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Bindung an Bußgeldurteil bei Entscheidung über Fahrerlaubnisentziehung

Fahreignungsfrage nach Bußgeldurteil bindend für Behörde

Im vorliegenden Fall des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt (Az.: 3 M 56/23) geht es um die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an ein Bußgeldurteil, das entscheidet, dass die nachgewiesene Metamphetamin-Konzentration im Blut des Antragstellers aus der medikamentösen Behandlung seiner ADHS resultiert und nicht aus dem Konsum harter Drogen, was die Entscheidung über eine Fahrerlaubnisentziehung beeinflusst. Die Fahrerlaubnisbehörde darf in ihrem Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis keine vom Gericht abweichende Sachverhaltsfeststellung treffen, insbesondere kann sie die Beweise nicht zuungunsten des Betroffenen anders würdigen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 M 56/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt bestätigt die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an die Sachverhaltsfeststellung eines Bußgeldurteils, das den Konsum von Metamphetamin aus medizinischen Gründen anerkennt und somit die Fahrerlaubnisentziehung beeinflusst.
  • Bußgeldentscheidungen haben Bindungswirkung für die Fahrerlaubnisbehörde hinsichtlich der Feststellung des Sachverhalts und der Schuldfrage, nicht jedoch bezüglich der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen.
  • Das Gericht legt dar, dass die Zielsetzung der gesetzlichen Vorgaben die Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen zwischen Strafgerichten und Fahrerlaubnisbehörden ist, um eine einheitliche Bewertung des Sachverhalts zu gewährleisten.
  • Das Verwaltungsgericht ist zu Recht von einer Bindungswirkung des Amtsgerichtsurteils ausgegangen, und die Beschwerde der Antragsgegnerin wurde zurückgewiesen.
  • Neue Tatsachen oder Beweismittel, die nach der gerichtlichen Entscheidung auftreten, ändern nicht die Bindung an die festgestellten Sachverhalte, es sei denn, sie würden die Entscheidung zu Gunsten des Betroffenen beeinflussen.
  • Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der richterlichen Beurteilung des Sachverhalts in Bußgeldverfahren für die anschließenden verwaltungsrechtlichen Entscheidungen über die Fahrerlaubnis.

Fahrerlaubnisbehörde und Gerichte auf einer Linie

Bei Verstößen gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften können sowohl Gerichte in Bußgeld- oder Strafverfahren als auch Fahrerlaubnisbehörden Entscheidungen treffen. Um widersprüchliche Bewertungen desselben Sachverhalts zu vermeiden, sind die Behörden in gewissem Umfang an die richterlichen Feststellungen gebunden.

Diese Bindungswirkung hat zur Folge, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung über eine mögliche Fahrerlaubnisentziehung den zugrunde liegenden Sachverhalt nicht anders bewerten darf als das Gericht. Insbesondere darf sie Beweise nicht abweichend würdigen. Die Frage nach der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bleibt hingegen der behördlichen Prüfung vorbehalten.

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➜ Der Fall im Detail


Hintergrund des Falls

Ein Autofahrer wurde einer Verkehrskontrolle unterzogen, bei der festgestellt wurde, dass er unter dem Einfluss von Amphetaminen und Metamphetamin stand. Daraufhin wurde gegen ihn ein Bußgeldverfahren eingeleitet, in dem er angab, die Substanzen aufgrund der Einnahme eines ADHS-Medikaments im Blut gehabt zu haben.

Führerscheinentzug trotz ADHS-Medikament
(Symbolfoto: Stock Studio 4477 /Shutterstock.com)

Das Amtsgericht sprach ihn frei und stellte fest, dass die festgestellten Konzentrationen mit der Medikamenteneinnahme vereinbar seien. Es nahm an, dass der Betroffene das Medikament bestimmungsgemäß eingenommen hatte und die Fahrfähigkeit durch seine Ärztin bestätigt worden war.

Streitpunkt und rechtliche Herausforderung

Die Fahrerlaubnisbehörde wollte die Fahrerlaubnis des Betroffenen dennoch entziehen, da sie annahm, dass er zusätzlich zu seinem Medikament harte Drogen konsumiert hatte. Die Behörde argumentierte, dass sie neue Beweise habe, die das Amtsgericht nicht berücksichtigt habe, und dass sie die Frage der Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen unabhängig vom Gericht prüfen müsse.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was bedeutet die Bindungswirkung eines Bußgeldurteils für die Fahrerlaubnisbehörde?

