Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet Fahrerlaubnis auf Probe und wie lange dauert sie?
- Was ist ein Aufbauseminar und wann muss ich daran teilnehmen?
- Was ist ein qualifizierter Rotlichtverstoß und welche Folgen hat er in der Probezeit?
- Kann ich gegen einen Bußgeldbescheid oder die Anordnung zum Aufbauseminar vorgehen?
- Was passiert, wenn ich das Aufbauseminar nicht fristgerecht absolviere?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Hinweise und Tipps
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 6 B 17/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
- Datum: 25.05.2022
- Aktenzeichen: 6 B 17/22
- Verfahrensart: Beschwerdeverfahren im Eilrechtsschutz
- Rechtsbereiche: Straßenverkehrsrecht, Fahrerlaubnisrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Der Antragsteller, Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe, der Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegt hat.
- Beklagte: Die Antragsgegnerin, eine Behörde, die die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet hat (vertreten durch das Landesamt für Straßenbau und Verkehr im Widerspruchsverfahren).
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Ein Fahrerlaubnisinhaber auf Probe beging während seiner Probezeit einen qualifizierten Rotlichtverstoß. Die zuständige Behörde (Antragsgegnerin) ordnete daraufhin per Bescheid die Teilnahme an einem Aufbauseminar an. Der Widerspruch des Betroffenen wurde vom Landesamt für Straßenbau und Verkehr zurückgewiesen. Der Fahrerlaubnisinhaber erhob Klage gegen den Bescheid und beantragte beim Verwaltungsgericht Leipzig, die sofortige Vollziehung des Bescheids auszusetzen (Anordnung der aufschiebenden Wirkung), damit er vorerst nicht am Seminar teilnehmen muss. Das Verwaltungsgericht lehnte diesen Antrag ab. Gegen diese Ablehnung legte der Fahrerlaubnisinhaber (Antragsteller) Beschwerde beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht ein.
- Kern des Rechtsstreits: War die Anordnung zur Teilnahme am Aufbauseminar aufgrund des Rotlichtverstoßes korrekt und musste der Fahrerlaubnisinhaber dieser Anordnung sofort nachkommen, obwohl er Klage eingereicht hat?
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Sächsische Oberverwaltungsgericht änderte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig. Es ordnete die Aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin an.
- Begründung: Das Oberverwaltungsgericht kam nach Prüfung der vom Antragsteller vorgebrachten Beschwerdegründe zu dem Ergebnis, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Unrecht abgelehnt hatte. Die Anordnung zur Teilnahme am Aufbauseminar basierte auf einem schwerwiegenden Verstoß während der Probezeit (§ 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG).
- Folgen: Der Antragsteller muss vorläufig nicht am Aufbauseminar teilnehmen, bis über seine Klage im Hauptverfahren entschieden wurde. Die Antragsgegnerin muss die Kosten des Gerichtsverfahrens in beiden Instanzen (Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht) tragen. Der Streitwert wurde auf 1.250,00 € festgesetzt.
Der Fall vor Gericht
Der Fall im Überblick
Das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat in einem Eilverfahren entschieden, dass ein Fahranfänger vorerst kein Aufbauseminar besuchen muss.

Die Fahrerlaubnisbehörde hatte dies angeordnet, nachdem der Betroffene einen Rotlichtverstoß begangen hatte. Das OVG gab der Beschwerde des Autofahrers statt und ordnete die aufschiebende Wirkung seiner Klage an. Das bedeutet, die Anordnung der Behörde ist bis zur Entscheidung im Hauptverfahren ausgesetzt.
Die Hintergründe des Verfahrens
Ein junger Mann, Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe (Klasse B), stand im Mittelpunkt dieses Rechtsstreits. Seine Probezeit sollte regulär am 7. Januar 2022 enden. Doch zuvor, am 19. Januar 2021, ereignete sich der Vorfall, der das Verfahren auslöste: Er überfuhr eine rote Ampel. Dieser Verstoß wurde als sogenannter qualifizierter Rotlichtverstoß gewertet.
Der Rotlichtverstoß und seine Folgen
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß liegt in der Regel vor, wenn die Ampel bereits länger als eine Sekunde Rot gezeigt hat. Solche Verstöße gelten nach § 2a Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) als Schwerwiegende Zuwiderhandlung für Fahranfänger in der Probezeit. Die Konsequenzen waren entsprechend: zwei Punkte im Fahreignungsregister, 200 Euro Geldbuße und ein einmonatiges Fahrverbot.
Das Bußgeldverfahren
Die zuständige Zentrale Bußgeldbehörde erließ am 21. April 2021 einen Bußgeldbescheid gegen den Fahrer. Dieser Bescheid wurde ihm am 23. April 2021 zugestellt. Nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) hätte er innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen müssen. Laut Aktenlage ging jedoch innerhalb dieser Frist kein formeller Einspruch bei der Behörde ein.
Stattdessen sandte der Anwalt des Betroffenen am 6. Mai 2021, kurz vor Fristablauf, ein Schreiben an die Bußgeldbehörde. Darin beantragte er primär vollständige Akteneinsicht in das Bußgeldverfahren. Die Behörde wertete dieses Schreiben nicht als Einspruch, sondern lediglich als Antrag auf Akteneinsicht und einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bezüglich der verweigerten vollständigen Einsicht. Dies teilte sie dem Anwalt am 10. Juni 2021 mit, worauf dieser offenbar nicht reagierte.
