. 20 € und gesetzlicher Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 RVG-VV i.H.v. 78,64 € zusammen.

III.

Aus den unter Ziffer II. ausgeführten Gründen hat die auf vollumfängliche Klageabweisung gerichtete Zweitberufung der Beklagten in der Hauptsache keinen Erfolg. Lediglich der Zinsausspruch in Ziffer 1 des Tenors des angefochtenen Urteils bedarf der Korrektur, nachdem das Landgericht entgegen § 308 ZPO Zinsen bereits ab dem 20.07.2020 zuerkannt hat, obwohl der Kläger unter Bezugnahme auf die dem Beklagten zu 1 am 25.08.2020 (Bl. 14 d.A.) und der Beklagten zu 2 am 02.09.2020 (Bl. 19 d.A.) zugestellte Klageschrift lediglich Rechtshängigkeitszinsen verlangt hat. Mit seiner Berufungsbegründung hat der Kläger zwar nunmehr – offensichtlich in Anlehnung an die erstinstanzliche Tenorierung – Zinsen ab dem 20.07.2020 begehrt, ohne jedoch die Voraussetzungen eines Verzugs der Beklagten näher darzulegen. Damit sind gem. §§ 291 S. 1 Halbs. 1, 187 Abs. 1 BGB Prozesszinsen erst ab dem der Klagezustellung folgenden Tag zuzusprechen. Hierbei ist gem. § 425 BGB zu beachten, dass die Klageerhebung an unterschiedlichen Tagen erfolgt ist und die Zustellung an die Beklagte zu 2 erst zeitlich nach der Zustellung an den Beklagten zu 1 erfolgt ist, so dass sich trotz der der Beklagten zu 2 von dem Beklagten zu 1 erteilten Regulierungsvollmacht (A.1.1.4 AKB) aus dem Schuldverhältnis nicht „ein anderes“ i.S.d. § 425 Abs. 1 BGB ergibt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder 2 ZPO zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

 

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