Die Bindungswirkung eines Bußgeldurteils für die Fahrerlaubnisbehörde ist in § 3 Abs. 3 und 4 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) geregelt. Demnach darf die Fahrerlaubnisbehörde einen Sachverhalt, der bereits Gegenstand eines rechtskräftigen Bußgeldurteils war, nicht erneut verfolgen oder anders bewerten als im Urteil geschehen.

Diese Bindungswirkung gilt jedoch nur, wenn das Bußgeldurteil tatsächlich eine Bewertung der Fahreignung enthält. Wurde lediglich eine Geldbuße oder ein Fahrverbot verhängt, ohne dass die Fahreignung explizit geprüft wurde, ist die Fahrerlaubnisbehörde nicht an diese Entscheidung gebunden. Sie kann dann in einem separaten Verfahren die Fahreignung überprüfen und gegebenenfalls die Fahrerlaubnis entziehen.

Enthält das Bußgeldurteil hingegen eine ausdrückliche Bewertung der Fahreignung, ist die Fahrerlaubnisbehörde daran gebunden und darf nicht zu Ungunsten des Betroffenen davon abweichen. Dies soll widersprüchliche Entscheidungen vermeiden. Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn neue Tatsachen bekannt werden, die im Bußgeldverfahren nicht berücksichtigt wurden.

Zusammengefasst ist die Fahrerlaubnisbehörde nur dann an ein Bußgeldurteil gebunden, wenn darin die Fahreignung ausdrücklich festgestellt und bewertet wurde. Andernfalls kann sie die Fahreignung in einem separaten Verfahren überprüfen.

Wie wird zwischen Medikamenteneinnahme und Drogenkonsum unterschieden?

Bei der Unterscheidung zwischen Medikamenteneinnahme und Drogenkonsum im Straßenverkehr sind mehrere Aspekte relevant:

Zunächst wird bei Verkehrskontrollen oder nach Unfällen durch geschulte Polizeibeamte und mit Hilfe von Drogenschnelltests geprüft, ob Hinweise auf eine Drogenbeeinflussung vorliegen. Diese Tests geben eine erste Orientierung, sind aber nicht beweiskräftig.

Für den sicheren forensischen Nachweis ist eine qualitative und quantitative Bestimmung der Substanzen im Blut erforderlich. Dabei wird untersucht, ob Wirkstoffe illegaler Drogen oder deren Abbauprodukte (Metaboliten) nachweisbar sind.

Liegt ein ärztliches Rezept für ein Medikament mit psychoaktiver Wirkung vor, kann dies als Nachweis dienen, dass die Substanz legal eingenommen wurde. Cannabispatienten wird empfohlen, eine Kopie des Betäubungsmittelrezepts mitzuführen.

Allerdings bedeutet ein Rezept nicht automatisch Fahrtüchtigkeit. Auch legal eingenommene Medikamente können die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen. Patienten müssen selbst einschätzen, ob sie fahrtüchtig sind.

Für illegale Drogen wie Cannabis gibt es analog zur Promillegrenze beim Alkohol Grenzwerte, ab denen eine Teilnahme am Straßenverkehr strafbar ist (z.B. 1 ng THC pro ml Blut). Bei harten Drogen führt jeder Nachweis zum Führerscheinentzug.

Gerichte bewerten im Einzelfall, ob die festgestellte Substanz aus legaler Medikation oder illegalem Drogenkonsum stammt. Dabei werden ärztliche Atteste, aber auch mögliche Ausfallerscheinungen und die gesamten Umstände gewürdigt.