Die Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde
Basierend auf der Annahme, der Bußgeldbescheid sei am 8. Mai 2021 rechtskräftig geworden, informierte das Kraftfahrt-Bundesamt die zuständige Fahrerlaubnisbehörde. Gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG muss die Behörde bei einer ersten schwerwiegenden Zuwiderhandlung in der Probezeit die Teilnahme an einem Aufbauseminar anordnen. Folgerichtig erließ die Behörde am 27. Mai 2021 den Bescheid, der den Fahrer zur Teilnahme bis zum 28. September 2021 verpflichtete.
Das Urteil der Vorinstanz (Verwaltungsgericht Leipzig)
Der Betroffene legte gegen den Bescheid Widerspruch ein, der jedoch vom Landesamt für Straßenbau und Verkehr am 25. November 2021 zurückgewiesen wurde. Daraufhin erhob er Klage beim Verwaltungsgericht Leipzig und beantragte gleichzeitig im Eilverfahren, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen. Dies hätte bedeutet, dass er das Seminar vorerst nicht hätte besuchen müssen.
Das Verwaltungsgericht lehnte diesen Antrag am 20. Dezember 2021 ab. Es argumentierte, die Anordnung des Aufbauseminars sei rechtmäßig. Der Rotlichtverstoß sei ein schwerwiegender Verstoß nach § 2a StVG. Der Bußgeldbescheid sei rechtskräftig, da kein fristgerechter Einspruch eingelegt worden sei. Das Schreiben des Anwalts vom 6. Mai 2021 sei korrekt nicht als Einspruch gewertet worden.
Das Gericht betonte zudem die Regelung des § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG: Demnach sind die Fahrerlaubnisbehörde und auch das Verwaltungsgericht an die rechtskräftige Entscheidung im Bußgeldverfahren gebunden. Sie dürfen nicht selbst prüfen, ob der Verstoß tatsächlich begangen wurde oder ob das Bußgeldverfahren korrekt lief, sobald Rechtskraft eingetreten ist.
Die Kehrtwende vor dem Oberverwaltungsgericht
Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts legte der Antragsteller Beschwerde beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht ein. Dieses Gericht kam zu einem anderen Ergebnis und änderte den Beschluss der Vorinstanz. Es ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage an. Der Fahrer muss das Aufbauseminar somit vorerst nicht absolvieren, bis über seine Klage im Hauptverfahren entschieden ist.
Fehlende Begründung im Auszug
Das OVG begründet seine Entscheidung damit, dass die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe überzeugen und das Verwaltungsgericht den Antrag zu Unrecht abgelehnt habe. Der vorliegende Auszug des Beschlusses enthält jedoch nicht die detaillierte Begründung des OVG, warum es die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts für fehlerhaft hält. Es lässt sich aber vermuten, dass das OVG Zweifel an der Rechtskraft des Bußgeldbescheids hatte oder die Auslegung des Anwaltsschreibens vom 6. Mai 2021 anders bewertete als die Vorinstanz und die Behörden.
Rechtliche Einordnung
Dieser Fall beleuchtet das Zusammenspiel zwischen dem Ordnungswidrigkeitenrecht und dem Fahrerlaubnisrecht, insbesondere für Fahranfänger in der Probezeit nach § 2a StVG. Eine rechtskräftige Entscheidung über einen schwerwiegenden Verstoß löst automatisch Maßnahmen wie die Anordnung eines Aufbauseminars aus. Die Fahrerlaubnisbehörde hat hierbei keinen Ermessensspielraum.
Entscheidend ist jedoch der Begriff der Rechtskraft. Nur wenn der Bußgeldbescheid unanfechtbar geworden ist, entfaltet er die Bindungswirkung für das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsgerichte. Die Frage, ob ein Schreiben als Einspruch auszulegen ist oder nicht, kann hierbei von zentraler Bedeutung sein und muss von den Behörden und Gerichten sorgfältig geprüft werden. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das OVG zeigt, dass Zweifel an der Rechtskraft des Bußgeldbescheids oder am Verfahrensablauf bestehen können, die eine vorläufige Aussetzung der behördlichen Maßnahme rechtfertigen.
Bedeutung für Betroffene
Für Fahranfänger in der Probezeit hat diese Entscheidung wichtige Implikationen. Sie unterstreicht, wie entscheidend das korrekte Vorgehen im Bußgeldverfahren ist. Bereits ein einzelner schwerwiegender Verstoß kann zur Anordnung eines kostspieligen und zeitaufwendigen Aufbauseminars führen und die Probezeit verlängern.
Betroffene sollten Bußgeldbescheide genau prüfen und die kurzen Einspruchsfristen beachten. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts kann sinnvoll sein. Dessen Kommunikation mit der Behörde muss klar und unmissverständlich sein, um Fehlinterpretationen – wie möglicherweise in diesem Fall bezüglich des Einspruchs – zu vermeiden.
