Skip to content
Menü

Fahrerlaubnisentziehung bei zweimaligem Fahren eines Kraftfahrzeuges unter Cannabiseinfluss

Führerscheinentzug nach zweimaligem Fahren unter Cannabiseinfluss: Ein Blick in die Praxis

Es ist ein Fall, der mit rechtlichen und moralischen Fragen durchzogen ist und zugleich die Grauzonen im Umgang mit Drogen im Straßenverkehr aufdeckt. Ein Fahrerlaubnisinhaber wird zweimal innerhalb eines Monats beim Fahren unter dem Einfluss von Cannabis erwischt. Die Reaktion der Behörden ist streng: Der Führerschein wird entzogen. Aber ist diese Entscheidung rechtmäßig? Kann eine Person aufgrund von zwei Verstößen als ungeeignet zum Führen eines Fahrzeugs betrachtet werden?

Dieser knifflige Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Während die zuständige Behörde die Entscheidung zur Fahrerlaubnisentziehung als rechtmäßig ansah, sah das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Sache anders und gewährte vorläufigen Rechtsschutz. Der Fall wurde vom Antragsgegner, der die Fahrerlaubnis entzogen hatte, angefochten, was zu einer weiteren gerichtlichen Auseinandersetzung führte.

Direkt zum Urteil Az: 16 B 1313/20 springen.

Der Kern des Konflikts: Drogenkonsum und Fahreignung

Im Kern des Konflikts stand die Frage, ob der wiederholte Cannabiskonsum des Antragstellers ausreichte, um seine Fahreignung in Frage zu stellen. Die Behörde sah in den zwei aufeinanderfolgenden Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz innerhalb eines Monats genügend Grund, den Führerschein des Fahrers zu entziehen.

Unterschiedliche Interpretationen des Rechts

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf, das dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gewährte, sah dies anders. Es vertrat die Auffassung, dass der Antragsteller durch das Führen eines Fahrzeugs unter Cannabiseinfluss nicht automatisch als ungeeignet zum Führen eines Fahrzeugs gesehen werden könne. Für die Beurteilung der Fahreignung seien weitere Untersuchungen notwendig, wie beispielsweise die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.

Ein überraschender Beschluss

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen dürfte viele überrascht haben. Das Gericht wies die Beschwerde des Antragsgegners ab und bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf. Es stellte klar, dass ein gelegentlicher Cannabiskonsum und das daraus resultierende zweimalige Führen eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von Cannabis nicht zwangsläufig die Annahme der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen rechtfertigt.

Ein maßgeblicher Präzedenzfall

Dieser Fall bildet ein bedeutsames Präzedenzurteil im Bereich des Verkehrsrechts und der Drogen im Straßenverkehr. Es unterstreicht, dass die Fahrerlaubnisentziehung bei gelegentlichem Drogenkonsum nicht automatisch gerechtfertigt ist und weist auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen individuellen Beurteilung der Fahreignung hin.


Das vorliegende Urteil

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 B 1313/20 – Beschluss vom 15.04.2021

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 11. August 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Die vom Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses führt zu keinem für den Antragsgegner günstigeren Ergebnis.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die mit Bescheid des Antragsgegners vom 6. Juli 2020 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers offensichtlich rechtswidrig gewesen sei, da das zweimalige Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss durch den Antragsteller auch unter Berücksichtigung des kurzen Zeitraums zwischen den beiden Fahrten am 10. April 2019 und am 16. Mai 2019 eine gesicherte Feststellung seiner Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht erlaube.

Diese Annahme hat der Antragsgegner mit seinem Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Abrede gestellt.

Ein zweimaliges Auffälligwerden eines Fahrerlaubnisinhabers, der gelegentlich Cannabis konsumiert, im Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis rechtfertigt es in der Regel nicht, ohne weitere Sachverhaltsaufklärung die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen anzunehmen und die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 16 B 885/19 -, juris, Rn. 12 bis 16.

Nach § 46 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ist vielmehr – als gebundene Entscheidung – die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a StVG begangen wurden (sofern nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Nichteignung bereits feststeht). Zeitlich nacheinander liegende Fahrten unter einer die Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis sind wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr gemäß § 24a StVG.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 -, juris, Rn. 12, 40; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 14 FeV Rn. 21, 25.

Bei dem in der Vergangenheit liegenden Führen eines Kraftfahrzeugs durch einen gelegentlichen Konsumenten von Cannabis unter Einfluss dieses Betäubungsmittels kommt es für die hinsichtlich einer Entziehung der Fahrerlaubnis maßgebliche Gefahrenprognose darauf an, ob hinreichend sicher ist, dass er künftig – also etwa auch unter dem Eindruck einer Ahndung seiner Zuwiderhandlung als Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG – das Trennungsgebot beachten wird. Um das beurteilen zu können, bedarf es regelmäßig besonderen psychologischen Sachverstands und einer entsprechenden fachlichen Beurteilung und damit einer medizinisch-psychologischen Untersuchung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 -, juris, Rn. 17 bis 22, 34 bis 40.

