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Fahrerlaubnisentziehung bei eingestelltem Strafverfahren wegen Kokainbesitz

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 20.2789 – Beschluss vom 15.01.2021

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. November 2020 wird geändert, soweit es dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattgegeben hat.

II. Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Regensburg vom 20. März 2020 wird auch insoweit und damit insgesamt abgelehnt.

III. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

IV. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers, mit der dieser die Entziehung der ihm am 3. Juli 2018 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L samt Nebenverfügungen angefochten hat.

Durch Mitteilung des Polizeipräsidiums Oberpfalz vom 17. Juli 2017 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Regensburg bekannt, dass die Polizei am 27. Juni 2017 gegen 14:40 Uhr zwischen den Füßen des Antragstellers einen frisch angezündeten Joint und bei der anschließenden Durchsuchung einen Crusher mit Marihuanaanhaftungen aufgefunden hatte. Der Antragsteller habe angegeben, das Marihuana kurz zuvor erworben und beabsichtigt zu haben, den Joint nach dem Anzünden zu rauchen.

Durch weitere Mitteilung des Polizeipräsidiums vom 24. April 2019 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen den Antragsteller ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz geführt hat. Der Antragsteller sei am 22. März 2019 um 22:00 Uhr anlässlich einer Party in einem Park einer polizeilichen Personenkontrolle unterzogen worden. Die Polizei habe ihn dabei beobachtet, wie er sich hinter einem Baum gebückt habe. Dort habe man eine Druckverschlusstüte mit einem weiß-gelblichen Pulver aufgefunden, das sich nachträglich als Kokain erwiesen habe. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung habe der Antragsteller angegeben, ihm gehöre das Tütchen mit dem Pulver nicht. Wegen dieses Vorfalls klagte die Staatsanwaltschaft den Antragsteller am 20. Mai 2019 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (0,1 g Kokain) gemäß § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes i.V.m. Anlage III an.

Mit Urteil vom 27. Mai 2019 verurteilte der Jugendrichter beim Amtsgericht Regensburg den Antragsteller wegen Diebstahls zur Ableistung von 25 Stunden gemeinnütziger und unentgeltlicher Arbeit sowie zur Teilnahme an fünf Suchberatungsgesprächen bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle. In den Urteilsgründen führte er u.a. aus, der Antragsteller habe angegeben, einmal pro Woche zu kiffen. Er habe bereits seit dem Jugendalter Suchtmittelprobleme. Das Gericht halte die verhängten Maßnahmen für erforderlich, um auf den Antragsteller einzuwirken, insbesondere um seine Suchtproblematik anzugehen. Das Verfahren wegen der Tat vom 22. März 2019 stellte das Amtsgericht Regensburg mit Beschluss vom 9. Juli 2019 gemäß § 47 JGG endgültig ein, da eine über die wegen des Diebstahls verhängten Maßnahmen hinausgehende Anordnung nicht erforderlich erschien.

Daraufhin forderte das Landratsamt den Antragsteller mit Schreiben vom 8. November 2019 gestützt auf § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV auf, bis spätestens 9. Januar 2020 ein ärztliches Gutachten zu der Frage vorzulegen, ob er Betäubungsmittel im Sinne des BtMG oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnehme, die seine Fahreignung infrage stellten. In den Gründen werden die mit der polizeilichen Mitteilung vom 24. April 2019 übermittelten und die aus den Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse geschildert und im Rahmen der Ermessensausübung eine fortgeschrittene Drogenproblematik besonders berücksichtigt.

