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Fahrerlaubnisentziehung – MPU-Anordnung in der Probezeit

OVG Münster – Az.: 16 B 1583/21 – Beschluss vom 31.08.2022

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 21. September 2021 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses führt zu keinem für den Antragsgegner günstigeren Ergebnis.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az. 10 K 2646/21) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 2. August 2021 war hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1) und hinsichtlich der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins (Nr. 2) wiederherzustellen, weil die im vorliegenden Verfahren vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausfällt. Es sprechen gewichtige Gründe dafür, dass seine Klage insoweit Erfolg haben wird, weil die angefochtene Ordnungsverfügung sich hinsichtlich dieser Anordnungen bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist. Der Antragsgegner konnte nicht nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, weil dieser das unter dem 14. April 2021 angeordnete Gutachten nicht beigebracht hat. Denn der Schluss nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 C 25.04 -, juris, Rn. 19; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. März 2019 – 16 E 457/18 -, juris, Rn. 8 f., und vom 25. August 2021 – 16 B 1059/21 -, juris, Rn. 3.

Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Fahrerlaubnisentziehung – MPU-Anordnung in der Probezeit
(Symbolfoto: SP-Photo/Shutterstock.com)

Der Antragsgegner konnte die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens gegenüber dem Antragsteller nicht auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG stützen. Nach dieser Regelung hat die zuständige Behörde in diesem Fall in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Durch den Einschub „in diesem Fall“ wird auf den vorstehenden Satz Bezug genommen, wonach der Absatz 2 des § 2a StVG nicht anzuwenden ist auf eine mit der Erteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gemäß Absatz 1 Satz 7 beginnende neue Probezeit. Im Zusammenhang ist die Regelung in § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG demzufolge so zu lesen, dass die zuständige Behörde in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen hat, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis, dessen Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden ist, innerhalb der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor, weil dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nicht entzogen wurde, sondern er freiwillig auf diese verzichtet hat.

Angesichts dieses klaren Wortlauts und des Regelungszusammenhangs in § 2a Abs. 5 StVG ist die Vorschrift keiner erweiternden Auslegung zugänglich.

A.A. wohl: Hess. VGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – 2 B 2277/08 -, juris, Rn. 4 ff.; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 27. Januar 2017 – OVG 1 S 69.16 -, juris, Rn. 10 ff.

Die Regelung in § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners vorliegend auch nicht entsprechend anzuwenden.

Die analoge Anwendung der von einer Norm angeordneten Rechtsfolge auf Sachverhalte, die dieser Norm nicht unterfallen, setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Der Anwendungsbereich der Norm muss wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig sein. Eine derartige Lücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 2014 – 2 C 2.13 -, juris, Rn. 17 m. w. N.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn es ist nicht festzustellen, dass die dem Wortlaut nach nicht vorgesehene Gleichstellung von Entzug und Verzicht in § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG, auf den Satz 5 der Vorschrift verweist, auf einem gesetzgeberischen Versehen beruht.

So auch: VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Mai 2011 – 6 L 584/11 -, juris, Rn. 6 ff.; VG Koblenz, Beschluss vom 27. März 2020 – 4 L 234/20.KO -, juris, Rn. 17 ff., und Urteil vom 7. April 2022 – 4 K 119/22.KO -, juris, Rn. 24 ff.; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 2a StVG Rn. 53; Rebler, DAR 2009, 666; a. A.: VG Mainz, Beschluss vom 18. Januar 2022 – 3 L 5/22.MZ -, juris, Rn. 8 ff.; Trésoret, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. 2022, § 2a StVG Rn. 322 ff.

