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Fahrerlaubnisentziehung – Nichtbeibringung medizinisch-psychologisches Gutachten

Das Gericht hat die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlerhafter Anordnungen der Fahrerlaubnisbehörde aufgehoben. Die Behörde hatte den Antragsteller aufgefordert, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, jedoch mit fehlerhafter Begründung und Fragestellung. Die aufschiebende Wirkung der Klage wurde wiederhergestellt.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 V 2805/23

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wurde als rechtswidrig eingestuft.
  • Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 FeV zur Anordnung eines Gutachtens lagen zwar vor, jedoch waren die Begründung und Fragestellung fehlerhaft.
  • Die Behörde ging fälschlicherweise von mehreren Straftaten und einer Gesamtfreiheitsstrafe aus, obwohl der Antragsteller lediglich eine Tat begangen hatte.
  • Die Ermessensausübung der Behörde zur Gutachtenanforderung war mangelhaft und nicht hinreichend dokumentiert.
  • Bei lange zurückliegenden Taten muss die Behörde prüfen, ob die Anforderung eines Gutachtens nach wie vor gerechtfertigt ist.
  • Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung wird vom Interesse des Antragstellers überwogen.
  • Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Fahrerlaubnisentzug wurde daher wiederhergestellt.
  • Der Bescheid zur Fahrerlaubnisentziehung, Abgabeaufforderung und Zwangsgeldandrohung ist voraussichtlich rechtswidrig.

Fahrerlaubnisentzug: Gericht kippt fehlerhafte Anordnung von Gutachten

Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist ein heikles Thema, das die Rechte und Pflichten von Fahrzeugführern gegenüber den Behörden regelt. Wenn Zweifel an der Fahreignung eines Führerscheininhabers aufkommen, können Behörden die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen. Dieses soll Klarheit darüber bringen, ob der Betroffene weiterhin fähig und geeignet ist, ein Kraftfahrzeug sicher im Straßenverkehr zu führen.

Die rechtlichen Grundlagen und Voraussetzungen für eine solche Gutachtenanforderung sind komplex und lassen Raum für Auslegung. Gerichte müssen in Einzelfällen sorgfältig prüfen, ob die Behörden ihr Ermessen korrekt ausgeübt und die formalen Vorgaben eingehalten haben. Nur dann kann eine Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig erfolgen.

Im Folgenden wird ein konkreter Fall der Fahrerlaubnisentziehung aufgrund Nichtvorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens beleuchtet und analysiert. Die Entscheidung eines Gerichts zeigt exemplarisch, worauf es bei solchen Verfahren ankommt.

Der Fall vor dem Verwaltungsgericht Bremen im Detail

Fahrerlaubnisentzug scheitert an fehlerhaften Anordnungen

Im vorliegenden Fall ging es um einen Antragsteller, der im Jahr 2015 wegen Einschleusens von Ausländern mit einem Kraftfahrzeug zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt wurde. Nach Verbüßung seiner Haftstrafe und anschließender Bewährungsphase wurde der Antragsteller im Jahr 2023 von der Fahrerlaubnisbehörde aufgefordert, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Die Behörde begründete dies mit der Verurteilung des Mannes und vermutete ein gestörtes Regelverständnis in Bezug auf die geltenden Gesetze und Vorschriften. Der Antragsteller erklärte sich zunächst mit der Beibringung des Gutachtens einverstanden, legte jedoch letztendlich keines vor. Daraufhin entzog die Fahrerlaubnisbehörde ihm die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung der Entziehung an.

Gericht stellt Rechtswidrigkeit der Anordnungen fest

Der Antragsteller klagte gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis und stellte einen Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Das Gericht gab dem Antrag statt. Das Gericht stellte fest, dass die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtswidrig war. Zwar habe der Antragsteller eine erhebliche Straftat im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung begangen, die die Anordnung eines Gutachtens nach § 11 Abs. 3 FeV grundsätzlich rechtfertige. Die Begründung und Fragestellung in der Anordnung der Behörde seien jedoch fehlerhaft gewesen. Die Behörde habe fälschlicherweise von mehreren Straftaten und einer Gesamtfreiheitsstrafe ausgegangen, obwohl der Antragsteller nur eine Tat begangen hatte.

