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Fahrerlaubnisentziehung bei Cannabiskonsum

VG Halle – Az.: 7 B 133/18 – Beschluss vom 14.08.2018

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehung der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.

Sein Antrag, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 15. April 2018 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 04. April 2018 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg, wobei die Kammer davon ausgeht, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis unter Ziffer 1. des Bescheides und die Anordnung der Führerscheinabgabe unter Ziffer 2. des Bescheides begehrt. Im Übrigen legt die Kammer den Antrag in entsprechender Anwendung von § 88 VwGO dahingehend aus, dass die Zwangsgeldandrohung (Ziffer 4. des Bescheides) im Hinblick auf die Formulierung des Antrages und die bereits erfolgte Abgabe des Führerscheins nicht Antragsgegenstand ist.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft und auch sonst zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Widerspruch und Klage gegen eine Verfügung zur Entziehung der Fahrerlaubnis und zur Abgabe des Führerscheins haben nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in Ziffer 3. des Bescheides des Antragsgegners vom 04. April 2018, die in formeller Hinsicht auch in einer den Vorgaben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet worden ist.

In materieller Hinsicht ist im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Fahrerlaubnisentziehung und dem öffentlichen Interesse an deren sofortiger Vollziehung vorzunehmen. Maßgebliche Bedeutung haben dabei die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Darüber hinaus bedarf die auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gestützte Anordnung des Sofortvollzuges der Verfügung eines besonderen öffentlichen Interesses.

Diese Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

Zunächst erweist sich die Fahrerlaubnisentziehung bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Rechtsgrundlage ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Hiernach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Der Antragsteller ist als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Er hat am 06. Februar 2018 unter dem Einfluss von Cannabis am Straßenverkehr teilgenommen. Bei der Untersuchung über die an diesem Tag genommene Blutprobe wurde nach dem Ergebnisbericht des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Halle (Saale) im Serum des Antragstellers die Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) in einer Konzentration von 7,6 ng/ml sowie die THC-Metabolite 11-Hydroxy-THC in einer Konzentration von 5,2 ng/ml und THC-Carbonsäure (THC-COOH) in einer Konzentration von 75 ng/ml nachgewiesen. Bei dem Antragsteller liegt somit ein Mangel nach Anlage 4 Nr. 9.2.2 zur FeV vor, der seine Fahreignung ausschließt. Danach schließt die gelegentliche Einnahme von Cannabis im Regelfall die Eignung (nur) dann nicht aus, wenn der Betroffene den Konsum und das Fahren trennen kann, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen erfolgt, keine Störung der Persönlichkeit vorliegt und kein Kontrollverlust stattfindet.

An einer solchen Trennung von Konsum und Fahren fehlt es immer dann, wenn der Betroffene objektiv unter dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen werden muss, dass sich das Risiko von Beeinträchtigungen erhöht, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Mai 2007 – 1 M 34/07 -, juris). Dies ist nach höchstrichterlicher und ganz überwiegender Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte bei einer THC- Konzentration von 1,0 ng/ml anzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3.13 -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 06. September 2017 – 3 M 171/17 – und vom 01. Juni 2017 – 3 M 60/17 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. März 2017 – 16 A 432/16 – ; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 06. Januar 2016 – 12 Me 173/15 -; Bayerischer VGH, Beschluss vom 25. Januar 2016 – 11 CS 15.2480 -, jeweils juris). Dem folgend liegt die bei dem Antragsteller festgestellte THC- Konzentration von 7,6 ng/ml, unter deren Wirkung er am 06. Februar 2018 am Straßenverkehr teilgenommen hat, weit über diesem Wert, so dass vom fehlenden Trennungsvermögen des Antragstellers auszugehen ist.

Von einem gelegentlichen Konsum von Cannabis ist ebenfalls auszugehen. Nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. Beschlüsse vom 22. März 2017 – 7 B 40/17 HAL – und vom 23. Juni 2015 – 7 B 89/15 HAL – m.w.N.) ist im Falle der Teilnahme eines Kraftfahrzeugführers am Straßenverkehr unter der Einwirkung von Cannabis zur Verneinung seiner Fahreignung eine weitere Aufklärung durch Ermittlungen zur Häufigkeit seines Konsums nur dann geboten, wenn er ausdrücklich behauptet und substantiell darlegt, er habe erstmals Cannabis eingenommen und sei somit weder gelegentlicher noch regelmäßiger Konsument. Erst wenn hierzu substantiierte Darlegungen erfolgen, ist deren Glaubhaftigkeit unter Würdigung sämtlicher Fallumstände zu überprüfen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13. Mai 2013 – 11 ZB 13.523 -, juris m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 01. März 2018 – 10 B 10008/18 – und Urteil vom 21. Februar 2007 – 10 S 2302/06 -, jeweils juris).