Bei der in diesem Verfahren nur gebotenen summarischen Prüfung erscheint bereits fraglich, ob überhaupt eine gesetzliche Regelungslücke besteht oder ob in Fällen des vorangegangenen Verzichts einer Fahrerlaubnis eine Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nach § 2a Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 StVG, wenn auch nicht wie bei § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG in der Regel, erfolgen kann, wenn die Gutachtenanordnung nicht bereits auf die allgemeinen Regelungen in § 46 Abs. 3 i. V. m. §§ 11 ff. FeV gestützt werden kann. Nach § 2a Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 StVG kann die zuständige Behörde (insbesondere auch) die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anordnen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der Probezeit Zuwiderhandlungen begangen hat, die nach den Umständen des Einzelfalls bereits Anlass zu der Annahme geben, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Ob die Regelung nur eine weitere Klarstellung neben dem ersten Halbsatz („Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 bleibt unberührt“) mit (ggf.) weiteren Voraussetzungen für die Gutachtenanordnung nach den allgemeinen Vorschriften (§ 46 Abs. 3 i. V. m. §§ 11 ff. FeV) beinhaltet oder eine den allgemeinen Regelungen gegenüber eigenständige (ggf. speziellere) Rechtsgrundlage für die Gutachtenanordnung bildet, ist höchstrichterlich nicht geklärt und wird im Übrigen uneinheitlich beantwortet.

Vgl. eine selbständige Rechtsgrundlage ablehnend: Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 2a StVG Rn. 47a; Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. 2022, § 2a StVG Rn. 290; eine solche annehmend: Bay. VGH, Beschluss vom 14. Februar 2006 – 11 CS 05.1504 – juris, Rn. 38; VG München, Beschluss vom 18. Mai 2005- M 6b S 05.1402 -, juris, Rn. 35, und Urteil vom 11. August 2009 – M 1 K 09.1830 -, juris, Rn. 15; VG Freiburg, Urteil vom 29. Juli 2013 – 4 K 1179/13 -, juris, Rn. 5; Rebler, DAR 2009, 666 (669).

Für die Annahme, dass § 2a Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 StVG eine eigenständige Rechtsgrundlage für eine Gutachtenanordnung darstellt, spricht insbesondere die Regelung in § 11 Abs. 3 Satz 2 FeV, wonach u. a. medizinischpsychologische Begutachtungen nach § 2a Abs. 4 und 5 und § 4 Abs. 10 Satz 4 StVG von den Ermächtigungen zur Anordnung der Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens in § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV unberührt bleiben. Bei einem solchen Verständnis kann ein Anlass im Sinne der Vorschrift ggf. in einer erneuten schwerwiegenden Zuwiderhandlung bzw. zwei erneuten Zuwiderhandlungen liegen. Denn nach der § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG zugrunde liegenden und ggf. übertragbaren Wertung muss dies nach erfolgter Entziehung der Fahrerlaubnis schon frühzeitig ernsthafte Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen auslösen. Für die Frage der Kraftfahreignung macht es insoweit ggf. keinen relevanten Unterschied, ob dem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden ist oder er angesichts einer bevorstehenden Entziehung freiwillig auf diese verzichtet hat, insbesondere, wenn die erneute Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht zielführend ist.

Vgl. auch OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 27. Januar 2017 – OVG 1 S 69.16 -, juris, Rn. 13, 17; Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. Dezember 1985, BT-Drs. 10/4490, S. 20 (zu § 2a Abs. 5 StVG).

Die zuvor aufgeworfene Frage nach dem Bestehen einer Regelungslücke braucht der Senat aber nicht abschließend zu entscheiden, da eine derartige Lücke, selbst wenn man eine solche annehmen wollte, jedenfalls nicht planwidrig ist.

Dies ergibt sich bereits aus der Regelungshistorie des § 2a StVG.

Der Gesetzgeber hat die Gutachtenanordnung nach vorheriger Entziehung der Fahrerlaubnis in § 2a StVG in den seit Einführung mehr als 35 vergangenen Jahren trotz zahlreicher Änderungen dieser Vorschrift ohne Erweiterung auf Fälle des Verzichts auf die Fahrerlaubnis bestehen lassen, obwohl im Rahmen dieser Änderungen auch im Hinblick auf andere Regelungen eine Gleichstellung von Entziehung der Fahrerlaubnis und Verzicht darauf erfolgt ist.

Mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Fahrlehrergesetzes vom 13. Mai 1986 (BGBl. I S. 700) wurden mit § 2a StVG Regelungen für den Fall eingeführt, dass Fahranfänger in den beiden ersten Jahren nach Erwerb der Fahrerlaubnis im Straßenverkehr auffällig werden und dadurch vermuten lassen, dass bei ihnen mangelnde Erfahrungsbildung und/oder Risikobereitschaft vorliegen, die auf diesen Gebieten Korrekturen erforderlich machen. Von zentraler Bedeutung ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers dabei die Teilnahme an einem Nachschulungskurs (heute: Aufbauseminar), von der nur diejenigen ausgenommen sein sollen, die aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls schon vor Anordnung einer Nachschulung Zweifel an ihrer Kraftfahreignung auslösen. In diesen Fällen habe die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinischpsychologischen Eignungsgutachtens anzuordnen und gegebenenfalls die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 2a Abs. 4 StVG). Ausgenommen sei nach § 2a Abs. 5 StVG, der das Verfahren nach verwaltungsbehördlichem oder gerichtlichem Entzug der Fahrerlaubnis regele, ferner auch derjenige, dem bereits die Fahrerlaubnis entzogen worden sei, weil er vor Entziehung oder Neuerteilung bereits an einem Nachschulungskurs habe teilnehmen müssen und erneute Verkehrsverstöße nach bereits einmal erfolgter Entziehung der Fahrerlaubnis schon frühzeitig ernsthafte Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen auslösen müssten.

Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. Dezember 1985, BT-Drs. 10/4490, S. 14, 15 und 20.

Die diesbezügliche Regelung in § 2a Abs. 5 Satz 3 StVG a. F. (heute: § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG) blieb inhaltlich seitdem im Wesentlichen unverändert und (dem Wortlaut nach) auf Fälle der vorausgehenden Entziehung (auf der Grundlage bestimmter Tatbestände) beschränkt, obwohl der Gesetzgeber zahlreiche Änderungen vorgenommen hat, die zum Teil auch die Gleichstellung des Verzichts mit der Entziehung zum Gegenstand hatten.

Mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 747) etwa erfolgte in § 2a Abs. 5 StVG eine Modifizierung dahingehend, dass vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis auch dann die Teilnahme an einem Aufbauseminar nachzuweisen ist, wenn der Antragsteller nur deshalb nicht an einem angeordneten Aufbauseminar teilgenommen hat oder die Anordnung nur deshalb nicht erfolgt ist, weil er zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet hat (vgl. § 2a Abs. 5 Satz 2 StVG). Ferner wurde hinsichtlich des vorzeitigen Endes der Probezeit und der neuen Probezeit im Umfang der Restdauer der vorherigen nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis in § 2a Abs. 1 Sätze 6 und 7 StVG der Verzicht auf die Fahrerlaubnis der vorangegangenen Entziehung gleichgestellt.

In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es bezüglich dieser Neuregelungen, dass die Regelung in Absatz 1 Satz 6 „klarstellend“ erfolgen solle, nachdem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe in der Vergangenheit versucht hätten, die Regelungen durch den Verzicht auf die Fahrerlaubnis zu umgehen, da die Regelungen der Fahrerlaubnis auf Probe nach dem Wortlaut in § 2a Abs. 1 StVG nur bei erstmaligem Erwerb der Fahrerlaubnis gelten. Die weitere Regelung wird damit begründet, dass „in Absatz 5 […] ebenfalls der Verzicht auf die Fahrerlaubnis einer Entziehung gleichgestellt“ werde. Habe der Betreffende Zuwiderhandlungen begangen, die zur Anordnung eines Aufbauseminars geführt haben oder geführt hätten, dürfe die Fahrerlaubnis wie bei einer Entziehung erst neu erteilt werden, wenn er an einem Aufbauseminar teilgenommen habe.

Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 7. Februar 1997, BT-Drs. 13/6914, S. 66 f.