Mangelhafte Ermessensausübung der Behörde

Das Gericht kritisierte zudem die mangelhafte Ermessensausübung der Behörde. Die Behörde habe sich bei der Anordnung des Gutachtens nicht ausreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die lange zurückliegende Straftat noch die Anforderung eines Gutachtens rechtfertige. Es sei nicht erkennbar, dass die Behörde die Dauer der Strafhaft, die Bewährungszeit und das Verhalten des Antragstellers seit der Verurteilung im Straßenverkehr ausreichend gewürdigt habe.

Aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt

Aufgrund der festgestellten Rechtswidrigkeit der Beibringungsanordnung und der damit verbundenen Entziehung der Fahrerlaubnis sah das Gericht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwogen vom Interesse des Antragstellers, vorläufig von der Vollziehung der Maßnahme verschont zu bleiben. Die aufschiebende Wirkung der Klage wurde daher wiederhergestellt. Die Anordnung der Abgabe des Führerscheins und die Androhung eines Zwangsgeldes wurden ebenfalls aufgehoben.

✔ FAQ zum Thema: Fahrerlaubnisentzug und rechtliche Prüfung


Welche Rechte hat eine Person, wenn sie zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert wird?

Eine Person, die zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU) aufgefordert wird, hat kein eigenes Rechtsmittel gegen diese Anordnung. Die MPU-Anordnung stellt lediglich eine vorbereitende Verfahrenshandlung der Fahrerlaubnisbehörde dar und ist daher nicht selbstständig anfechtbar.

Allerdings kann die betroffene Person eine Stellungnahme zur MPU-Anordnung verfassen. Zudem besteht die Möglichkeit, unter bestimmten Umständen die gesetzte Frist für die Vorlage des MPU-Gutachtens anzufechten, beispielsweise wenn diese zu knapp bemessen ist, um eine erforderliche Mindestabstinenzzeit einzuhalten.

Wird das angeforderte MPU-Gutachten nicht fristgerecht beigebracht, darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen und die Fahrerlaubnis entziehen. Gegen diesen Entziehungsbescheid kann dann Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben werden. Im Rahmen dieser Klage wird auch die Rechtmäßigkeit der MPU-Anordnung gerichtlich überprüft.

Die betroffene Person hat zudem ein Recht auf Akteneinsicht bei der Fahrerlaubnisbehörde, um sich auf die MPU vorzubereiten. Auch in das erstellte MPU-Gutachten kann Einsicht genommen werden. Bei einem negativen MPU-Ergebnis sollte das Gutachten nicht an die Behörde weitergeleitet werden. Stattdessen kann der Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zurückgenommen und zu einem späteren Zeitpunkt neu gestellt werden, wenn die im Gutachten aufgezeigten Eignungsmängel behoben wurden.


Wie kann man sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wehren?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis zu wehren:

Gegen den Entziehungsbescheid der Fahrerlaubnisbehörde kann innerhalb eines Monats Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden. Im Rahmen dieser Klage wird dann auch die Rechtmäßigkeit einer vorangegangenen MPU-Anordnung gerichtlich überprüft.

Bereits gegen die MPU-Anordnung selbst besteht kein eigenes Rechtsmittel, da es sich nur um eine vorbereitende Verfahrenshandlung handelt. Allerdings kann der Betroffene eine Stellungnahme zur Anordnung abgeben und unter Umständen die gesetzte Frist zur Vorlage des Gutachtens anfechten, wenn diese zu knapp bemessen ist.

Wurde die Fahrerlaubnis wegen einer Straftat entzogen, kann im Strafverfahren versucht werden, den Entzug abzuwenden, indem man ein sogenanntes Augenblicksversagen nachweist. Dabei muss bewiesen werden, dass die Tat auf einer einmaligen Unaufmerksamkeit oder Ablenkung beruhte und nicht auf genereller Ungeeignetheit.

Auch bei wiederholten Verkehrsverstößen kann argumentiert werden, dass diese nicht die Annahme der generellen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen rechtfertigen. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.