Nach dem vorgelegten Gutachten vom 19. Februar 2020 liegt beim Antragsteller „nach seinen Ausführungen“ eine Drogengefährdung gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV mit gelegentlichem Cannabiskonsum über drei Jahre vor. Im Rahmen der Drogenanamnese führte die Ärztin aus, der Antragsteller habe berichtet, vor einem Jahr das erste Mal Cannabis konsumiert zu haben. Auf Vorhalt, dass dies mit der Aktenlage nicht vereinbar sei, habe er mehrfach seine Angaben geändert und schließlich gesagt, der Erstkonsum sei vor dreieinhalb Jahren gewesen. Der Konsum habe einmal in der Woche stattgefunden, maximal zweimal in der Woche. Zuletzt habe er Drogen vor sechs Monaten konsumiert. Sonstige Drogen habe er niemals konsumiert. Alkohol und Drogen habe er nicht miteinander kombiniert. Das Kokain habe er möglicherweise nehmen wollen, das wisse er nicht mehr so genau. Es sei eine Fehlinvestition gewesen. Er habe sich schließlich gegen eine Einnahme entschieden, bevor es ihm abgenommen worden sei. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, von wem, wo und wann er es erstanden habe. Es wäre ja auch nur so wenig gewesen. Zwei Drogenscreenings am 22. Januar und 6. Februar 2020 seien positiv auf Cannabinoide verlaufen. Eine Haaranalyse am Untersuchungstag sei bei einer Haarlänge von ca. 6 cm angeboten worden. Der Antragsteller habe dies jedoch abgelehnt. Es sei von einem anhaltenden Cannabiskonsum auszugehen. Entsprechend der Befundlage sei bewiesen, dass die anamnestischen Angaben nicht verwertbar seien, da unzutreffende Behauptungen aufgestellt worden seien. Die gestellte Frage sei dahin zu beantworten, dass der Antragsteller Cannabis einnehme und eingenommen habe, das die Fahreignung infrage stelle. Er habe den Konsum weiterer Betäubungsmittel oder anderer psychoaktiv wirkender Stoffe, speziell Kokain, nicht eingeräumt.

Mit Bescheid vom 20. März 2020 entzog das Landratsamt dem Antragsteller gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein binnen acht Tagen nach Zustellung des Bescheids beim Landratsamt abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, der Antragsteller habe eine geeignete, ihm mögliche Mitwirkung verweigert, indem er bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht und eine Haaranalyse verweigert habe. Mit seinen bewusst unzutreffenden Behauptungen bezüglich des Drogenkonsums habe er versucht, fahreignungsrelevante Sachverhalte zu verbergen. Auf die Höhe der festgestellten Werte in den Urinscreenings komme es nicht an. Am 30. April 2020 gab der Vater des Antragstellers dessen Führerschein ab.

Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg am 15. Mai 2020 Klage erheben, über die noch nicht entschieden wurde, sowie einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellen.

Mit Beschluss vom 12. November 2020 gab das Verwaltungsgericht dem Antrag überwiegend statt. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO sei unzulässig, soweit der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen die Zwangsgeldandrohung begehre, weil er diese nicht mit der Klage angefochten habe. Im Übrigen sei der Antrag begründet, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis und somit auch die angefochtenen Nebenverfügungen voraussichtlich rechtswidrig seien. Im Hinblick auf den dem Antragsteller zur Last gelegten Besitz von Kokain sei die Gutachtensanforderung ausreichend konkret und genüge damit den formellen Anforderungen. Im Hinblick auf einen etwaigen Cannabiskonsum habe das Landratsamt jedoch den Rahmen der Begutachtung nicht ausreichend deutlich umschrieben. Zwar habe es auf die Aussage des Antragstellers Bezug genommen, er würde „einmal pro Woche kiffen“, und auch berücksichtigt, dass er Betäubungsmitteln im Allgemeinen nicht abgeneigt zu sein scheine. Dies reiche jedoch nach Auffassung der Kammer nicht aus, um für den Antragsteller deutlich genug darzustellen, dass sich der Umfang der Begutachtung auch konkret auf die Frage eines etwaigen Cannabiskonsums und hierdurch begründete Fahreignungszweifel beziehe. Insoweit hätte es auch nahegelegen aufzuklären, ob beim Antragsteller von einem regelmäßigen Konsum (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV) oder einem gelegentlichen Konsum bei fehlendem Trennungsvermögen (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV) ausgegangen werden könne. In der Begründung stelle das Landratsamt aber nur auf Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ab und führe aus, wegen des Besitzes von Kokain bestünden erhebliche Zweifel an der Fahreignung. Im Hinblick auf den Besitz von Kokain sei die Gutachtensanforderung auch materiell rechtmäßig. Jedoch habe das Landratsamt die Entziehung der Fahrerlaubnis insoweit nicht auf § 11 Abs. 8 FeV stützen können. Denn es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller insoweit die Begutachtung teilweise verweigert oder unmöglich gemacht habe. Es ließen sich keine Verstöße bei der Aufklärung der Frage feststellen, ob ein etwaiger Kokainkonsum die Fahreignung ausschließe. Der Antragsteller habe eine Haaranalyse entgegen der Meinung des Landratsamts nicht verweigert, sondern eine am Untersuchungstag angebotene Haaranalyse abgelehnt. Aus dieser Formulierung lasse sich nicht abschließend entnehmen, ob für den Antragsteller eine Verpflichtung angeordnet worden sei, eine Haaranalyse zu ermöglichen. Nach den Einlassungen des Antragstellers habe er ein Wahlrecht zwischen Urinscreening und Haaranalyse gehabt. Dem sei der Antragsgegner nicht entgegengetreten. Dem Antragsteller könne insoweit auch nicht vorgeworfen werden, unwahre Angaben gemacht zu haben. Die mit der Aktenlage nicht zu vereinbarenden Aussagen des Antragstellers hätten lediglich den Cannabiskonsum betroffen. Diesbezüglich liege aber keine ausreichende Gutachtensanordnung vor. Hinsichtlich des Kokains habe der Antragsteller bei der Begutachtung einen Konsum lediglich verneint. Es lasse sich nicht erkennen, inwiefern diese Aussage unwahr sei. Die Entziehung der Fahrerlaubnis könne auch nicht auf § 11 Abs. 7 FeV gestützt werden, weil der Kokainkonsum nicht erwiesen sei. Insoweit hätten die Drogenscreenings keine Hinweise geliefert. Auch eine regelmäßige Einnahme von Cannabis sei nach dem Gutachten nicht erwiesen. Ferner fehlten – soweit man von einer gelegentlichen Cannabiseinnahme ausgehe – Erkenntnisse zur Einhaltung des Trennungsgebots.