Zusammengefasst erfolgt die Unterscheidung durch eine Kombination aus Drogentests, Blutuntersuchungen, ärztlichen Attesten und einer Gesamtwürdigung der Umstände. Letztlich liegt die Bewertung bei den Gerichten, die im Zweifel eher von illegalem Konsum ausgehen.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 StVG: Regelt, dass die Fahrerlaubnisbehörde an die Sachverhaltsfeststellungen und Schuldfrage eines Gerichtsurteils gebunden ist, wenn es um die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis geht. Dies dient der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen zwischen Gerichten und Behörden hinsichtlich der Fahreignung.
  • § 24 und § 24a StVG in Verbindung mit § 25 StVG: Diese Paragraphen regeln die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr, insbesondere den Umgang mit berauschenden Mitteln beim Führen eines Fahrzeugs. Sie sind relevant für die Beurteilung, ob ein Verhalten, das zu einem Bußgeld führt, Auswirkungen auf die Fahreignung haben kann.
  • § 46 Abs. 3 FeV: Legt fest, unter welchen Voraussetzungen die Fahrerlaubnisbehörde die Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers überprüfen darf. Dies ist insbesondere wichtig, um zu verstehen, wie Behörden mit Informationen aus Bußgeldverfahren umgehen müssen, die die Fahreignung betreffen.
  • § 359 Nr. 5 StPO: Ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu Gunsten des Verurteilten. Dies ist relevant, um zu verstehen, wie neue Beweismittel oder Tatsachen, die nach einem Urteil auftreten, das Verfahren beeinflussen können.
  • § 154 Abs. 2 VwGO: Regelt die Kostenentscheidung in verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Im Kontext des analysierten Textes ist dieser Paragraph relevant für die Frage, wer die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat.
  • § 152 Abs. 1 VwGO und §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG: Diese Vorschriften regeln die Unanfechtbarkeit von Beschlüssen sowie die Streitwertfestsetzung in verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Sie sind relevant für das Verständnis des Verfahrensabschlusses und der finanziellen Bewertung des Streitgegenstands.


Das vorliegende Urteil

Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 3 M 56/23 – Beschluss vom 21.08.2023

Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Der Einwand der Antragsgegnerin, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer Bindungswirkung des Urteils des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 13. September 2022 ausgegangen, greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Antragsgegnerin aufgrund der Entscheidung des Amtsgerichts davon auszugehen hatte, dass der Antragsteller (ggf. zusätzlich zum amphetaminhaltigen Elvanse und pseudoephidrinhaltigen Erkältungsmitteln) kein Metamphetamin eingenommen hat und das im Blut des Antragstellers nachgewiesene Metamphetamin aus der bestimmungsgemäßen Einnahme seines ADHS-Medikaments und nicht aus der (zusätzlichen) Einnahme harter Drogen stammt.

Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Nach § 3 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. StVG stehen Bußgeldentscheidungen einem Urteil gleich, soweit sie sich auf die Feststellung des Sachverhalts und die Beurteilung der Schuldfrage beziehen.

§ 3 Abs. 4 StVG dient – wie auch § 3 Abs. 3 StVG, der sich auf anhängige Strafverfahren bezieht – dazu, sich widersprechende Entscheidungen der Strafgerichte und der Fahrerlaubnisbehörden zu vermeiden. Es soll verhindert werden, dass derselbe einer Eignungsbeurteilung zugrundeliegende Sachverhalt unterschiedlich bewertet wird; die Beurteilung durch den Strafrichter soll in diesen Fällen den Vorrang haben. Die Bindungswirkung von § 3 Abs. 3 und 4 StVG erstreckt sich auf den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist; erfasst wird nicht nur die Tat im Sinne des sachlichen Strafrechts, sondern der gesamte Vorgang, auf den sich die Untersuchung erstreckt (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2012 – 3 C 30.11 – juris Rn. 36). Die Bindung besteht darin, dass die Verwaltungsbehörde keinen anderen, dem Betroffenen nachteiligen Sachverhalt feststellen, insbesondere die Beweise nicht zu seinen Ungunsten anders als das Gericht würdigen darf (Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, StVG § 3 Rn. 113).

Da in Bußgeldverfahren keine Entscheidung über die Eignung des Kraftfahrers zum Führen von Kraftfahrzeugen getroffen wird, entfalten Bußgeldentscheidungen nur insoweit Bindungswirkung für das behördliche Entziehungsverfahren, als sie sich auf die Feststellung des Sachverhalts und die Beurteilung der Schuldfrage beziehen, nicht dagegen hinsichtlich der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1994 – 11 B 116/93 – juris Rn. 4; Beschluss des Senats vom 13. April 2012 – 3 M 47/12 – juris Rn. 4; VGH BW, Beschluss vom 12.09.2005 – 10 S 1642/05 -, juris Rn. 5). Die sich nach §§ 24, 24a StVG i.V.m. § 25 StVG ergebenden Rechtsfolgen können weder Ausfluss von Fahreignungsfeststellungen sein noch erlauben sie den Schluss, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 FeV nicht in eigener Zuständigkeit prüfen darf. Auf dieser Grundlage hat der Senat in dem von der Antragsgegnerin zitierten Beschluss entschieden, dass dem Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts in einer Bußgeldentscheidung, in dem zum Ausdruck kommen könnte, dass eine bußgeld- bzw. fahrverbotserhöhende Voreintragung nicht vorliege, keine bindende Sachverhaltsfeststellung in dem Sinne ausgeht, dass der Antragsteller erstmalig in Form des Führens eines Kraftfahrzeuges auffällig geworden sei (vgl. Beschluss des Senats vom 3. März 2016 – 3 M 24/16 – juris Rn. 3 ff.).

