Verkehrsordnungswidrigkeit: Fehlende Beweisantragsbegründung und Rechtsfolgenbemessung
In einem Fall, der vor dem Oberlandesgericht (OLG) Köln verhandelt wurde (Az.: III-1 RBs 114/20), ging es um eine Verkehrsordnungswidrigkeit, bei der ein Fahrer wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 192 Euro verurteilt wurde. Darüber hinaus wurde ihm für einen Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Der Beschuldigte legte gegen das Urteil Rechtsbeschwerde ein, die zu einer teilweisen Aufhebung des Urteils und einer Rückverweisung des Falls an das Amtsgericht führte.
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Übersicht
Verfahrensrüge und Beweisantrag
Der Beschuldigte hatte einen Beweisantrag gestellt, um zu beweisen, dass die Geschwindigkeitsmessung fehlerhaft war. Er forderte die Vorlage verschiedener Dokumente und Daten, darunter das Reparaturbuch und die Lebensakte der Messanlagen, die Bedienungsanleitung, eine Kopie der digitalen Falldaten und das Auswerteprogramm. Das Amtsgericht lehnte diesen Antrag jedoch ab, ohne ihn zu begründen. Dies führte zu einer Verfahrensrüge seitens des Beschuldigten.
Unklarheit in Rechtsprechung und Schrifttum
Die Frage, ob eine Verletzung der Beweisantragsbegründung vorliegt, ist in der Rechtsprechung und im Schrifttum umstritten. Einige Quellen verlangen, dass der Beschwerdeführer angibt, in welcher Form und mit welchem Inhalt der Antrag dem Gericht vorgelegt wurde, während andere die Mitteilung der Begründung verlangen. In diesem Fall war die Begründung des Beweisantrags nicht in der Rechtsbeschwerdebegründung enthalten.
Fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen
Das OLG Köln stellte fest, dass eine fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen nur mit der Aufklärungsrüge gerügt werden kann. Daher muss die Rüge neben der Angabe der Inhalte von Beweisantrag und Ablehnungsbeschluss auch die Tatsachen angeben, welche die Fehlerhaftigkeit der Ablehnung ergeben. In diesem Fall konnte das OLG nicht beurteilen, ob das Urteil auf der Nichtbescheidung des Beweisantrags beruhen kann, da die Rechtsbeschwerdebegründung nicht ausführte, welche Umstände den Gebrauch des Beweismittels zumindest hätten nahelegen müssen.
Fehlerhafte Bemessung der Rechtsfolgen
Das OLG Köln stellte fest, dass die Bemessung der Rechtsfolgen im angefochtenen Urteil materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht standhält. Das Gericht hatte das verhängte Fahrverbot als zwangsläufige Folge des Geschwindigkeitsverstoßes dargestellt, ohne zu prüfen, ob der durch das Fahrverbot angestrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch durch eine Erhöhung der Geldbuße zu erreichen ist. Daher wurde der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufgehoben und der Fall zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Das vorliegende Urteil
OLG Köln – Az.: III-1 RBs 114/20 – Beschluss vom 24.04.2020
Unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels wird das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zu erneuter Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Geilenkirchen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit der angefochtenen Entscheidung wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu der Geldbuße von 192,– EUR verurteilt und ihm – mit Gestaltungsmöglichkeit gemäß § 25 Abs. 2a StVG – für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG statthafte, Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsbeschwerde erzielt einen Teilerfolg. Sie führt im Rechtsfolgenausspruch zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
1.
Soweit sich das Rechtsmittel gegen den Schuldspruch richtet, ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. In Ergänzung der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft merkt der Senat diesbezüglich an:
Die Rüge, das Tatgericht habe einen Beweisantrag entgegen §§ 244 Abs. 6 StPO, 77 Abs. 3 OWiG nicht beschieden, versagt. Sie ist nicht im Sinne von §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführt.
a)
Mit der Rechtsbeschwerdebegründung wird folgender in der Hauptverhandlung gestellter Antrag mitgeteilt:
„Zum Beweis der Tatsache, dass die Messung fehlerhaft ist, beantrage ich, das Reparaturbuch und die Lebensakte der im vorliegenden Verfahren eingesetzten Messanlagen, die gerätespezifische Bedienungsanleitung, eine Kopie der digitalen Falldaten im geräte-spezifischen Format mit dem dazugehörigen öffentlichen Schlüssel, das Auswerteprogramm und die gesamte Messreihe einzuholen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Einholung eines Beschilderungsplanes.“
Diesen Antrag hat das Tatgericht ausweislich der Urteilsgründe – wie sich aus der Nennung von § 77 Abs. 2 Ziff. 1 OWiG in diesem Kontext ergibt – jedenfalls insoweit als Beweisantrag gewertet, als mit diesem die Einholung eines Sachverständigengutachtens begehrt wurde. Die Antragsbegründung, die „umfangreich“ gewesen sei, wird mit der Rechtsbeschwerdebegründung nicht wiedergegeben.