Mit seiner Beschwerde macht der Antragsgegner geltend, die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis und die Ablieferungspflicht seien rechtmäßig. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Gutachtensaufforderung sei hinsichtlich eines etwaigen Cannabiskonsums nicht ausreichend konkret, könne nicht gefolgt werden. Hiermit seien rechtsfehlerhafte, überzogene inhaltliche Anforderungen gestellt worden. Die in § 11 Abs. 6 FeV statuierte Begründungspflicht verlange, die Beibringungsanordnung so zu begründen, dass dem Betroffenen eine fundierte Entscheidung darüber ermöglicht werde, ob er dieser Aufforderung nachkomme. Er müsse ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass sei, ob das dort Mitgeteilte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung rechtfertigen könne und welche Problematik in welcher Weise geklärt werden solle. Die auf § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV gestützte Begutachtungsaufforderung habe maßgeblich tragend und eindeutig auf der Tatsache beruht, dass der Antragsteller am 22. März 2019 im Besitz einer geringen Menge Kokain gewesen sei. Die weiter angeführte Aussage des Antragstellers, er kiffe einmal wöchentlich und habe seit dem Jugendalter Suchtmittelprobleme, habe im Rahmen der Ermessensausübung insbesondere begründen sollen, dass der Antragsteller Betäubungsmitteln im Allgemeinen nicht abgeneigt zu sein scheine. Dies sei in der Begutachtungsaufforderung konkret und unzweideutig angeführt und beschrieben worden, sodass damit Anlass und Rahmen für die Beibringung des fachärztlichen Gutachtens eindeutig erkennbar gewesen seien. Eine darüber hinausgehende Begründung für jede einzelne Substanz, die der Betroffene (womöglich) einnehme bzw. eingenommen habe, sei nicht erforderlich, schon, weil das tatsächliche Konsumverhalten und -muster in aller Regel erst im Rahmen der Begutachtung eruiert werden könne und im Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung noch gar nicht bekannt sei. Ergänzend sei festzuhalten, dass die in diesem Zusammenhang geäußerte Meinung des Gerichts, es hätte nahegelegen aufzuklären, ob beim Antragsteller von einem gelegentlichen Cannabiskonsum bei fehlendem Trennungsvermögen auszugehen sei, auch deshalb nicht tragfähig erscheine, weil ein ärztliches Gutachten diese Frage überhaupt nicht beantworten könne. Die Frage nach dem Trennungsvermögen eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten bedürfe stets einer psychologischen Beurteilung, die nur in einer medizinisch-psychologischen Begutachtung getroffen werden könne, nicht aber im Rahmen eines rein ärztlichen Gutachtens. Ebenso wenig könne der Ansicht gefolgt werden, dass mit Blick auf den Kokainbesitz die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf § 11 Abs. 8 FeV hätte gestützt werden dürfen. Es liege eine Verweigerung der Mitwirkung durch unwahre Angaben vor. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Verletzung der Mitwirkungspflicht in Bezug auf einen etwaigen Kokainkonsum könne nicht festgestellt werden, weil der Antragsteller lediglich hinsichtlich seines Cannabiskonsums nachweisbar gelogen habe und das Gutachten in Bezug auf den bestrittenen Kokainkonsum verwertbar gewesen sei, sei nicht haltbar. Der Antragsteller habe auf Vorhalt mehrfach seine Angaben geändert. Zunächst habe er angegeben, vor einem Jahr das erste Mal Cannabis konsumiert zu haben, zuletzt, vor dreieinhalb Jahren. Außerdem habe er erklärt, Drogen zuletzt sechs Monate vor der Begutachtung eingenommen zu haben, was mit den Ergebnissen der untersuchten Urinproben, in denen Cannabinoide nachgewiesen worden seien, nicht in Einklang zu bringen sei. Damit sei belegt, dass seine Angaben falsch und damit nicht verwertbar seien. Dies könne entgegen der erstgerichtlichen Auffassung nicht isoliert auf den Cannabiskonsum bezogen werden. Vielmehr seien damit auch seine Angaben zu einem Kokainkonsum als zweifelhaft und unglaubhaft einzustufen. Es sei nicht anzunehmen, dass er gerade in Bezug auf einen Kokainkonsum die Wahrheit gesagt haben solle, wenn er hinsichtlich der Cannabisproblematik nachweislich gelogen habe. Zu diesem Ergebnis komme auch die Gutachterin. Sie führe aus, dass die anamnestischen Angaben nicht verwertbar seien und differenziere hier gerade nicht zwischen den Angaben zum Cannabis- und zum Kokainkonsum. Dementsprechend beschränke sich die Aussage der Gutachterin darauf, dass der Antragsteller einen Kokainkonsum nicht eingeräumt habe.