Das Urteil zeigt auch: Selbst wenn eine Behörde von der Rechtskraft eines Bußgeldbescheids ausgeht und Maßnahmen anordnet, lohnt sich unter Umständen der Gang zum Gericht. Bestehen Zweifel an der Rechtskraft oder gab es Verfahrensfehler, kann die Anordnung erfolgreich angefochten oder zumindest vorläufig ausgesetzt werden. Die aufschiebende Wirkung verschafft Betroffenen Zeit, bis die Rechtmäßigkeit der Maßnahme im Hauptverfahren endgültig geklärt ist.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass ein rechtzeitig eingelegter Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid trotz missverständlicher Formulierung die Bestandskraft des Bescheids verhindert und damit auch Folgemaßnahmen wie die Anordnung eines Aufbauseminars für Führerscheininhaber auf Probe unwirksam macht. Die Fahrerlaubnisbehörde ist nur an rechtskräftige Entscheidungen gebunden und muss die tatsächliche Rechtskraft eines Bußgeldbescheids sorgfältig prüfen. Für Betroffene bedeutet dies, dass die genaue Formulierung von Rechtsmitteln entscheidend sein kann, aber auch, dass Behörden jeden Einspruch korrekt einordnen müssen.
Benötigen Sie Hilfe?
Unterstützung bei Fahrerlaubnisentzug und Aufbauseminar in der Probezeit
Wenn die Fahrerlaubnisbehörde wegen eines Verkehrsverstoßes eine Teilnahme am Aufbauseminar anordnet, sind Betroffene oft mit komplexen rechtlichen Fragen konfrontiert. Insbesondere wirkt sich die Rechtskraft eines Bußgeldbescheids unmittelbar auf die Maßnahmen der Behörde aus, sodass Unklarheiten im Bußgeldverfahren entscheidend sein können.
Unsere Kanzlei prüft sorgfältig, ob Verfahrensfehler vorliegen oder Zweifel an der Wirksamkeit der behördlichen Anordnungen bestehen. So lässt sich klären, ob eine Anordnung rechtmäßig ist oder im gerichtlichen Verfahren angegriffen werden sollte – um Ihre Interessen sachgerecht zu vertreten.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Fahrerlaubnis auf Probe und wie lange dauert sie?
Wenn Sie zum ersten Mal eine Fahrerlaubnis für bestimmte Fahrzeugklassen (z.B. Auto – Klasse B, Motorrad – Klasse A) erwerben, erhalten Sie diese auf Probe. Das bedeutet, dass Sie sich in den ersten Jahren als Fahrer besonders bewähren müssen.
Die Dauer der Probezeit
Die Probezeit beginnt mit dem Datum, an dem Ihnen die Fahrerlaubnis erteilt wird, und dauert grundsätzlich zwei Jahre. Sie finden das Datum der Erteilung auf Ihrem Führerschein. Ziel dieser Phase ist es, dass Sie als Fahranfänger Fahrerfahrung sammeln und zeigen, dass Sie sich verantwortungsbewusst im Straßenverkehr verhalten.
Besondere Regeln und mögliche Folgen bei Verstößen
Während der Probezeit gelten für Sie strengere Regeln. Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung werden anders bewertet als bei erfahrenen Fahrern. Man unterscheidet dabei zwischen:
- Schwerwiegenden Zuwiderhandlungen (A-Verstöße): Dazu zählen zum Beispiel deutliche Geschwindigkeitsüberschreitungen, Rotlichtverstöße oder Fahren unter Alkoholeinfluss (für Fahranfänger gilt eine strikte Null-Promille-Grenze).
- Weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlungen (B-Verstöße): Beispiele hierfür sind das Fahren mit abgefahrenen Reifen oder die Benutzung eines Handys am Steuer ohne Freisprecheinrichtung.
Begehen Sie während der Probezeit Verkehrsverstöße, hat das bestimmte Konsequenzen, die über das übliche Bußgeld oder Punkte hinausgehen können:
- Beim ersten A-Verstoß oder zwei B-Verstößen: Die Probezeit verlängert sich automatisch um zwei Jahre auf insgesamt vier Jahre. Zusätzlich müssen Sie an einem Aufbauseminar für Fahranfänger (ASF) teilnehmen.
- Nach Teilnahme am Aufbauseminar, bei einem weiteren A-Verstoß oder zwei weiteren B-Verstößen: Sie erhalten eine schriftliche Verwarnung und die Empfehlung, an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen.
- Nach der Verwarnung, bei einem erneuten A-Verstoß oder zwei weiteren B-Verstößen: Die Fahrerlaubnis wird Ihnen entzogen.
Ende der Probezeit
Wenn Sie die reguläre zweijährige (oder die verlängerte vierjährige) Probezeit ohne Anordnung eines Aufbauseminars überstehen, endet die Probezeit automatisch. Sie müssen nichts weiter unternehmen. Ihre Fahrerlaubnis gilt dann unbefristet weiter, unterliegt aber natürlich weiterhin den allgemeinen Verkehrsregeln und dem Punktesystem in Flensburg.
Was ist ein Aufbauseminar und wann muss ich daran teilnehmen?
Ein Aufbauseminar für Fahranfänger (oft ASF genannt) ist eine behördlich angeordnete Maßnahme für Führerscheinneulinge, die während ihrer Probezeit durch bestimmte Verkehrsverstöße aufgefallen sind. Es handelt sich nicht um eine zusätzliche Strafe, sondern um eine Schulung. Ziel des Seminars ist es, dass Sie Ihr eigenes Fahrverhalten überdenken, Gefahrensituationen besser erkennen lernen und zukünftig sicherer am Straßenverkehr teilnehmen.
Wann wird ein Aufbauseminar angeordnet?
Die Fahrerlaubnis wird zunächst für zwei Jahre „auf Probe“ erteilt. Wenn Sie in dieser Zeit bestimmte Verkehrsregeln missachten, kann die zuständige Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar anordnen.