b)
Das Vorbringen genügt den Darlegungsanforderungen insgesamt nicht:
Allerdings besteht in Rechtsprechung und Schrifttum keine Einigkeit darüber, ob es in dem Falle, dass eine Verletzung von §§ 244 Abs. 6 StPO, 77 Abs. 3 OWiG gerügt werden soll, der Wiedergabe auch der Antragsbegründung bedarf oder ob es bei der Benennung von Beweismittel und Beweistatsache sein Bewenden haben kann.
aa)
Im Schrifttum wird zumeist ohne weitere Differenzierung verlangt, der Beschwerdeführer müsse angeben, in welcher Form und mit welchem Inhalt der Antrag dem Gericht unterbreitet worden sei (KK-StPO-Krehl, 8. Auflage 2019, § 244 Rz. 226; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Auflage 1998, Rz. 616), es sei die Mitteilung des Beweisantrags erforderlich (KK-OWiG-Senge, 5. Auflage 2018, § 77 Rz. 53; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 244 Rz. 106; LR-StPO-Becker, 27. Auflage 2019, § 244 Rz. 377).
Soweit der aufgeworfenen Frage Beachtung geschenkt wird, wird teils vertreten, es genüge die Mitteilung von Beweistatsache und Beweismittel (so ausdrücklich SK-StPO-Frister, 5. Auflage 2015, § 244 Rz. 255; Krause StV 1984, 483 [488]; unklar OLG Stuttgart NJW 1968, das einerseits vom „Beweisthema“ spricht, andererseits die Darlegung verlangt, es sei „ein formgerechter Antrag gestellt worden“), teils wird die Mitteilung auch der Begründung verlangt (so: MüKo-StPO-Trüg/Habetha, § 244 Rz. 406 [„vollständig“] und Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 8. Auflage 2013, Rz. 307 [„in vollem Wortlaut“ gerade im Falle der Nichtbescheidung]). Der Senat muss diese Rechtsfrage auch anlässlich des vorliegenden Falles nicht abschließend entscheiden. Er muss daher auch nicht zu – freilich nicht entscheidungstragenden – Rechtsauffassung des OLG Hamburg Stellung beziehen, wonach es im Falle der behaupteten Verletzung von § 244 Abs. 6 StPO der Wiedergabe des Beweisantrags überhaupt nicht bedürfe (OLG Hamburg JR 1963, 473):
Es entspricht nämlich der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass eine (inhaltlich) fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen im Fall des § 77 Abs. 2 Ziff. 1 OWiG nicht selbständig gerügt werden, sondern nur mit der Aufklärungsrüge (st. Senatsrechtsprechung, s. nur SenE v. 18.12.2013 – III-1 RBs 304/13 -; SenE v. 08.03.2016 – III-1 RBs 86/16 -; SenE v. 11.03.2016 – III-1 RBs 93/16 -; SenE v. 18.07.2017 – III-1 RBs 202/17 -; SenE v. 12.07.2018 – III-1 RBs 175/18 -; SenE v. 26.04.2019 – III-1 RBs 146/19 -; SenE v. 13.03.2020 – III-1 RBs 81/20 -). Daher gehört zur ordnungsgemäßen Ausführung der Rüge neben der Angabe der Inhalte von Beweisantrag und Ablehnungsbeschluss die Angabe der Tatsachen, welche die Fehlerhaftigkeit der Ablehnung ergeben (SenE v. 29.02.2000 – Ss 108/00 Z -; SenE v. 11.04.2000 – Ss 170/00 Z -; SenE v. 13.10.2000 – Ss 404/00 B -; SenE v. 15.02.2005 – 8 Ss-OWi 126/04 -; SenE v. 14.01.2010 – 83 Ss-OWi 100/09 -; SenE v. 24.10.2013 – III-1 RBs 290/13 -). Ferner ist mitzuteilen, welche – dem Betroffenen günstige – Tatsache die unterlassene Beweisaufnahme ergeben hätte, wobei es nicht genügt, ein günstiges Ergebnis lediglich als möglich hinzustellen (SenE v. 25.09.2002 – Ss 318/02 Z -; SenE v. 28.01.2003 – Ss 1/03 B -; SenE v. 03.08.2010 – III-1 RBs 192/10 -; SenE v. 26.04.2019 – III-1 RBs 146/19 -) und welche Umstände den Tatrichter zu einer solchen Beweiserhebung hätten drängen oder den Gebrauch des Beweismittels zumindest hätten nahe legen müssen (SenE v. 06.11.2001 – Ss 429/01 B -; SenE v. 08.02.2002 – Ss 34/02 B -; SenE v. 14.01.2010 – 83 Ss-OWi 100/09 -; SenE v. 03.08.2010 – III-1 RBs 192/10 -; s. insgesamt jüngst SenE v. 27.03.2020 – III-1 RBs 101/20).
