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Bußgeldverfahren – Absehen von einem Fahrverbot – Gründe

AG Castrop-Rauxel, Az.: 6 OWi – 265 Js 2202/15 – 200/15, Urteil vom 22.01.2016

Die Betroffene wird wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstands zu einer Geldbuße von 160,00 EUR verurteilt. Der Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft. Die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen trägt die Betroffene (§§ 4 Abs. 1, 49 StVO, 24, 25 StVG, 12.6.3 BKat, 4 Abs. 1 BKatV).

Gründe

I.

Die Betroffene ist von Beruf Personalreferentin in M.. Sie verfügt nach eigenen Angaben über ein Nettoeinkommen von ca. 2.500,00 EUR und hat keine Unterhaltsverpflichtungen. Die Betroffene ist bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten.

II.

Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts folgender Sachverhalt fest:

Die Betroffene befuhr am 10.04.2015 Uhr in Castrop-Rauxel mit dem PKW Marke Seat, Kennzeichen ….. gegen 15:52 Uhr die Bundesautobahn 42, km 53,899 in Fahrtrichtung Dortmund. In Höhe des Autobahnkilometers 53,899 hielt die Betroffene bei einer Geschwindigkeit von 115 km/h (119 km/h ohne Toleranzen) den erforderlichen Sicherheitsabstand in Höhe von 57,50 m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht ein. Ihr Abstand betrug 15,7 m. Nach Abzug der Fahrzeuglänge in Höhe von 2,4 m ergibt sich ein Messwert von 13,3 m. Nach der Berücksichtigung von Toleranzen ergab die Messung einen vorwerfbaren Wert in Höhe von 14 m und damit weniger als 3/10 des halben Tachowertes. Bei Beachtung der erforderlichen und ihm auch zumutbaren Sorgfalt hätte die Betroffene anhand der Länge der Fahrtstrecke mit ähnlich geringem Abstand auch schon vor Eintritt in den Messbereich der Autobahnpolizei am Tatort erkennen können und müssen, dass sie den erforderlichen Sicherheitsabstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug erheblich unterschritt. Die Messung wurde durchgeführt mit dem Abstandsmesssystem VIDIT VKS 3.0, Softwareversion 3.2 3D (sog. „Select-System“), welches zum Tatzeitpunkt gültig geeicht war und vom insoweit geschulten Messbeamten C ordnungsgemäß eingerichtet und bedient wurde.

III.

Dies ergibt sich aus den zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Beweismitteln.

1. Die Betroffene, beraten durch ihren Verteidiger, zog es vor, sich schweigend zu verteidigen. Der Verteidiger präsentierte lediglich im Hauptverhandlungstermin die anwesende Zeugin T, welche aussagen und vom Gericht in Augenschein genommen werden sollte. Der Verteidiger wies noch im Hinblick auf das drohende Fahrverbot darauf hin, dass die Betroffene in M. arbeite. Auf Nachfrage des Gerichts, was aus dieser Tatsache folge, erläuterte der Verteidiger, dass es vom Wohnort der Betroffenen in C. nicht möglich sei, mit öffentlichem Personennahverkehr nach M. zu gelangen, es sei denn, man übernachte in M.

2. Die Tätereigenschaft des Betroffenen ergibt sich aus den in Augenschein genommenen Messfoto Bl. 13 und Bl. 57 d.A. (unten rechts und unten links) sowie der Inaugenscheinnahme der Betroffenen und der Zeugin T durch das erkennende Gericht in der in der Hauptverhandlung selbst. Auf die Messfotos Bl. 13 und Bl. 57 d.A. wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO ausdrücklich verwiesen. Ebenfalls in Augenschein genommen wurde das auf der CD-Rom Bl. 45 d.A. enthaltene Digitalfoto 2150410_10033_03.jpg. Bei dieser Datei handelt es sich um die Original-Datei zu den Foto-Ausdrucken Bl. 13 und Bl. 57 d.A.. Auf dieses Digitalfoto wird ebenfalls gem. § 267 Abs. 1 S.3 StPO ausdrücklich verwiesen (vgl. insoweit zur Zulässigkeit OLG Dresden, Beschluss v. 25.05.2009, Ss (OWi) 83/09 = BeckRS 2009, 28022). Dieses Digitalfoto <konnten> haben die Betroffene und auch die Verteidigung eingesehen.