Soweit daraus in der Rechtsprechung zum Teil gefolgert wird, dass die für den Gesetzgeber maßgeblichen Gründe für die Gleichstellung von Entziehung der Fahrerlaubnis und Verzicht auf diese auch bei der Fallgestaltung der Gutachtenanordnung zum Tragen kämen, insbesondere der maßgebliche Gesichtspunkt, dass die Anwendung der für die Entziehung einer Fahrerlaubnis geltenden Regelungen nicht durch einen Verzicht auf die Fahrerlaubnis umgangen werden könnten,

vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008- 2 B 2277/08 -, juris, Rn. 6 f.,

überzeugt dies nicht. Für diese Annahme fehlt es an tragfähigen Anhaltspunkten in der Gesetzesbegründung. Die beabsichtigte Gleichstellung „in Absatz 5“ wird dort durch den Zusatz dahingehend konkretisiert, dass sie sich auf die Teilnahme an einem Aufbauseminar bezieht. Auch die weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung im Zusammenhang mit den Probezeitregelungen in Absatz 1 des § 2a StVG beziehen sich ausschließlich auf die Dauer der Probezeiten. Sie enthalten weder einen Bezug zu dem hier in Rede stehenden Absatz 5, noch sind sie genereller Natur. Eine Übertragung auf andere Regelungskomplexe kommt daher nicht ohne Weiteres in Betracht.

Das Argument, dass die Anwendung der für die Entziehung einer Fahrerlaubnis geltenden Regelungen nicht durch einen Verzicht auf die Fahrerlaubnis umgangen werden können solle,

vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008- 2 B 2277/08 -, juris, Rn. 7,

trägt überdies in der Konstellation der späteren Gutachtenanordnung nicht, weil die Gutachtenanordnung – anders als eine weitere Probezeit oder Teilnahme an einem Aufbauseminar – keine absehbare Maßnahme ist, die durch einen Verzicht auf die Fahrerlaubnis umgangen werden kann. Der Verzicht erfolgt nicht vor der Anordnung des Gutachtens, sondern bereits vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Die Gutachtenanordnung setzt nach der Neuerteilung sodann als weiteren Zwischenschritt voraus, dass der Betroffene in der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begeht. Dieser bei Verzicht auf die Fahrerlaubnis wohl nicht absehbare – jedenfalls nicht regelmäßig eintretende – weitere Umstand als Voraussetzung der späteren Gutachtenanordnung dürfte der Annahme einer (geplanten) Umgehung entgegenstehen.

Tragfähige Anhaltspunkte für einen gesetzgeberischen Willen der Gleichstellung des Verzichts und der Entziehung in diesen Fällen finden sich auch in den weiteren Gesetzesänderungen nicht. Durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 19. März 2001 (BGBl. I S. 386) etwa wurde dem Absatz 2a des § 2a StVG der Satz 2 hinzugefügt, wonach die Probezeit sich außerdem um zwei Jahre verlängert, wenn die Anordnung [eines Aufbauseminars] nur deshalb nicht erfolgt ist, weil die Fahrerlaubnis entzogen worden ist oder der Inhaber der Fahrerlaubnis auf sie verzichtet hat. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 12. Oktober 2000 wird dies wie folgt begründet:

„Diese Regelung […] bedarf jedoch insoweit einer Ergänzung, als sie unterlaufen werden kann, weil entweder der Betroffene zwischenzeitlich auf seine Fahrerlaubnis verzichtet hat oder die Fahrerlaubnis aus anderen Gründen (z. B. Alkohol) entzogen wurde. Da in diesen Fällen die Fahrerlaubnis nicht mehr vorhanden ist, kann auch keine Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2a ergehen, weil diese Teilnahme den Bestand der Fahrerlaubnis voraussetzt. Es ist jedoch sachlich nicht gerechtfertigt und nicht hinnehmbar, dass in den beiden besagten Fällen die Verlängerung der Probezeit unterbleibt (weil die behördliche Anordnung zur Teilnahme am Aufbauseminar bei Fehlen der Fahrerlaubnis nicht möglich ist).“

Vgl. BT-Drs. 14/4304, S. 10.

Damit beruhte die Ergänzung auf dem Aspekt des Nichtinnehabens einer Fahrerlaubnis, ohne dass der Grund hierfür von Bedeutung wäre. Auf eine vom Gesetzgeber tatsächlich gewollte, lediglich unvollständig umgesetzte generelle Gleichstellung des Verzichts auf die Fahrerlaubnis und deren Entziehung lässt dies nicht, jedenfalls nicht zwingend schließen.