Man unterscheidet dabei zwischen zwei Arten von Verstößen:
- A-Verstöße: Das sind schwerwiegende Verstöße. Dazu zählen zum Beispiel:
- Deutliche Geschwindigkeitsüberschreitungen (mehr als 20 km/h zu schnell)
- Das Überfahren einer roten Ampel
- Alkohol oder Drogen am Steuer (für Fahranfänger gilt die 0,0-Promille-Grenze)
- Nötigung im Straßenverkehr
- Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (Fahrerflucht) Bereits ein einziger A-Verstoß führt zur Anordnung eines Aufbauseminars.
- B-Verstöße: Das sind weniger schwerwiegende Verstöße. Beispiele hierfür sind:
- Fahren mit abgefahrenen Reifen
- Benutzung des Handys am Steuer ohne Freisprecheinrichtung
- Ungesicherte Ladung
- Parken auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen Zwei B-Verstöße führen ebenfalls zur Anordnung eines Aufbauseminars.
Wird ein Aufbauseminar angeordnet, verlängert sich Ihre Probezeit automatisch von zwei auf insgesamt vier Jahre.
Wie läuft ein Aufbauseminar ab?
Das Seminar wird von speziell geschulten Fahrlehrern in einer Fahrschule durchgeführt und findet in einer Gruppe statt. Es besteht üblicherweise aus:
- Vier theoretischen Sitzungen von jeweils 135 Minuten Dauer. Hier werden die begangenen Verstöße der Teilnehmer besprochen, Risikofaktoren analysiert und Strategien für sicheres Fahren entwickelt.
- Einer Beobachtungsfahrt zwischen der ersten und zweiten Sitzung. Dabei fahren Sie gemeinsam mit anderen Teilnehmern und dem Fahrlehrer eine festgelegte Strecke. Im Anschluss wird das Fahrverhalten besprochen.
Ziel ist es, durch Gespräche und praktische Übungen eine dauerhafte Verbesserung des Fahrverhaltens zu erreichen. Es gibt keine Prüfung am Ende des Seminars, die regelmäßige Teilnahme ist jedoch Pflicht.
Was passiert, wenn man nicht teilnimmt?
Die Fahrerlaubnisbehörde setzt Ihnen eine Frist, innerhalb derer Sie die Teilnahme am Aufbauseminar nachweisen müssen.
Wenn Sie diese Frist verstreichen lassen und nicht am Seminar teilnehmen, wird Ihnen die Fahrerlaubnis entzogen. Sie dürfen dann kein Kraftfahrzeug mehr führen. Die Fahrerlaubnis kann erst nach erfolgreicher Teilnahme am Seminar (und eventuell weiteren Voraussetzungen) neu beantragt werden.
Was ist ein qualifizierter Rotlichtverstoß und welche Folgen hat er in der Probezeit?
Ein Rotlichtverstoß liegt vor, wenn Sie eine Ampel überfahren, obwohl diese bereits Rot gezeigt hat. Es gibt zwei Arten von Rotlichtverstößen: den einfachen und den qualifizierten.
Der Unterschied: Die Dauer der Rotphase
Der entscheidende Unterschied liegt darin, wie lange die Ampel bereits Rot gezeigt hat, als Sie die Haltelinie überfahren haben:
- Einfacher Rotlichtverstoß: Die Ampel zeigte weniger als eine Sekunde Rot, als Sie darübergefahren sind.
- Qualifizierter Rotlichtverstoß: Die Ampel zeigte bereits länger als eine Sekunde Rot, als Sie darübergefahren sind. Dieser Verstoß wird als schwerwiegender eingestuft, da die Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer höher ist.
Allgemeine Folgen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß hat immer ernste Konsequenzen, unabhängig davon, ob Sie sich in der Probezeit befinden oder nicht. Üblicherweise sind dies:
- Ein hohes Bußgeld (in der Regel mindestens 200 Euro).
- 2 Punkte im Fahreignungsregister in Flensburg.
- Ein Fahrverbot von in der Regel einem Monat.
Die genaue Höhe des Bußgeldes und ob zusätzlich zum Fahrverbot noch weitere Maßnahmen ergriffen werden, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (z.B. ob andere gefährdet wurden oder ein Unfall passiert ist).
Besondere Folgen in der Probezeit
Für Fahranfänger in der Probezeit hat ein qualifizierter Rotlichtverstoß zusätzliche und besonders schwerwiegende Folgen:
- Einstufung als A-Verstoß: Ein qualifizierter Rotlichtverstoß gilt als schwerwiegende Zuwiderhandlung (A-Verstoß) nach der Fahrerlaubnis-Verordnung.
- Anordnung eines Aufbauseminars: Bereits der erste A-Verstoß führt dazu, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar (oft als „Nachschulung“ bezeichnet) anordnet. Dieses Seminar müssen Sie auf eigene Kosten absolvieren.
- Verlängerung der Probezeit: Gleichzeitig wird die Probezeit um zwei Jahre verlängert. Sie dauert dann also insgesamt vier Jahre statt der üblichen zwei Jahre.
Das bedeutet: Wenn Sie als Fahranfänger einen qualifizierten Rotlichtverstoß begehen, müssen Sie nicht nur mit Bußgeld, Punkten und Fahrverbot rechnen, sondern zusätzlich ein Aufbauseminar besuchen und Ihre Probezeit verlängert sich.