Der Antragsteller erwidert, die Gutachtensordnung sei jedenfalls widersprüchlich. Sie sei auf die Aussage gestützt, der Betroffene würde „einmal pro Woche kiffen“, die Begründung allerdings nur auf Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV und somit auf den Kokainbesitz. Ob sich der Umfang der Begutachtung auch auf die Fahreignung des Betroffenen im Hinblick auf gelegentlichen Cannabiskonsum stützen solle, gehe aus der Anordnung nicht hervor. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass nach der FeV allein durch den Gelegenheitskonsum von Cannabis nicht per se auf die fehlende Fahreignung geschlossen werden dürfe. Aus der Anordnung hätte also klar erkennbar hervorgehen müssen, dass das Landratsamt einen regelmäßigen Konsum oder fehlendes Trennungsvermögen im Rahmen der Begutachtung hätte aufgeklärt wissen wollen. Soweit der Antragsgegner vorbringe, das angeordnete Gutachten sei untauglich, um das Trennungsvermögen festzustellen, spreche dies erst recht für die Widersprüchlichkeit der Angaben des Landratsamts zum Begutachtungsumfang. Der Maßstab des § 11 Abs. 6 FeV müsse erst recht für die Auswahl der richtigen Begutachtungsvariante gelten. Etwaige Fehler könnten sich nicht zulasten des Betroffenen auswirken. Auch der Vortrag zu einer Mitwirkungsverweigerung greife nicht durch, da nur die Einwände berücksichtigt werden könnten, die sich auf den mutmaßlichen Kokainkonsum bezögen, da bezüglich des Cannabiskonsums gerade keine rechtmäßige Gutachtensanordnung vorliege. Hinsichtlich der widersprüchlichen Angaben des Antragstellers werde lediglich das Vorbringen aus der ersten Instanz wiederholt. Auch die Nichtvereinbarkeit der Aussagen mit den Untersuchungsergebnissen betreffe eindeutig nur den Cannabiskonsum. Der Einwand, sämtliche Angaben des Antragstellers seien unglaubhaft, beruhe nicht auf nachweisbaren Fakten und sei rein spekulativ. Eine summarische Prüfung lasse unwahre Aussagen des Antragstellers nicht erkennen. Die Aussage des Gutachtens beschränke sich darauf, dass der Antragsteller den Konsum von Kokain nicht eingeräumt habe. Das Testergebnis gehe mit den Angaben des Antragstellers konform.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.

