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Fahreignungsgutachten bei Arzneimittelmissbrauch und des Verdachts auf ein „Entzugsdelirium“

VG Gelsenkirchen – Az.: 7 L 556/11 – Beschluss vom 15.06.2011

1. Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.

2. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 2173/11 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 18. Mai 2011 wiederherzustellen,

ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zulässig, aber unbegründet. Die Vollzugsanordnung ist hinreichend und einzelfallbezogen begründet worden. Sie hebt die besondere Gefahr für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer bei weiterer Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr hervor. Damit ist dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO genügt.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung ist auch in der Sache gerechtfertigt. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Verfügung vom 18. Mai 2011 bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Zur Begründung verweist die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen in der angegriffenen Verfügung des Antragsgegners, denen sie im Grundsatz folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).

Mit Rücksicht auf das Antrags- und Klagevorbringen ist ergänzend Folgendes auszuführen:

Maßgeblich für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist letztlich, dass der Antragsteller das von ihm geforderte Gutachten eines Facharztes für Neurologie/Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation über seine Kraftfahreignung nicht vorgelegt, sondern gegenüber dem mit seinem Einverständnis beauftragten Arzt auf die Ausfertigung des Gutachtens verzichtet hat.

Fahreignungsgutachten bei Arzneimittelmissbrauch und des Verdachts auf ein "Entzugsdelirium"
Symbolfoto: Von Evgeniy Medvedev/Shutterstock.com

Der Antragsgegner hat den Antragsteller mit Schreiben vom 2. Februar 2011 zu Recht aufgefordert, ein Gutachten eines Facharztes für Neurologie/Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation über die Kraftfahreignung beizubringen. Die Bedenken an der Kraftfahreignung des Antragstellers in gesundheitlicher Hinsicht gründen sich nicht allein auf die – inhaltlich konkrete und daher im Grundsatz beachtliche – Mitteilung des Apothekenmitarbeiters gegenüber der Polizei vom 21. Juli 2010 zum Medikamentenkonsum des Antragstellers, sondern auch auf den Vorfall, der seine Ehefrau am 11. Juni 2008 veranlasst hat, Strafanzeige gegen den Antragsteller wegen versuchter Brandstiftung zu stellen. Die Ehefrau hat gegenüber der Polizei angegeben, dass der Antragsteller seit „einigen Jahren medikamentenabhängig“ und deswegen „seit einigen Jahren in psychiatrischer Behandlung“ sei. Der Antragsteller hat seine bedrohlichen Handlungen am Vorfallstag (nächtliches Geschrei im Kinderzimmer der 9-jährigen Tochter, Äußerung von Wahnvorstellungen, Manipulation an der Leitung des Heizungsbrenners im Keller), die zu einer vorübergehenden Zwangseinweisung und anschließender Weiterbehandlung im Krankenhaus geführt haben, gegenüber der Polizei anschließend auf ein „Entzugsdelirium“ zurückgeführt und Verständnis für die Angst seiner Ehefrau geäußert.

Beide Ereignisse begründen Zweifel daran, ob der Antragsteller an einer psychischen Störung leidet, die die Kraftfahreignung ausschließen könnte (vgl. dazu den Katalog in Ziff. 7 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 der Fahrerlaubnisverordnung – FeV -) oder Medikamentenmissbrauch betreibt (vgl. Ziff. 9.4 Anlage 4 zur FeV) oder etwa aufgrund dauerhafter Einnahme verschiedener Medikamente (vgl. Ziff. 9.6 a.a.O.) in seiner Kraftfahreignung beeinträchtigt ist. Die Notwendigkeit, nicht jedwedes ärztliche Attest zu akzeptieren, sondern das Gutachten eines bestimmten Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation anzufordern, ergibt sich aus § 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 FeV.

Auch mit Rücksicht darauf ist die vom Antragsteller vorgelegte „Notwendigkeitsbescheinigung“ des Arztes für Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Osteopathie, Chirotherapie, Akkupunktur und Naturheilverfahren in mehrfacher Hinsicht nicht geeignet, die Bedenken an der Kraftfahreignung des Antragstellers auszuräumen. Unabhängig davon, dass dieser Arzt keine verkehrsmedizinische Qualifikation besitzt und die hier einschlägige Fragestellung neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen nicht als Facharzt abdeckt, stützt die Bescheinigung die Eignungsbedenken in der Sache. Sie zeigt auf, dass der Antragsteller offenbar unter mehreren behandlungsbedürftigen Erkrankungen leidet und eine Kombination von zentral wirkenden Schmerzmitteln (u.a. Morphin in relativ hoher Retardkonzentration) und eines Neuroleptikums (Melperon) regelmäßig einnimmt. Darüberhinaus weist die gestellte Diagnose „schwere depressive Episode ohne psychotische Störung“ auf gesundheitliche Störungen nach Ziff. 7.5 der Anlage 4 zur FeV hin, deren Schweregrad abzuklären ist.

Da der Antragsteller die rechtmäßige Gutachtenanordnung somit nicht befolgt hat, ist gemäß § 11 Abs. 8 FeV auch die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig. Auf diese Folge seiner Weigerung ist der Antragsteller bei der Anordnung auch hingewiesen worden. Entgegen den Ausführungen des Antragstellers eröffnet § 11 Abs. 8 FeV dem Antragsgegner auch keinen Ermessensspielraum. Der Schluss von der Nichtbefolgung der Aufklärungsanordnung auf die Nichteignung ist ein von der vorgenannten Vorschrift inzwischen positivrechtlich anerkannter Akt der Beweiswürdigung. Er setzt keine Ermessensentscheidung voraus.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Januar 2010 – 16 B 1523/09.

Angesichts der danach feststehenden Ungeeignetheit des Antragstellers bestehen auch keine Bedenken an der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung. Die damit verbundenen Schwierigkeiten hat der Antragsteller hinzunehmen, weil gegenüber seinen Interessen das Interesse am Schutz von Leib, Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer eindeutig überwiegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der neuen Rechtsprechung des OVG NRW bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren, vgl. Beschluss vom 4. Mai 2009 – 16 E 550/09 -.

 

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