Kann ich gegen einen Bußgeldbescheid oder die Anordnung zum Aufbauseminar vorgehen?
Ja, Sie haben grundsätzlich die Möglichkeit, sowohl gegen einen Bußgeldbescheid als auch gegen die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar (ASF) vorzugehen. Die Verfahren hierfür sind jedoch unterschiedlich.
Vorgehen gegen den Bußgeldbescheid
Wenn Sie einen Bußgeldbescheid erhalten haben, zum Beispiel wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung oder eines Rotlichtverstoßes, können Sie dagegen Einspruch einlegen.
- Was ist ein Einspruch? Mit dem Einspruch teilen Sie der Behörde mit, dass Sie mit dem Bußgeldbescheid nicht einverstanden sind. Der Bescheid wird dann erneut geprüft.
- Frist: Der Einspruch muss innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bußgeldbescheids bei der zuständigen Bußgeldbehörde eingehen. Diese Frist ist sehr wichtig, denn wenn sie versäumt wird, wird der Bußgeldbescheid rechtskräftig und kann nicht mehr angefochten werden.
- Form: Der Einspruch muss schriftlich erfolgen (z.B. per Brief oder Fax) oder Sie können ihn direkt bei der Behörde zur Niederschrift erklären (mündlich vortragen, wird dann aufgeschrieben). Eine einfache E-Mail genügt oft nicht, es sei denn, die Behörde bietet einen sicheren elektronischen Weg an. Eine Begründung ist zunächst nicht zwingend erforderlich, kann aber nachgereicht werden.
- Ablauf nach Einspruch: Die Bußgeldbehörde prüft den Fall erneut. Hält sie den Einspruch für unbegründet, gibt sie die Sache meist an die Staatsanwaltschaft ab, die sie dem zuständigen Amtsgericht vorlegt. Es kann dann zu einer Gerichtsverhandlung kommen.
- Akteneinsicht: Bevor Sie entscheiden, ob ein Einspruch sinnvoll ist, oder um diesen zu begründen, besteht die Möglichkeit, Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen. Dort finden Sie die Beweismittel, die der Behörde vorliegen (z.B. Messprotokolle, Fotos).
- Kosten: Wenn der Einspruch Erfolg hat (z.B. Freispruch oder Einstellung des Verfahrens), trägt meist die Staatskasse die notwendigen Kosten. Wird der Einspruch zurückgewiesen oder Sie werden verurteilt, müssen Sie in der Regel die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen, z.B. für Zeugen oder Gutachten) tragen.
Vorgehen gegen die Anordnung zum Aufbauseminar (ASF)
Die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar ist eine Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde (Straßenverkehrsamt). Sie ergeht oft als Folge eines rechtskräftigen Bußgeldbescheids über einen schwerwiegenden Verstoß (A-Verstoß) oder zwei weniger schwerwiegende Verstöße (B-Verstöße) während der Probezeit. Gegen diese Anordnung können Sie ebenfalls vorgehen.
- Rechtsmittel: Gegen die Anordnung als Verwaltungsakt ist in der Regel die Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht der richtige Weg. In vielen Bundesländern ist ein vorheriges Widerspruchsverfahren nicht mehr vorgesehen.
- Frist: Die Klage muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Anordnung beim Verwaltungsgericht eingereicht werden. Auch hier ist die Frist unbedingt einzuhalten, sonst wird die Anordnung bestandskräftig und muss befolgt werden.
- Wichtiger Hinweis: Die Klage allein stoppt nicht automatisch die Frist, die Ihnen in der Anordnung zur Teilnahme am Seminar gesetzt wurde. Die Behörde kann die sofortige Vollziehung anordnen. Das bedeutet, Sie müssten sich trotz Klage eventuell fristgerecht zum Seminar anmelden, um Nachteile wie die Entziehung der Fahrerlaubnis zu vermeiden, es sei denn, das Gericht ordnet auf einen gesonderten Antrag hin die aufschiebende Wirkung der Klage an.
- Akteneinsicht: Auch hier können Sie Akteneinsicht bei der Fahrerlaubnisbehörde beantragen, um die Gründe für die Anordnung nachzuvollziehen.
- Kosten: Bei einem Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht entstehen Gerichtskosten und eventuell Anwaltskosten. Wer die Kosten am Ende trägt, hängt vom Ausgang des Verfahrens ab (wer gewinnt oder verliert).
Wichtige Punkte für beide Verfahren
- Fristen beachten: Das Wichtigste ist die Einhaltung der jeweiligen Fristen (2 Wochen für den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid, 1 Monat für die Klage gegen die Anordnung). Werden die Fristen versäumt, sind die Entscheidungen in der Regel nicht mehr anfechtbar.
- Akteneinsicht nutzen: Die Einsicht in die Akten der Bußgeld- oder Fahrerlaubnisbehörde kann eine wichtige Grundlage sein, um die Erfolgsaussichten eines Einspruchs oder einer Klage besser einschätzen zu können. Sie erfahren dadurch, auf welche Beweise oder Tatsachen die Behörde ihre Entscheidung stützt.
Was passiert, wenn ich das Aufbauseminar nicht fristgerecht absolviere?
Wenn Sie von der Fahrerlaubnisbehörde zur Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger aufgefordert wurden, wird Ihnen hierfür eine Frist gesetzt. Sollten Sie das Seminar nicht innerhalb dieser Frist absolvieren und die Teilnahmebescheinigung nicht rechtzeitig bei der Behörde vorlegen, hat dies gravierende Folgen.