Das insoweit regelmäßig einzuholende medizinisch-psychologische Gutachten ist nur dann nach § 11 Abs. 7 FeV entbehrlich, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht. Dies erfordert besondere Umstände des Einzelfalls, aus denen die zuständige Behörde die mangelnde Fahreignung selbst feststellen kann. Dazu kann etwa ein mit Blick auf die Verkehrssicherheit besonders verantwortungsloser Umgang mit dem Cannabiskonsum, der die Wiederholung eines Verstoßes gegen das Trennungsgebot nahelegt, zählen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 -, juris, Rn. 41; OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Februar 2020 – 16 B 885/19 -, juris, Rn. 16, und vom 23. Juni 2020 – 16 A 2571/18 -, juris, Rn. 9.

Ein die Anwendung von § 11 Abs. 7 FeV rechtfertigender Umstand liegt nicht darin, dass der Antragsteller die beiden Fahrten unter Cannabiseinfluss innerhalb kurzer Zeit, nämlich am 10. April 2019 und am 16. Mai 2019 beging. Dieses Verhalten begründet zwar erhebliche Zweifel an seiner Fahreignung. Hieraus lässt sich aber ein die Anwendung von § 11 Abs. 7 FeV rechtfertigender Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der innerhalb kurzer Zeit zweimal das Trennungsgebot verletzt, dies wieder tun wird, nicht ableiten.

Auch mit seinem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe sich ferner nicht hinreichend damit auseinandergesetzt, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben seit 20 Jahren Cannabis konsumiere und sich hieraus aus der Sicht des Antragsgegners die gesicherte Prognose zumindest einer Drogengefährdung ergebe, der nur durch eine vollständige Drogenabstinenz des Antragstellers begegnet werden könne, dieser aber weiterhin Cannabis einnehme, hat der Antragsgegner keinen Sachverhalt dargetan, der für sich betrachtet oder in einer Gesamtschau mit den anderen von ihm aufgeführten Umständen ohne Weiteres zur Annahme einer mangelnden Fahreignung des Antragstellers führt. Zwar konsumiert dieser nach eigenen Angaben bereits seit seinem 18. Lebensjahr Cannabis. Gleichwohl handelt es sich bei ihm, soweit für den Senat ersichtlich und wovon auch der Antragsgegner ausgeht, um einen gelegentlichen Konsumenten dieses Betäubungsmittels. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist auch bei gelegentlichem Cannabiskonsum die Fahreignung zu bejahen, wenn der Konsument zwischen der gelegentlichen Einnahme und dem Fahren trennt und keine der anderen Zusatztatsachen vorliegt. Ein vollständiger Konsumverzicht ist hierfür grundsätzlich nicht erforderlich. Zwar kann bei gelegentlichem Cannabiskonsum in bestimmten Fallgestaltungen ein Konsumverzicht notwendig sein, um ein Fahren unter Cannabiseinfluss auszuschließen.

Vgl. Schubert/Dittmann/Brenner-Hartmann (Hrsg.), Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, 3. Aufl. 2013, S. 192.

Ob ein derartiger Fall auch bei dem Antragsteller gegeben ist, kann aber nur durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten geklärt werden. Die ohne ein derartiges Gutachten erfolgte Prognose des Antragsgegners, es bedürfe im Fall des Antragstellers wegen „einer Drogengefährdung“ einer Drogenabstinenz, ist nicht belastbar. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner über die einschlägige Fachkunde verfügt, um diesbezüglich eine sachverständige Beurteilung abgeben zu können.

Vgl. in diesem Zusammenhang Bay. VGH, Beschluss vom 26. Juli 2019 – 11 CS 19.1093 -, juris, Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 16. Februar 2021 – 16 B 1496/20 -, juris, Rn. 11.

In Bezug auf die weiteren vom Antragsgegner angeführten Umstände, wie die widersprüchlichen Angaben des Antragstellers in Bezug auf seine Einnahme von Cannabis bei den Verkehrskontrollen am 10. April 2019 und am 16. Mai 2019, seine Ausfallerscheinungen insbesondere bei der Abnahme der Blutprobe am 10. April 2019, die an diesem Tag nach dem toxikologischen Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vom 28. Mai 2019 anzunehmende deutliche Beeinträchtigung seiner Fahrsicherheit sowie der Besitz von 5 Gramm Marihuana ebenfalls am 10. April 2019, legt das Beschwerdevorbringen schon nicht dar, inwieweit diese Gegebenheiten – auch im Rahmen einer Gesamtschau – ohne vorherige fachkundige Begutachtung des Antragstellers den Schluss auf das Bestehen einer Fahrungeeignetheit bei ihm zulassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!