Die Tatsachen, die das Tatgericht zu der begehrten Beweiserhebung hätten drängen müssen, ergeben sich hier – wie regelmäßig im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht – nicht bereits aus der Benennung von Beweisthema und Beweismittel. Da die Rechtsbeschwerdebegründung auch über die fehlende Antragsbegründung hinaus nicht dazu ausführt, welche Umstände den Gebrauch des Beweismittels zumindest hätte nahelegen müssen, ist der Senat nicht in die Lage versetzt zu beurteilen, ob das Urteil auf der Nichtbescheidung des Beweisantrags beruhen kann. So verhält es sich auch hinsichtlich der weiter mit dem Antrag begehrten tatrichterlichen Aufklärungsbemühungen.
2.
Die Bemessung der Rechtsfolgen im angefochtenen Urteil hält hingegen materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt ausgeführt:
„Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben sich jedoch hinsichtlich der vom Gericht bestimmten Rechtsfolge.
Zwar unterliegt hinsichtlich der Anordnung des Regelfahrgebots die Frage, ob die Voraussetzungen für ein Absehen vom Regelfahrverbot bejaht werden können, der tatrichterlichen Würdigung und der nur beschränkten Überprüfung durch das Tatgericht. Das Rechtsbeschwerdegericht darf nur insoweit eingreifen, als die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind (SenE v. 30.07.2013 [III-1 RBs 191/13] m.w.N.).
Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Begründung des angeordneten Fahrverbots sind hier aber materiell-rechtlich unvollständig. Sie lassen nicht erkennen, dass sich das Gericht mit der Frage auseinandersetzt hat, ob der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch durch eine Erhöhung der Geldbuße zu erreichen ist. Zwar ist das Gericht bei Vorliegen eines Regelfalles nach der BußgeldkatalogVO, wenn keine Tatsachen für ein Abweichen festgestellt sind, von der Verpflichtung der Begründung der grundsätzlichen Angemessenheit eines Fahrverbotes enthoben (BGH, Beschluss v. 28.11.1991 [4 StR 366/91]; OLG Hamm, Beschluss v. 30.11.1999 [2 Ss OWi 1196/99], zitiert nach juris). Der Tatrichter muss sich aber der Möglichkeit eines Absehens bewusst gewesen sein und dies in den Entscheidungsgründen grundsätzlich erkennen lassen (SenE, v. 05.07.2013 [III 1 RBs152/13]; OLG Hamm, a.a.O; KG Berlin, Beschluss v. 12.07.2016 [3 Ws (B) 342716-162 Ss 77/16]). Den Urteilsgründen muss sich daher entnehmen lassen, dass es sich der – generellen – Möglichkeit, von einem Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße absehen zu können, bewusst gewesen ist (SenE, v. 05.07.2013 [III 1 RBs152/13]; SenE v. 01.03.2019).
Daran fehlt es hier. Das Gericht stellt das verhängte Fahrverbot als zwangsläufige Folge des Geschwindigkeitsverstoßes dar.
Zwar bedarf es eines ausdrücklichen Ansprechens der Möglichkeit des Absehens von einem Fahrverbot dann nicht, wenn aus den Urteilsgründen im Übrigen eindeutig hervorgeht, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg durch die Erhöhung einer Geldbuße unzweifelhaft nicht mehr erreicht werden kann (SenE, v. 05.07.2013 [III 1 RBs152/13]; OLG Hamm, a.a.O).
Dies lässt sich den Feststellungen des vorliegenden Urteils indes nicht entnehmen. So teilt das Gericht zu den verkehrsrechtlichen Vorbelastungen – und ohne Angaben zu den verhängten Sanktionen – lediglich mit, dass der Betroffene einmal 2017 wegen Geschwindigkeitsüberschreitung in geschlossenen Ortschaften um 22 km/h und einmal 2018 wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstandes in Erscheinung getreten sei. Eine Verzichtbarkeit des Fahrverbotes kann im Hinblick auf die am untersten Grenzwert eines Regelfahrverbotes überschrittene Geschwindigkeit von 41 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften vorliegend nicht sicher ausgeschlossen werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die festgestellte Berufstätigkeit – Gastronom – des Betroffenen, die mangels weiterer Anknüpfungstatsachen im angegriffenen Urteil nicht geeignet sind, das Vorliegen eines Ausnahmefalles auszuschließen.
Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße bedurfte es damit auch der Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs insgesamt.“
Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat bei.