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Fahrerlaubnisentziehung bei regelmäßigem Cannabiskonsum

150 ng/ml THC-Carbonsäure

VG Aachen – Az.: 3 L 1440/19 – Beschluss vom 14.04.2020

1.Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2.Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäße Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums (3 K 3588/19) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 13. November 2019 hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen, bleibt ohne Erfolg.

In formeller Hinsicht begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung keinen rechtlichen Bedenken. Sie ist insbesondere hinreichend schriftlich begründet, vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Angesichts der aus der Ungeeignetheit eines Kraftfahrers für die Allgemeinheit resultierenden erheblichen Gefahren bedurfte es bei der in Rede stehenden Drogenproblematik über die erfolgte Begründung hinaus keiner weiteren Ausführungen.

Die in materieller Hinsicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung und dem privaten Interesse des Antragstellers, von deren Vollziehung bis zur abschließenden Klärung ihrer Rechtmäßigkeit im Hauptsacheverfahren verschont zu bleiben, fällt zu seinen Lasten aus. Die in der Hauptsache erhobene Klage dürfte sich als erfolglos erweisen.

Die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 13. November 2019 ist als rechtmäßig anzusehen.

Als rechtliche Grundlage für die darin angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis hat der Antragsgegner zutreffend § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV -) herangezogen. Danach ist einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.

Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen insbesondere dann gegeben, wenn Erkrankungen und Mängel nach der Anlage 4 der FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist in der Regel (vgl. Nr. 3 Satz 1 der Vorbemerkungen) derjenige zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet anzusehen, der regelmäßig Cannabis konsumiert.

Eine regelmäßige Einnahme von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.1 liegt vor, wenn täglich oder nahezu täglich Cannabis konsumiert wird.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 26. Februar 2009 – 3 C 1.08 -, BVerwGE 133, 186 = juris Rn. 14; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 26. März 2012 – 16 B 304/12 -, juris Rn. 6.

Der Antragsteller ist zum Kreis der Personen zu zählen, die täglich oder nahezu täglich Cannabis konsumieren, und zwar schon bevor ihm am 10. September 2019 eine Inhalation von Cannabisblüten ärztlich verschrieben wurde.

Am 15. August 2019 befuhr der Antragsteller gegen 22:51 Uhr mit einem Pkw die   N.-  straße in  H., obwohl er unter Cannabiseinfluss stand, wie das Untersuchungsergebnis der ihm entnommenen Blutprobe zeigt. Danach konnte im Blutserum sowohl der Hauptwirkstoff von Cannabis Tetrahydrocannabinol (THC) als auch das THC-Abbauprodukt (THC-Carbonsäure) in einer Konzentration „oberhalb des höchsten Kalibrationswertes“ festgestellt werden, und zwar mit ca. 33 µg/L (= ng/ml) THC und ca. 332 µg/L (= ng/ml) THC-Carbonsäure.

Vgl. dazu das toxikologische Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Köln vom 6. September 2019 über eine chemisch-toxikologische Untersuchung der Blutprobe des Antragstellers.

Aufgrund dieses hohen Wertes an THC-Carbonsäure ist der Antragsteller als regelmäßiger Cannabiskonsument anzusehen.

Es entspricht wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist anerkannten Rechts, dass bei einer – wie hier gegebenen – spontanen Blutabnahme ab einem Wert von 150 ng/ml THC-Carbonsäure ein regelmäßiger Cannabiskonsum vorliegt, d.h. dass der Betreffende diese Droge täglich oder nahezu täglich einnimmt.

Vgl. dazu Möller, Medikamente und Drogen – verkehrsmedizinisch-toxikologische Gesichts-punkte, in: Drogen und Straßenverkehr, Deutscher Anwaltverlag 3. Aufl. 2016, § 3, B. Drogen, Rn. 233, Seite 459; und OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2015 – 16 B 50/15 -, juris Rn. 8 m.w.N.

Wenn es nicht zu einer Spontanblutprobe kommt und der Betroffene beispielsweise eine Woche lang Zeit hat, um der Aufforderung zur Blutprobe nachzukommen, so ist wegen des Abbauvorgangs sogar schon bei einer Konzentration von mindestens 75 ng/ml THC-Carbonsäure im Blut von regelmäßigem Konsum auszugehen.

Vgl. dazu Möller, a.a.O. § 3, B. Drogen, Rn. 232 ff., unter Hinweis auf den zur Untersuchung von Blutproben ergangenen Erlass des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr NRW vom 10. Juni 1999 – Az. 632-21-03/2.1 (sog. Daldrup-Tabelle).

Sind damit in der Person des Antragstellers die Entziehungsvoraussetzungen als erfüllt anzusehen, ist die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlich zwingend.

Ohne Erfolg bleibt der Einwand des Antragstellers, seine Fahreignung dürfe nicht nach Maßgabe der oben dargelegten Vorschriften (Nrn. 9.2.1 und 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV) bewertet werden, weil Cannabis für ihn ein Arzneimittel sei: Er konsumiere Cannabis täglich streng nach ärztlicher Verordnung. Es erfolge ein äußerst verantwortungsbewusster Konsum. Eine Teilnahme am Straßenverkehr finde nach dem Konsum nicht statt. Bei Cannabispatienten sei es so, dass durch die bestimmungsgemäße Einnahme von Cannabismedizin die Fahreignung nicht entfalle, wie das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Urteil vom 24. Oktober 2019 – 6 K 457/18 – juris) bestätigt habe. Zumindest habe es der Antragsgegner versäumt, den Sachverhalt insoweit aufzuklären. Die Behörde sei gehalten gewesen, sich durch Einholung eines medizinischen-psychologischen Gutachtens eine gesicherte Beurteilungsgrundlage zu schaffen. Die sofortige Fahrerlaubnisentziehung sei rechtswidrig.