Angesichts dieser – exemplarisch dargestellten – Regelungshistorie spricht nichts dafür, dass es der Gesetzgeber versehentlich versäumt hat, den Verzicht auf die Fahrerlaubnis mit deren Entziehung in § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG gleichzustellen.

Es fehlt auch an der weiter erforderlichen vergleichbaren Interessenlage in allen Fällen des Verzichts. Selbst wenn man für Fälle der Umgehung der Entziehung eine solche annähme, wären bei einer analogen Anwendung von § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG sämtliche Fälle des Verzichts auf die Fahrerlaubnis erfasst, also auch solche, in denen der Betroffene nicht zuvor die erste und zweite Maßnahmenstufe des § 2a Abs. 2 StVG durchlaufen hat. Eine vergleichbare Interessenlage ist in diesen Konstellationen jedoch nicht zu erkennen.

Vgl. auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Mai 2011 – 6 L 584/11 -, juris, Rn. 15; VG Koblenz, Beschluss vom 27. März 2020 – 4 L 234/20.KO -, juris, Rn. 19.

Die Gutachtenanordnung erweist sich auch nicht als rechtmäßig, weil der Antragsgegner sie ggf. auf eine andere Rechtsgrundlage hätte stützen können. Denn es kommt nach der Rechtsprechung des Senats darauf an, ob die Voraussetzungen der in der Gutachtenanordnung ausdrücklich genannten Rechtsgrundlage vorliegen,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. September 2018- 16 B 96/18 -; so auch: Bay. VGH, Beschluss vom 24. August 2010 – 11 CS 10.1139 -, juris, Rn. 55 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 26. September 2019- 12 ME 141/19 -, juris, Rn. 11; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 44; a. A. (wohl) OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 27. Januar 2017 – OVG 1 S 69.16 -, juris, Rn. 13, 16 f.; offengelassen: BVerwG, Urteil vom 7. April 2022 – 3 C 9.21 -, juris, Rn. 56, was hier für die ausschließlich benannte Rechtsgrundlage des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG nicht der Fall ist.

Denn die Pflicht, eine Gutachtenanforderung zu begründen, dient u. a. dazu, dem Adressaten ein Urteil darüber zu ermöglichen, ob das behördliche Verlangen mit der Rechtsordnung in Einklang steht oder ob er die Gutachtenvorlage verweigern darf, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Fahrerlaubnis unter Berufung auf § 11 Abs. 8 FeV entzogen wird. Diesen Zweck vermag die Begründung der Gutachtenanforderung nur zu erfüllen, wenn sich der Adressat auf die darin enthaltenen Angaben verlassen kann. Das gilt umso mehr, als ihm kein rechtliches Mittel zur Verfügung steht, um die Berechtigung der Gutachtenanforderung vor dem Erlass einer Entziehungsverfügung gerichtlich klären zu lassen. Die Anforderungen an eine formell und materiell rechtmäßige Aufforderung können – abgesehen von Fällen offensichtlicher Unrichtigkeiten wie etwa bei Schreibfehlern (vgl. entsprechend § 42 VwVfG NRW) – nicht durch Überlegungen des Inhalts relativiert werden, der Betroffene werde schon wissen, worum es gehe. Der Fahrerlaubnisinhaber ist insbesondere nicht gehalten, nach Vorschriften zu suchen, die fehlerhaft begründetes behördliches Handeln zu seinen Lasten doch noch rechtfertigen könnten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2014 – 16 B 912/14 -, juris, Rn. 13 (zur Unbeachtlichkeit von Schreibfehlern); Bay. VGH, Beschlüsse vom 24. August 2010 – 11 CS 10.1139 -, juris, Rn. 60, und vom 25. Juni 2020 – 11 CS 20.791 -, juris, Rn. 31;Schl.-H. VG, Gerichtsbescheid vom 14. Oktober 2014 – 3 A 254/13 -, juris, Rn. 22 f.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. November 2020 – 6 L 1742/20 -, juris, Rn. 23; VG Köln, Beschluss vom 9. Juli 2021- 6 L 765/21 -, juris, Rn. 33, jeweils m. w. N.

Nach alledem ist auch gegen den Ausspruch zur Herausgabe des Führerscheins an den Antragsteller nichts zu erinnern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

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