Aus den mit der Beschwerde vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht dem Antragsteller zu Unrecht vorläufigen Rechtsschutz gewährt hat. Nach der gebotenen summarischen Prüfung fällt die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Interesses aus, da die Klage des Antragstellers gegen den angefochtenen Bescheid keinen Erfolg verspricht.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Dezember 2019 (BGBl I S. 2008), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 23. Dezember 2019 (BGBl I S. 2937), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Begründet der widerrechtliche Besitz von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes Zweifel an der Fahreignung, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.).

Der Antragsgegner macht zu Recht geltend, dass die auf § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV gestützte Gutachtensanordnung des Landratsamts vom 8. November 2019 rechtmäßig ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage sind erfüllt, wovon auch das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Kokainbesitzes ausgeht. Eine Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 47 JGG kommt nach allgemeiner Meinung nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) vorliegen, also nicht ohne hinreichenden Tatverdacht (vgl. Diemer in Diemer/ Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl. 2020, § 47 Rn. 4). Somit ist schon das Strafgericht von einem Kokainbesitz ausgegangen, was der Antragsteller in der Folge als zutreffend bestätigt hat. Mit seinen Einlassungen, er wisse nicht mehr so genau, ob er das Kokain möglicherweise habe nehmen wollen, er habe sich schließlich gegen die Einnahme entschieden, bevor es ihm abgenommen worden sei, es sei eine Fehlinvestition gewesen und er erinnere sich nicht mehr an die genauen Umstände des Erwerbs, hat er gegenüber der ärztlichen Gutachterin einen Erwerb und Besitz des Kokains zweifelsfrei eingeräumt. Damit steht der Kokainbesitz fest.

Unter Bezug auf den bereits aufgrund des Strafverfahrens feststehenden Kokainbesitz und die dadurch begründeten Zweifel an der Kraftfahreignung hat das Landratsamt den Antragsteller mit Schreiben vom 8. November 2019 aufgefordert, durch einen Arzt einer amtlichen Begutachtungsstelle klären zu lassen, ob er fahreignungsrelevante Betäubungsmittel im Sinne des BtMG oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnehme. Bei der Begutachtung hat der Antragsteller nicht hinreichend mitgewirkt, weil er widersprüchliche und unzutreffende Angaben gegenüber der Gutachterin gemacht hat (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2018 – 11 CS 18.1777 – juris Rn 22 f. m.w.N.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 52). Zu Recht hält der Antragsgegner die gutachterliche Aussage, es sei bewiesen, dass die anamnestischen Angaben nicht verwertbar seien, da unzutreffende Behauptungen aufgestellt worden seien, für auf sämtliche Angaben des Antragstellers zum Thema Drogenanamnese“ (Seite 8 des Gutachtens) bezogen. Die Gutachterin hat die „anamnestischen Angaben“, die entsprechend der Begutachtungsfrage fahreignungsrelevante Betäubungsmittel und psychoaktive Stoffe aller Art, insbesondere Kokain, Cannabis, aber auch sonstige Drogen sowie den Beigebrauch von Alkohol betrafen, nicht näher spezifiziert. Eine Einschätzung sämtlicher Angaben zur Drogenanamnese als unglaubhaft ist auch nachvollziehbar. Der Antragsteller hat im Wesentlichen auf Vorhalt nur das eingeräumt, was ohnehin aktenkundig war, und ansonsten Erinnerungslücken geltend gemacht. Zu seinem Cannabiskonsum, einem zentralen Untersuchungsthema, hat er nachweislich gelogen und auf eine Frage mehrfach verschiedene Angaben nachgeschoben. Den Erwerb des Kokains hat er als Fehlinvestition bezeichnet. Ein Motiv für den Erwerb des Kokains, wenn dies ggf. nicht dem Eigenverbrauch dienen sollte, hat er nicht angegeben. Vor diesem Hintergrund widerspricht es der Lebenserfahrung, dass er gerade zum Kokainkonsum die Wahrheit gesagt haben soll, obwohl die Einräumung einer einmaligen Kokaineinnahme unmittelbar zum Wegfall der Fahreignung geführt hätte. Für die Annahme, dass gerade dieser Teil seiner Angaben wahrheitsgemäß sein soll, bedürfte es demgemäß eines besonderen Anhaltspunktes, der aber nicht ersichtlich ist.

