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Bussgeldverfahren – Anordnung von Erzwingungshaft ohne Beitreibungsversuch

Ablehnung von Erzwingungshaft ohne Beitreibungsversuch: Das bemerkenswerte Vorgehen einer Behörde

Ein faszinierender Fall um ein Bußgeldverfahren wurde am Amtsgericht Bad Saulgau unter dem Aktenzeichen 1 OWi 75/21 verhandelt. Es wurde die Forderung einer Behörde gegenüber einer Person abgelehnt, die in einer Bußgeldangelegenheit verwickelt war. Das wesentliche Thema hierbei ist der Versuch der Behörde, eine Erzwingungshaft anzuordnen, ohne vorherige Beitreibungsversuche unternommen zu haben. Ein solches Vorgehen wirft wesentliche Fragen zur korrekten Vorgehensweise in der Vollstreckung rechtskräftig festgesetzter Bußgelder auf und lenkt die Aufmerksamkeit auf die sorgfältige Prüfung solcher Fälle durch die Gerichte.

Direkt zum Urteil Az: 1 OWi 75/21 springen.

Wiederholtes Versäumnis zur ordnungsgemäßen Beitreibung

Interessanterweise hat diese Behörde bereits in der Vergangenheit durch eine merkwürdige Vorgehensweise auf sich aufmerksam gemacht. Sie hat seit Juni 2020 in insgesamt 33 Fällen Anträge auf Anordnung der Erzwingungshaft gestellt, jedoch ohne sichtbare Beitreibungsversuche gegen die jeweiligen Betroffenen. Das Gericht hat alle diese Anträge abgelehnt, da die Behörde in keinem Fall einen zufriedenstellenden Beitreibungsversuch nachweisen konnte. Darüber hinaus hat die Behörde auch nicht argumentiert, dass in diesen Fällen ausnahmsweise auf einen Beitreibungsversuch verzichtet werden könnte.

Unangemessenes Verhalten trotz wiederholter Klärungsversuche

Trotz klarer Hinweise des Gerichts in Form von formlosen Bescheiden und erläuternden Gesprächen hat die Behörde ihre Vorgehensweise nicht angepasst. Sie hat weiterhin Anträge auf Anordnung von Erzwingungshaft gestellt, ohne vorherige Beitreibungsversuche nachzuweisen oder überzeugende Argumente für das Fehlen solcher Versuche vorzubringen. Selbst im aktuellen Fall hat die Behörde so verfahren, als ob sie die Anweisungen des Gerichts ignoriert hätte.

Die endgültige Ablehnung und ihre Konsequenzen

Aufgrund dieses wiederholten und unveränderten Verhaltens hat das Gericht den Antrag der Behörde auf Anordnung von Erzwingungshaft nun endgültig mittels förmlichen Beschluss abgelehnt. Dieser Fall unterstreicht die Wichtigkeit der ordnungsgemäßen Durchführung von Beitreibungsversuchen bei der Vollstreckung von rechtskräftig festgesetzten Bußgeldern und wirft ein Schlaglicht auf das sorgfältige Prüfungsverfahren der Gerichte bei solchen Anträgen.


Das vorliegende Urteil

AG Bad Saulgau – Az.: 1 OWi 75/21 – Beschluss vom 19.04.2021

Der Antrag des … vom 29.03.2021, Aktenzeichen … auf Anordnung von Erzwingungshaft wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die oben genannte Behörde betreibt gegen die in … wohnende Betroffene die Vollstreckung wegen eines rechtskräftig festgesetzten Bußgeldes in Höhe von 100,- Euro.

Seit Juni 2020 hat die Behörde in insgesamt 33 Anträge auf Anordnung der Erzwingungshaft beim hiesigen Gericht gestellt. Das Gericht hat keinem einzigen dieser Anträge entsprochen, da die Behörde entweder keinen oder zumindest keinen aus der Akte ersichtlichen Beitreibungsversuch gegen die jeweiligen Betroffenen unternommen hat. Ebenso wenig hat die Behörde in den einzelnen Verfahren aufgezeigt, dass der Beitreibungsversuch ausnahmsweise entbehrlich sein könnte. Vielmehr wurde stets als Nachweis für die Maßnahmen des Vollstreckungsbeamten ein leeres Formular dem Antrag beigefügt und im Rahmen des Schreibens zum Amtshilfeersuchen gem. § 4 Abs. 3 LVwVfG u.a. auf folgendes ausdrücklich hingewiesen: „[…] Die Vollstreckbarkeit der Forderung wird bescheinigt. Die ersuchte Stelle wird gebeten, den Gesamtrückstand im Wege der Amtshilfe einzuziehen und unter Angabe des obigen Aktenzeichens zu überweisen. Falls Sie keinen eigenen Vollstreckungsbeamten haben, bitten wir, das Ersuchen nicht an das Amtsgericht – Gerichtsvollzieherstelle – weiterzuleiten. Vielmehr bitten wir, dass der Schuldner auf Ihre Zahlungsaufforderung nicht bezahlt, das Ersuchen an uns zurückzusenden und kurz über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse (Anschrift des Arbeitgebers) zu berichten. Sollten Sie dennoch das Ersuchen ohne unsere Zustimmung der Gerichtsvollzieherstelle zuleiten, müssten wir es ablehnen, die Kosten des Gerichtsvollziehers zu tragen […].“