Schon die auf Papier ausgedruckten Lichtbilder, insbesondere das Lichtbild Bl. 57 d.A. sind von mittelhoher bis guter Qualität. Das Bild ist kontrastreich, scharf und zeigt die Fahrerin des Fahrzeugs aus der Vorderansicht. Die Fahrerin präsentiert ihr Gesicht frontal, ohne dass der Kopf abgewandt wird.

Noch besser ist die digitale Version des Fotos. Diese ist noch ein wenig schärfer und ermöglicht sogar bis zu einem gewissen Grad ein Heranzoomen, ohne dass die Details völlig verschwimmen. Das Gericht verkennt nicht, dass die Fahrerin des Fahrzeugs auf dem Lichtbild eine relativ großflächige Sonnenbrille trägt, welche die Augen und die Augenbrauen verdeckt. Allerdings lassen die Lichtbilder, insbesondere aber die digitale Fotografie markante Merkmale der Fahrerin erkennen. So ist erkennbar, dass die Nase der Fahrerin nicht gerade nach unten verläuft, sondern vom Betrachter aus gesehen nach links unten, und das bei einer deutlich ausgeprägten Nasenspitze. Die Fahrerin auf den Messfotos hat ein halbrundes, ganz leicht nach unten auslaufendes Gesicht und ein rundes, kein spitzes Kinn. Ferner ist bei der Fahrerin der gesamte Bereich von Wangen- und Kinnform eher halbrund ausgeprägt. Auf den Lichtbildern in der Akte, insbesondere aber auf der Digitalversion des Fotos ist eine im Vergleich zur Oberlippe eher wulstige, d.h. deutlich ausgeprägtere Unterlippe erkennbar. Ferner ist das rechte Ohr der Fahrerin, insbesondere aber das Ohrläppchen erkennbar. Das Ohrläppchen der Fahrerin ist deutlich ausgeprägt, was auf ein verhältnismäßig großes Ohrläppchen schließen lässt. Ferner lassen die Lichtbilder einen runden Haaransatz, verlaufend über die relativ hoch ausgeprägte Stirn erkennen.

Alle diese Merkmale konnte das Gericht auch bei der in Augenschein genommenen Betroffenen wiederfinden. Besonders markant waren insoweit die nicht gerade, sondern (vom Betrachter aus) nach links unten verlaufende Nase mit der deutlich ausgeprägten Nasenspitze, die im Vergleich zur Oberlippe deutlich, d.h. ein wenig wulstig ausgeprägte Unterlippe und auch die gesamte Wangen- und untere Gesichtsform. Die Betroffen verfügt – genau wie die Fahrerin auf den Messfotos – über ein nach unten eher halbrund verlaufendes Gesicht mit einen runden, nicht spitzen Kinn. Ebenfalls deutlich erkennbar waren bei der Betroffenen die im Verhältnis zum Ohr eher groß ausgeprägten Ohrläppchen, welche auf den Messfotos, insbesondere der Digitalversion, am rechten Ohr auch bei der Fahrerin gut zu erkennen waren. Die Betroffene verfügt – wie die Fahrerin auf dem Messfoto – ebenfalls über einen runden Haaransatz und eine relativ hoch ausgeprägte Stirn.

Volle Überzeugung von der Fahrereigenschaft der Betroffenen hat das Gericht auch deswegen, weil die von der Verteidigung ausdrücklich gewünschte Inaugenscheinnahme der Zeugin T den obigen Feststellungen nicht entgegensteht, sondern diese im Gegenteil geradezu untermauert.

Die Zeugin T, die Schwester der Betroffenen, hat sich nach Belehrung dafür entschieden, von ihrem Verweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Auf ausdrücklichen Wunsch der Verteidigung wurde die Zeugin, womit sie auch einverstanden war, in Augenschein genommen.