Die zuständige Behörde ist in diesem Fall gesetzlich verpflichtet, Ihnen die Fahrerlaubnis zu entziehen. Es handelt sich hierbei nicht um eine Ermessensentscheidung der Behörde, sondern um eine zwingende Konsequenz, die eintritt, sobald die Frist ohne Nachweis der Seminarteilnahme verstrichen ist. Sie dürfen dann ab dem Zeitpunkt des Entzugs kein Kraftfahrzeug mehr führen.
Möglichkeit einer Fristverlängerung
Unter bestimmten Umständen besteht die Möglichkeit, bei der Fahrerlaubnisbehörde eine Verlängerung der Frist für die Absolvierung des Aufbauseminars zu beantragen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn Sie nachweislich triftige Gründe haben, die Sie an der fristgerechten Teilnahme gehindert haben (beispielsweise eine längerfristige Erkrankung). Der Antrag auf Fristverlängerung muss vor Ablauf der ursprünglichen Frist bei der Behörde gestellt und begründet werden. Ob eine Fristverlängerung gewährt wird, entscheidet die Behörde im Einzelfall.
Wiedererlangung der Fahrerlaubnis nach Entzug
Wurde Ihnen die Fahrerlaubnis wegen der nicht fristgerechten Teilnahme am Aufbauseminar entzogen, erhalten Sie diese nicht automatisch zurück. Um die Fahrerlaubnis wiederzuerlangen, müssen Sie zunächst das angeordnete Aufbauseminar vollständig absolvieren und die Teilnahmebescheinigung erhalten.
Anschließend müssen Sie bei der Fahrerlaubnisbehörde einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis stellen und die Teilnahmebescheinigung des Seminars vorlegen. Erst wenn die Behörde diesem Antrag stattgibt, erhalten Sie Ihre Fahrerlaubnis zurück. Beachten Sie, dass der Entzug und die Neuerteilung der Fahrerlaubnis mit zusätzlichen Gebühren und Kosten verbunden sind.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Aufschiebende Wirkung
Die aufschiebende Wirkung bedeutet, dass eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung vorläufig nicht vollzogen werden darf. Wenn jemand gegen einen Bescheid (z.B. die Anordnung eines Aufbauseminars) Klage erhebt, bleibt der Bescheid oft trotzdem erstmal gültig und muss befolgt werden. Das Gericht kann aber auf Antrag anordnen (wie hier das OVG im Eilverfahren gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung, VwGO), dass die Entscheidung bis zum Abschluss des Hauptverfahrens keine Wirkung entfaltet. Der Betroffene muss der Anordnung also vorerst nicht nachkommen, im konkreten Fall muss der Fahrer das Aufbauseminar bis zur endgültigen Gerichtsentscheidung nicht besuchen.
Beispiel: Ihr Nachbar erhält eine Baugenehmigung, gegen die Sie klagen. Ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung Ihrer Klage an, darf er mit dem Bau vorerst nicht beginnen, bis über Ihre Klage entschieden ist.
Schwerwiegende Zuwiderhandlung
Eine schwerwiegende Zuwiderhandlung ist ein Verkehrsverstoß, der nach dem Gesetz (§ 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz, StVG, in Verbindung mit der Fahrerlaubnis-Verordnung, FeV) besonders ernst genommen wird, speziell bei Fahranfängern in der Probezeit. Diese Verstöße sind in der FeV (Anlage 12) als sogenannte A-Verstöße aufgelistet und lösen bestimmte Maßnahmen aus. Im vorliegenden Fall wurde der qualifizierte Rotlichtverstoß als solche schwerwiegende Zuwiderhandlung eingestuft. Die erste derartige Zuwiderhandlung während der Probezeit führt zwingend zur Anordnung eines Aufbauseminars und zur Verlängerung der Probezeit.
Beispiel: Deutliches Überfahren einer roten Ampel (> 1 Sekunde Rotphase) oder eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung (z.B. mehr als 20 km/h zu schnell) gelten oft als schwerwiegende Zuwiderhandlung (A-Verstoß), ein kleiner Parkfehler hingegen nicht.
Rechtskraft / Rechtskräftig
Rechtskraft bedeutet, dass eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung endgültig und grundsätzlich unanfechtbar geworden ist. Dies tritt meist ein, wenn die Frist für Rechtsmittel (wie den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid oder die Berufung gegen ein Urteil) abgelaufen ist oder keine Rechtsmittel mehr möglich sind. Eine rechtskräftige Entscheidung ist für die Beteiligten und oft auch für andere Behörden oder Gerichte bindend. Im Fall war entscheidend, ob der Bußgeldbescheid über den Rotlichtverstoß rechtskräftig wurde, denn nur dann wäre die Fahrerlaubnisbehörde an diese Entscheidung gebunden gewesen und hätte das Aufbauseminar anordnen müssen (§ 2a Abs. 2 Satz 2 StVG).
Beispiel: Wenn Sie einen Bußgeldbescheid erhalten und die zweiwöchige Einspruchsfrist (§ 67 Ordnungswidrigkeitengesetz, OWiG) verstreichen lassen, ohne Einspruch einzulegen, wird der Bescheid rechtskräftig und Sie müssen die Geldbuße zahlen.