Das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen hat in dem Urteil vom 13. September 2022 über den Rechtsfolgenausspruch – einen Freispruch – hinaus eine Sachverhaltswürdigung vorgenommen. Es ist aufgrund einer Beweiserhebung durch Vernehmung einer Zeugin zu dem Ergebnis gekommen, dass der Antragsteller zum Führen eines Fahrzeugs unter Einnahme berauschender Mittel berechtigt gewesen sei, weil die Voraussetzungen des § 24a Abs. 2 Satz 2 StVG vorgelegen hätten. Dem lag die Aussage der den Antragsteller behandelnden Ärztin zugrunde, dass die festgestellten Amphetamin-/Methamphetamin-Konzentrationen mit der Medikamenteneinnahme vereinbar seien. Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass der Antragsteller das verschriebene Medikament eingenommen habe, für das ihm die Fahrfähigkeit durch die ihn behandelnde Ärztin bestätigt worden sei. Damit hat das Amtsgericht – wie das Verwaltungsgericht nachvollziehbar ausgeführt hat – angenommen, dass das im Blut des Antragstellers nachgewiesene Metamphetamin aus der bestimmungsgemäßen Einnahme seines ADHS-Medikaments und gerade nicht aus der (zusätzlichen) Einnahme harter Drogen stammt. Hierbei handelt es sich um eine Sachverhaltsfeststellung. Das Amtsgericht hat insoweit keine Bewertung der Fahreignung oder lediglich einen Rechtsfolgenausspruch vorgenommen. Der Rechtsfolgenausspruch (Freispruch) beruht auf der Feststellung konkreten Sachverhalts. Sachverhaltsfeststellungen binden – wie ausgeführt – die Fahrerlaubnisbehörde in der Weise, dass sie keinen anderen, dem Betroffenen nachteiligen Sachverhalt feststellen darf. Insbesondere darf sie die Beweise nicht zu dessen Ungunsten anders als das Gericht würdigen.

In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, dass das Ordnungswidrigkeits- bzw. Strafverfahren eine andere Zielrichtung verfolgt als das Verfahren zur Entziehung einer Fahrerlaubnis, und deshalb den in Bußgeldsachen zuständigen Behörden und Gerichten die Beurteilung über die Fahreignung entzogen ist. § 3 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. StVG ordnet unabhängig von der unterschiedlichen Zielrichtung des Bußgeldverfahrens im Vergleich zum Verfahren über die Entziehung der Fahrerlaubnis eine Bindungswirkung der Bußgeldentscheidung hinsichtlich der Feststellung des Sachverhalts an. Auch der Senat hat in dem von der Antragsgegnerin zitierten Beschluss vom 3. März 2016 (a.a.O.) keineswegs die Auffassung vertreten, wegen der unterschiedlichen Zielrichtung der Verfahren könne ein vom Amtsgericht in einer Bußgeldentscheidung festgestellter Sachverhalt keine Bindungswirkung für das Verfahren über die Entziehung einer Fahrerlaubnis entfalten. Vielmehr ging es um die Frage, ob (allein) dem Rechtsfolgenausspruch eine bindende Feststellung zum Sachverhalt entnommen werden könne. Dies hat der Senat verneint.