Wurde bereits ein negatives MPU-Gutachten erstellt, ist ein Vorgehen dagegen nur in absoluten Ausnahmefällen erfolgversprechend, etwa wenn gravierende Verfahrensfehler vorliegen. Ansonsten empfiehlt es sich, das Gutachten nicht bei der Behörde einzureichen und stattdessen die MPU zu einem späteren Zeitpunkt zu wiederholen, wenn die festgestellten Eignungsmängel behoben wurden.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 11 Abs. 3 FeV: Dieser Paragraph regelt die Anforderungen für die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, insbesondere bei schwerwiegenden Verkehrsdelikten. Im vorliegenden Fall war die Beibringungsanordnung zentral, da sie aufgrund einer als schwerwiegend eingestuften Straftat mit Verkehrsbezug erfolgte. Die Rechtmäßigkeit der Anordnung und die korrekte Anwendung des Paragraphen standen dabei im Fokus des Gerichts.
  • § 3 StVG und § 46 FeV: Diese Gesetze definieren die allgemeinen Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn die Eignung zum Führen eines Fahrzeugs infrage gestellt wird. Sie sind relevant, da sie die rechtliche Grundlage für die ursprüngliche Entscheidung der Behörde darstellen, die Fahrerlaubnis zu entziehen.
  • § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und § 80 Abs. 5 VwGO: Diese Vorschriften sind für die gerichtliche Prüfung der sofortigen Vollziehung von Verwaltungsakten maßgeblich. Das Gericht musste entscheiden, ob das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.
  • Verwaltungsprozessordnung (VwGO): Die VwGO ist das zentrale Regelwerk für das Verwaltungsverfahren in Deutschland. Im vorliegenden Fall waren die Bestimmungen über das Eilverfahren (§ 80 VwGO) entscheidend, da der Antragsteller gegen den sofortigen Vollzug der Fahrerlaubnisentziehung vorging.
  • Bundeszentralregistergesetz (BZRG): Im Kontext dieses Falles spielt das BZRG eine Rolle bei der Frage, welche vorangegangenen Verurteilungen des Antragstellers noch berücksichtigt werden dürfen und welche bereits getilgt sind, was die Bewertung der Fahreignung beeinflusst.
  • Fahreignungsregister (FAER): Das FAER dokumentiert Verstöße im Straßenverkehr und ist relevant für die Beurteilung der Fahrtauglichkeit. Die Einträge im Fahreignungsregister waren ein Faktor, der die Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers beeinflusste, insbesondere im Hinblick auf frühere Verkehrsdelikte.


➜ Das vorliegende Urteil vom Verwaltungsgericht Bremen

VG Bremen – Az.: 5 V 2805/23 – Beschluss vom 24.01.2024

Die aufschiebende Wirkung der Klage (Aktenzeichen 5 K 2804/23) gegen die Ziffern 1-3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 22.11.2023 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird zum Zwecke der Kostenberechnung auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Er besaß … die Fahrerlaubnis für die Klassen AM, B und L. Am … wurde er durch das Landgericht Traunstein wegen Einschleusens von Ausländern zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Antragsteller im Jahr 2015 in Bulgarien einen Fahrer angeworben und diesem den Auftrag erteilt, 23 Personen mit einem Kleintransporter (VW LT) in das Bundesgebiet zu verbringen. Den Transporter begleitete er mit einem PKW. Dabei war ihm bewusst, dass die beförderten Personen ohne jede Sicherung auf engstem Raum auf der Ladefläche des Fahrzeugs transportiert wurden. Er nahm dabei billigend in Kauf, dass diese bei einem Unfall oder einem starken Bremsmanöver verletzt oder getötet werden könnten. Für die Tat hat er 500 Euro erhalten. Zur Tatzeit stand der Antragsteller unter laufender Bewährung aufgrund einer früheren Verurteilung. Im Januar 2019 wurde der Antragsteller unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen. Seitdem ist er als Gerüstbauer selbstständig.