Bußgeldbescheid
Ein Bußgeldbescheid ist ein amtliches Schreiben der zuständigen Bußgeldbehörde, mit dem eine Ordnungswidrigkeit (z.B. ein Verkehrsverstoß) geahndet wird. Er enthält den genauen Vorwurf, die Beweismittel und die festgesetzte Sanktion, wie eine Geldbuße, Punkte im Fahreignungsregister oder ein Fahrverbot (geregelt im Ordnungswidrigkeitengesetz, OWiG). Gegen diesen Bescheid kann der Betroffene innerhalb einer bestimmten Frist Einspruch einlegen. Im konkreten Fall war der Bußgeldbescheid vom 21. April 2021 wegen des Rotlichtverstoßes der Ausgangspunkt für die spätere Anordnung des Aufbauseminars.
Beispiel: Der Brief, den Sie nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung erhalten, der das Blitzerfoto erwähnt, die Höhe der Geldbuße nennt und Sie zur Zahlung auffordert, ist ein Bußgeldbescheid.
Einspruch
Der Einspruch ist das förmliche Rechtsmittel gegen einen Bußgeldbescheid nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (§ 67 OWiG). Er muss innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids bei der Bußgeldbehörde eingelegt werden, entweder schriftlich oder mündlich zur Niederschrift bei der Behörde. Durch einen rechtzeitigen Einspruch wird verhindert, dass der Bußgeldbescheid rechtskräftig wird; die Behörde prüft den Fall dann erneut. Im Fall war strittig, ob das Anwaltsschreiben vom 6. Mai, das primär Akteneinsicht forderte, als fristgerechter Einspruch zu werten war, was die Rechtskraft des Bußgeldbescheids verhindert hätte.
Beispiel: Sie erhalten einen Bußgeldbescheid wegen angeblichen Falschparkens und sind überzeugt, dass Sie dort parken durften. Sie schreiben innerhalb von zwei Wochen einen Brief an die Bußgeldbehörde, in dem Sie dem Bescheid widersprechen – das ist der Einspruch.
Aufbauseminar
Ein Aufbauseminar (offiziell: Seminar für Fahranfänger – ASF) ist eine gesetzlich vorgeschriebene Nachschulungsmaßnahme für Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe (§ 2a StVG). Die Teilnahme wird von der Fahrerlaubnisbehörde zwingend angeordnet, wenn der Fahranfänger innerhalb der Probezeit eine schwerwiegende Zuwiderhandlung (A-Verstoß) oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen (B-Verstöße) begangen hat. Ziel des Seminars, das aus mehreren Theorie-Sitzungen und einer Beobachtungsfahrt besteht und in Fahrschulen durchgeführt wird, ist es, riskantes Fahrverhalten zu erkennen und künftige Verstöße zu vermeiden. Die Nichtteilnahme kann zum Entzug der Fahrerlaubnis führen.
Beispiel: Ein Fahranfänger überfährt eine rote Ampel (A-Verstoß). Die Fahrerlaubnisbehörde schickt ihm daraufhin einen Bescheid, mit dem sie ihn verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist an einem Aufbauseminar bei einer anerkannten Fahrschule teilzunehmen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG i.V.m. Abschnitt A Nr. 2.1 der Anlage 12 zu § 34 FeV: Diese Normen regeln die Anordnung eines Aufbauseminars für Führerscheinneulinge in der Probezeit. Ein Aufbauseminar wird angeordnet, wenn innerhalb der Probezeit ein schwerwiegender oder zwei weniger schwerwiegende Verkehrsverstöße begangen werden. Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Antragsteller erhielt die Anordnung zum Aufbauseminar, weil er während seiner Probezeit einen qualifizierten Rotlichtverstoß begangen hat, welcher als schwerwiegender Verstoß im Sinne dieser Vorschriften gilt.
- § 2a Abs. 6 StVG: Diese Vorschrift bestimmt, dass die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar sofort vollziehbar ist. Das bedeutet, dass die Behörde die Teilnahme am Aufbauseminar auch dann verlangen kann, wenn gegen die Anordnung noch Rechtsmittel eingelegt wurden. Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Verwaltungsgericht erster Instanz hatte die sofortige Vollziehbarkeit bestätigt, was bedeutete, dass der Antragsteller grundsätzlich sofort am Aufbauseminar hätte teilnehmen müssen, unabhängig von seinem Einspruch.
- § 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG: Diese Norm legt die Frist für den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid fest. Der Betroffene hat zwei Wochen Zeit ab Zustellung des Bußgeldbescheids, um Einspruch einzulegen und so die Rechtskraft des Bescheides zu verhindern. Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Antragsteller versäumte die Einspruchsfrist gegen den Bußgeldbescheid, da sein Akteneinsichtsgesuch nicht als fristwahrender Einspruch gewertet wurde, wodurch der Bußgeldbescheid rechtskräftig wurde und die Grundlage für die Anordnung des Aufbauseminars bildete.
- § 146 Abs. 4 VwGO: Diese Vorschrift begrenzt den Umfang der Beschwerdeprüfung vor dem Oberverwaltungsgericht in einem Eilverfahren. Das Gericht prüft hierbei nur, ob das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung zu Recht abgelehnt hat und berücksichtigt nur die fristgerecht vorgebrachten Beschwerdegründe. Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Oberverwaltungsgericht durfte im Beschwerdeverfahren nur prüfen, ob das Verwaltungsgericht die Ablehnung der aufschiebenden Wirkung korrekt begründet hat und musste sich auf die vom Antragsteller vorgebrachten Argumente beschränken.