Auch die Erwägung der Antragsgegnerin, sie habe zu prüfen, ob der Antragsteller aufgrund der im Blut festgestellten Mengenkonzentrationen an Amphetamin und Metamphetamin nach § 3 StVG zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei, steht der vom Verwaltungsgericht angenommenen Bindung an die Sachverhaltsfeststellungen des Amtsgerichts nicht entgegen. Wie bereits ausgeführt, darf die Verwaltungsbehörde keinen von der Bußgeldentscheidung für den Betroffenen nachteiligen Sachverhalt feststellen, insbesondere die Beweise nicht zu dessen Ungunsten anders als das Gericht würdigen. Der Umstand, dass die Entscheidung über die Fahreignung der Fahrerlaubnisbehörde obliegt, führt nicht dazu, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde – entgegen dem Wortlaut des § 3 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. StVG – über einen vom Amtsgericht im Bußgeldverfahren festgestellten Sachverhalt hinwegsetzen darf. Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Antragsgegnerin als Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis den vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde legen muss, dass das im Blut des Antragstellers nachgewiesene Metamphetamin aus der bestimmungsgemäßen Einnahme seines ADHS-Medikaments und gerade nicht aus der (zusätzlichen) Einnahme harter Drogen stammt. Wie ausgeführt, ist es Zweck der gesetzlichen Regelung, widersprechende Entscheidungen der Strafgerichte und der Fahrerlaubnisbehörde zu vermeiden. Ein solcher Widerspruch läge hier vor, wenn das Amtsgericht davon ausgeht, dass das im Blut des Antragstellers nachgewiesene Metamphetamin aus der bestimmungsgemäßen Einnahme seines ADHS-Medikaments und nicht aus der (zusätzlichen) Einnahme harter Drogen stammt, während die Fahrerlaubnisbehörde annehmen könnte, dass der festgestellte Metamphetamin-Wert nicht von der Einnahme des Medikaments herrühre.

Hierbei kommt es auch nicht darauf an, dass die Antragsgegnerin – wie sie vorträgt – unter Inanspruchnahme fachlicher Beratung eine weitere Sachverhaltsaufklärung vorgenommen hat. Es ist zwar anerkannt, dass die Bindung der Verwaltungsbehörde an die richterliche Eignungsbeurteilung in einer Straf- oder Bußgeldentscheidung entfällt, wenn das Gericht von einem anderen, z.B. einem weniger umfassenden Sachverhalt ausgegangen ist, als er der behördlichen Beurteilung der Fahreignung zugrunde liegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1988 – 7 B 242/87 –, Rn. 3, juris). Darum geht es aber im vorliegenden Fall nicht. Bei der Prüfung der Fahreignung handelt es sich um eine Bewertung, der diverse Verstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften zugrunde liegen können. Hat etwa das Strafgericht die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen beurteilt und dabei nicht sämtliche für diese Beurteilung wesentlichen und verwertbaren Verkehrsverstöße gewürdigt, kann die Fahrerlaubnisbehörde bei der Prüfung der Fahreignung des Betroffenen eine weitere Zuwiderhandlung, die strafrechtlich nicht berücksichtigt wurde, in ihre Würdigung einbeziehen (vgl. BVerwG, a.a.O.). Insoweit kann die Fahrerlaubnis auch eigene, weitere Ermittlungen anstellen. Mit der Einbeziehung hieraus gewonnener Erkenntnisse geht die Fahrerlaubnisbehörde nicht von einem anderen Sachverhalt als das Amtsgericht aus. Als Sachverhalt, der der Entscheidung des Strafrichters zugrunde liegt, kann jeweils nur der abgeurteilte Vorfall angesehen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 1979 – 7 B 2.79 – juris Rn. 5). Deshalb steht die Feststellung, dass es einen weiteren Vorfall gibt, mit den Feststellungen im Strafurteil nicht in Widerspruch. Wie bereits ausgeführt, hat das Amtsgericht im vorliegenden Fall die Fahreignung des Antragstellers nicht geprüft. Vielmehr ist hier maßgeblich, dass das Amtsgericht für die Frage, ob der Bußgeldtatbestand des § 24a StVG erfüllt ist, einen bestimmten Sachverhalt festgestellt hat (der Antragsteller habe neben bestimmungsgemäß eingenommenen Arzneimitteln keine harten Drogen konsumiert), der nach Auffassung des Gerichts die Verhängung eines Bußgeldes ausschloss. Im vorliegenden Fall will die Antragsgegnerin nicht einen weiteren Sachverhalt für die Beurteilung der Fahreignung berücksichtigen, sondern erreichen, dass durch die Benennung neuer bzw. weiterer Gesichtspunkte ein bestimmter Sachverhalt anders beurteilt wird als es das Amtsgericht getan hat. Sie geht nämlich davon aus, dass der Antragsteller über das Medikament Elvanse hinaus harte Drogen konsumiert habe (Seite 6, letzter Abs. des Schriftsatzes vom 25. Juli 2023), was mit der Feststellung des Amtsgerichts unvereinbar wäre. Hierzu beruft sie sich darauf, dass es Umstände gebe, die das Amtsgericht nicht berücksichtigt habe, nämlich die ihres Erachtens beim Kläger festgestellten drogentypischen Ausfallerscheinungen sowie zwei fachliche Stellungnahmen, die erst nach Erlass des Bußgeldurteils eingeholt wurden. In der Sache benennt die Antragsgegnerin damit (neue) Tatsachen und Beweismittel, deren Berücksichtigung ihres Erachtens dazu führen würde, dass sich die Sachverhaltsfeststellung des Amtsgerichts im Ergebnis als fehlerhaft erweist. Dies ist der Fahrerlaubnisbehörde jedoch nicht gestattet: Sie darf einen in einer Bußgeldentscheidung festgestellten Sachverhalt nicht anders würdigen als das Amtsgericht. Die Bindungswirkung an die Feststellung eines Sachverhalts in einer Strafentscheidung oder Bußgeldentscheidung entfällt nicht deshalb, weil es neue Tatsachen oder Beweismittel gibt oder bereits vorliegende Beweismittel unberücksichtigt geblieben sind oder fehlerhaft gewürdigt wurden. Neue Tatsachen oder Beweismittel sind zu berücksichtigen, wenn es um die Frage geht, ob die Fahrerlaubnisbehörde zu Gunsten des Betroffenen von den Feststellungen in einem Strafurteil oder einem Bußgeldurteil abweichen will. In diesen Fällen ist § 3 Abs. 4 StVG schon nach seinem Wortlaut („zu dessen Nachteil“) gar nicht anwendbar. Gleichwohl können die Fahrerlaubnisbehörden grundsätzlich von den Feststellungen in einer Straf- oder Bußgeldentscheidung ausgehen. In diesen Fällen ist eine Abweichung ausnahmsweise geboten, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit bestehen, insbesondere neue Tatsachen oder Beweismittel als Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO vorliegen, die für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil sprechen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 4. März 2016 – 11 ZB 15.2682 – juris Rn. 15). Diese Erwägungen sind auf die Bindungswirkung nach § 3 Abs. 4 StVG nicht übertragbar, weil in diesem Fall die Bindungswirkung ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist und § 359 Nr. 5 StPO lediglich eine Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten ermöglicht.