Unter dem 15.03.2023 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis zum 15.07.2023 auf. Dabei sollte die folgende Frage geklärt werden: „bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht zu werden? (sic!) Ist aufgrund der begangenen erheblichen Straftaten (sic!) mit verkehrsrechtlichem Bezug (Nutzung eines Kraftfahrzeuges bei Straftaten) zu erwarten, dass der zu Untersuchende auch zukünftig gegen strafrechtliche Bestimmungen mit verkehrsrechtlichem Bezug verstoßen und/oder künftig allgemeine Straftaten in Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begehen wird?“. Es bestehe ein entsprechender Handlungsbedarf, da beim Antragsteller offensichtlich ein gestörtes Regelverständnis in Bezug auf die geltenden Gesetze und Vorschriften vorliege. Hintergrund sei seine Verurteilung wegen Einschleusens von Ausländern in vier tatmehrheitlichen Fällen (sic!) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe (sic!) von 3 Jahren und 3 Monaten.

Der Antragsteller erklärte sich mit der Beibringung des Gutachtens einverstanden, legte aber in der Folgezeit kein Gutachten vor. Unter dem 24.08.2023 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu einer beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung wegen der Nichtbeibringung des Gutachtens an. Zu diesem Zeitpunkt waren im Fahreignungsregister sechs Punkte eingetragen, darunter eine Verurteilung durch das Amtsgericht Oldenburg aus dem Jahr 2021 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Mit Bescheid vom 22.11.2023 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis (Ziffer 1), forderte ihn auf, seinen Führerschein sofort, spätestens 7 Tage nach Zustellung dieser Verfügung abzugeben (Ziffer 2) und drohte ihm für den Fall, dass er dem nicht nachkomme, ein Zwangsgeld von 260 € an (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung der Regelungen in den Ziffern 1 bis 3 wurde angeordnet. Aufgrund der fehlenden Mitwirkung gehe sie von der Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen aus. Der Sofortvollzug sei anzuordnen, weil aufgrund des gestörten Verhältnisses zu geltenden Gesetzen und Vorschriften davon auszugehen sei, dass der Antragsteller auch weiterhin erhebliche Straftaten mit verkehrsrechtlichem Bezug begehen werde. Der Antragsteller sei daher aus der Verkehrsgemeinschaft auszuschließen.

Der Antragsteller hat am 30.11.2023 Klage erhoben und den vorliegenden Eilantrag gestellt. Die Verurteilung liege … Jahre zurück. Er habe seit … im offenen Vollzug gelebt und sei 2019 aus der Haft entlassen worden. Seither habe er keine Straftaten unter Verwendung seiner Fahrerlaubnis mehr begangen und damit bewiesen, dass keine Zweifel an seiner Fahreignung bestünden.

Die Antragsgegnerin tritt dem Eilantrag entgegen. Sie führt aus, die Tat habe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsanordnung nicht derart lange zurückgelegen, dass sie keinen Anlass mehr für Fahreignungszweifel gegeben hätte; dabei sei auch die Zeit des Freiheitsentzugs sowie die Bewährungszeit zu berücksichtigen. Nach seiner Haftentlassung im Januar 2019 habe der Antragsteller im Übrigen, wie aus dem Fahreignungsregister ersichtlich, mehrere erhebliche Ordnungswidrigkeiten (Geschwindigkeitsüberschreitungen) sowie Verkehrsstraftaten (vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis) begangen. Die Argumentation des Antragstellers, an seiner Fahreignung bestünden wegen seines Verhaltens nach seiner Haftentlassung keine Zweifel mehr, könne deshalb nicht nachvollzogen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang und die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO zulässige Antrag ist begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die Behörde die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen, wenn das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung einer Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt als (offensichtlich) rechtswidrig darstellt, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen. Ist der Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung hingegen (offensichtlich) rechtmäßig, so überwiegt das Vollziehungsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts gegeben ist.

Die danach vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus, weil sich der Bescheid in den Ziffern 1 bis 3 als rechtswidrig erweist.

1.

Die Fahrerlaubnisentziehung ist voraussichtlich rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. §§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV. Nach § 3 Abs. 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist demjenigen die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. § 11 Abs. 2 FeV regelt dabei allgemein, in welcher Weise Bedenken gegen die Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers nachzugehen ist. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV kann zur Klärung von Eignungszweifeln die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) bei einer erheblichen Straftat angeordnet werden, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere, wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Voraussetzung hierfür ist, dass in der Gutachtensanordnung auf diese Folge hingewiesen wurde (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV), die Untersuchungsanordnung formell und materiell rechtmäßig war (vgl. etwa OVG Bremen, Urt. v. 13.08.2020 – 2 B 143/20 –, juris Rn. 8 m.w.N.) und die Weigerung bzw. Verspätung ohne ausreichenden Grund erfolgt ist.