Dem ist nicht zu folgen. Das Gericht sieht keine Veranlassung, eine Bewertung der Fahreignung des Antragstellers nach Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV (Dauerbehandlung mit Arzneimitteln) vorzunehmen. Der vom Antragsteller zutreffend angeführte Umstand, dass Cannabis verschreibungsfähig ist und damit nicht von vornherein als Arzneimittel bzw. Medikament ausscheiden muss, reicht dazu nicht aus. Maßgeblich für die Anwendung der Spezialregelung in Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV ist, ob die (konkrete) Einnahme von Cannabis auf einer ärztlichen Verschreibung beruht, die für den Krankheitsfall die Einnahme des Medikaments Cannabis genau bestimmt.

Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 10 S 1503/16 -, juris, Rn. 9 a.E., m.w.N.

Daran fehlt es hier. Am 15. August 2019 (Vorfallstag) hat sich gezeigt, dass der Antragsteller – außerhalb einer medizinisch-indizierten Medikation – als regelmäßiger Cannabis-Konsument einzustufen ist. Allein schon aus diesem Grund hat er seine Fahreignung verloren. Dass er zusätzlich noch unter außergewöhnlich hohem Einfluss des Cannabiswirkstoffs THC (mind. 33 µg/L = ng/ml) ein Kraftfahrzeug geführt hat, musste typischerweise besondere Gefahren für die anderen Verkehrsteilnehmer hervorrufen. Für die Bejahung des Eignungsverlusts und die zwingende Fahrerlaubnisentziehung war dies aber nicht einmal eine Voraussetzung. Die erst danach, und zwar am 10. September 2019 erfolgte ärztliche Verschreibung von Cannabis, hat an der bereits eingetretenen Ungeeignetheit nichts geändert. Der Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung kann nämlich nicht durch eine ärztliche Verschreibung von „Medizin-Cannabis“, sondern grundsätzlich – und so auch hier – nur auf der Grundlage einer medizinisch-psychologischen Begutachtung erbracht werden.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Oktober 2006 – 16 B 1538/06 -, juris Rn. 4, vom 2. April 2012 – 16 B 356/12 -, juris Rn. 6 ff., und vom 20. März 2014 – 16 B 264/14 -, juris Rn. 12.

Der Vorfall vom 15. August 2019 stellt sich damit günstigstenfalls als Folge einer Art „Selbstmedikation“ dar, bei welcher der Antragsteller die Wirkung von Cannabis zur Linderung seiner Leiden (ADHS, Depressionen, Tinnitus) einmal auf eigene Faust getestet hat.

Wer aber außerhalb einer medizinisch-indizierten Medikation Cannabis konsumiert, entspricht typischerweise dem Regelfall, für den der Verordnungsgeber nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV eine bindende Bewertung über die (fehlende) Fahreignung getroffen hat, vgl. dazu Satz 1 der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV. Eine Abweichung ist in diesem Fall nicht gerechtfertigt, vgl. dazu Satz 2 der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV.

Vgl. Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 14. Dezember 2018 – 3 L 1028/18 -, juris Rn. 24 und Beschluss vom 19. Oktober 2017 – 3 L 1246/17 -, juris Rn. 37.

Die weitere Interessenabwägung fällt ebenfalls zu Ungunsten des Antragstellers aus.

In aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2013 – 16 B 1124/13 -, juris Rn. 9.

Besondere Umstände, aufgrund derer vorliegend ausnahmsweise eine abweichende Bewertung veranlasst sein könnte, bestehen nicht. In der dem Antragsteller erteilten ärztlichen Dosierungsanleitung vom 10. September 2019, nach welcher er täglich 2,5 bis 3 g Cannabisblüten der verordneten Sorten in 7 bis 10 Gaben über den Tag inhalieren soll heißt es u.a.: „In der Dosierungsphase sollte die Teilnahme am Straßenverkehr vermieden werden, bis Sie sich wieder sicher fühlen.“ Auf der Grundlage des Vorfalls vom 15. August 2019 kann aber gerade nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller in der Lage ist, eine Verkehrsteilnahme unter Drogeneinfluss zuverlässig zu vermeiden. Im Übrigen müssen insoweit bestehende Unsicherheiten durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung ausgeräumt werden, sie dürfen nicht etwa auf Kosten einer Gefährdung von Leben und Gesundheit des Antragstellers als Kfz-Führer und anderer Verkehrsteilnehmer gehen. Der Ausschluss der aus einer Fahrungeeignetheit resultierenden Gefahren kann dementsprechend nur durch eine sofort wirksame Entziehung der Fahrerlaubnis erreicht werden.

Auch im Übrigen ist die Aussetzung der Vollziehung der Ordnungsverfügung nicht geboten. Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins beruht auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV.  Die mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene Zwangsgeldandrohung für den Fall der Nicht- oder nicht fristgerechten (binnen einer Woche) Ablieferung des Führerscheins findet ihre Grundlage in §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW). Die Höhe des Zwangsgeldes von 250 Euro steht in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck, den Antragsteller zur Abgabe seines Führerscheins zu bewegen (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

2.  Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs.  2, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) und entspricht der Hälfte des im Hauptverfahren festgesetzten Betrags von 5.000 Euro.

 

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