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Fahrerlaubnisentziehung im Verwaltungsverfahren – Abweichung von Strafrechtsurteil

VG Neustadt (Weinstraße) – Az.: 1 L 873/20 – Beschluss vom 23.10.2020

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes, der sich ausdrücklich nur gegen die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 24. September 2020 verfügte Fahrerlaubnisentziehung wendet, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alternative VwGO statthaft und auch sonst zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die vom Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eigenständig vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die mit Widerspruch angegriffene Fahrerlaubnisentziehung erweist sich nämlich bei der im Eilverfahren allein möglichen, aber auch gebotenen summarischen Prüfung durch das Gericht als offensichtlich rechtmäßig und es besteht ein überwiegendes Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ist hier § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 2 Fahrerlaubnisverordnung – FeV –. Danach ist eine Fahrerlaubnis zwingend – d. h. ohne Ermessensspielraum für die Fahrerlaubnisbehörde – zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Von der Ungeeignetheit darf die Fahrerlaubnisbehörde ausgehen, wenn der Betroffene ein wegen bestehender Fahreignungszweifel gefordertes medizinisches oder medizinisch-psychologisches Gutachten ohne zureichenden Grund nicht oder nicht rechtzeitig vorlegt. Der Schluss auf die fehlende Fahreignung setzt allerdings voraus, dass die Gutachtensanordnung ihrerseits formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (st. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20/15 –, m.w.N.).

So liegt der Fall hier.

Zunächst war der Antragsgegner entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht von vornherein am Ergreifen der fahrerlaubnisrechtlichen Aufklärungsmaßnahme gemäß § 3 Abs. 4 StVG durch das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 8. Juni 2020 (733 Cs – 245 Js 8/20 – 33/20) gehindert.

Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren u.a. nicht zum Nachteil des Fahrerlaubnisinhabers von der Beurteilung seiner Fahreignung in einem Strafurteil abweichen, wenn die Tatsachengrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis mit dem Gegenstand der Urteilsfindung in dem Strafverfahren übereinstimmt. Die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete Bindungswirkung gilt nicht erst für die Maßnahme der Fahrerlaubnisentziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck schon für die vorbereitenden Maßnahmen, so dass in derartigen Fällen die Behörde schon die Beibringung eines Gutachtens nicht anordnen darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1988 – 7 C 46.87 –, BVerwGE 80, 43). Mit der Vorschrift soll sichergestellt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr widersprechender Entscheidungen im Straf- und Verwaltungsverfahren ausgeschaltet wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß § 69 StGB keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafrichter übertragende Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde. Allerdings ist die Verwaltungsbehörde nur dann an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt auszugehen hat. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat. Deshalb entfällt die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat. Enthält die strafgerichtliche Entscheidung keine positive oder negative Bewertung der Eignung, so kann daraus nicht auf die positive Eignung geschlossen werden (vgl. ausführlich OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 3 L 204/15 –, juris, m. w. N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen genügt es nicht, wenn die strafrichterliche Entziehung der Fahrerlaubnis unterbleibt mit Hinweis auf den Zeitablauf oder die Dauer einer vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung, die Schwere der Tat, eine festgestellte Ausnahmesituation oder das bisher straffreie Verhalten des Betroffenen, die Tat- und Schuldangemessenheit der Maßregel oder die notwendige Einwirkung auf den Täter (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 3 L 204/15 –, a.a.O., sowie OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2015 – 16 B 55/15 –; BayVGH, Beschluss vom 7. August 2008 – 11 Cs 08.1854 –; Sächs. OVG, Beschluss vom 2. Juli 2017 – 3 B 95/17 –, alle juris; zum Ganzen ferner Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 3 StVG Rn. 58 ff., m.w.N.). Auch der Umstand, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis und das Fahrverbot nach § 44 StGB sich grundsätzlich ausschließen, begründet die Bindungswirkung gemäß § 3 Abs. 4 StVG nicht. Daraus ist nämlich nicht zu entnehmen, dass das Strafgericht in allen Fällen, in denen es von einer Fahrerlaubnisentziehung absieht und nur ein Fahrverbot ausspricht, zuvor in der gebotenen Weise die Eignungsfrage geprüft und bejaht hat. Aus der Tatsache, dass das Amtsgericht gegen den Betroffenen nur ein Fahrverbot ausgesprochen hat, ohne ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen, folgt insbesondere nicht, dass seine Fahreignung stillschweigend bejaht wurde (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. August 2008 – 11 Cs 08.1854 –, a.a.O.).

Allerdings kann das Vorliegen einer abschließenden Eignungsbeurteilung durch den Strafrichter und damit der Eintritt der Bindungswirkung nicht auf der Grundlage einer einzigen Formulierung, sondern nur aus dem Gesamtzusammenhang der Gründe des Strafurteils festgestellt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1988 – 7 B 199/88 –, juris). Die Ausführungen im amtsgerichtlichen Urteil sind mithin einer Auslegung zu unterziehen, ob sie sich insgesamt klar genug zur Fahreignung bzw. zu dem für die Fahreignung maßgeblichen Aspekt des Ausschlusses einer zukünftigen Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr verhalten, so dass die Behörde ein positives Eignungsurteil daraus sicher entnehmen kann.