Zwar ist die „Gelegentlichkeit“ der Cannabiseinnahme eine der Tatbestandsvoraussetzungen für die – regelmäßige – Fahrungeeignetheit nach Maßgabe von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV und den Erlass einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung auf dieser Grundlage, so dass es deshalb der anordnenden Behörde obliegt, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass der betreffende Fahrerlaubnisinhaber nicht lediglich einmalig Cannabis konsumiert hat. Das schließt aber keineswegs aus, bestimmten Tatsachen mit Blick auf das Konsummuster indizielle Bedeutung beizumessen und hieraus berechtigterweise den Schluss auf eine mehr als nur einmalige Cannabisaufnahme ziehen zu können, so dass eine Begutachtung entbehrlich ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02. März 2011 – 10 B 11400/10 -, juris; Beschlüsse der Kammer vom 22. März 2017 – 7 B 40/17 HAL – und vom 23. Juni 2015 – 7 B 89/15 HAL -). Denn vor dem Hintergrund des geschilderten, äußerst seltenen Falles, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument zum einen bereits wenige Stunden nach dem Konsum ein Kraftfahrzeug führt und er zum anderen dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerät, die Polizei drogentypische Auffälligkeiten feststellt und einen Drogentest durchführt, rechtfertigt in einem Akt der Beweiswürdigung die Annahme, dass ohne substantiierte Darlegung des Gegenteils nicht von einem einmaligen Konsum ausgegangen werden muss (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13. Mai 2013 – 11 ZB 13.523 -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01. März 2018 – 10 B 10008/18 -; jeweils a.a.O.).

An derartigen Darlegungen fehlt es hier. Der Antragsteller hat sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren lediglich vorgetragen, er habe einmalig in seinem Leben Cannabis konsumiert, nämlich einige Stunden vor dem Zeitpunkt der polizeilichen Kontrolle. Damit fehlt es eindeutig an einer Schilderung der näheren Umstände dieses Konsums in substantiierter widerspruchsfreier und inhaltlich nachvollziehbarer Weise. Eine solche Schilderung ist auch nur dem Antragsteller als dem unmittelbar Beteiligten möglich. Überdies ist sie ihm trotz der eigenen Grundrechtsbetroffenheit zumutbar, weil ihm im Fahrerlaubnisrecht als Teil des Gefahrenabwehrrechts wegen des hohen Rangs der Verkehrssicherheit ein Aussageverweigerungsrecht nicht zusteht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01. März 2018 – 10 B 10008/18 -, a.a.O.). Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht, soweit der Antragsteller im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens auf obergerichtliche Rechtsprechung verwiesen hat, nach der erst eine THC-COOH-Konzentration von über 150 ng/ml den Schluss auf einen häufigeren Konsum von Cannabis zulasse (Bayerischer VGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 11 Cs 15.2377 -) und deshalb in seinem Fall ein zweiter Konsumvorgang anhand der festgestellten Konzentration nicht nachzuweisen sei. Denn selbst wenn davon ausgegangen wird, dass der im Falle des Antragstellers festgestellte THC-COOH-Wert von 75 ng/ml isoliert betrachtet noch keine gelegentliche Cannabiseinnahme belegen würde, ist es nach den vorstehenden Ausführungen nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner hier ohne weitere Sachverhaltsaufklärung die Fahrerlaubnis entzogen hat.

Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung ist ebenfalls gegeben. Da nach summarischer Prüfung von der Ungeeignetheit des Antragsstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen ist, stellt seine weitere Teilnahme am Straßenverkehr eine Gefahr für Leben, Gesundheit und Eigentum sowohl des Antragstellers selbst als auch anderer Verkehrsteilnehmer dar. Die sofortige Vollziehung einer Anordnung, mit der dies verhindert werden soll, erscheint daher besonders dringlich (vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. September 2009 – 3 M 309/09 -, m.w.N.).

Die vom Antragsgegner weiter ausgesprochene Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins lässt sich auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV stützen. Danach sind nach der Entziehung der Fahrerlaubnis von einer deutschen Behörde ausgestellte nationale und internationale Führerscheine unverzüglich der entscheidenden Behörde abzuliefern. Diese Verpflichtung besteht nach § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV auch, wenn die Entscheidung – wie hier – angefochten worden ist, die zuständige Behörde jedoch die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung angeordnet hat. Das Sofortvollzugsinteresse für die Abgabeverpflichtung ergibt sich daraus, dass zur wirksamen Verhinderung einer weiteren Verkehrsteilnahme des Antragstellers mit der Entziehung der Fahrerlaubnis auch der Führerschein eingezogen werden muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

In Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Ziffer 46.2 und 46.3) wird das Interesse des Antragstellers am Erhalt seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L mit dem 1 1/2 fachen Auffangstreitwert bewertet. Bei Verfahren wegen der Entziehung der Fahrerlaubnis für mehrere Klassen orientiert sich der Streitwert grundsätzlich nach der jeweils höchsten Klasse, sofern nicht im Einzelfall eine Klasse eine eigenständige Bedeutung hat (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. September 2011 – 3 O 369/11 -). Insoweit war für die eigenständig zu betrachtende Klasse AM und B der hälftige Auffangstreitwert bzw. der Auffangstreitwert festzusetzen. Dieser Betrag war zu halbieren, weil es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt (Ziffer 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs).

 

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