Folglich durfte das Landratsamt gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen.

Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob das Verwaltungsgericht die Gutachtensanordnung hinsichtlich eines etwaigen Cannabiskonsums zu Recht für nicht ausreichend konkret im Sinne von § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV hält. Allerdings war der Begutachtungsauftrag seinem Wortlaut nach ohnehin nicht auf bestimmte Betäubungsmittel, hier Kokain und Cannabis, bezogen. Vielmehr sollte durch einen Arzt einer amtlichen Begutachtungsstelle geklärt werden, ob der Antragsteller fahreignungsrelevante Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnehme. Diese sämtliche Betäubungsmittel einschließende Fragestellung hat die Rechtsprechung, soweit ersichtlich, jedenfalls beim Besitz einer sog. harten Droge (§ 14 Abs. 1 Satz 2 FeV) oder bei Anhaltspunkten für die Einnahme einer harten Droge (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV) bisher nicht beanstandet (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 2, 4; B.v. 20.2.2017 – 11 CS 16.2605 – juris Rn. 4). Dafür spricht, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach der Besitz eines bestimmten Betäubungsmittels oder tatsächliche Hinweise auf die Einnahme eines bestimmten Betäubungsmittels ausschließlich den Verdacht begründen könnten, dass der Fahrerlaubnisinhaber allein dieses konsumiere. Für die Frage, ob die Fahreignung durch Betäubungsmittelkonsum entfallen ist, spielt die konkrete Substanz nur insoweit eine Rolle, als es sich um harte Drogen oder Cannabis handelt. So setzt im Falle der Einnahme oder des Besitzes von Cannabis die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung bei verfassungskonformer Auslegung noch tatsächliche Anhaltspunkte für ein Konsum- und Bevorratungsverhalten voraus, das geeignet ist, Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen (BayVGH, B.v. 11.2.2019 a.a.O. Rn. 21 m.w.N.). Ob auch in diesem Fall eine unspezifische Fragestellung gerechtfertigt wäre, kann hier allerdings offenbleiben, weil beim Antragsteller aufgrund des Kokainbesitzes auch der Verdacht bestand, dass er Kokain und möglicherweise andere harte Drogen konsumiert.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Gutachtensanordnung auch nicht widersprüchlich oder auf die Aussage gestützt, der Antragsteller würde „einmal pro Woche kiffen“. Vielmehr hat das Landratsamt auf Seite 1 des Schreibens vom 8. November 2019 den Sachverhalt, d.h. die zum Antragsteller bekannt gewordenen Erkenntnisse dargestellt. Auf Seite 2 hat es sodann eine rechtliche Würdigung vorgenommen. Dabei hat es allein den Kokainbesitz unter die gewählte Rechtsgrundlage des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV subsumiert und auf Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV (Betäubungsmittel mit Ausnahme Cannabis) abgehoben. Anschließend hat es im Rahmen der Ermessenserwägungen erläutert, dass die im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung bereits erwähnten Suchtmittelprobleme des Antragstellers und sein Cannabiskonsum für die Anordnung mit ausschlaggebend gewesen seien. Dieser Aufbau der Begründung ist nicht zu beanstanden, insbesondere nicht dazu geeignet, Zweifel hinsichtlich des Begutachtungsumfangs aufkommen zu lassen. Davon abgesehen war die zu klärende Frage allgemein formuliert und nicht auf bestimmte Betäubungsmittel eingegrenzt. Nachdem der Verdacht bestand, dass der Antragsteller harte Drogen konsumiert, was allein zum Wegfall der Fahreignung geführt hätte, war es unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch noch nicht geboten, das Konsummuster hinsichtlich Cannabis und ein etwaiges Trennungsverhalten aufzuklären und eine wesentlich eingreifendere medizinisch-psychologische Begutachtung zu verlangen.

Damit war der Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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