Diese Voraussetzungen zur Annahme der Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges liegen nicht vor, denn die ergangene Anordnung, ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen, war rechtswidrig. Zwar lagen die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 11 Abs. 3 FeV vor (hierzu a.), die Begründung des Bescheids und die zu beantwortende Frage erweisen sich jedoch als nicht ordnungsgemäß (b.) und die Antragsgegnerin hat das ihr zustehende Ermessen nicht hinreichend ausgeübt (c.).

a.

Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV lagen vor. Der Antragsteller hat eine erhebliche Straftat begangen, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht. Er hat insoweit eines der Regelbeispiele (erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs) verwirklicht. Das Einschleusen von Ausländern stellt eine erhebliche Straftat dar, die unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde. Es spielt dabei keine Rolle, dass der Antragsteller das eigentliche Schleuserfahrzeug nicht selbst geführt, sondern nur mit einem weiteren Fahrzeug begleitet hat. Der Antragsteller hat das Einschleusen in dem Kleintransporter insbesondere selbst veranlasst, indem er etwa den Fahrer angeworben hat. Die Straftat weist auch erheblichen Bezug zur Fahreignung auf. Der Antragsteller hat durch sie nicht nur unter Beweis gestellt, dass er zu seinem eigenen finanziellen Vorteil und sogar während einer laufenden Bewährungszeit bereit ist, gegen geltende Gesetze in schwerwiegendem Maße zu verstoßen; er hat vielmehr auch gezeigt, dass für ihn die Sicherheit des Verkehrs und Leib und Leben der transportierten Personen keinerlei Rolle spielte. Eine solche erhebliche Gleichgültigkeit gegenüber dem geltenden Recht und den Rechtsgütern anderer lässt Zweifel an der Fahreignung aufkommen (vgl. auch etwa NdsOVG, Urt. v. 08.07.2014 – 12 LC 224/13 –, juris Rn. 58 m.w.N.).

Der Umstand, dass die Tat bereits viele Jahre zurückliegt, ließ zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsanordnung die Fahreignungszweifel auch nicht entfallen. Die Tat war für das Fahreignungsregister nicht registerpflichtig und aus dem Bundeszentralregister noch nicht getilgt, somit unterlag sie keinem Verwertungsverbot. Bei der Würdigung der Gesamtumstände ist insbesondere auch die Zeit des Freiheitsentzugs (bis einschließlich 2019) und die Bewährungszeit zu berücksichtigen. Auch folgt die Kammer dem Vortrag des Antragstellers, er habe seit seiner Entlassung aus dem geschlossenen Vollzug seine Fahreignung unter Beweis gestellt, nicht. Zwar hat der Antragsteller keine vergleichbaren Taten mehr begangen, indem er seine Fahrerlaubnis für Straftaten eingesetzt hat. Er hat jedoch mehrere andere Ordnungswidrigkeiten bzw. sogar Verkehrsstraftaten begangen.

b.

Die Beibringungsanordnung genügt jedoch nicht den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 Hs. 1 FeV. Danach legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung mit, dass er sich der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat.

Der Betroffene soll durch die Mitteilung der zu begutachtenden Fragestellung und durch die Angabe der Gründe, die Zweifel an der Fahreignung begründen, in die Lage versetzt werden, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob die Beibringungsaufforderung rechtmäßig ist. Davon hängt es ab, ob sich der Betroffene dieser Aufforderung verweigern kann, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Fahrerlaubnisbehörde bei nicht fristgerechter Vorlage des Gutachtens unter Berufung auf § 11 Abs. 8 FeV seine Fahrerlaubnis entzieht (vgl. etwa VG Bremen, Beschl. v. 07.09.2023 – 5 V 1782/23 –, juris Rn. 20 m.w.N.). Aus diesem Grund sind an die Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit der Fragestellung strenge Anforderungen zu stellen; sie muss insbesondere konkret sein und differenziert benennen, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll (BVerwG, Beschl. v. 05.02.2015 – 3 B 16.14 –, juris Rn. 9).