Die Erwägung der Antragsgegnerin, dass die Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Urteils nicht die Prüfung der Geeignetheit des Antragstellers umfasse, berücksichtigt nicht, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Bindung an die Beurteilung der Fahreignung geht, die das Amtsgericht – wovon auch die Antragsgegnerin zutreffend ausgeht – gar nicht vorgenommen hat, sondern um die Bindung an einen festgestellten Sachverhalt. Unzweifelhaft ist die Antragsgegnerin hinsichtlich der Bewertung, ob sich der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat, nicht an eine Beurteilung des Amtsgerichts gebunden. Von der Beurteilung der Fahreignung zu unterscheiden ist der Sachverhalt, der bei dieser Beurteilung zugrunde liegt. Hinsichtlich dieses Sachverhalts ist die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, „dass neben der Medikamenteneinnahme ein zusätzlicher Konsum von Metamphetamin vorliegt (harte Drogen)“. Dies widerspricht – wie ausgeführt – der Sachverhaltsfeststellung des Amtsgerichts. Die Antragstellerin wäre durch die amtsgerichtliche Entscheidung nicht gehindert, einer Fahrerlaubnisentziehung einen anderen bzw. umfassenderen Sachverhalt zugrunde zu legen. Bei dem Verhalten des Antragstellers im Zusammenhang mit der Verkehrskontrolle und den fachlichen Stellungnahmen zur Verstoffwechselung des Medikaments Elvanse handelt es sich nicht um einen weiteren Sachverhalt, auf den eine Fahrerlaubnisentziehung gestützt werden könnte, sondern um Tatsachen und Beweismittel, die nach Auffassung der Antragsgegnerin den von der Antragsgegnerin behaupteten Drogenkonsum – abweichend von der Beweiswürdigung des Amtsgerichts – belegen können.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

III. Hinsichtlich der Streitwertfestsetzung folgt der Senat der erstinstanzlichen Entscheidung.

IV. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.

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