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Fahrerlaubnisentziehung Cannabiskonsums – Vorlagefrist für Gutachten – Drogenabstinenzprogramm

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 18.1398 – Beschluss vom 16.08.2018

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A und B einschließlich Unterklassen.

Das Amtsgericht Sonthofen verurteilte den Antragsteller am 18. September 2015, rechtskräftig seit 2. Februar 2016, wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2, 3 StVG, da er ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis geführt hatte. Mit Bußgeldbescheid vom 19. September 2017 ahndete das Bayerische Polizeiverwaltungsamt eine am 15. August 2017 begangene Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2, 3 StVG, da der Antragsteller erneut ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis geführt hatte.

Nach Anhörung vom 20. September 2017 legte der Antragsteller dem Landratsamt Oberallgäu (im Folgenden: Landratsamt) sechs Urinscreenings aus den Jahren 2015 und 2016 sowie einen Abschlussbericht über ein Drogen-Abstinenz-Kontroll-Programm vom 17. Mai 2016 vor. Mit Bescheid vom 17. Oktober 2017 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis. Im verwaltungsgerichtlichem Klageverfahren hob das Landratsamt diesen Bescheid mit Bescheid vom 16. Januar 2018 auf und forderte den Antragsteller mit Schreiben vom 17. Januar 2018 auf, bis 3. März 2018 ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Es sei zu klären, ob insbesondere zu erwarten ist, dass der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen wird (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme). Die Aufforderung ist auf § 14 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 FeV gestützt.

Mit Gutachten vom 27. März 2018 stellte die TÜV Süd Life Service GmbH fest, es sei zu erwarten, dass der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen wird. Er sei nach der Vorgeschichte und den Befunden nicht zuverlässig in der Lage, Drogenkonsum und Verkehrsteilnahme zu trennen. Zwar habe er glaubhaft angegeben, seit Oktober 2017 auf Drogenkonsum zu verzichten. Der Zeitraum des Drogenverzichts sei jedoch im Hinblick auf das festgestellte Konsummuster noch nicht ausreichend lang, um die erforderliche Stabilität der Verhaltensänderung zu gewährleisten.

Daraufhin entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid vom 24. April 2018 die Fahrerlaubnis, forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, den Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben und ordnete die sofortige Vollziehung an. Am 14. Mai 2018 gab der Antragsteller seinen Führerschein ab.

Über die Klage gegen den Bescheid vom 24. April 2018 hat das Verwaltungsgericht Augsburg noch nicht entschieden (Au 7 K 18.817). Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht abgelehnt, da die Klage voraussichtlich nicht erfolgreich sein werde. Nach dem vorgelegten Gutachten sei der Antragsteller nicht in der Lage, Konsum von Cannabis und Verkehrsteilnahme zuverlässig zu trennen. Das Gutachten sei nachvollziehbar und schlüssig.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Der Antragsteller macht geltend, das Gutachten sei nicht verwertbar. Es sei zu pauschal. Die Gutachter hätten sich auch nicht davon überzeugt, dass der Antragsteller von Januar 2018 bis zum Begutachtungszeitpunkt am 22. Februar 2018 drogenabstinent gelebt habe. Es hätte z.B. eine Haaranalyse oder ein Urinscreening durchgeführt werden können. Das Verwaltungsgericht berücksichtige nicht die Besonderheiten des Falles. Dem Antragsteller sei schon im Oktober 2017 erstmals die Fahrerlaubnis entzogen worden. Bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids sei von vorneherein klar gewesen, dass der Antragsteller die übliche Abstinenzzeit von zwölf Monaten nicht wird nachweisen können.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), vor Bescheiderlass zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Januar 2018 (BGBl I S. 2), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).

Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a des Straßenverkehrsgesetzes begangen wurden. Mit den beiden Verkehrsordnungswidrigkeiten, die im Fahreignungsregister eingetragen sind, sind die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV erfüllt und es war zwingend ein Gutachten anzuordnen.

Die Fahrerlaubnisbehörde muss die Vorlagefrist grundsätzlich nicht so bemessen, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, innerhalb der Frist ein Drogenabstinenzprogramm zu absolvieren um seine Fahreignung wiederzuerlangen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 11 FeV Rn. 45 m.w.N.). Ob im Fall des § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV eine Abstinenz erforderlich ist, hängt davon ab, welches Konsumverhalten den Verkehrsverstößen zugrunde liegt und kann deshalb nicht einheitlich beantwortet werden. Die Fahrerlaubnisbehörde ist zwar verpflichtet, im Entziehungsverfahren auch zu prüfen, ob die Fahreignung ausnahmsweise (z.B. wegen langer Zeitdauer des Verfahrens) schon wiedererlangt worden sein kann und dann ggf. die Vorlagefrist hinsichtlich eines Gutachtens verlängern (für einen Ausnahmefall s. BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 11 CS 17.1726 – juris). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

Das Verwaltungsgericht ist auch zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass das Gutachten vom 27. März 2018 nachvollziehbar die Fahreignung des Antragstellers verneint. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV liegt bei gelegentlichem Konsum von Cannabis nur dann Fahreignung vor, wenn der Konsum und das Fahren zuverlässig getrennt werden und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen und keine Störung der Persönlichkeit sowie kein Kontrollverlust vorliegt. Ein diesbezüglich eingeholtes medizinisch-psychologisches Gutachten muss dabei nach Nr. 2 Buchst. a der Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV nachvollziehbar und nachprüfbar sein.