Hieran gemessen geht die zu begutachtende Fragestellung (ebenso wie die Begründung der Aufforderung) schon von falschen Tatsachen aus. Die Fragestellung bezieht sich ersichtlich – durch die Verwendung des Plurals – auf mehrere erhebliche Straftaten; die Begründung stellt insoweit auf vier Taten ab, die im Urteil des Landgerichts tatmehrheitlich abgeurteilt worden sein und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe geführt haben sollen. Dies entspricht indes nicht den Tatsachen, da der Antragsteller sich in diesem Zusammenhang nur einer Straftat schuldig gemacht hat. Schon diese fehlerhaft erfassten Umstände führen dazu, dass der die angeordnete Untersuchung durchführende Gutachter seinem Begutachtungsauftrag nicht ohne Weiteres fehlerfrei nachkommen kann. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass sich dieser auf weitere (Verkehrs-)Verstöße des Antragstellers stützen könnte, die insoweit jedoch nicht Grund für die Beibringungsanordnung gewesen sind.

c.

Unabhängig davon – und selbstständig tragend – lässt die streitgegenständliche Beibringensaufforderung keine hinreichende Ermessensausübung durch die Antragsgegnerin erkennen.

Aus dem Wortlaut von § 11 Abs. 3 FeV („kann … angeordnet werden“) ergibt sich, dass die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens in den dort aufgeführten Fällen im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde steht. Häufig decken sich die Gesichtspunkte, die auf Tatbestandsseite zur Annahme von Eignungszweifel führen mit den Gesichtspunkten, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urt. v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 –, juris Rn. 38). Je gewichtiger die Eignungsbedenken sind, desto geringer ist das Entschließungsermessen der Fahrerlaubnisbehörde; bei Vorliegen von erheblichen Eignungszweifeln kann es auf Null reduziert sein (VGH BW, Beschl. v. 08.03.2013 – 10 S 54/13 –, juris Rn. 5). Jedenfalls in besonders gelagerten Fällen muss das Ermessen jedoch – erkennbar – ausgeübt werden. Gerade mit Blick auf lange zurückliegende Taten ist es für die Fahrerlaubnisbehörde daher geboten, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob diese Verstöße nach wie vor die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen. Die Fahrerlaubnisbehörde wird bei mehrere Jahre zurückliegenden Verstößen mit Blick auf deren Art, Zahl und Erheblichkeit insbesondere zu erwägen haben, ob verbleibende Eignungszweifel ohne Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ausgeräumt werden können. Die Ermessenserwägungen hierzu sind, wenn sie zum Erlass einer Beibringensaufforderung führen, in der an den Betroffenen gerichteten Aufforderung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens auch offenzulegen, damit dem Sinn und Zweck der in § 11 Abs. 6 FeV angeordneten Mitteilungspflichten Genüge getan ist (vgl. ausführlich BVerwG, Urt. v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 –, juris Rn. 36 ff.).

Die Antragsgegnerin hat sich vorliegend in der Beibringungsanordnung an keiner Stelle mit dieser Frage auseinandergesetzt und insbesondere die Aspekte der Dauer der Strafhaft und Bewährungszeit sowie das Verhalten seit der Verurteilung im Straßenverkehr (und außerhalb) nicht erkennbar gewürdigt. Dass diese Abwägung voraussichtlich nicht zugunsten des Antragstellers ausgehen wird (dazu schon oben), ändert wegen der dargestellten Bedeutung der Begründung einer Beibringungsanordnung nichts an deren Rechtswidrigkeit.

2.

Aufgrund der wiederhergestellten aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Fahrerlaubnisentziehung liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der Abgabe des Führerscheins nach §§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, 47 Abs. 1 FeV (Ziffer 2 des Bescheids) nicht vor. Auch die Voraussetzungen für eine Zwangsmittelandrohung nach §§ 11, 14, 17 Abs. 1 bis 4 BremVwVG liegen sodann mangels vollziehbarer Grundverfügung nicht vor. Deshalb ist auch insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 i.V.m. 52 Abs. 1 GKG (vgl. Ziffer 1.5 Satz 1 Hs. 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).

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