Das ist hier nach Auffassung der Kammer nicht der Fall. Das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 8. Juni 2020 gegen den Antragsteller enthält keine ausdrückliche Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers, das Wort „Fahreignung“ kommt in der Begründung des Urteils nicht einmal vor. Der Strafrichter führt zur Entscheidung über die Maßregel vielmehr aus: „Die Verhängung einer Maßregel der Sicherung erschien nicht mehr angezeigt, nachdem der Angeklagte seinen Führerschein mittlerweile über fünf Monate entbehrt und ihm bereits dadurch die Gefährlichkeit seines Tuns hinlänglich vor Augen geführt worden ist. Die Verhängung eines Fahrverbots, das durch die Beschlagnahme des Führerscheines abgegolten ist, erschien ausreichend.“

Soweit damit auf die Dauer des vorläufigen Führerscheinentzugs abgestellt wird, genügt dies nach den obigen Ausführungen ebenso wenig wie die Verhängung (nur) eines Fahrverbots als Beleg für eine Entscheidung über die Fahreignung des Antragstellers. Allein der Aspekt, dass dem Antragsteller bereits dadurch „die Gefährlichkeit seines Tuns hinlänglich vor Augen geführt“ worden sei, könnte dahin zu verstehen sein, dass der Antragsteller nach Ansicht des Strafrichters für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs keine Gefahr (mehr) darstellte, was den entscheidenden Bezug zur Fahreignung herstellen könnte. Dieser strafrichterliche Hinweis kann aber auch dahin zu verstehen sein, dass durch die genannten Umstände und die Verhängung eines Fahrverbots ausreichend auf den Antragsteller eingewirkt werden kann, was wiederum nach den angeführten gerichtlichen Entscheidungen keine positive Feststellung zur Kraftfahreignung beinhaltet. Die Aussagen im Urteil des Amtsgerichts Dortmund sind mithin nicht eindeutig und klar genug, um seitens des Antragsgegners sicher daraus zu entnehmen, dass das Strafgericht die Fahreignung des Antragstellers abschließend beurteilt und bejaht hat. Sollte dies – entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB – der Fall gewesen sein, hätte der Strafrichter gemäß § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO dazu in der erforderlichen Klarheit und Deutlichkeit eine Aussage treffen müssen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2015 – 16 B 55/15 – sowie BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1988 – 7 B 199/88 –, juris).

Dahinstehen kann nach alledem, ob der Antragsgegner im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren auch auf einen weiter reichenden Sachverhalt als das Strafverfahren abstellt, indem er in der Gutachtensanordnung neben der Fahrt unter Alkoholeinfluss auch auf einen aufklärungsbedürftigen gesundheitsschädigenden bzw. missbräuchlichen Umgang des Antragstellers mit Alkohol aufgrund einer über 1,6 ‰ liegenden BAK hingewiesen hat.

Die Gutachtensanordnung des Antragsgegners vom 1. Juli 2020 unterliegt in formeller Hinsicht keinen Bedenken.

Die formellen Anforderungen an eine Gutachtensanordnung sind in § 11 Abs. 6 FeV geregelt: Danach legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 FeV in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Sie teilt ihm unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stellen, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist und auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann. Diese formellen Erfordernisse sind hier sämtlich erfüllt. Darüber hinaus wurde dem Antragsteller, wie in der Rechtsprechung verlangt (vgl. nur BayVGH, Beschluss vom 5. Juli 2017 – 11 CS 17.10666 –; VG Koblenz, Beschluss vom 27. März 2020 – 4 L 234/20.KO –, beide juris), die zutreffende Rechtsgrundlage für die Gutachtensanordnung mitgeteilt, nämlich § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV. Dass die Anordnung des Antragsgegners zunächst auch allgemeine Ausführungen zu § 13 Satz 1 Nr. 2d FeV enthält – der im Fall des Antragstellers nicht einschlägig ist, weil ihm die Fahrerlaubnis im Strafverfahren letztlich nicht entzogen wurde – spielt dabei keine entscheidende Rolle. Denn der Antragsgegner hat sodann die Subsumtion des vorliegenden Einzelfalles unter § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV korrekt vorgenommen, indem er ausführt: „In ihrem Fall liegt eine bzw. beide Tatsachen vor, nämlich das Führen eines Fahrzeuges mit einer BAK von 1,6 ‰“. Daraus wird aus dem Empfängerhorizont des Antragstellers hinreichend deutlich, dass die Anordnung hier gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV erfolgt ist, weil er ein Fahrzeug mit einer BAK von 1,61 ‰ geführt hat.

Die Anordnung vom 1. Juli 2020 ist auch materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig.

Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gegenüber dem Antragteller sind unzweifelhaft erfüllt. Der Antragsteller hat mit einem Fahrzeug, nämlich einem E-Scooter, am öffentlichen Straßenverkehr mit einer BAK von – wenn auch knapp – über 1,6 ‰ teilgenommen und damit den Tatbestand des § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV verwirklicht. Ein Ermessen stand dem Antragsgegner bei Anwendung der Vorschrift nicht zu, und Gründe gegen die Verhältnismäßigkeit der Anordnung sind ebenfalls nicht erkennbar.

Der Antragsteller hat das angeforderte Gutachten nicht vorgelegt, womit der Antragsgegner gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV von der fehlenden Fahreignung ausgehen durfte. Auch diese Norm eröffnet kein Ermessen für die Fahrerlaubnisbehörde (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O. § 11 FeV, Rn. 51 m.w.N.).

Damit erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis gegenüber dem Antragsteller als offensichtlich rechtmäßig. In dieser Situation besteht auch nach Überzeugung des Gerichts ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, den zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeigneten Antragsteller mit sofortiger Wirkung, und nicht erst nach rechtskräftiger Entscheidung über seinen Widerspruch, von der motorisierten Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr fernzuhalten, um Gefahren für die anderen Verkehrsteilnehmer effektiv zu vermeiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 2, 53 GKG i. V. m. Ziffer 1.5 und Ziffer 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169 ff.), wobei der für die streitgegenständliche Fahrerlaubnis Klasse B samt Einschlussklassen einschlägige Regelstreitwert im Eilverfahren auf die Hälfte reduziert wird.

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