Hinweise und Tipps
Praxistipps für Fahranfänger in der Probezeit bei Anordnung eines Aufbauseminars
Als Fahranfänger unterliegen Sie besonderen Regeln. Ein Verkehrsverstoß kann schnell dazu führen, dass die Behörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar anordnet. Doch nicht jede Anordnung ist automatisch rechtens und muss sofort befolgt werden.
Hinweis: Diese Praxistipps stellen keine Rechtsberatung dar. Sie ersetzen keine individuelle Prüfung durch eine qualifizierte Kanzlei. Jeder Einzelfall kann Besonderheiten aufweisen, die eine abweichende Einschätzung erfordern.
Tipp 1: Bescheid genau prüfen (lassen)
Eine Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar erfolgt per Bescheid. Akzeptieren Sie diesen nicht vorschnell. Prüfen Sie genau, ob der zugrunde liegende Verkehrsverstoß (z. B. Rotlichtverstoß) korrekt festgestellt wurde und ob die Behörde alle formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung eingehalten hat. Es können Fehler vorliegen, die den Bescheid rechtswidrig machen.
Tipp 2: Rechtsschutzmöglichkeiten nutzen
Wenn Sie Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids haben, können Sie dagegen vorgehen. Legen Sie fristgerecht Widerspruch bei der Behörde ein. Wird der Widerspruch zurückgewiesen, können Sie Klage beim Verwaltungsgericht erheben.
⚠️ ACHTUNG: Für Widerspruch und Klage gelten kurze Fristen (in der Regel ein Monat nach Bekanntgabe des Bescheids bzw. des Widerspruchsbescheids). Versäumen Sie diese Fristen, wird die Anordnung bestandskräftig, selbst wenn sie fehlerhaft war.
Tipp 3: Sofortige Teilnahmepflicht verhindern (Eilrechtsschutz)
Widerspruch und Klage haben normalerweise keine aufschiebende Wirkung bei Anordnungen nach dem Fahrerlaubnisrecht. Das bedeutet, Sie müssten trotz des laufenden Verfahrens am Seminar teilnehmen. Um das zu verhindern, müssen Sie zusätzlich beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stellen (Eilantrag). Nur wenn das Gericht diesem Antrag stattgibt, sind Sie vorläufig von der Teilnahmepflicht befreit, bis über Ihre Klage entschieden ist.
Beispiel: Im beschriebenen Fall hat das Oberverwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung angeordnet. Der Fahranfänger musste daher vorerst nicht am Seminar teilnehmen, obwohl die Behörde dies angeordnet hatte und das Verwaltungsgericht den Eilantrag zunächst abgelehnt hatte.
Tipp 4: Beschwerde bei Ablehnung im Eilverfahren
Lehnt das Verwaltungsgericht Ihren Eilantrag ab, ist das noch nicht das Ende. Gegen diesen Beschluss können Sie Beschwerde beim zuständigen Oberverwaltungsgericht (oder Verwaltungsgerichtshof) einlegen. Wie der Beispielfall zeigt, kann die höhere Instanz die Sachlage anders bewerten und die aufschiebende Wirkung doch noch anordnen.
Tipp 5: Anwaltliche Unterstützung suchen
Das Fahrerlaubnisrecht und das dazugehörige Verwaltungsverfahren sind komplex. Die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs, einer Klage oder eines Eilantrags hängen stark von der Begründung und der Einhaltung von Fristen und Formen ab. Es ist ratsam, sich frühzeitig von einem auf Verkehrsrecht spezialisierten Rechtsanwalt beraten und vertreten zu lassen.
Weitere Fallstricke oder Besonderheiten?
- Fristberechnung: Achten Sie penibel auf die korrekte Berechnung der Fristen für Widerspruch, Klage und Anträge. Entscheidend ist der Zugang des Bescheids bei Ihnen.
- Begründungspflicht: Sowohl Widerspruch als auch Klage und Eilantrag sollten gut begründet werden. Pauschale Einwände reichen meist nicht aus.
- Kostenrisiko: Bei einem gerichtlichen Verfahren (Klage, Eilantrag, Beschwerde) entstehen Gerichtskosten und ggf. Anwaltskosten. Unterliegen Sie, müssen Sie in der Regel die Kosten tragen.
✅ Checkliste: Anordnung Aufbauseminar erhalten
- [ ] Bescheid erhalten: Datum des Zugangs notieren (wichtig für Fristen!).
- [ ] Verstoß prüfen: Ist der zugrunde liegende Verkehrsverstoß korrekt? Gab es hier bereits einen bestandskräftigen Bußgeldbescheid?
- [ ] Fristen checken: Widerspruchsfrist (meist 1 Monat) im Bescheid prüfen und vormerken.
- [ ] Rechtsberatung einholen: Zeitnah einen Anwalt für Verkehrsrecht kontaktieren, um die Optionen (Widerspruch, Klage, Eilantrag) zu besprechen.
- [ ] Eilantrag erwägen: Wenn Sie gegen den Bescheid vorgehen wollen, parallel über einen Antrag auf aufschiebende Wirkung nachdenken, um die sofortige Teilnahmepflicht auszusetzen.
Das vorliegende Urteil
Sächsisches Oberverwaltungsgericht – Az.: 6 B 17/22 – Beschluss vom 25.05.2022
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