Das Gericht verkennt nicht, dass zwischen der Zeugin und der Betroffenen, ihrer Schwester, eine gewisse Ähnlichkeit besteht. Diese kann natürlich auch anhand der Merkmale der in Augenschein genommenen Lichtbilder teilweise nachvollzogen werden. So verfügt die Zeugin ebenfalls über einen runden Haaransatz und eine relativ ausgeprägte Stirn. Ferner sind bei ihr verhältnismäßig große Ohrläppchen vorhanden. Dann bestehen aber auch markante Unterschiede zu der Fahrerin auf den Messfotos, die hier den Ausschlag geben, weil es sich um unveränderliche Merkmale handelt. Die Zeugin verfügt über eine im Gegensatz zur Fahrerin gerade nach unten verlaufende Nase, von einer nach links verlaufenden Nase bzw. Nasenspitze war bei der Zeugin nichts erkennbar. Ferner waren bei der Zeugin die Ober- und Unterlippe annähern gleich stark ausgeprägt, anders als bei der Fahrerin auf dem Messfoto. Darüber hinaus verfügte die Zeugin über ein spitzeres Gesicht als die Fahrerin, insbesondere von der Wange abwärts nach unten verlaufend. Die Zeugin T hat ferner ein eher spitz nach unten verlaufendes Kinn, anders als die Fahrerin auf dem Messfoto. Hier bestehen also deutliche Abweichungen im Verhältnis zur Fahrerin auf dem Messfoto, so dass das Gericht davon überzeugt ist, dass die Zeugin T nicht die Fahrerin des Fahrzeugs am Tattag war. Da bei der Betroffenen allerdings alle erkennbaren Merkmale der Messfotos vorhanden waren und auch nicht behauptet wurde, dass noch eine weitere Person als die Zeugin T als Fahrerin in Betracht kommt, konnte sich das Gericht die volle Überzeugung von der Fahrereigenschaft der Betroffenen bilden. Soweit die Verteidigung in der Hauptverhandlung sich wörtlich dazu herabließ, dem Gericht vorzuwerfen, es entspringe dessen „Fantasie“, dass auf dem Messfoto die geschilderten Merkmale erkennbar seien, teilt das Gericht diese Ansicht nicht.

Der Beweisantrag der Verteidigung (Anlage III zum Hauptverhandlungsprotokoll) war nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abzulehnen, weil die Beweiserhebung nach pflichtgemäßem Ermessen zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich war. Denn die Sachverhalt ist zur Überzeugung des Gerichts nach der bisherigen Beweisaufnahme geklärt, ohne dass sich die weitere Beweiserhebung aufdrängt oder naheliegt. Es ist nicht behauptet, dass eine weitere Zeugin der Betroffenen „wie ein Ei dem anderen“ ähnele oder Ähnliches. Es wurde lediglich beantragt, den Sachverständigen Dr. Y zu laden um festzustellen, dass der Kopf der Betroffenen nicht zum Foto bzw. den Abbildungen passe, welche ihn Augenschein genommen wurden. Insoweit drängt sich die Beweisaufnahme aber nicht auf, weil das Messfoto von mittelhoher bis guter Qualität ist (noch besser sogar in der in Augenschein genommenen digitalen Version) und das Gericht hier bereits feststellen konnte, dass ausreichend Merkmale auf den Messfotos vorhanden sind und diese auch auf die der in der Hauptverhandlung anwesende Betroffene und die Zeugin überprüfen konnte.