Das Gericht hat die Anträge der Behörde bisher stets formlos beschieden und der Behörde auf jeden einzelnen Antrag in einem zweiseitigen Schreiben mitgeteilt, welche genauen Anforderungen das Gericht für die Anordnung der Erzwingungshaft oder das ausnahmsweise Absehen von dem Beitreibungsversuch stellt. Zudem wurden diese Anforderungen auch in drei Telefongesprächen mit den Mitarbeitern der Behörde erläutert. Dennoch hat die Behörde bis heute keinen Änderungsbedarf an ihrer bisherigen Praxis gesehen.

Im Gegenteil: Auch im Rahmen des vorliegenden Antrages von der Behörde wurde wie oben beschrieben verfahren.

II.

Der Antrag war daher nunmehr mittels förmlichen Beschluss abzulehnen. Die Anordnung von Erzwingungshaft gem. § 96 Abs. 1 OWiG ist unverhältnismäßig. Es fehlt hierbei bereits an der Erforderlichkeit der Anordnung der Erzwingungshaft.

Dass die Anordnung der Erzwingungshaft verhältnismäßig und insbesondere auch erforderlich sein muss, ist zwar im § 96 Abs. 1 OWiG nicht ausdrücklich als Voraussetzung für die Anordnung der Erzwingungshaft genannt. Allerdings resultiert dies aus dem dem Gericht durch § 96 Abs. 1 OWiG eingeräumten Ermessen („kann“). Erforderlich ist ein Mittel aber nur dann, wenn kein anderes gleich geeignetes, aber weniger belastendes Mittel zur Verfügung steht (vgl. Voßkuhle, JuS 2007, 429, beckonline). Dies bedeutet für die Anordnung der Erzwingungshaft, dass im Regelfall zur Beitreibung der Geldbuße zuvor mindestens ein Beitreibungsversuch tatsächlich von der Behörde zu unternehmen ist und nur ausnahmsweise hiervon abgesehen werden kann (KKOWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, § 96 Rn. 16; Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl. 2020, § 96 Rn. 17 Rn. 17; BerlVerfGH NStZ-RR 2001, 211; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2016, 184; OLG Karlsruhe NZV 2017, 38, 39; AG Lüdinghausen NZV 2008, 418, 419; 2005, 600, 601; Sandherr NZV 2017, 39, 40). Für den Vorrang eines Beitreibungsversuchs spricht bereits, dass es sich bei der Vollstreckung der Erzwingungshaft um einen schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) handelt und schon aus diesem Grund nur letztes Mittel sein darf. Des Weiteren sprechen aber auch verfahrensökonomische Gesichtspunkte für einen solchen Vorrang: Die Vollstreckung wird nämlich dann zunächst von den für ebendiese Aufgabe geschulten und im Gesetz vorgesehenen Organen (Vollstreckungsbeamten und Gerichtsvollziehern) durchgeführt. In der Gesamtschau dürfte die Beitreibung unter Einschaltung eines Vollstreckungsorgans auch kostengünstiger sein, da die Vollstreckung der Erzwingungshaft deutlich mehr staatliches Personal (etwa Polizeibeamte, Beamte der Staatsanwaltschaft und der Vollzugsanstalt) in Anspruch nimmt. Weiter können im Rahmen der Beitreibung durch das Vollstreckungsorgan auch die Kosten des Verfahrens eingetrieben werden, was im Rahmen der Erzwingungshaft nur eingeschränkt möglich ist. Der Betroffene kann gem. § 97 Abs. 2 OWiG nämlich die Vollstreckung der Erzwingungshaft jederzeit dadurch abwenden bzw. das Gericht muss die angeordnete Erzwingungshaft sofort aufheben (KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, § 96 Rn. 37), wenn er den zu zahlenden Betrag (nur) der Geldbuße entrichtet hat.

Vorliegend war der Antrag auf Anordnung der Erzwingungshaft abzulehnen, denn es fehlt bereits an einem zumindest aus der Akte ersichtlichen Beitreibungsversuch der Behörde.

 

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