Zwar leidet das vorgelegte Gutachten an gewissen Ungereimtheiten, dies führt jedoch nicht zur Unverwertbarkeit. Z.B. wird auf Seite 5 erläutert, bei Gelegenheitskonsumenten von THC sei zu überprüfen, ob von einem ausreichenden Trennvermögen zwischen Konsum und Fahren auszugehen sei (Hypothese D4). Dann wird aber weiter ausgeführt, dies könne in der Regel nicht mehr angenommen werden, wenn bereits eine Fahrt unter THC-Einfluss stattgefunden habe. Diese Feststellung trifft so nicht zu, denn eine Fahrt unter Einfluss von Cannabis führt nur zu Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel, die nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV durch eine im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde stehende Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgeklärt werden müssen (vgl. BayVGH, U.v. 10.4.2018 – 11 BV 18.259 – juris; U.v. 25.4.2017 – 11 BV 17.33 – Blutalkohol 54, 268) und die nicht regelmäßig Fahrungeeignetheit zur Folge haben muss.

Des Weiteren kann dem Gutachten nicht hinreichend sicher entnommen werden, ob der Antragsteller in die Hypothese D3 oder D4 der Beurteilungskriterien – Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM), 3. Aufl. 2013 (im Folgenden: Beurteilungskriterien) einzuordnen ist, denn es wird zwar von einer Drogengefährdung und Drogenproblematik gesprochen, in die Hypothese D3 ist aber im Bereich des reinen Cannabiskonsums grundsätzlich nur der regelmäßige Konsum im Sinne der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV einzuordnen (vgl. S. 187 der Beurteilungskriterien). Ein solches Konsummuster haben die Gutachter aber nicht ausdrücklich zugrunde gelegt.

Im vorliegenden Fall führen diese Unstimmigkeiten aber nicht dazu, dass das Gutachten nicht verwertbar wäre. Zwar ist ein Verzicht auf den Konsum von Cannabis bei einem unter die Hypothese D4 der Beurteilungskriterien fallenden Probanden nicht erforderlich, sondern es reicht alleine ein ausreichendes Trennungsvermögen (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2018 – 11 ZB 18.766 – juris). Hier kommt es im Ergebnis aber nicht darauf an, in welche Hypothese der Antragsteller einzuordnen ist, denn er hat selbst ausgeführt, er wolle Abstinenz einhalten. Dann ist auch nach dem Kriterium D 4.3 N Nr. 7 der Beurteilungskriterien Voraussetzung für eine positive Beurteilung, dass der Drogenverzicht nicht nur kurzfristig und zweckorientiert aufgrund der Führerscheinproblematik aufgenommen worden ist, sondern eine auf Dauer angelegte Verhaltensänderung darstellt. Das Gutachten ist angesichts der langjährigen Drogengeschichte des Antragstellers, des von ihm angegebenen zeitweise täglichen Cannabiskonsums, des Rückfalls nach einer mehr als einjährigen Abstinenz im Jahr 2017 wegen persönlicher Schwierigkeiten und der erst aufgrund der Führerscheinproblematik nach dem Entziehungsbescheid vom 17. Oktober 2017 erneut eingehaltenen Abstinenz nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verhaltensänderung zum Zeitpunkt der Untersuchung im Februar 2018 noch nicht hinreichend stabil war. Die Frage, wie lange der Antragsteller Abstinenz einhalten muss, um seine Fahreignung wieder erlangen zu können, ist bei dieser Sachlage erst im Wiedererteilungsverfahren zu klären und auf die diesbezüglichen Ausführungen im vorliegenden Gutachten kommt es ebenfalls nicht an.

Soweit der Antragsteller vorträgt, die Gutachter hätten sich, z.B. durch eine Haaranalyse, davon überzeugen müssen, dass auch im Januar und Februar 2018 Drogenabstinenz vorgelegen habe, kann dies seiner Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Zum einen ist das Gutachten ohnehin davon ausgegangen, dass mit der letzten Urinkontrolle Abstinenz bis 30. Januar 2018 nachgewiesen worden sei. Darüber hinaus wurden die Angaben des Antragstellers, seit Oktober 2017 auf Drogenkonsum zu verzichten auch als glaubhaft angesehen. Aus Sicht der Gutachter war daher eine weitere Abstinenzkontrolle im Februar nicht erforderlich, sondern der Zeitraum der Abstinenz von Oktober 2017 bis zur Begutachtung wurde als noch nicht ausreichend lange angesehen.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.1 und 46.3 Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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