3. Die Abstandsmessung selbst ist ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Abstandsmessung wurde durch den Zeugen C mittels des Verkehrskontrollsystems des Herstellers VIDT VKS 3.0, Auswerteprogramm Version 3.2 3D, sogenanntes „SELECT-System“ durchgeführt. Die Abstandsmessung mit dem Verfahren VKS 3.0 ist ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne von BGHSt 39,291 = NJW 1993, 3081 (vergleiche dazu OLG Dresden, VRR 2005, 315; ). Unter diesem Begriff ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH NJW 1998, 321). Diese Voraussetzungen liegen vor. Das System ermöglicht es, aus einer Videoaufzeichnung Geschwindigkeiten von Fahrzeugen und deren Abstände zu vorausfahrenden Fahrzeugen zu bestimmen. Das Tatvideo wird mit Hilfe eines Computerprogrammes ausgewertet. Die Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen werden im Tatvideo mit einer Messlinie durchgeführt, bei welcher es sich um eine in das Videobild gerechnete, quer zur Fahrbahn gelegte Linie handelt. Aus dem Charakter des standardisierten Messverfahren folgt, dass der Tatrichter grundsätzlich neben dem angewendeten Messverfahren VKS 3.0 nur die gemessene Geschwindigkeit nebst Toleranzabzug sowie den ermittelten vorwerfbaren Abstandswert feststellen muss. Ausführungen zur Beachtung der Verfahrensbestimmung muss der Tatrichter erst dann machen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese nicht eingehalten worden sind oder Messfehler von dem Betroffenen oder einem anderen Verfahrensbeteiligten behauptet werden (vergleiche BGH NJW 1993, 3081). Generelle Sicherheitsabschläge von dem festgestellten Abstandswert sind bei Anwendung des Messverfahrens VKS 3.0 nicht veranlasst. Der vom System vorgenommene Toleranzabzug von der gemessenen Geschwindigkeit, die Zugrundelegung des jeweils für den Betroffenen günstigsten Wertes der Messlinie und der so ermittelten Abstände sowie die Außerachtlassung der Fahrzeugüberhänge sind ausreichend, um alle möglichen Betriebsfehlerquellen auszugleichen (OLG Dresden, DAR 2005, 637). Durch Inaugenscheinnahme der Videoprints in der Hauptverhandlung (Anlage IV zum Protokoll), die gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO ausdrücklich in Bezug genommen wird und auf denen die Messlinien klar sichtbar waren sowie und der Verlesung des Datenfeldes aus dem Messprotokoll der Videoprints konnten die vom System ermittelten Messdaten wie folgt festgestellt werden:

Ermittelte Geschwindigkeit: 119 km/h

Vorwerfbare Geschwindigkeit nach Toleranzabzug: 115 km/h

Gemessener Abstandswert: 15,7

Abzug Fahrzeuglänge: 2,4 m

Ermittelter Abstand: 13,3 m

Vorwerfbarer Abstand nach Toleranzabzug: 14 m

Der Zeuge C bestätigte diese Messwerte im Termin zur mündlichen Verhandlung. Der ordnungsgemäße Einsatz des Gerätes nach den Herstellerangaben konnte durch den Zeugen C bekundet werden. Er hat bestätigt, das ebenfalls seinem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegebenen Messprotokoll (Bl. 8 d.A.) vom Tattage gefertigt und unterschrieben zu haben. Das Messprotokoll ergibt eine ordnungsgemäße, entsprechend der Bedienungsanleitung vorgenommene Einrichtung des Messgerätes. Der Zeuge ist dem Gericht aus zahlreichen Verfahren als zuverlässiger Polizeibeamter bekannt. Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage des Zeugen hat das Gericht nicht.

In der Hauptverhandlung wurde zudem die vom Zeugen C mitgebrachte Teilnahmebescheinigung über seine Schulung zur Bedienung des Messgerätes und der Eichschein des Gerätes (Bl. 9-12 d.A.) bekanntgegeben. Der Eichschein Bl. 11 und 12 d.A. ergibt eine Eichung vom 06.10.2014, die bis zum 31.12.2015 gültig ist. Ausweislich des in der Hauptverhandlung seinem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegebenen Schulungsnachweises (Bl. 6 d.A.) wurde der Zeuge C zuletzt im Februar 2014 im Vidit Abstandsmesssystem geschult. Darüber hinaus ist dem Gericht auch aus zahlreichen Verfahren mit dem Zeugen C bekannt, dass dieser in der Einrichtung und Bedienung des Messgerätes geschult ist.

In der Hauptverhandlung wurde zudem das Messvideo, die auf der CD-Rom Bl. 45 d.A. enthaltene Datei 2150410_10033.wmv, vom Gericht, der Betroffenen und dem Verteidiger und dem Zeugen C in Augenschein genommen. Auf dem Messvideo ist die Autobahn 42 mit der entsprechenden Messstelle etwa 400 m einsehbar. Auf dem Video ist ab Uhrzeit 15:51:56 deutlich erkennbar, dass sich das Fahrzeug des Betroffenen mit gleichbleibendem Abstand hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug auf der linken der beiden Autobahnspuren befand, und zwar über den gesamten einsehbaren Autobahnabschnitt. Ein Einscheren eines anderen Fahrzeuges unmittelbar vor der Betroffenen ist nicht erkennbar. Das gilt mit Ausnahme der Zeit ab 15:52:00. Zu diesem Zeitpunkt zieht ein roter Kastenwagen von der rechten auf die linke Spur, um den vor ihm fahrenden LKW zu überholen. Allerdings findet dieses Einscheren nicht unmittelbar vor dem Fahrzeug der Betroffenen, sondern vor dem vor der Betroffenen fahrenden Fahrzeug statt. Zum anderen beträgt der Abstand zwischen dem Kastenwagen und dem vor der Betroffenen fahrenden Fahrzeug etwa 75 m, was sich aus den am Fahrbahnrand erkennbaren Grenzpfosten ergibt. Ein Grenzpfosten befindet sich neben dem LKW, den der Kastenwagen überholt. Dann folgt ein weiterer Grenzpfosten, schwach erkennbar im beginnenden Knick der Leitplanke hinter dem LKW. Das vor der Betroffenen fahrende Fahrzeug befindet sich kurz vor dem nächsten Grenzpfosten, was auf etwa 75 m Abstand zwischen dem Kastenwagen und dem vor der Betroffenen fahrenden Fahrzeug schließen lässt. Allerdings ist gerade nicht zu erkennen, dass das vor der Betroffenen fahrende Fahrzeug ein Bremsmanöver vornimmt oder Ähnliches, denn das vor der Betroffenen fahrende Fahrzeug wird gerade nicht langsamer, sondern fährt mit gleicher Geschwindigkeit durch. Ab Uhrzeit 15:52:00 fährt das vor der Betroffenen fahrende Fahrzeug ein kleines Stück Richtung rechte Fahrspur, ohne jedoch die linke Fahrspur zu verlassen. Bis zum Zeitpunkt 15:52:04 hat das vor der Betroffenen fahrende Fahrzeug die rechte Spur allerdings wieder vollständig erreicht. Während dieser vier Sekunden nähert sich aber das Fahrzeug der Betroffenen allerdings noch dem vor ihr fahrenden Fahrzeug, der Abstand wird kleiner, augenscheinlich erkennbar bei 15:52:04 und den nachfolgenden Sekunden. Entgegen der Ansicht der Verteidigers, der während der Inaugenscheinnahme des Videos meinte, die Betroffene sei von dem hinter ihr fahrenden Fahrzeug gedrängt worden, vermochte das Gericht ein solches Drängen des Fahrzeugs hinter der Betroffenen nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Ab 15:52:00 Uhr bis zum Zeitpunkt 15:52:06 wird der Abstand zwischen dem Fahrzeug der Betroffenen und dem hinter ihr fahrenden Fahrzeug sogar noch größer, um sich dann ab 15:52:06 zu stabilisieren. Damit ist die Behauptung des Verteidigers, das Fahrzeug hinter der Betroffenen habe diese gedrängt, nicht bestätigt worden. Ein Verlangsamen des vor dem Betroffenen fahrenden Fahrzeuges erfolgte gerade nicht. Auf die Videosequenz, die Datei 2150410_10033.wmv wird (insoweit zulässig, vgl. OLG Dresden, Beschluss v. 25.05.2009, Ss (Owi) 83/09) insbesondere ab dem Zeitpunkt 15:51:56 bis 15:52:10 gemäß § 267 Abs. 1 S.3 StPO ausdrücklich verwiesen.

IV.

Danach hat sich die Betroffene einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 4 I, 49 StVO, 24 StVG, 12.6.3 BKat. schuldig gemacht. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist das Gericht von fahrlässiger Begehung ausgegangen. Der Betroffene hätte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Unterschreitung des Sicherheitsabstands erkennen können und müssen.

Rechtliche Bedenken gegen die Verwertung der hier durchgeführten Messung bestehen nicht. Die durchgehende Videoaufzeichnung findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO. Es handelte sich nämlich dabei um eine zulässige Observationsmaßnahme. Soweit das Select-System mittels digitaler Videotechnik nur Fahreraufnahmen/Fahrzeugfrontkurzaufnahmen nach vorheriger Feststellung eines Unterschreitens des erforderlichen Sicherheitsabstands fertigt, ist zumindest § 100 h StPO Ermächtigungsgrundlage hierfür (OLG Hamm NJW-Spezial 2010, 107). Die Heranziehung des § 100 h StPO als Ermächtigungsgrundlage für derartige Messungen ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, 2 BvR 1447/10 vom 12.8.2010). Diese der Täteridentifizierung dienenden Bilder/Prints sind auch verwertbar. Das seit dem 1.1.2009 von der Polizei genutzte Select-System erkennt Abstandsverstöße nämlich selbstständig und schaltet erst dann eine Täteridentifizierungskamera an – diese fertigt automatisiert 8 Videostandbilder (also fotogleiche Abbildungen). Eine Daueraufnahme aller Fahrzeugführer findet also nicht statt.

Im Übrigen hat die Verteidigung der Verwertung des Messvideos auch nicht widersprochen.

V.

Die einschlägige Tatbestandsnummer 104608 sieht nach dem Bußgeldkatalog im Regelverstoß eine Geldbuße von 160,00 € und die Anordnung eines einmonatigen Fahrverbots vor (§ 4 Abs. 1 S.1 Nr. 2 BkatV). Angesichts der Tatsache, dass die Betroffene hier keine Voreintragungen im Verkehrszentralregister aufwies und ihr lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf zur Last fällt, war von der Regelbuße auszugehen. Da die Betroffene über 2.500,00 EUR netto monatlich verfügt, ist die Geldbuße in Höhe von 160,00 EUR der Höhe nach angemessen.

Die Erfüllung des § 4 Abs.1 S. 1 Nr.4 BKatV in Verbindung mit 12.6.3 BKat indiziert das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung des Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 S.1 StVG, sodass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf. Gründe zum Absehen vom Fahrverbot sind durch den Verteidiger zwar vorgetragen, greifen aber in der Sache nicht durch. Die Voraussetzungen des § 4 Abs.4 BKatV liegen im Ergebnis nicht vor. So hat der Verteidiger zwar vorgetragen, dass die Betroffene in C. wohne und in M. arbeite und dass man mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht nach M. gelange, es sei denn, man übernachte in M.. Das ist allerdings derart unkonkret, dass das Gericht dies schlicht nicht zu prüfen vermag. Es ist nicht erkennbar, wie die Arbeitszeiten der Betroffenen liegen, wo genau in M. sie arbeitet und wie überhaupt die Anbindung des öffentlichen Personennahverkehrs an die Arbeitsstelle generell ausgestaltet ist. Auch die Aussage, man müsse in M. übernachten, wenn man von C. mit dem öffentlichen Personennahverkehr dorthin wolle, ist derart unkonkret, dass das Gericht mangels weiterer Angaben des Verteidigers hierzu schlicht nichts nachprüfen kann und auch nicht muss. Denn die Bußgeldkatalogverordnung geht von einem Regelfahrverbot aus, Gründe zum Absehen vom Fahrverbot müssen sich entweder aus der Akte erkennbar ergeben oder vom Betroffenen so konkret vorgebracht werden, dass das Gericht die Fakten prüfen kann. Beides ist hier nicht der Fall, ein Beweisantrag der Verteidigung wurde insoweit auch nicht gestellt.

Auch die Tatsache, dass die Betroffene bislang keine Voreintragungen hat, führt nicht dazu, dass hier vom Fahrverbot abgesehen werden konnte. Denn die Bußgeldkatalogverordnung geht im Regelfall gerade davon aus, dass der Betroffene keine Voreintragungen hat (OLG Hamm Beschluss v. 29.10.2002, 2 Ss OWi 789/02 = NZV 2003, 103). Insofern greift das Vorbringen der Verteidigung hier im Ergebnis nicht durch.

Gemäß §25 Abs. 2a StVG war mit dem einmonatigen Fahrverbot zugleich die sogenannte 4 – Monats – Frist anzuordnen.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 465 Abs. 1 StPO.

Tatbestandnummer: 104608

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